Am Montag, 7. März, war Dieter Hundt, Präsident der BDA,
von 12.30 bis 13.30 Uhr zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de
und politik-digital.de. Mit den Teilnehmern sprach er über
Arbeitsmarktreformen, Wirtschaftswachstum und die Bekämpfung
von Schwarzarbeit.

Moderator: Liebe Politik-Interessierte, herzlich
willkommen im tacheles.02-Chat. Unsere Chat-Reihe ist ein Format
von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de. Im ARD-Hauptstadtstudio wartet jetzt Dieter
Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände
auf Ihre Fragen. Kann es losgehen, Herr Hundt?

Dieter Hundt: Jawohl.

Lizzy: Was halten Sie eigentlich von dem Briefwechsel
zwischen Opposition und Regierung?

Dieter Hundt: Wenn dieser Briefwechsel zu konkreten
Ergebnissen führt, die eine Verbesserung der wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen zur Folge haben, dann begrüße ich diese
Aktivität natürlich. Ich bin auch der Meinung, dass wir
schnell zu entsprechenden Ergebnissen kommen müssen, beispielsweise
bei der Reform der Sozialversicherungssysteme; hinsichtlich eines
nächsten Schrittes der Unternehmenssteuerreform oder – ganz
wesentlich auch – beim Bürokratieabbau. Wenn ich mich allerdings
an meine aktive Tätigkeit in der Tarifpolitik zurückerinnere,
dann hätte ich mich, wenn ich mit den Gewerkschaften wirklich
etwas erreichen wollte, nicht mit einem Brief an meine Partner gewandt,
sondern versucht, mit ihnen im stillen Kämmerlein die aktuellen
Fragen zu diskutieren.

Moderator: D.h. der Briefwechsel ist alles in
allem eine überflüssige Aktion?

Dieter Hundt: Ich würde das nicht als überflüssig
bezeichnen. Ich schmunzle eher etwas über die Vorgehensweise.
Ich hoffe aber darauf, dass aus der Initiative doch noch ein Erfolg
resultiert, den die deutsche Wirtschaft dringend benötigt,
um zu mehr Wachstum zu kommen.

gnfgfn: Sie schlagen einen Reformgipfel vor. Wollen
Sie eine Neuauflage der Konzertierten Aktion, nur am liebsten ohne
die Gewerkschaften?

Dieter Hundt: Wir hatten in der Regierungsära
Schröder das Bündnis für Arbeit, das ich und die
deutschen Arbeitgeber sehr positiv begleitet haben. Bedauerlicherweise
ist dieses vor zwei Jahren von Ver.di torpediert worden. Ich sehe
aktuell keine Möglichkeit, dieses Bündnis wieder aufleben
zu lassen. Jetzt sind vielmehr die verantwortlichen Institutionen,
insbesondere die Bundesregierung, gefordert, weitere Reformen umzusetzen.
Wobei ich an die Opposition appelliere, derartige Verbesserungen
der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Bundestag nicht zu torpedieren.

Moderator: Ganz konkret in Sachen Sozialreformen:

Baum: 345 Euro im Monat und man kann als ALG II-Empfänger
noch nicht einmal von seinen laufenden Verträgen (z.B. Hausratsversicherung,
etc.) zurücktreten. Nennen Sie das eine gelungene und ausgewogene
Reform?

Dieter Hundt: Ich halte Harzt IV für eine
wichtige und richtige Reform, die Zusammenlegung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe war schon lange überfällig. Ich gehe davon
aus, dass im weiteren Verlauf des Jahres, Harzt IV auch positive
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat und wir durch diese Reform
insbesondere erreichen, dass die durchschnittliche Arbeitslosigkeit
in der Zeitdauer in Deutschland reduziert wird. Wir haben in Deutschland
eine durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von 30 Wochen.
Der EU-Durchschnitt liegt bei etwa 2/3 dieses Wertes. Mit Hartz
IV besteht jetzt auch die Möglichkeit, die Arbeitswilligkeit
von Arbeitslosen zu testen.

Moderator: Nun wissen wir, dass die Art der Statistik
die Arbeitslosigkeit stark beeinflusst. Wo liegt denn ihrer Meinung
nach die Zahl – oder Quote – die erreicht werden kann?

Dieter Hundt: Wir hatten bedauerlicherweise im
letzten Jahr, also vor Hartz IV, erneut einen Rekordwert in der
Arbeitslosigkeit. Die aktuell erschreckende und hochgradig Besorgnis
erregende Arbeitslosenzahl von über 5,2 Millionen Menschen
ist auch auf statistische Effekte von Hartz IV und saisonale Entwicklungen
zurückzuführen.
Diese Begründung ändert allerdings nichts daran, dass
Maßnahmen zur Reduktion von Arbeitslosigkeit in Deutschland
allerhöchste Priorität haben müssen. Hartz IV allein
wird die Probleme sicherlich nicht lösen. Ich gehe davon aus,
dass wir im weiteren Verlauf des Jahres eine rückläufige
Entwicklung der Arbeitslosenzahlen haben werden. Eine quantitative
Prognose auszusprechen, halte ich allerdings für unseriös
und nicht möglich. Wichtig erscheint mir dass wir auch zusätzliche
Nischenmöglichkeiten nutzen. Ich denke dabei insbesondere an
die verstärkte Besetzung des Niedriglohnsektors, den wir in
Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bisher zu wenig
ausfüllen.

erem: Obwohl die BRD Exportweltmeister ist, wird
immer über zu hohe Produktions-/Lohnkosten geklagt. Wie kann
das sein, wenn die Kosten zu hoch sind? Wieso sind die Produkte
mehr als nur konkurrenzfähig?

Dieter Hundt: Deutschland ist traditionell ein
exportorientiertes Land. Wir haben unverändert hochwertige
Produkte und Produktionsverfahren, die unter dem Label "Made
in Germany" weltweit Anerkennung finden. Der zunehmend scharfe
Wettbewerb in einer globalisierten Welt zwingt die deutschen Unternehmen
aber permanent zu einer Reduktion ihrer Herstellkosten und damit
ihrer Preise. Diesem Zwang werden die deutschen Unternehmen in zunehmendem
Maße nur noch dadurch gerecht, dass immer größere
Umfänge der Produktion in kostengünstigere Länder
verlagert werden, um damit aus dem Kostenmix der inländischen
und der ausländischen Fertigung den Wettbewerbsanforderungen
zu entsprechen. Ich weise darauf hin, dass der inländische
Wertschöpfungsanteil der deutschen Exporte in der Zwischenzeit
auf etwa 60% zurückgegangen ist. D.h., mit unseren Exporterfolgen
werden in ständig zunehmendem Umfang auch Arbeitsplätze
im Ausland geschaffen.

C.Sievers: Wo liegt Ihres Erachtens das Hauptproblem
bzgl. der Löhne? In der Hochlohnpolitik der Gewerkschaften
oder in den durch die Wiedervereinigung zu hohen Sozialbeiträgen?

Dieter Hundt: Deutschland ist ein erfreulicherweise
hoch entwickeltes Land, mit einer im internationalen Vergleich auf
hohem Niveau befindlichen Infrastruktur, Kultur, Medizin und vielem
anderen mehr. Und damit zwangsläufig ein Land mit vergleichsweise
hohen Einkommen. Meine Hauptstoßrichtung, mit Blick auf eine
Verbesserung der internationalen Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Wirtschaft, geht nicht primär in Richtung einer Reduktion unserer
Bruttoeinkommen. Die entscheidenden Stellschrauben sind vielmehr
eine Absenkung der im weltweiten Vergleich höchsten Lohnzusatz-Kosten.
Ganz wesentlich bedingt auch durch unsere hohen Sozialversicherungsbeiträge
und darüber hinaus eine Erhöhung der Arbeitszeiten.

Wenn wir Steuern und Abgaben reduzieren, verbessert dieses nicht
nur die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen,
sondern belässt unseren Beschäftigten auch mehr Netto
für ihr Bruttoeinkommen. Und dieses ist wiederum die Voraussetzung
dafür, dass der Einzelne mehr Eigenverantwortung und auch mehr
Eigenvorsorge übernehmen muss. Natürlich belasten die
Kosten der deutschen Wiedervereinigung unsere Sozialkassen und den
Staatshaushalt zusätzlich. Ich bin aber der festen Meinung
und Überzeugung, dass ein Land wie Deutschland mit unserem
enormen wirtschaftlichen Potential diese historische Chance schultern
muss und – vor allen Dingen – auch kann.

AlterSchwedeähPole: Was heißt für
Sie internationale Wettbewerbsfähigkeit? Soll Deutschland sich
an Osteuropa oder an Skandinavien orientieren?

Dieter Hundt: Für mich heißt internationale
Wettbewerbsfähigkeit, dass wir uns auf den Weltmärkten
erfolgreich betätigen und im Gegensatz zu den letzten vier
Jahren ausreichend Aufträge und Beschäftigung nach Deutschland
holen, um ein dem deutschen Wirtschaftspotential angemessenes Wachstum
zu erzielen. Wir haben drei Jahre mit Nullwachstum hinter uns und
im letzten Jahr ein bescheidenes Wirtschaftswachstum von bescheidenen
1,5% erzielt. Mit dieser Entwicklung über einen Zeitraum von
vier Jahren liegen wir in Europa auf einem hintersten Tabellenplatz,
was unserem Wirtschaftspotential nicht angemessen ist. Auf dem Weg
der Verbesserung der wirtschaftlichen Standortbedingungen können
wir von anderen Ländern einiges lernen. Das gilt sowohl für
die skandinavischen als auch die Benelux-Länder. Eine Kopie
hilft nicht weiter. Wir müssen eine deutsche Lösung finden,
wobei wir Erfahrungen in anderen Ländern durchaus mit berücksichtigen
und nutzen sollten.

Detlef2904: Herr Hundt, wie sollen Langzeiterwerblose
Eigenvorsorge leisten, die u.U. Arbeitsgelegenheiten, wie die sogenannten
1-€-Jobs ausüben müssen?

Moderator: Ich will die Frage nachschieben: Schaffen
wir uns mit Dauer-Niedriglöhnen nicht in ein paar Jahren eine
neue Rentnerarmut? Die es heute weitgehend unbestritten nicht gibt.

Dieter Hundt: Zunächst einmal ist ja für
die Sozialhilfe-Empfänger und auch die ALG-II-Empfänger
eine Regelung vereinbart, wonach die Sozialversicherungsbeiträge
nicht, oder nicht in vollem Umfang von den Betroffenen zu entrichten
sind. Darüber hinaus muss die Zielrichtung von Hartz IV sein,
diese Menschen verstärkt wieder in Beschäftigung zu bringen.
Wir sollten dazu auch die bestehenden Anrechnungsregelungen verbessern,
d.h. den Menschen, die eine zusätzliche Tätigkeit übernehmen,
mehr von dem Zuverdienst zu lassen, um sie über diese Schiene
wieder verstärkt in den Arbeitsprozess zu integrieren.
Zur Frage der Niedriglöhne wiederhole ich, dass ich primär
nicht anstrebe, die Entgelte, die Brutto-Entgelte, zu reduzieren,
sondern dass wir über eine deutliche Reduktion der Lohnzusatzkosten
und eine flexible Verlängerung der Arbeitszeiten, entsprechend
der Beschäftigungssituation in den Unternehmen, unsere Arbeitskosten
reduzieren und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern.
Wenn die Beschäftigten mehr Netto für ihr Brutto behalten
können, ist die Voraussetzung für zusätzliche Eigenvorsorge
verbessert, bzw. gegeben. Die Zielsetzung der deutschen Wirtschaft,
bzw. der Arbeitgeber-Verbände, geht dahin, die paritätischen
Versicherungssysteme auf eine Basissicherung zurückzuführen,
die teilweise auch vom Arbeitsentgelt entkoppelt werden müssen
und auf die der Einzelne dann auf Grund seiner individuellen Gegebenheiten
Zusatzversorgungen gegen Krankheit, für Pflege und für
das Alter aufsetzt.

Moderator: Konkreter Vorschlag von:

chillers: Warum setzt sich niemand dafür
ein, dass Schwarzarbeiter alle Ansprüche auf Sozialleistungen
verlieren? Dadurch könnten die Steuerbelastungen und auf der
anderen Seite die Schwarzarbeit sicher erheblich verringert werden.

Dieter Hundt: Unsere gemeinsame Zielsetzung von
Wirtschaft und Politik ist, die Schwarzarbeit zurück zu führen.
Deutschland liegt beklagenswerterweise mit seinem Volumen an Schwarzarbeit
im internationalen Vergleich sehr hoch. Der Grund dafür liegt
ganz entscheidend auch in unseren hohen Steuern und Abgaben. Wenn
beispielsweise ein sozialversicherungspflichtig Beschäftigter
fünf bis sechs Stunden arbeiten muss, um einen Monteur für
die Reparatur seiner häuslichen Waschmaschine für eine
Stunde bezahlen zu können, dann ist dies ein Missverhältnis,
das zu Schwarzarbeit führt. Erfreulicherweise hat die in Deutschland
jetzt eingeführte Möglichkeit der Mini-Jobs und der Ich-AGs
im Verlauf des letzten Jahres bereits zu einer merklichen Reduktion
des Umfangs an Schwarzarbeit geführt. Diese Entwicklung muss
fortgesetzt und intensiviert werden, wozu es vor allen Dingen erforderlich
ist, Steuern und Abgaben der Beschäftigten zu reduzieren.

Moderator: Zweimal zum gleichen Thema:

edeit: Sehr geehrter Herr Hundt, eine Senkung
der Lohnzusatzkosten bedeutet doch, dass diese Kosten von anderen
getragen werden müssen – den Arbeitnehmern selber, oder die
Leistungen der Krankenkassen werden reduziert. Eigenvorsorge mindert
das zur Verfügung stehende Gehalt, die Binnennachfrage wird
weiter sinken.

Ulp: Herr Hundt: Wie will die Wirtschaft einen
Binnenmarkt aktivieren, wenn die Löhne runter müssen,
Firmen ihren Sozialanteil streichen wollen, die Arbeitslosigkeit
wegen der Wirtschaft zunimmt, die Industrie kaum noch Arbeitsplätze
schafft? Denken Sie auch an die Demographie.

Dieter Hundt: Zunächst zu der Frage der Eigenvorsorge.
Die Grundlage dafür muss dadurch geschaffen werden, dass den
Beschäftigten von ihren Brutto-Einkommen mehr netto übrig
bleibt, aus dem dann entsprechend den jeweils entsprechenden persönlichen
Gegebenheiten Eigenverantwortung und Eigenvorsorge übernommen
werden kann. Darüber hinaus bin ich entschieden auch der Meinung,
dass bei den Sozialversicherungssystemen auf der Kostenseite Abstriche
vorgenommen werden müssen. Es kann beispielsweise nicht sein,
dass die Beitragszahler, also Unternehmer und Beschäftigte,
jetzt jährlich etwa sieben Milliarden Euro für den sogenannten
"Aussteuerungsbetrag" in der Arbeitslosen-Versicherung
für die aus der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld in die
Fürsorgeleistung ALG-II übertretenden bezahlen müssen.
Dieses ist eine Belastung der Beitragszahler zur Auffüllung
von Löchern im Staatshaushalt. Das gleiche gilt für die
Bezahlung von nachgeholten Hauptschul-Abschlüssen oder Reha-Massnahmen
für Menschen, die noch nie in die Sozialversicherungen einbezahlt
haben. Fazit also, mehr Eigenvorsorge durch erhöhte Netto-Entgelte
für das jetzige Brutto, und Ausgabenreduktion der Sozialversicherungen.

Dieter Hundt: Zur zweiten Frage, Ankurbelung der
Binnenkonjunktur:
Hierfür gibt es nur einen Weg, und dieser liegt in einer Stärkung
der Kaufkraft. Diese wiederum wird nur erreicht durch mehr Beschäftigung
in Deutschland, die teilweise von Wissenschaftlern und insbesondere
einzelnen Gewerkschaften verbreitete Mär, die Binnenkonjunktur,
also den Konsum, durch stärkere Lohnerhöhungen zu intensivieren
ist unsinnig. Durch derartige Maßnahmen erhöhen sich
die Arbeitskosten der deutschen Wirtschaft und verschlechtert sich
die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Und dieses
führt im Endeffekt zu weiterem Arbeitsplatzverlust und damit
einer Schwächung der Kaufkraft. Im Moment wäre dringend
erforderlich, die in weiten Kreisen der Bevölkerung vorherrschende
Unsicherheit und teilweise auch Zukunftsangst abzubauen. Notwendig
hierzu ist ein Gesamtkonzept, eine Vision mit der wir unseren Bürgerinnen
und Bürgern klar aufzeigen, wo Deutschland steht, wo wir hin
müssen und was uns dort erwartet. Ich bin überzeugt, wenn
ein solches Gesamtkonzept von der Politik glaubhaft in die Öffentlichkeit
gebracht wird, ist dies ein wesentlicher Schritt um die ständig
steigende Sparquote verstärkt in Konsum umzuwandeln. Das die
deutsche Bevölkerung wesentlich mehr bereit ist, Reformen,
teilweise auch einschneidende Reformen zu akzeptieren, zeigt sich
zig-tausendfach in den Unternehmen. Dort sind die Beschäftigten
zu Zugeständnissen und auch Einschränkungen bereit, wenn
ihnen dafür die Zusage gegeben wird, dass die Arbeitsplätze
über längere Zeiträume sicher sind. Diese Entwicklung
wird auch von den Belegschafts-Vertretern, den Betriebsräten,
und – von Einschränkungen abgesehen -, von den Gewerkschaften
mitgetragen, wofür ich den Betroffenen ausdrücklich meinen
Respekt und meine Anerkennung ausspreche.

Moderator: Noch mal konkret zu einem zunehmenden
Problem:

erem: Beispielsweise Fleischer aus dem Ausland
verdrängen durch Billiglöhne die im Inland tätigen
Fleischer aus ihren Arbeitsplätzen. Man könnte den Eindruck
gewinnen, dass die Bevölkerung der EU auf ein Lohnniveau drückt,
dass dem der Länder der dritten Welt in etwa gleichkommt. Wie
stehen sie zu der EU-Bestimmung, dass Betriebe aus den neuen Mitgliedstaaten
deutschen Unternehmen ihre Dienstleistungen anbieten dürfen
-und zwar zu deren Arbeitsbedingungen.

Dieter Hundt: Ich kann die Sorgen der betroffenen
Beschäftigten nachvollziehen. Ich bin auch der Meinung, dass
jeglichem Missbrauch Vorschub geleistet wird. Es sind im Verlauf
der letzten Wochen Entwicklungen bekannt geworden, wonach deutsche
Arbeitnehmer durch billigere ausländische Arbeitskräfte
ersetzt worden sind. All dieses erfolgt im Rahmen der derzeitigen
Gesetze und Regelungen und hat nichts mit der -in der Diskussion
befindlichen-, neuen europäischen Dienstleistungsrichtlinie
zu tun. Zu dieser Richtlinie hat die Bundesregierung eine Stellungnahme
abgegeben, die in voller Übereinstimmung mit der Position der
deutschen Wirtschaft liegt. Im Zusammenhang mit der Durchführung
von Arbeiten in Deutschland durch ausländische Arbeitnehmer
im Rahmen von Werkverträgen auf der Grundlage niedrigerer Entgelte,
muss berücksichtigt werden, dass die Arbeitnehmerschutzrechte
in Deutschland für diese ausländischen Arbeitskräfte
voll inhaltlich gültig sind. Darüber hinaus müssen
wir auch bedenken, dass, wenn diese Möglichkeit, Aufträge
im Rahmen von Werkverträgen durch ausländische Arbeitskräfte
abwickeln zu lassen, eingeschränkt wird, die Unternehmen die
Möglichkeit nutzen werden, entsprechende Tätigkeiten in
das kostengünstigere Ausland zu verlagern. Gerade Deutschland,
als exportintensive Nation, die ganz entscheidend auf Exporterfolge
angewiesen ist, sollte mit jeder Einschränkung hinsichtlich
der Freizügigkeit von Dienstleistungen sehr zurückhaltend
sein, weil eine derartige deutsche Politik die Gefahr beinhaltet,
dass andere Länder Restriktionen auch im Zusammenhang von Importen
von deutschen Waren festlegen.

van de Laar: Glauben Sie, Herr Dr. Hundt, dass
die Gemeinden, die von Hartz IV profitieren, indem sie große
Teile der Sozialhilfeabgaben einsparen, ihre Investitionen erhöhen
und damit für Beschäftigung sorgen werden?

Dieter Hundt: Die Finanzsituation der deutschen
Kommunen hat sich im Verlauf der letzten Jahre deutliche verschlechtert.
Die Kommunen haben jetzt offensichtlich Leistungen auf die BfA verlagert,
indem in offensichtlich größerem Umfang bisherige Sozialhilfe-Empfänger
in ALG-II-Bezieher umgestuft wurden. Sofern es sich hierbei nicht
um missbräuchliche Vorgehensweisen handelt, wird die Finanzsituation
der Kommunen möglicherweise verbessert, und ich kann mir durchaus
vorstellen, dass dann ggf. die Investitionstätigkeit im kommunalen
Sektor in der Zukunft wieder etwas verbessert wird.

Moderator: Das klingt nicht sehr optimistisch…

Dieter Hundt: Die Gesamtsituation der Kommunen
ist angespannt. Es gilt dort das Gleiche wie für die gesamte
deutsche Wirtschaft. Wir benötigen Kostenentlastungen, um wieder
zu verstärkter Investitionstätigkeit in der vollen Breite
zu kommen. Ich bin von Haus aus Optimist. Dieses muss ich als schwäbischer
mittelständischer Unternehmer auch sein. Wir sind in Deutschland
mit den im letzten Jahr eingeleiteten Reformen der Agenda 2010 auf
dem richtigen Weg und erste Schritte vorangekommen. Wenn dieser
Weg intensiv weiter beschritten wird, bestehen aus meiner Sicht
gute Möglichkeiten die wirtschaftliche Situation zu verbessern
und auch in Deutschland wieder zu angemessenem Wirtschaftswachstum
und damit auch zu Beschäftigungsaufbau zu kommen. Wir dürfen
allerdings die Hände nicht in den Schoß legen und bis
zur nächsten Bundestagswahl warten. Schnelles Handeln ist gefordert!

chillers: Ich bin im elterlichen mittelständischen
Industriebetrieb tätig. Aus meiner Erfahrung liegt das Problem
nicht zu aller erst in den hohen Löhnen, sondern in unserem
deutschen Bürokratismus und in der immer schlechter werdenden
Bildung. Fachkräfte zu finden, die bereit sind flexibel die
geforderten Anforderungen zu meistern, ist ein enormes Problem.

studi246: Sehr geehrter Herr Hundt! Warum nutzt
man nicht die Chance und investiert jetzt endlich massiv in Bildung?
So kann man wenigstens davon ausgehen, dass es in 5-10 Jahren wenigstens
besser wird. Davor wird nichts passieren. Wie sie schon sagten werden
ja auch die deutschen Arbeitnehmer immer mehr ersetzt. Man wäre
also gut beraten endlich massiv in die Bildung zu investieren. Nur
so können wir wieder wettbewerbsfähig werden.

Moderator: Teilen Sie diese Einschätzung?

Dieter Hundt: Zunächst teile ich die Bemerkung,
dass nicht unsere hohen Bruttolöhne das entscheidende Kriterium
für unsere Wachstumsschwäche sind, sonder vielmehr unsere
hohen Arbeitskosten, die ganz wesentlich durch die hohen deutschen
Lohnzusatzkosten und die weltweit kürzesten Arbeitszeiten begründet
sind. Eine weitere Behinderung für eine erfolgreiche Unternehmertätigkeit
ist das hohe Maß an Bürokratie. Die Initiative Bürokratieabbau
ist nachhaltig aufgefordert, hier Verbesserung in Form von Abbau
von Gesetzen zu erreichen. Die deutsche Wirtschaft leidet darüber
hinaus seit langem unter einer rückläufigen Entwicklung
der schulischen Bildung. Eine immer größere Zahl junger
Menschen bringt die schulischen Voraussetzungen für eine betriebliche
Ausbildung nicht mit. Und darüber hinaus sind die Studienzeiten
in Deutschland zu lang. Im Vergleich zu anderen Ländern treten
die Deutschen um einige Jahre später in das Berufsleben ein.
Ich behaupte, wir Deutschen sind nicht dümmer als andere Nationen
und deshalb liegt es an unseren Regelungen und Regulierungen, dass
wir unsere Studierenden nach kürzerer Studienzeit früher
in das Berufsleben bringen.

Reformen im Bildungswesen, und zwar von der Grundschule bis zur
Hochschule, sind als Notwendigkeit erkannt und zunehmend auch in
der Umsetzung. Die Erkenntnisse der PISA-Studie haben uns hier erfreulicher-
und bedauerlicherweise die Augen geöffnet. Es besteht auch
Übereinstimmung, dass für unser Bildungssystem in größerem
Umfang finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen.
Hierzu sind allerdings an anderer Stelle Einsparungen notwendig.
Für die Bildung wird beispielsweise in Deutschland gerade einmal
etwa ein Sechstel des Aufwands der Sozialsysteme ausgegeben. Und
darüber hinaus muss die Einführung von Studiengebühren,
die ausschließlich den Hochschulen zur Verfügung gestellt
werden müssen, einen Beitrag in Richtung einer Verbesserung
der finanziellen Ausstattung der Hochschulen leisten.

Hans-Peter: Sehr geehrter Herr Hundt, die Lohnzusatzkosten
ließen sich doch dadurch verringern, indem wir unsere differenzierten
Systeme im Bereich der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger
verlassen. Wäre es nicht effektiver eine Kranken- und Rentenversicherung
für alle zu haben, anstatt Hunderte von Institutionen mit eigenen
Vorständen, Geschäftsstellen etc.?

Dieter Hundt: Ich plädiere grundsätzlich
für Wettbewerb. Im Gesundheitswesen sollte dieser Wettbewerb
allerdings deutlich ausgeweitet werden. In dieser Frage besteht
im Übrigen auch Übereinstimmung zwischen Arbeitgebern
und Gewerkschaften. Wir müssen den Wettbewerb im Gesundheitswesen
auf allen Ebenen ausweiten. Ich kann beispielsweise nicht akzeptieren,
dass es einer Krankenkasse nicht möglich sein soll, Vereinbarungen
mit Ärzten, Arzneimittelherstellern oder Krankenhäusern
für den Kreis ihrer Versicherten selbst abschließen zu
können. Wettbewerb ist erfahrungsgemäß die Voraussetzung
für Wirtschaftlichkeit.

Moderator: Sie sprachen von einem Gesamtkonzept,
einer Vision:

Marc Frauendorf: Glauben Sie, dass in der Politik
die richtigen Leute sitzen, die einen entsprechenden beruflichen
Hintergrund mitbringen, um ein Gesamtkonzept zu erstellen – klare
Ziele zu definieren und den Menschen aufzeigen wie man diese Ziele
auch erreichen kann. Bei Betrachtung der Biographien einzelner Politiker
möchte ich das bezweifeln.

Dieter Hundt: Wir haben gewählte Volksvertreter,
die die Aufgabe haben, dieses Gesamtkonzept, bzw. diese Vision realistisch
zu erarbeiten und der Bevölkerung glaubhaft zu vermitteln.
Ich habe keinen Grund, an der entsprechenden Qualifikation, zumindest
der in der Politik verantwortlichen zu zweifeln. Trotzdem würde
ich mir wünschen, dass mehr Menschen mit Erfahrungen aus der
Wirtschaft sich für eine Mitarbeit in der Politik zur Verfügung
stellen. Dies ist aber keine Kritik an der Politik sondern ein Appell
an uns, die Verteter der Wirtschaft.

Moderator: Das war’s, unsere Chat-Stunde ist vorbei.
Vielen Dank für das große Interesse, vielen Dank, Herr
Hundt, dass Sie zum Chatten gekommen sind. Das Protokoll des Chats
finden Sie wie gewohnt zum Nachlesen auf den Seiten der Veranstalter.
Der nächste Chat findet Morgen statt. Dann stellt sich Rezzo
Schlauch, Grünen-Politiker und Staatssekretär im Ministerium
für Wirtschaft und Arbeit, den Fragen. tagesschau.de wünscht
allen noch einen schönen Tag!

Dieter Hundt: Ich bedanke mich für das enorme
Interesse. Ich habe mich insbesondere über die außerordentlich
sachliche Diskussion sehr gefreut. Ich wünsche allen Teilnehmern
für die Zukunft alles Gute.