Schutzranzen„Achtung, Schulkinder sind in der Nähe!“ „Kind, ich weiß wo du bist!“, überspitzt ausgedrückt ist das die Funktionsweise der App Schutzranzen. Seit einigen Tagen wird diese App gerade unter Datenschützern stark kritisiert.

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Zunächst erstmal zur App: Mit einem Peilsender im Ranzen und einer App fürs Smartphone wollen die Entwickler den Schulweg für Kinder sicherer machen. Eltern erhalten mehr Kontrolle über den Aufenthaltsort ihrer Kinder, außerdem soll das System Autofahrer warnen, sobald sich Schüler in der Nähe aufhalten. Unterstützt wurde das Unternehmen von der Stadt Wolfsburg, VW und dem Ranzenhersteller Scout.

Aktuell wird die App Schutzranzen heftig in den Medien kritisiert. Im Zuge der ersten Testphase sind Gegner und Kritiker immer lauter geworden. Der offene Brief des Vereins Digitalcourage vergangen Montag fordert aus datenschutzrechtlichen Gründen die sofortige Einstellung des Projekts. Am Mittwoch wurde als Reaktion auf die Proteste die Testphase vorerst eingestellt.

Im Fokus der Debatte steht der Datenschutz. Und ja: diese Bedenken sind richtig und notwendig, aber sie sollten nicht der alleinige Fokus sein. Die Idee der Entwickler war, den Straßenverkehr und Schulweg von Kindern sicherer zu machen. Eigentlich ja ein guter Gedanke, könnte man meinen. Aber lassen sich Schulwege sicherer machen, wenn Kinder stets Handy oder GPS-Sender bei sich tragen und Autofahrer sich eine passende App installieren? Und wieso müssen Eltern ständig Bescheid wissen, wo sich ihr Kind aufhält? Was war der Treiber der Entwickler? Wie weit dürfen Eltern zum Schutz des Kindes in dessen Privatsphäre eingreifen? Und wann sind digitale Tools in der Erziehung ein Mehrwert und wann nicht?

Liebe Eltern, gebt euren Kindern Freiräume!

Eine Frage bei Ortungs-Apps ist immer, wo die Daten gelagert werden und wer darauf Zugriff hat. Während die Entwickler bemüht sind, diese datenschutzrechtliche Bedenken zu zerstreuen, stellt sich eine zweite datenethische Frage. Denn auch die Eltern können per App jederzeit durch die GPS-Position den eindeutigen Standort ihres Kindes genau nachverfolgen und dringen damit in die Privatsphäre ihres Kindes ein. Es mag manchmal geboten sein, aus elterlicher Verantwortung die Privatsphäre des Kindes zu dessen Schutz zu begrenzen. Ist es aber notwendig, immer zu wissen, wo sich das Kind aufhält? Und vor allen was mache ich, wenn ich weiß, dass das Kind auf dem Heimweg trödelt und sich von Spielplätzen oder einen Kiosk ablenken lässt? Das ist doch allenfalls niedlich, liebe Eltern! Klar, getrieben von der elterlichen Sorge verleiten digitale Tools wie die Schutzranzen-App natürlich schnell dazu, sein Kind kontrollieren zu wollen. Doch wir waren alle mal Kind und jugendlich und wir wissen, wie wichtig es ist, genau in dieser Lebensphase Freiräume zu haben. Die kleinen Geheimnisse, die Eltern nicht wissen, sind doch gerade so spannend und aufregend in diesem Alter. Privatsphäre zu gewähren ist ein Zeichen von Respekt. Besonders Eltern sollten die Freiräume ihrer Kinder respektieren. Bevor Eltern also solch eine App einsetzen, sollten sie sich fragen: Unterstützen solche Apps wie Schutzranzen den Schutz der Kinder? Und geht man als Elternteil mit dem Einsatz solcher Anwendungen zu weit? „Statt sinnlose Überwachungsspiele mit unseren Kindern zu spielen, sollten wir sie lieber in ihrer Entwicklung altersangemessen begleiten und ihnen vermitteln, wie sie sich bestmöglich selber vor Gefahren schützen oder ihnen zumindest ausweichen können“, appellierte Rainer Beck in einer Pressemitteilung der Deutsche Kinderhilfe e.V.

Autofahrer: Augen auf im Straßenverkehr

„Die Autofahrer-Funktion warnt den Autofahrer, sobald ein kritischer Abstand zur Position der Kinder unterschritten wird. Der Autofahrer hat dann ausreichend Zeit, seine Aufmerksamkeit zu erhöhen und sein Fahrverhalten anzupassen.“, so versucht die App Schutzranzen Autofahrer auf ihrer Website anzuwerben. Also auch Autofahrern soll die App das Leben erleichtern. Die Smartphones von Schülern oder Sender an deren Schultaschen sollen einen Autofahrer per App warnen, wenn ein Kind in der Nähe ist und ihnen womöglich vors Auto laufen könnte. Die Warnung erfolgt per Audiosignal über das Handy des Autofahrers. Praktisch? Oder ein zusätzliches Signal, das den Autofahrer ablenkt? Wir kennen es alle: Im Auto läuft Musik, das Navi quasselt im 20-Sekunden-Takt und draußen hupen die Autos. Ist dann nicht ein weiters Signal schlicht zu viel? „Zusätzliche Hinweise auf Kinder in der Nähe dürften gerade in Städten und in der Nähe von Schulen, gerade zu Stoßzeiten eher zu einer Reizüberflutung der Autofahrer führen, was zu einer Erhöhung des Unfallrisikos ohne konkreten Anlass beitragen könnte“, warnt Rainer Beck. Wahrscheinlich könnten viele Unfälle einfach vermieden werden, wenn Autofahrer sich nur auf den Straßenverkehr konzentrieren. Quasi wie man es schon als Kind beim Fahrradführerschein lernte: Augen auf im Straßenverkehr!

Spielfeld der Wirtschaft – CSR? Profit? Oder Mehrwert?

Sicherheit im Straßenverkehr war und wird wahrscheinlich mehr oder weniger Thema in öffentlichen Debatten sein. Deswegen interessieren sich Unternehmen schon seit Jahrzehnten für dieses Problem. Immer wieder kommen neue Innovationen auf, die zur Lösung dieses Problems beitragen sollen. Doch kann Profit als Treiber die Lösung von gesellschaftlichen und sozialen Problemen sein? Und steckt hinter solchen Anwendungen vielleicht nur Marketing und CSR? Und darf die Sicherheit von Kindern ein Spielfeld der Wirtschaft sein? Oder ist es gut, dass auch durch Profit und CSR versucht wird, gesellschaftliche Probleme zu lösen? Die Debatte um die App Schutzranzen wirft wieder genau solche Fragen auf. Gerade der Konzern VW ist in den letzten Jahren nicht gerade durch sein positives Image in den Medien bekannt gewesen. Man könnte ihm also Greenwashing unterstellen und dass hinter der App und den Aussagen der Pressesprecher kein ernsthaftes soziales und gesellschaftliches Interesse steht. Welche Gründe nun genau zu der Entwicklung dieser App geführt haben, wird man wahrscheinlich nie herausfinden. Die Frage ist auch weniger, ob diese wichtig sind, sondern eher: Wer braucht solche Apps? Der geldgierige Manager? Der junge hippe zukünftige Gründer? Oder die Eltern? Oder vielleicht wirklich Schülerinnen und Schüler? Und welchen Interessen sollte die Wirtschaft hier nachgehen, um wirklichen Mehrwert zu schaffen?

Also: Liebe Eltern, kritisiert nicht nur das Eindringen von Unternehmen in die Privatsphäre eurer Kinder, sondern hinterfragt auch euer eigenes Verhalten und gewährt euren Kindern die nötige Privatsphäre und Respekt! Liebe Autofahrer, fahrt vorsichtig, gerade in der Nähe von Schulen! Liebe Entwickler, lasst euch nicht von Daten oder CSR zu Innovationen ohne Mehrwert drängen, sondern verwendet eure Kreativität und Gelder für Innovationen mit wirklichen gesellschaftlichen Mehrwert und Nutzen! Und dann muss vielleicht das Problem Sicherheit im Straßenverkehr nicht mehr ein Spielfeld der Wirtschaft und somit auch kein Einschreiten in die Privatsphäre von Kindern und Jugendlichen sein. In dieser kontroversen Debatte kreuzen sich wirtschaftliche, gesellschaftliche und private Interessen. Wir können diese wahrscheinlich mal wieder nicht zusammenbringen. Doch wie (fast) jede Diskussion hat auch diese etwas Gutes: Das Thema Sicherheit im Straßenverkehr hat zwischen Groko, Trump und NetzDG einen kleinen Platz in den Medien gefunden und somit die nötige Aufmerksamkeit bekommen. Und wenn wir heute Abend nach Hause fahren, egal ob mit Auto oder Fahrrad oder einfach zu Fuß, sollten wir vielleicht alle mal im Hinterkopf behalten: Augen auf die Straße, nicht aufs Smartphone!

Titelbild Screenshot: schutzranzen.com

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