Die Datensammelwut von Unternehmen ist längst keine Ausnahme mehr. Marketingexperten prahlen damit, die Wünsche ihrer Kunden bereits vor der Bestellung zu kennen. Auch in der Politik werden personenbezogene Daten genutzt, um Wahlwerbung individuell auf Bürger abzustimmen. politik-digital.de sprach mit den Autoren des Buches „Data Unser: Wie Kundendaten die Wirtschaft revolutionieren“ über gläserne Kunden und durchschaubare Wähler.

Wenn die Brotverkäuferin schon vor der Bestellung weiß, welche Brötchen wir kaufen, freuen wir uns über die persönliche Behandlung. Die Kunden großer Online-Händler kennen ihre Verkäufer nicht mehr persönlich, doch ihre Vorlieben werden in riesigen Datenbanken gespeichert, so dass Produktangebote individuell auf sie zugeschnitten werden können.
Doch wie funktionieren diese Mechanismen und wie erfolgreich sind neue Marketingstrategien? Björn Bloching, Lars Luck und Thomas Ramge beschreiben in ihrem im Januar erschienenen Buch „Data Unser: Wie Kundendaten die Wirtschaft revolutionieren“, wie personalisierte Werbung im Internet erfolgreich eingesetzt wird.

Prof. Dr. Björn Bloching ist Marketing- und Vertriebschef der Unternehmensberatung Roland Berger  und Experte für Corporate Responsibility. Sein Kollege Lars Luck ist Partner bei Roland Berger und Leiter der Practice Group Vertrieb. Der Wirtschaftsjournalist Thomas Ramge ist fester Autor beim Wirtschaftsmagazin brand eins. Er hat diverse Sachbücher veröffentlicht und wurde mehrfach ausgezeichnet.

 

Im Interview mit politik-digital.de sprechen Björn Bloching und Thomas Ramge über intelligente Datennutzung und geben Auskunft darüber, wie Data-Mining auch im politischen Marketing eingesetzt wird und welche Vorteile Wähler davon haben können.

Was hat Sie an dem Thema Data-Mining interessiert?

Björn Bloching : Wir sehen in vielen Projekten, dass das Sammeln und Auswerten der richtigen Daten Unternehmen bereits heute große Vorteile gegenüber ihren Wettbewerbern verschafft. Es ist daher kein Wunder, dass sich mittlerweile eine ganze Industrie rund um Kundendaten bildet. Auf der anderen Seite stecken gerade viele europäische Unternehmen noch in den Kinderschuhen auf dem Weg zum “analytical Competitor”. Hier ist also noch viel zu tun. Und außerdem sind wir überzeugt, dass die Diskussion um den gläsernen Konsumenten etwas mehr versachlicht werden muss. Kurzum: Wir greifen mit „Data Unser“ ein hoch spannendes Thema auf, das für weite Kreise der Bevölkerung relevant und interessant zu lesen ist.

Daten zu sammeln und zu analysieren ist ein klassisches Marketingverfahren. Sie beschreiben nun, wie sich dieses Verfahren in Zeiten des Internet verändert, personalisierte Informationen immer genauer werden – und damit extrem wichtig für Unternehmen. Sind diese Verfahren auch im politischen Marketing vorstellbar, sprich im Wahlkampf oder in der Parteien- und Kampagnenwerbung?

Björn Bloching : Im Kern versuchen Unternehmen und politische Parteien dasselbe: Ihre (potenziellen) “Kunden” besser zu verstehen und ihnen maßgeschneiderte Angebote zu unterbreiten und gezielt mit ihnen zu kommunizieren. Insofern kann man die von uns beschriebenen Verfahren prinzipiell auch im politischen Raum einsetzen. Allerdings haben es Partien tendenziell schwerer, an die richtigen Daten zu kommen, und außerdem müssen sie noch viel genauer als Unternehmen erklären, welchen Nutzen die “Kunden” davon haben, dass Parteien ihre Daten verwenden.

Welche sind die Verfahren, die im politischen Rahmen eingesetzt werden? Was ist der konkrete Nutzen für Bürgerinnen und Bürger?

Thomas Ramge : Auf den ersten Blick nützt datenbasiertes „Profiling“ von Bürgern in ihrer Funktion als Wähler vor allem den Kampagnen-Managern. Das wird in den USA schon länger praktiziert.  Sie wissen, wen sie wie ansprechen müssen, um einen Wechselwähler zu überzeugen oder jemanden zu motivieren, doch zur Wahl zu gehen. Auch in der analogen Welt geschieht dies ja bereits auf der Basis soziodemografischer Daten von Vierteln und Straßenzügen. Nach dem Motto: In dieser Gegend wohnen viele Menschen aus diesem oder jenem Sinusmilieu und die müssen wir auf eine bestimmte Art und Weise ansprechen, um sie zu überzeugen. Bei Bürgern, die grundsätzlich an den Positionen von Parteien interessiert sind, könnten gezielte Informationen, die nicht als platte Wahlwerbung rüberkommen, als Informationsgewinn wahrgenommen werden. Darüber hinaus gibt es allerdings noch eine viel größere Dimension: Eine bessere Datengrundlage zu dem, was Bürger wollen, sollte langfristig auch zu besseren Entscheidungen führen. Evidenzbasierte Politik lautet hier das entscheidende Stichwort. Intelligente Datenanalyse und darauf basierte politische Entscheidungen können langfristig die Akzeptanz von Politik erhöhen. Damit wäre in der Demokratie allen gedient.

Wie wird sich das Thema bei uns entwickeln, was glauben Sie, wie eine moderne Partei Data-Mining z.B. in sozialen Netzwerken betreiben sollte? Welche Vorteile kann der Bürger davon haben? Kennen Sie Beispiele?

Björn Bloching : Bereits heute gibt es Bürgerentscheide via Social Media und wir gehen davon aus, dass wir hier erst am Anfang einer Entwicklung stehen. Gerade wenn es um Tagespolitik und nicht um Wahlwerbung geht, kommen wir damit aber automatisch in die vom Medium unabhängige Diskussion plebiszitärer Elemente in unserer Demokratie: Inwieweit soll Politik auf aktuelle Meinungen eingehen, wo fängt kurzatmige, opportunistische Politik an?

Thomas Ramge : In der australischen Stadt Melbourne hat die Stadtregierung mal zu einen Crowdsourcing-Prozess bei der Planung eines großen Areals am Rande der Innenstadt aufgerufen. Engagierte Online-Bürger, darunter viele Architekten und Stadtplaner, nahmen sich dann der Sache in einer Online-Community an, reichten Entwürfe ein, diskutierten, verbesserten und stimmten schließlich auch über den besten Entwurf ab. Natürlich hat ein solcher, radikaldemokratischer Planungsprozess auch Schwächen. Der Geschmack der Masse muss ja nicht immer der beste sein. Aber zumindest wird es bei einem so radikalen Beteiligungsverfahren deutlich weniger Ablehnungsreaktionen geben, als bei Infrastruktur-Entscheidungsverfahren, wie wir sie heute anwenden.

Sie beschreiben, wie wir als Verbraucher vom modernen Data-Mining profitieren können. Andererseits haben sich Hacker schon oft illegal Zugang zu Kundendaten verschafft. Könnte das nicht auch bedeuten, dass  unsere Daten und Profile in falsche Hände kommen könnten?

Thomas Ramge : Natürlich besteht diese Gefahr und wir sehen ja auch, dass Cyberkriminalität jeglicher Couleur Jahr für Jahr zunimmt. Für Unternehmen mit sensiblen Kundendaten bedeutet dies schlicht, dass sie ihre IT-Systeme mit hohem Aufwand absichern müssen. Bei der Sicherheit darf nicht gespart werden und schon gar nicht, wenn Cloud-Anwendungen im Spiel sind. Es wird nie absolute Sicherheit geben, aber die Datenskandale der letzten Jahre haben  gezeigt, dass Nachlässigkeit in der IT-Sicherheit der beste Freund der Hacker ist.

Aktuell stehen die Verfahren der Datenerhebung, -speicherung und -verknüpfung durch Facebook und Google stark in der Kritik. Ist die Kritik gerechtfertigt oder wollen diese Konzerne uns Verbrauchern nur helfen, maßgeschneiderte Produkte und Informationen zu finden?

Thomas Ramge : Die Kritik ist in einigen Punkten sicher gerechtfertigt, aber in unserer Wahrnehmung wird die Debatte besonders in Deutschland ein wenig zu hitzig geführt, insbesondere von einigen professionellen Datenschützern. Datenbasiertes Marketing funktioniert aber langfristig nur, wenn Verbraucher einen Mehrwert für sich erkennen können. Mit Spionagemethoden wird kein seriöses Unternehmen langfristig Erfolg haben. Der Schuss würde nach hinten losgehen. In den kommenden Jahren werden sich eine Reihe Unternehmen den Ruf erarbeiten müssen, mit Daten seriös und zum beiderseitigen Vorteil von Anbieter und Kunden umzugehen. Diese Unternehmen werden am stärksten von der Datenrevolution profitieren.