Think global by geralt via pixabay.jpgUnsere Gesellschaft kämpft mit steigender Intransparenz, Internetüberwachung und sinkendem Vertrauen in traditionellen politischen Institutionen. Unsere demokratischen Rechte und unsere Privatsphäre im digitalen Raum werden gleichermaßen ausgehöhlt. Eines wird deutlich, die Potentiale der Digitalisierung sind von ihren Problemen eingeholt worden. Doch wie sollen wir ihnen begegnen?

Das Internet hat unser Verständnis von Machtstrukturen revolutioniert. Die Grenzenlosigkeit der globalen Vernetzung fordert unsere etablierten Gewalten heraus und bricht traditionelle Strukturen auf. Dabei werden wir aber auch mit den Kehrseiten der Digitalisierung konfrontiert. So ist das, was da alles online passiert und was wir machen könnten, nicht immer mit dem demokratischen Wertesystem und einer friedlich harmonisierenden internationalen Gesellschaft in Einklang zu bringen.

Die (un)begrenzten Weiten der digitalen Welt

Mit ca. 3,5 Milliarden NutzerInnen ist das Internet das allumfassendste Territorium der Welt – anders als unsere traditionellen Staatensysteme, grenzenlos. Anarchisch fließen unüberschaubare Mengen von Daten entlang eines nie endenden Stromes aus Bits und Bytes.

Bereits 1996 machte sich Internetpionier John Perry Barlow mit seiner Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace Luft und stellte das Internet den traditionellen Staatsstrukturen gegenüber. Seine Schrift ist eines der bekanntesten Werke zur Legitimation staatlicher Kontrolle im Internet. In dieser neuen Heimat des Geistes haben die etablierten politischen Institutionen keine Macht mehr. So erschaffe die Zivilisation des Internet schließlich das, was Regierungen nicht erreicht haben, eine humanere und gerechtere Welt: „Wir glauben daran, dass unsere Regierungsweise sich aus der Ethik, dem aufgeklärten Selbstinteresse und dem Gemeinschaftswohl eigenständig entwickeln wird.“

Fest steht: Das Internet kann nicht regiert werden, zumindest nicht im konventionellen Sinne und schon gar nicht von oben herab. Anders als Staaten, mit ihren festen Grenzen, Regeln und nationaler Bevölkerung, sind die Grundfesten des Internet fluide.

Der Teufelskreis der Digitalisierung

In Zeiten eines steigenden Sicherheitsbedürfnisses und der verstärkten Auseinandersetzungen mit Hass und Hetze im Internet stoßen wir immer häufiger an die Grenzen dessen, was erlaubt und was richtig ist. Wir sind zerrissen zwischen Angst, Sicherheit und Freiheit. Wir wollen das Internet frei und anonym nutzen, auf keine der unzähligen Möglichkeiten der Digitalisierung verzichten und gleichzeitig staatliche Machtstrukturen aus dem Cyberspace verbannen. Demgegenüber stehen die neuen Herausforderungen, Misstrauen und Gefahren.

Denn die breite Gesellschaft ist nicht der einzige Profiteur der Digitalisierung. Auch TerroristInnen und Cyberkriminelle haben die Potentiale des Internet für sich erkannt. Als Folge fordert die Gesellschaft mehr Sicherheit. Um wieder Herr der Lage zu werden, reagieren unsere etablierten politischen Institutionen und Sicherheitsorgane mit Überwachung und Datenspeicherung. Dabei werden aber immer häufiger die Grenzen der grundrechtskonformen Strafverfolgung überschritten. So werden Persönlichkeitsrechte missachtet und die individuelle Privatsphäre verletzt. Auch geltende Menschenrechte im digitalen Raum werden nebensächlich. Gleichzeitig fehlen wirkungsvolle Durchsetzungs-, Deutungs- und Kontrollmechanismen, weshalb Staaten zwar grenzüberschreitend im Internet agieren, aber keine internationalen Grundlagen für ihr Handeln bereitstehen.

Doch nicht nur Staaten sind im Internet aktiv. Auch IT-Großkonzerne haben ihren internationalen Einfluss gesteigert und sind zu ebenbürtigen Gegenspielern im digitalen Roulette um unsere Persönlichkeitsrechte geworden. Trotzdem gehört diesen Unternehmen das Internet ebenso wenig wie den Staaten. Letzten Endes sinkt nicht das Risiko, sondern unser Recht auf Privatsphäre und unser Vertrauen in traditionelle Staatsstrukturen.

Wir sind gefangen im Teufelskreis der Digitalisierung – auf Kosten der Freiheit im Internet. Schließlich beeinflusst die Art und Weise, wie sich das Internet entwickelt, die Art und Weise, wie wir das Internet nutzen: Vorsichtiger, besonnener, unfreier?

Überwachen und Staaten: Internoptikum vs. Internet Governance

Von einer ähnlichen Unfreiheit handelt auch das 1975 veröffentlichte Werk „Überwachen und Strafen“ des französischen Philosophen Michel Foucault. In ihm beschreibt er das Macht- und Wahrheitsregime des Panoptikums, eines von Jeremy Bentham ersonnenen „perfekten Gefängnisses“, in dem strahlenförmig angeordnete Zellen von einem zentralen Turm permanent eingesehen und überwacht werden können. Für ihn repräsentiert es die Konstellation der modernen Disziplinargesellschaft.

Erschreckend ist: Die von Foucault aufgezeigten Strukturen sind vielerorts Ansatzpunkt für Diskussionen um die Struktur der heutigen Internetgesellschaft und Ordnungsmechanismen des Cyberspace. Es wird deutlich, dass das Internet zunehmend in Konkurrenz mit traditionellen Staatsstrukturen steht und nationale Sicherheitsinstitutionen und Rechtssysteme an der Unüberschaubarkeit des der digitalen Weltmeere scheitern. Letztlich wissen sich Staaten nur mit Überwachung zu helfen. Dahin ist die Privatsphäre, willkommen im Internoptikum.

Trotz dieses düsteren Szenarios ist auch Hoffnung am digitalen Horizont zu erkennen: so zum Beispiel das Projekt der Internet Governance. Was in erster Linie nach Relaunch oder Regierung 2.0 klingt, verfolgt einen innovativen Ansatz: das Internet regierbar machen, in einem dezentralen, internationalen Netzwerk. Die zentrale Grundannahme dafür ist, dass Staaten nicht die einzigen Akteure sind, die das Internet strukturieren und Handlungen vorgeben können. Das Internet besteht aus verschiedenen Entitäten, die nur gemeinsam Regeln und Prinzipien vorgeben können. Aus diesem Grund kann die Internet Governance nur als global verbundenes Netzwerk ohne zentrales Leitungsgremium bestehen, dessen „Regierung“ aus VertreterInnen der Zivilgesellschaft, des Privatsektors und der Regierungen besteht. Die Vielfalt dieser Akteure soll dazu beitragen, dass gemeinsame Regeln, Normen und Entscheidungsmechanismen gefunden werden können, die die Evolution und Nutzung des Internet ausformen.

Eine Charta für die Zukunft der Informationsgesellschaft

Was zunächst nach einer fixen Idee klingt, dessen wirkliche Umsetzung in weiter Ferne liegt, wird auf internationaler Ebene bereits in Form von globalen Plattformen Realität. Eine dieser Plattformen ist das IGF, das Internet Governance Forum, welches 2005 beim internationalen Dialog der Vereinten Nationen zur Internet Governance ins Leben gerufen wurde und sich seitdem für digitale Menschenrechte einsetzt. Als Diskussionsforum zu Themen der Internet Governance verkörpert das IGF also schon jetzt den dezentralen Archetyp der digitalen Regierung.

Der Schutz unserer Rechte im digitalen Raum ist dennoch kein Selbstläufer, so innovativ die Internetregierung der Zukunft auch sein mag. Wir müssen sie in einen lesbaren Code übersetzen und Hardware schaffen, die diesen auslesen und verstehen kann. In Zeiten, da jeder Bestandteil, jedes lokale Netzwerk sein eigenes Regelwerk etabliert, müssen wir unsere Menschenrechte als letzte Bastion und einziger international gemeinsamer Nenner im grenzenlosen Raum des Internet verteidigen.

Das IGF tut genau das und steht seit 2013 mit der Charta der Menschenrechte und Prinzipien für das Internet für unsere Rechte ein. Neben dem eingängigen 1. Artikel, der angelehnt an die Menschenrechtscharta der UN die Universalität und Gleichheit aller Menschen online sowie offline unterstreicht, stechen vor dem Hintergrund von Überwachung, algorithmischer Entscheidungsfindung und sinkender Privatsphäre ebenso Artikel 4 und 5 hervor. Da jede Person das Recht haben soll, Informationen im Internet frei von Zensur oder anderen Eingriffe zu suchen, zu empfangen und weiterzugeben, ist auch das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz fest in der Charta des IGF verankert. So habe jede Person das Recht auf Privatleben im Internet. Das setzt die Freiheit von Überwachung sowie das Recht auf Verschlüsselung und Anonymität im Internet voraus. Personenbezogene Daten gelte es zu schützen und die Sammlung, Speicherung, Verarbeitung und Bekanntgabe persönlicher Daten zu kontrollieren.

Die im Dezember vergangenen Jahres von der UN-Generalversammlung ratifizierte Resolution 70/125 schließt an diese ambitionierten Projekte zum Thema Internet an. Sie verstärkt die Bestrebungen, einen international geltenden Grundlagenkatalog zu finden. Unterstrichen werden dabei besonders die Neutralität im Cyberspace und der Stellenwert eines Internetzugangs für alle. Als Zeichen gegen die zunehmenden Überwachungs- und Sicherheitsmaßnahmen wird zudem an die Freiheiten des Internet appelliert. Um einen Gegenpol zu Cyberkriminalität, Cybersicherheit und Cyberüberwachung zu etablieren und den Schutz der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte im Internet zu stärken, sei schließlich ein am Gemeinwohl orientiertes Handeln aller Akteure unabdinglich.

Bis dato werden digitale Bedrohungspotentiale häufig auf Kosten unserer Privatsphäre bekämpft. Um die grenzenlosen Potentiale des Internet nicht einzuschränken, ist es aber unabdingbar, das Internet als Medium der Privatsphäre zu erhalten und die UserInnen vor dem Zugriff, Verkauf und der Veröffentlichung ihrer Daten, zu schützen. Staaten müssen sich deshalb auf ihre demokratischen Verpflichtungen zurückbesinnen, mit und nicht gegen BürgerInnen handeln. Dafür stehen politische Institutionen schon heute ein, doch werden ihre Ansätze aufgegriffen und überhaupt beachtet? Die Vereinten Nationen nehmen wie so oft eine Vorreiterposition in dieser Rückbesinnung ein. Nationale Institutionen müssen jetzt nachlegen, um dem ihnen gewährten Vertrauen nicht langfristig zu schaden und einen verantwortungsvollen Weg für die Zukunft der Informationsgesellschaft zu bereiten.

Titelbild: Think Global by geralt via pixabay licenced CC0

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