Deutschland steht vor einem tiefgreifenden digitalen Wandel, der alle Lebens- und Arbeitsbereiche erfasst. Während die Wirtschaft sich bereits sehr konkret mit der digitalen Transformation beschäftigt, hinkt die öffentliche Verwaltung mit ihren Strukturen noch deutlich hinterher. Hier ist Basisarbeit gefragt. Ein Kommentar von Thomas Langkabel.

Die digitale Transformation verändert mit Industrie 4.0 die Produktionslandschaft und das neue, mobile Arbeiten revolutioniert die traditionelle Büroarbeit. Gesundheitswesen, Dienstleistungen, Handel, Bildung und Landwirtschaft: Die Transformation betrifft alle Wirtschaftssektoren. „Auch die Verwaltung steht vor der Herausforderung einer nutzerorientierten, effizienten und innovativen Digitalisierung“, heißt es im Regierungsprogramm der großen Koalition. Für ein funktionierendes Staatswesen ist die effiziente, moderne Verwaltung quasi das Betriebssystem des gesellschaftlichen Lebens und unverzichtbar für die Zukunft des Landes. Öffentliche Finanzen, Ordnung und Sicherheit, Katasterwesen, Bildung, Ver- und Entsorgung, Kultur, Gesundheit, Infrastrukturen und Verkehr: Die öffentliche Verwaltung hat in vielerlei Hinsicht eine fundamentale Bedeutung für das Gemeinwesen.

Allerdings hinkt die Verwaltung fast flächendeckend dem Stand der Technik und damit den Möglichkeiten der digitalen Transformation hinterher. So nimmt Deutschland im Ranking der europäischen Nationen im Bereich „Digital Public Services“ gerade einmal den 18. Platz in einem EU-weiten Index ein, den EU-Digitalkommissar Günther Oettinger im Februar dieses Jahres in Brüssel vorgestellt hat. „Die schwache Verbreitung von E-Government-Lösungen mag ein Indikator dafür sein, dass die Verfügbarkeit und die Verwendung von Online-Diensten der Öffentlichen Hand verbessert werden könnte“, urteilt der Bericht.

Leuchtturmprojekte glänzen per Definition nur punktuell

Ganz am Anfang steht Deutschland aber auch nicht. Es existiert bereits – allerdings nur für den Bund – ein E-Government-Gesetz, aus dem einzelne Länder eigene Bestimmungen abgeleitet haben, zum Beispiel der Stadtstaat Hamburg mit seinem Transparenzgesetz. Es gibt einen IT-Rat, in dem die CIOs der Bundes-Ressorts arbeiten, und einen IT-Planungsrat für die CIOs von Bund und Ländern. In der Digitalen Agenda für Deutschland fordert die Bundesregierung unter anderem „die verbessernde Zusammenarbeit von Bürgerinnen und Bürgern mit der Verwaltung“, lässt aber offen, was genau sie darunter versteht und wie sie das umzusetzen möchte.

Es gibt Leuchtturmprojekte, zum Beispiel aus Ulm: Hier hat die Stadt im vergangenen Jahr seine Bürger beim Projekt „Neues Leben in der Hindenburgkaserne“ über die bevorstehende Umwandlung zunächst breit informiert, um anschließend eine Diskussion über die Zukunft der bisher militärisch genutzten Anlage führen zu können, die Mitte 2015 von der Bundeswehr an die Stadt Ulm übergeben wird. Auch einige andere Städte und Gemeinden beschäftigen sich mit innovativen Digitalisierungsthemen.

Flächendeckend für die gesamte Republik muss man jedoch feststellen: Es geschieht zu wenig. Statt zu handeln, diskutieren die Verantwortlichen über schwierige Rahmenbedingungen und Umsetzungshürden. Gründe für den ausbleibenden Wandel gibt es viele: fehlende Haushaltsmittel, föderale Strukturen und mangelnde Bedarfsformulierungen von Bürgern und Unternehmen. Ein anderer, fundamentalerer Mangel aber ist wesentlich bedeutender: Für eine nachhaltige digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung fehlen schlicht die Grundlagen – allen voran bei der Ausbildung des Personals.

Niemand versteht mehr vom Fliegen als ein Vogel

Wer kennt die Verwaltung am besten? Wer versteht die tägliche Verwaltungspraxis auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene wirklich? Es sind diejenigen, die sich tagtäglich in komplexen Verwaltungsprozessen bewegen, die den „kleinen Dienstweg“ verstehen, die mit Bürgern und Unternehmen zusammenarbeiten, die das System am Laufen halten – die Verwaltungsmitarbeiter selber. „Nur mit den Mitarbeitern wird dieser Veränderungsprozess gelingen“, formuliert denn auch die Bundesregierung in ihrem Programm „Digitale Verwaltung 2020“. „Sie haben die Kompetenz, das Wissen und die Ideen, die Innovationen möglich zu machen.“

An dieser einfachen Wahrheit gemessen, ist es dann aber einfach zu wenig, was getan wird, um diesen Kompetenzträgern das nötige Rüstzeug an die Hand zu geben. Die Hilfe ist mangelhaft, um die Chancen der Digitalisierung verstehen und aus der täglichen Praxis heraus Innovationspotenziale erkennen zu können. Es ist zu wenig, um E-, Open- oder Mobile-Government nicht nur als Add-On zur normalen Verwaltung zu sehen, sondern daraus gelebten Alltag zu machen und die Verwaltung digital neu zu denken.

Der Generationenwechsel wird das Problem nicht lösen

Mittelfristig wird es in den öffentlichen Verwaltungen unseres Landes einen Generationenwechsel geben, weil eine hohe Zahl von Mitarbeitern aller Verwaltungsebenen demnächst in den Ruhestand geht. Unterschiedliche Studien sprechen von 30 bis 50 Prozent in den kommenden fünf bis zehn Jahren. Wer aber nun glaubt, dass die Überwindung verwaltungsinterner Digitalisierungswiderstände ein demografisches Problem ist, irrt gleich doppelt.

Erstens wird die Verwaltung erhebliche Schwierigkeiten im „War of Talents“ haben. Schon heute leiden Unternehmen der freien Wirtschaft unter dem wachsendem Fachkräftemangel, viele Ausbildungsstellen bleiben auch dort inzwischen unbesetzt. Im Gegensatz zur Verwaltung kann die Privatwirtschaft prinzipiell aber deutlich leichtfüßiger darauf reagieren: mit höheren Gehältern, flexibleren Arbeitszeitmodellen sowie mobilen und attraktiven Arbeitsplätzen. Der Verwaltung bleiben die Anreize „Sicherheit“ und „Stabilität“, aber auch die verlieren mit fortschreitender Ausweitung befristeter Anstellungsverhältnisse in der Verwaltung langsam an Kraft.

Auf dem Weg zur Verwaltungsausbildung 2.0?

Zweitens, und hier liegt das größte Problem: Die Verwaltungsausbildung verschläft die Digitalisierung. Typischerweise findet die Ausbildung der Anwärter für den gehobenen Dienst in der öffentlichen Verwaltung für den Bund und die meisten Bundesländer in Deutschland in „Fachhochschulen für öffentliche Verwaltungen“ statt. Der Bologna-Prozess hat auch hier inzwischen zur Ausrichtung auf Bachelor- und Master-Studiengänge geführt.

In der Grundausbildung des Verwaltungsnachwuchses in Deutschland ist die Digitalisierung bislang nicht angekommen. Ein Studienplan für die „Kommunalverwaltung und staatliche allgemeine Verwaltung“ der Verwaltungsfachhochschule eines Ost-Bundeslandes zum Beispiel weist unter der Studienfachgruppe „Verwaltungs- und Sozialwissenschaften“ Inhalte zur „Informations- und Kommunikationstechnik“ aus, die mit dem digitalen Wandel nicht mehr Schritt halten können. Dazu gehören Übungen zu „Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe“ von Daten, Exkurse zur Hardware (Zentraleinheit, Eingabegeräte, Ausgabegeräte) und zu „Programmiersprachen“. Nicht das, was man sich unter moderner IT vorstellt. Im gesamten Grundstudium sind dafür insgesamt 30 Stunden angesetzt. Das Internet lernt der Verwaltungsnachwuchs im Hauptstudium kennen. Dazu gehören Themen wie IT-Sicherheit und E-Government. Allerdings stehen auch hier nicht mehr als insgesamt 30 Stunden zur Verfügung, wobei auf das Thema E-Government ganze vier Stunden entfallen. Das ist angesichts der Komplexität der Aufgaben deutlich zu wenig.

Im Westen sieht es nicht besser aus: Eine „Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung“ bietet neben speziellen Bachelor-Studiengängen für den Polizeivollzugsdienst oder die Rentenversicherung auch zwei allgemeine Bachelor-Verwaltungsstudiengänge für den Kommunalen und den Staatlichen Verwaltungsdienst an, also für die Kommunal- und Landesebene. „Informationsverarbeitung“ mit Themen wie IT-Geschäftsprozessmanagement, IT-Projektmanagement und Anwendungssystementwicklung ist in dem einen Studiengang eine Wahlpflichtveranstaltung mit immerhin 48 Präsenzstunden – kann, muss aber nicht belegt werden. Der zweite Bachelor-Studiengang „Staatlicher Verwaltungsdienst – Allgemeine Verwaltung“ bietet Teilmodule zu Soziologie, Ethik, Psychologie und den Grundlagen der empirischen Sozialforschung. Bezüge zu aktuellen Themen der digitalen Transformation gibt es bei keinem dieser oder anderer Module.

Digitalisierung findet in der Ausbildung praktisch nicht statt

In den meisten Studien- und Ausbildungsgängen für den öffentlichen Verwaltungsnachwuchs finden die wirklich aktuellen und drängenden Fragestellungen der Digitalisierung also praktisch nicht statt: Abbau von Schriftformerfordernissen, Elektronische Aktenführung und Dokumentenmanagement, Kollaborationsplattformen, Elektronische Identitäten, eID des neuen Personalausweises, De-Mail, Umgang mit Sozialen Medien, Open Government, Open Data, Open Source, E-Partizipation, Transparenz, Cloud Computing, Big Data, Barrierefreiheit, IT und Cybersicherheit, BSI Angebote, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Normen-Screening zum Bürokratieabbau fehlen auf der Agenda. Dabei geht es hier nicht um den Aufbau von Umsetzungskompetenzen für IT-Fachleute, sondern um ein essenzielles technologisches Grundverständnis zur Entwicklung von Beurteilungs- und Innovationskompetenzen für alle Verwaltungsmitarbeiter.

Es reicht auch nicht, für solche Themen Fortbildungskurse anzubieten, die später gegebenenfalls Budget- oder Ausbildungszeitbeschränkungen zum Opfer fallen und zudem ein freiwilliges Grundinteresse voraussetzen. Solche Angebote dienen ausschließlich dazu, nach erfolgter Grundschulung auf dem Stand der Technik zu bleiben und das Wissen geeignet weiter zu entwickeln. Fehlt die Grundausbildung in modernem Informationsmanagement, haben solche Weiterbildungsangebote keine echte Basis.

Offensive „Verwaltungsausbildung für die Digitale Gesellschaft“

Wir können es uns nicht länger leisten, die Verwaltungsausbildung vorwiegend auf Verwaltungsrecht und die Vermittlung von Soft Skills zu beschränken und das „Digitale“ in Word- und Excel-Kursen zusammenzufassen. Denn es gibt keinen Verwaltungsbereich mehr, für den die Digitalisierung heute nicht relevant ist, für den sich daraus nicht Chancen für bessere Dienste, größere Erkenntnisse, höhere Effektivität und Effizienz bieten. Wahrnehmen lassen sich diese Chancen am besten aus der täglichen Verwaltung heraus. Die großen Themen der Digitalisierung gehören daher in die Grundausbildung einer jeden Verwaltungslaufbahn.

Denn das auf der diesjährigen CeBIT ausgerufene Digitale Wirtschaftswunder wird scheitern, wenn die Verwaltung nicht mithalten kann. Der Bund und die Länder müssen daher eine ehrliche Bestandsaufnahme zum digitalen Kompetenzaufbau in ihren jeweiligen Ausbildungsgängen vornehmen. Eine Offensive zur Verwaltungsausbildung für die Digitale Gesellschaft gehört auf die Tagesordnungen der Innenministerkonferenzen und des Bundestagsausschusses Digitale Agenda – nicht irgendwann, sondern jetzt.

Bild: geralt CC0 via pixabay

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