Mit dem Ideenwettbewerb zum Leitbild Wachsende Stadt setzt Hamburg Maßstäbe in der elektronischen Bürgerbeteiligung.

Die Telefonnummer wurde ihr von der Senatskanzlei angegeben, teilte die Anruferin dem verblüfften Mitarbeiter des DEMOS Projekts an der
TU Harburg, Arbeitsbereich Technikbewertung und Technikgestaltung, mit und dem Bürgermeister habe sie auch schon geschrieben. Schließlich hätte der doch alle Hamburger zur Einreichung guter Ideen im Internet aufgefordert. Sie habe aber nun mal keinen Computer und deshalb möchte sie ein Fax schicken und da die Sache eile, wollte sie sich telefonisch erkundigen, wo genau sie jetzt ihre Idee hinschicken soll.

Der Hinweis darauf, dass alle Ideen und Vorschläge zunächst in die laufende Online-Diskussion eingebracht werden müssen, schon weil unmöglich Tausende von Faxe ausgewertet werden können, half in diesem Fall nicht. Schließlich, führte die Anruferin aus, gehe es ihr darum, eine Überdachung der Großen Theaterstraße anzuregen (damit man trockenen Fußes vom Taxi in die Staatsoper gelangt) . Da zur Zeit an genau dieser Stelle gebaut werde, könnte das doch, gewissermaßen in einem Abwasch, mit erledigt werden.

Wie unterschiedlich doch die Erwartungen ins Kraut schießen, wenn der Erste Bürgermeister einer Millionenmetropole zum Bürgerdialog aufruft und bekräftigt, dass die ‘besten’ Ideen zur Senatspolitik gemacht werden:

Während Skeptiker sofort mutmaßen, dass es sich hierbei um einen raffinierten PR-Gag handelt, also gar nichts umgesetzt werden wird, was nicht ohnehin schon geplant war, gehen andere ganz arglos davon aus, dass zwischen Faxversand und dem Einrammen der Stützpfeiler für die Überdachung einer öffentlichen Straße nur wenige Tage liegen werden.

DEMOS in Hamburg:
Bürgerideen und Expertenauswahl

Die Wahrheit liegt, wie so oft, wohl irgendwo zwischen den Extremen und das war in diesem Fall schon konzeptionell so angelegt. Zusammen mit dem von der europäischen Kommission geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojekt
DEMOS hat die Freie und Hansestadt Hamburg ein in dieser Form bisher einmaliges Experiment im Bereich elektronischer Bürgerbeteiligung gewagt.

Auf der im DEMOS Projekt entwickelten Internetplattform konnten die Bürgerinnen und Bürger im November 2002 gestalterisch in die Hamburger Politik eingreifen. Thema war das ‘Leitbild Metropole Hamburg – Wachsende Stadt’, das zum Ziel hat, einem Einwohnerschwund die Stirn zu bieten, unter dem die meisten europäischen Großstädte aufgrund sinkender Geburtenraten und der so genannten Umlandabwanderung zu leiden haben.

Hamburg soll also weiter wachsen und dabei nach Möglichkeit sowohl eine grüne Metropole bleiben als auch seinen hanseatischen Charme bewahren. Aber wie kann das gehen? Über die geeigneten Mittel und Wege konnte unter
www.wachsende-stadt.de vom vierten November 2002 an vier Wochen diskutiert werden . Dabei sollten möglichst konkrete und umsetzbare Ideen entwickelt werden. Im Anschluss an die Diskussion wurden die Ideen dann einer Expertenjury übergeben, um die fünf besten Ideen auszuwählen und dem Ersten Bürgermeister Ole von Beust anschließend zur Umsetzung zu empfehlen.

Fakten im Zahlensalat

Das Ergebnis dieser Diskussion ist in verschiedener Hinsicht beeindruckend. Für einige Journalisten sogar derart, dass ihnen die Zahlen etwas durcheinander geraten sind. Um dies gleich richtig zu stellen: Bei der Diskussion sind nicht (!) 4000 Vorschläge (Hamburger Abendblatt, Die Welt) und schon gar nicht 500 Ideen (Hamburger Morgenpost) entwickelt worden.

Vielmehr sind in der Zeit vom 4.11.- 2.12.2002 insgesamt knapp 4000 Diskussionsbeiträge eingegangen. Es haben sich etwa 530 Personen registrieren lassen, von denen aber ‘nur’ 264 mindestens einen Beitrag geschrieben haben. Die
Beiträge wurden im Laufe der Diskussion von den Moderatoren und mit Unterstützung der Teilnehmer zu 57 konkreten und zum Teil schon detailliert ausgearbeiteten Ideen zusammengefasst. Von diesen 57 Ideen sind dann von der Jury fünf ausgewählt und die daran Beteiligten zu einem gemeinsamen Essen mit dem Ersten Bürgermeister in das Gästehaus des Hamburger Senats eingeladen worden.

Die Analyse der Logfiles hat darüber hinaus ergeben, dass während der Diskussion von der DEMOS Plattform ca. 1,2 Millionen Seiten abgerufen wurden (zum Vergleich: das Stadtportal hamburg.de konnte in diesem Zeitraum ca. 8,5 Mio. Seitenabrufe verzeichnen) und etwa 8000 Besucher ihre virtuellen Spuren hinterließen.

Wirklich Bemerkenswertes findet sich aber ohnehin jenseits der Zahlenhuberei. Zu nennen ist hier vor allem die Sachkenntnis, Kreativität und das Engagement der Teilnehmer. Auch dass sich Mitarbeiter der Hamburger Verwaltung, international bekannte Stadtplanungsexperten sowie Repräsentanten aller in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Fraktionen aktiv an der Diskussion beteiligt haben, ist im Bereich elektronischer Demokratie bisher ohne Beispiel.

Geradezu märchenhaft mutet schließlich an, dass es kaum verbale Ausfälle gegeben hat, niemand von der Diskussion ausgeschlossen werden musste oder ernsthaft versucht wurde, die Diskussion zu sabotieren.

Schwimmende Häuser und bewohnte Brücken für Hamburg

Was nun die ausgewählten Ideen anbelangt, so kommt man kaum umhin, die hier angestimmte Lobeshymne weiter zu summen. Denn es wurden keineswegs nur Ideen prämiert, deren Umsetzung keine Mühe machen würde. Der Vorschlag, eine mit Amsterdam vergleichbare Wohnkultur schwimmender Häuser in der Stadt zu etablieren, ist, vorsichtig formuliert, ambitioniert, genauso wie die Idee bewohnter Brücken nach dem Vorbild der florentinischen Ponte Vecchio.

Aber auch eine gläserne Fabrik, ein Sportboothafen in Harburg oder ein Leuchtbogen über die Elbe als Teil eines städtische Illuminationskonzeptes sind nicht gerade als Kleinkram zu bezeichnen. Und schließlich wurden auch Integrationsprojekte prämiert, die gemeinsames Wohnen und Arbeiten von Alten und Jungen, behinderten und nichtbehinderten Menschen zum Ziel haben.

Geschichten aus dem Fabelwald, zu schön, um wahr zu sein? Das wird sich erweisen müssen. Es ist inzwischen immerhin, wie aus gewöhnlich gut informierten Kreisen zu erfahren war, einiges passiert. Für jede Idee gibt es verwaltungsintern einen verantwortlichen Mitarbeiter sowie einen Zeitplan für die Erhebung möglicher Probleme, die einer Umsetzung im Wege stehen könnten.

Was immer aber der Hamburger Senat zur Realisierung der Ideen beitragen wird – ohne weiteres Engagement der Ideengeber, denen ein langer Atem zu wünschen ist, wird es in Hamburg weder schwimmender Häuser noch neue Arbeitsplätze für geistig behinderte Menschen geben.

E-Partizipation in Deutschland: Horn-Lehe, Esslingen, Hamburg

Die online Diskussion dagegen muss unabhängig von der Umsetzung der darin entwickelten Ideen als Erfolg gewertet werden. Während seit mindestens zwanzig Jahren die Potenziale des Internets für die Revitalisierung einer demokratischen Kultur beschworen werden, sind die praktischen Beispiele für bürgerschaftliches Online-Engagement immer noch rar gesät.

Gerade, wenn es nicht nur darum geht, auf einer Website standardisierte Fragebögen durchzuklicken, sondern ein (lokal-) politisches Thema aktiv zu diskutieren oder sich mit der Gestaltung des eigenen Lebensumfeldes argumentativ auseinander zu setzen, wird die Luft ziemlich dünn.

In Deutschland finden sich bisher nur wenige dokumentierte Beispiele. So wurde im Bremer Stadtteil
Horn-Lehe vom 29.10. – 3.12.2001 online über Verkehrsprobleme und die zukünftige Gestaltung des Stadtteils diskutiert. Insgesamt haben sich 69 Teilnehmer für die Diskussion registrieren lassen und 224 Diskussionsbeiträge geschrieben.

Auch die Stadt Esslingen hat sich im Bereich elektronischer Partizipation Verdienste erworben. Bereits im Mai 2000 wurde mit 26 Teilnehmern die Gestaltung eines geplanten Neubaugebietes kontrovers im Netz diskutiert. Etwa 120 Beiträge konnten dabei verzeichnet werden. (Nachzulesen u.a. in dem von Oliver Märker und Matthias Trénel herausgegebenen Band ‘Online-Mediation’, der soeben im
Sigma Verlag erschienen ist).

Mit mehr als 500 registrierten Teilnehmern, knapp 4000 Beiträgen und ca. 8000 Besuchern hat die Hamburger Online-Diskussion zur Wachsenden Stadt neue Maßstäbe im Bereich elektronischer Bürgerbeteiligung gesetzt. Damit wächst nun hoffentlich auch bundesweit die Bereitschaft der politisch Verantwortlichen und das Interesse der Bürger, mehr (elektronische) Demokratie zu wagen. Profitieren können davon beide Seiten — zumindest virtuell.

Rolf Lührs ist Projektleiter des Delphi Mediation Online System (DEMOS) an der
TU Hamburg-Harburg.

Erschienen am 08.05.2003