lsrHeute findet unser netzpolitischer Jahresrückblick per Hangout statt. Zur Einstimmung haben die Hangout-Gäste und weitere Autoren von politik-digital.de vorab je einen kurzen Rückblick auf prägnante Jahresthemen verfasst: #btw13, #nsa, #lsr, #UADA und #aufschrei. Tobias Schwarz fasst dafür noch mal die Debatte um das Leistungsschutzrecht für Presseverleger zusammen.
Im Jahr 2013 sorgte kein anderes Gesetzesvorhaben für soviel Aufregung wie die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage. Nachdem es die Presseverlage in den Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung hineindiktiert hatten, ruhte die Idee mehr als drei Jahre – in denen nur Experten raten konnten, was denn damit gemeint sein könnte – bis es dann in den 18 Monaten vor der diesjährigen Bundestagswahl zum Kräftemessen zwischen Internetunternehmen, NetzaktivistInnen und der Presselobby kam – und zu einer wichtigen Lektion über Macht.

Die Vorgeschichte: Ein bestelltes Gesetz

Anfang März 2012 verkündete der Koalitionsausschuss der schwarz-gelben Bundesregierung, dass der seit Jahren angekündigte 3. Korb im Urheberrecht – eine umfassende Reform des Urheberrechts insbesondere zugunsten von Wissenschaft und Forschung – nun kommen solle. Dem war dann doch nicht so, denn das Justizministerium fiel eher mit einer Verhinderungspolitik auf, als mit dem Verfassen wirklich neuer Gesetze, die das Urheberrecht modernisieren. Eine Maßnahme, die damals mitangekündigt wurde, konnte dann aber auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nicht verhindern, obwohl ihre Referenten sich sehr viel Mühe gaben. CDU/CSU und FDP einigten sich schließlich auf eine Regelung zur Neueinführung des sogenannten Leistungsschutzrechts für Presseverlage, obwohl seit mehr als zwei Jahren “nahezu sämtliche Experten vor der Einführung dieses Leistungsschutzrechtes” warnten, wie Philipp Otto auf iRights.info kommentierte.
In den Monaten danach nahm die Debatte um das mit LSR abgekürzte Gesetzesvorhaben enorme Formen an – zumindest was die Diskussion um das Urheberrecht betrifft. Und das, obwohl es beim LSR gar nicht um das Urheberrecht geht. Denn die angestellten Journalisten der Presseverlage sind durch die Verwendung kleinster Satzschnipsel, die sogenannten Snippets, in ihren Rechten als Urheber nicht betroffen. Wenige Tage nach der Ankündigung des LSR stellte der Deutsche Fachjournalisten-Verband (DFJV) in einer Erklärung klar, dass er gegen den Beschluss des Koalitionsausschusses sei und ihn als innovationshemmend und rückwärtsgewandt betrachte. Die Journalisten hatten damals erhebliche Zweifel, dass es den Presseverlagen wirklich um die Sicherung von Qualitätsjournalismus ging – und nicht eher um die gesetzliche Subvention veralteter Geschäfts- und Erlösmodelle.

1, 2, 3 – die drei Referentenentwürfe

Der erste ReferentInnenentwurf des Bundesjustizministeriums erwies sich dann als genau das, was der DFJV und viele Experten befürchteten: ein “Kniefall der Politik vor der Verlegerlobby” und Zeugnis “für (die) fehlende Weitsichtigkeit der Koalition”. Der Rechtsanwalt Till Kreutzer, Initiator der Informationsplattform “Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage (IGEL)”, kam in einer ersten Analyse der rechtspolitischen Auswirkungen zu dem Ergebnis, dass – wenn der Entwurf in dieser Form zum Gesetz würde – Massenabmahnungen und Klagewellen die Folgen wären. Außerdem würden “massive wirtschaftliche Auswirkungen auf Internetfirmen wie etwa Suchmaschinen- und Aggregatorenbetreiber, Anbieter von Social-Media-Diensten und andere digitale Informationsanbieter” entstehen, wie Kreutzer feststellte. Und das mit Vorsatz, denn die Presseverlage machten die erfolgreichen Internetunternehmen als Verursacher für ihren wirtschaftlichen Niedergang aus, allen voran Google mit seinem Nachrichtenportal “Google News”.
Der erste Entwurf sorgte also für viel Aufregung und auch den meisten PolitikerInnen im Bundestag ging er zu weit, denn neben Unternehmen wie Google wären vor allem Bürger, die das Internet nutzen, Opfer des Gesetzes geworden. Wer ein Blog betreibt, ob beruflich oder privat, hätte sich in Zukunft jegliche Nutzung auch kleinster Inhalte von Dritten lizenzieren lassen müssen, wenn sie in den rechtlichen Graubereich des LSR gefallen wären.Nutzer von Diensten hätten mit einer Welle von Einstellungen ihrer Dienste rechnen müssen, denn besonders kleine und innovative Unternehmen fürchten rechtliche Kämpfe aufgrund von Rechtsunsicherheit.
Der zweite Entwurf des Bundesjustizministeriums sollte dann nur noch “vor systematischen Zugriffen auf die verlegerische Leistung durch die Anbieter von Suchmaschinen” schützen, wodurch das LSR endgültig zur Lex Google wurde. Blogs und “Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft” waren auf einmal nicht mehr betroffen, was der Presselobby, angeführt von Springer-Lobbyist Christoph Keese, nicht weit genug ging. Dieser “Schnitzer” der ReferentInnen wurde dann mit dem dritten und finalen Entwurf ausgebügelt. Nun waren neben gewerblichen Anbietern von Suchmaschinen auch “gewerbliche Anbieter von Diensten (…), die Inhalte entsprechend aufbereiten”, betroffen.

Macht wider jede Vernunft

Das Jahr 2012 endete mit einem Austausch an Argumenten und Meinungen über die verschiedensten Kanäle, aber auch von Angesicht zu Angesicht. Anfang Dezember trafen sich im Berliner BASE_camp Christoph Keese und Kay Oberbeck, Leiter Unternehmenskommunikation bei Google Deutschland, um über das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage zu reden. Vor den Augen von Moderator Cherno Jobatay und allerlei deutscher Internet-Prominenz entspann sich eine auffallend unemotionale Debatte um den viel kritisierten Gesetzesentwurf. In den politisch ruhigen Wochen um Weihnachten passierte dann nicht mehr viel, denn alles wartete auf die Anhörungen im Bundestag. Dort spielte dann vor allem die Presselobby all ihre Karten aus, wie hier und hier auf Carta nachgelesen werden kann.
Schon in den Ausschüssen zeigte sich, dass die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP sich nicht gegen die Wünsche der Presseverlage wehren würden – insbesondere nicht in einem Wahljahr. Da störte es auch nicht, dass der Gesetzesentwurf sogar noch drei Tage vor der entscheidenden Plenumsitzung im Bundestag nahezu komplett verändert wurde. Der finale Entwurf sprach dann eine deutliche Sprache: Nicht der Journalismus, sondern die Geschäftsmodelle sollten geschützt werden, so wie es Experten seit Jahren befürchteten. Springer, Burda & Co. hatten sich durchgesetzt und ihre Medienmacht vollkommen ausgenutzt. Mit der Mehrheit der schwarz-gelben Regierungskoaliton wurde das Gesetz mit 293 Ja-Stimmen und 243 Nein-Stimmen, bei drei Enthaltungen, angenommen.
Das Gesetz musste nun in den Bundesrat, in dem die Oppositionsparteien eine Mehrheit gegenüber Schwarz-Gelb besaßen. Da es sich um ein Einspruchsgesetz handelte, bestand die Möglichkeit, dass SPD und Grüne es mit ihrer Mehrheit im Bundesrat vertagen würden – theoretisch bis nach der Bundestagswahl, falls es nicht vorher im Vermittlungsausschuss erledigt werden würde. Ein halbes Jahr vor der Wahl sah es so aus, als ob SPD und Grüne jede Möglichkeit nutzen würden, um die schlechten und von der Lobby bestellten Gesetze der schwarz-gelben Bundesregierung zu stoppen und die Unionsparteien und die FDP auflaufen zu lassen. Selbst der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sprach sich auf der CeBIT gegen das LSR aus, doch nur wenige Tage vor der entscheidenden Bundesratssitzung fielen die Ministerpräsidentin aus Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, und der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, beide SPD, ihrem eigenen Kanzlerkandidaten in den Rücken und beugten sich vor den westdeutschen und Hamburger Medienunternehmen. Mit dem Segen der SPD wurde das Leistungsschutzrecht nun auch im Bundesrat beschlossen. Am 1. August 2013 trat das Gesetz in Kraft.

Bis auf Lobbyspesen nichts gewesen

Das Gesetz trat in Kraft und blieb wirkungslos. Google listete alle Presseverlage aus seinem Aggeragtionsdienst Google News aus und zeigte nur noch die Inhalte an, die die Verlage ausdrücklich freigaben und bei denen sie auf eine Vergütung durch das LSR verzichteten, was dann auch nahezu alle Verlage – allen voran Springer und Burda – machten. Es kam, wie es kommen musste, die großen Verlage gaben einfach nach, während kleinere und innovative Anbiete wie Virato sich einschränken mussten. Ähnlich erging es Rivva.

Und die Zukunft des LSR?

Vier Monate ist das LSR nun in Kraft und bisher floss noch kein einziger Euro von Google an einen deutschen Presseverlag. Dies wird sich auch in Zukunft nicht ändern, denn die Verlage haben sich noch nicht einmal darauf geeinigt, wie sie das Geld überhaupt einnehmen wollen – wenn sie es denn eines Tages einnehmen wollen, sprich: von Google entlistet werden möchten. Die VG Media will sich darum kümmern, aber nur sehr wenige Verlage denken daran, die Verwertungsgesellschaft zu beauftragen. An die kaufmännische Verwertung glauben nur noch die wenigsten. Dafür ist das Gesetz zu feindlich gegenüber dem Nutzungsverhalten der Menschen in einer digitalisierten Gesellschaft konstruiert.
Im neuen Koalitionsvertrag der Großen Koalition findet das Thema Leitungsschutzrecht noch einmal Eingang. Die SPD, die sich im Wahlprogramm gegen das LSR aussprach (es aber im Bundesrat nicht verhindern wollte), einigte sich mit der das LSR gegen alle Widerstände durchsetzenden Union, dass “das Leistungsschutzrecht hinsichtlich der Erreichung seiner Ziele evaluiert” werden soll – obwohl es noch nie angewendet wurde. Nicht mehr als eine Floskel, denn auch die kleinste Veränderung würde wieder die Verlage auf den Plan rufen.
Die Politik hat sich der vermeintlichen Medienmacht gebeugt. Und die Medien haben sich der vermeintlichen Marktmacht gebeugt. Das LSR für Presseverlage ist eine interessante Lektion über Macht – im Sinne von Max Weber Ausdruck der Möglichkeit, “innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben” durchzusetzen – egal wie unvernünftig der eigene Wille sein mag. Die Presseverlage haben der vermeintlichen Netzelite gezeigt, dass sie gegen die im Internet formulierte öffentliche Meinung den Ton angeben und Gesetze diktieren können, während Google gezeigt hat, dass monopolartig agierende Unternehmen am längeren Hebel sitzen und den Schaden innovationsfeindlicher Gesetze eher kleinere und sich noch entwickelnde Unternehmen haben.
Foto: Digitale Gesellschaft (flickr.com)
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