Porträt R. KrauthausenRaúl Krauthausen gehört nicht zu den Menschen, die sich mit Gegebenheiten einfach abfinden. Der Mann mit der Glasknochenkrankheit sucht als Mitglied des Vereins Sozialhelden e.V. nach Lösungen für die kleinen Katastrophen des Alltags – und benutzt dazu meistens das Internet.

Wenn ihm jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass er einmal in seinem selbstgegründeten Verein soziale Projekte gestalten würde, hätte er „die alle für verrückt erklärt“. Aber heute wirkt es ganz selbstverständlich, dass der mittlerweile 32-Jährige in den vereinseigenen Büroräumen in Berlin Mitte eine Journalistin empfängt und Visitenkarten mit dem Aufdruck „Aktivist“ verteilt. Bereits mit 17 Jahren fiel er als eloquenter Komoderator der Aktion Mensch auf, 1997 war er in Roger Willemsens damaliger Talkshow zu Gast. In dem Radiosender Fritz fand er bei einem Praktikum im selben Jahr seinen Traumarbeitgeber. Das war noch vor seinem Studium an der Universität der Künste und einer Ausbildung zum Telefonseelsorger. Neben seiner Redegewandtheit und seinem Einfallsreichtum zeichnet ihn aber vor allem eins aus: Krauthausen lässt sich nicht so schnell unterkriegen.

Probleme selbst lösen

In seiner Zeit als Programmanager beim Potsdamer Fritz-Radio ärgerte er sich oft über defekte Aufzüge: Nicht allein, dass der Fahrstuhl an der Berliner S-Bahnhaltestelle Griebnitzsee dauernd kaputt war, es gab vorab auch keine Möglichkeit, sich verbindlich darüber zu informieren. Verspätungen von 30 Minuten waren an der Tagesordnung, da Krauthausens Glasknochenkrankheit nur die Fortbewegung per Rollstuhl zulässt. Was also tun mit dem Aufzug angesichts einer Bahngesellschaft, die nicht eben für Entgegenkommen bekannt ist? Die Sozialhelden konstruierten eine Internetseite, auf der Informationen über den technischen Zustand der Berliner S- und U-Bahnhöfe ausgewertet werden. Die Daten kommen von den Betreibern selbst. Die Seite brokenlifts.org ließ auf einen Blick erkennen, welche Bahnhöfe für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwagen aktuell benutzbar sind. Darüber hinaus fand man dort aber auch statistisch aufbereitetes Material zur Funktionstätigkeit der jeweiligen Aufzüge: Bei einem Lift mit hoher Ausfallquote sollte man möglicherweise von vornherein nach alternativen Strecken suchen. „Leider haben wir zurzeit keine Entwickler mehr für das Projekt und können daher nicht mehr sagen, wie valide unsere Daten wirklich sind.“, bedauert Sozialheld Andi Weiland. „Daher steht es auch unter einer freien Lizenz für jeden Entwickler zur Verfügung.“ Zu wünschen ist es dem Projekt jedenfalls, denn brokenlifts.org könnte helfen, die Bahngesellschaften zur Rechenschaft zu ziehen.

„Es geht darum, einfach mal loszulegen!“

Die Aufzugsgeschichte ist nur ein Projekt unter vielen, das Raúl Krauthausen mit auf den Weg gebracht hat. Gemeinsam mit seinem Cousin Jan Mörsch gründete er 2004 den Verein Sozialhelden e.V. und realisiert seitdem mit einem inzwischen etwa achtköpfigen Team gute Ideen zum Nutzen der Gemeinschaft. „Es geht darum, einfach mal loszulegen.“, beschreibt der Sozialhelden-Gründer das Vereinskonzept. Anstatt die Umstände hinzunehmen oder auf Hilfe von oben zu hoffen, will Krauthausen mit dieser Arbeit etwas für sich und andere verändern. Damit ist es ihm so ernst, dass er im letzten Jahr seinen erklärten Traumjob bei Fritz-Radio kündigte, um sich ganz auf die Arbeit beim Verein zu konzentrieren. Damals war so mancher von diesem Schritt schockiert: „So eine gute Arbeit bekommst du mit deiner Behinderung sicher nicht nochmal“, hieß es.

Tu Gutes und gewinn damit

Es kam anders. So überzeugend waren die Projekte der Sozialhelden, dass sich Sponsoren wie das Onlineportal ImmobilienScout24 fanden, welches unter anderem die Büroäume bereitstellt. Außerdem erhält der Verein immer wieder Preise, wie zuletzt den internationalen „World Summit Award 2012“ für das Projekt wheelmap.org. Auf der interaktiven Karte kann jeder Internetnutzer die Rollstulleignung eines Ortes eintragen. Das Projekt auf der Basis der Opensource-Software OpenStreetmap kombiniert freie Geodaten mit einer dreistufigen Bewertungsskala und ermöglicht so eine Kartographierung Deutschlands für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.

Krauthausen und seine Kollegen beweisen mit ihren Projekten, dass das Internet ganz neue Felder des Engagements eröffnet, ohne alte zwingend zu ersetzen. Neben dem ehrenamtlichen Fußballtrainer gibt es eben nun auch die Smartphone-Nutzerin, die nebenbei auf wheelmap.org mit ein paar Klicks ihre Umgebung kartographiert. Aber verführt die Leichtigkeit des Internet-Engagements nicht auch zu Missbrauch? Solche Einwände findet der Berliner „typisch deutsch“. Hierzulande herrsche geradezu eine„Analyse-Paralyse“, viel zu oft werde vor lauter Vorabzweifeln am Ende gar nicht erst eine Verbesserung versucht. „Es wird Zeit, einfach mal in die Technologie und die Menschen, die sie benutzen, zu vertrauen“, verlangt er.

Ein Ansatz, der Früchte trägt: Die interaktive „wheelmap“ kommt mittlerweile an 280.000 Orten weltweit zum Einsatz. Früher oder später, das wünscht Raúl Krauthausen sich, wird der ein oder andere Restaurantbesitzer vielleicht bereits bei der Planung an Barrierefreiheit denken. Und selbst die Berliner S-Bahn wird irgendwann darauf reagieren müssen, dass einige ihrer Fahrstühle viel zu oft defekt sind.

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