Der Autor ist Wissenschaftlicher Koordinator des Forschungskollegs Kulturwissenschaftliche Technikforschung am Institut für Volkskunde der Universität Hamburg (früher tätig am Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur in Tübingen).

Klaus Schönberger untersuchte im Rahmen des TA-Projekts „Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten“ inwiefern im Hinblick auf Medienformate Anzeichen für „Neue netzbasierte soziokulturelle und politische Kommunikations- und Handlungsmuster“ zu finden sind. Die Studie sollte nicht nur die einzelnen Medienformate und die Digitalisierung politischer Prozesse betrachten, sondern auch den quantitativen sozialstrukturellen und inhaltlichen Unterbau der Entwicklung netzbasierter Kommunikations- und Handlungsmuster zusammentragen. Die Frage nach konkreten Aktions- und Protestmustern wurde in einem zweiten Gutachten des Autors nochmals vertieft, so dass diese Ergebnisse
an anderer Stelle dargestellt werden.

Die Frage nach neuen netzbasierten soziokulturellen und politischen Kommunikations- und Handlungsmustern lässt sich auf der Grundlage des vorliegenden Überblicks hinsichtlich der zentralen funktionalen Charakteristika der einzelnen Internetdienste, der Beschreibung ausgewählter Beispiele politischer Prozesse sowie auf der Basis der bekannten Nutzerzahlen und Nutzungsweisen annähernd beantworten. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgt vor dem Hintergrund des Befunds vom „langen Arm des Real Life“. So können zwei zentrale Tendenzen im Gebrauch von netzbasierter Kommunikation festgestellt werden:

  1. Beharrung und Persistenz,
  2. Wandel, Intensivierung, Rekombination und Weiterentwicklung bestehender sozio-kultureller und politischer Kommunikations- und Handlungsmustern und damit auch der sozialen Gebrauchsweisen des Internet.

Dies impliziert, dass das Neue durch Internetnutzung nicht in der Revolutionierung vorhandener soziokultureller und politischer Praxen zu sehen ist. Vielmehr werden in dieser Sichtweise bestehende soziokulturelle und politische Praxen mittels netzbasierter Kommunikation rekombiniert, intensiviert und weiterentwickelt. Im Kontext dieser zweiten Tendenz ermöglicht netzbasierte Kommunikation als technisches Hilfsmittel die sich wandelnden Lebensweisen und Lebensführungskonzepte zu gestalten bzw. zu unterstützen.

Dieser kulturwissenschaftliche Befund deckt sich mit einer zentralen Erkenntnis der einiger Technikfolgenabschätzungs-Studien: Technische, also auch mediale Innovationen, verstärken eher bestehende gesellschaftliche Trends (soziale Strukturierung), als dass sie sie hervorbringen. Es ist nicht möglich, soziale, politische und ökonomische Entwicklungen aus dem medientechnischen Potential des Internet direkt abzuleiten. So hat es den Anschein, als ob die Einschätzung der Folgen, die sich aus der Einführung und Verbreitung netzbasierter Kommunikation ergeben, immer noch allzu stark am technisch Machbaren orientiert ist. Oft wird das technisch Mögliche in komplexe soziale, politische oder ökonomische Zusammenhänge projiziert und als bestimmend für dortige Entwicklungen erachtet. Determinierende Wirkung wird dann den technischen Neuerungen selbst und nicht den handelnden Personen zugeschrieben, die in jeweils spezifische soziale Kontexte eingebunden sind. Denkmuster dieser Art gehen häufig mit der Erwartung einher, (schon) in (naher) Zukunft sei aufgrund technologischer Veränderungen mit massiven Umwälzungen im jeweils angesprochenen Bereich zu rechnen. Solche Fehleinschätzungen verweisen auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der sozialen Gebrauchsweisen des Internet. Momente und Tendenzen der Persistenz wie des Wandels finden sich sowohl bei den soziokulturellen Kommunikations- und Handlungsmustern des ‚einfachen’ politisch interessierten Bürgers und Internetnutzers, als auch bei den politisch engagierten Aktivisten oder Funktionären.

So lässt sich festhalten, dass die Forschung in den hier relevanten Studien und Fächern nach wie vor zu sehr auf die gegensätzlichen Pole von Persistenz und Auflösung herkömmlicher soziokultureller und politischer Kommunikations- und Handlungsmustern zielt und die Frage der Weiterentwicklung, Rekombination und Intensivierung kaum Berücksichtigung findet. An diesem Punkt lässt sich zusammenfassen: Die Internetnutzung findet in sehr hohem Maße entlang bestehender sozialer Strukturierungen und sozialer Praxen statt, oder sie wird innovativ im Sinne oder gemäß der Logik bestehender sozialer Strukturierungen und Praxen eingesetzt: Dabei werden die basalen Strukturen des sozialen Handelns nicht außer Kraft gesetzt, aber rekombiniert. Die durch das Internet ermöglichten Vernetzungsformen sozialer Praxis bringen einerseits das bestehende politische und ökonomische System transzendierende soziale Beziehungen und Praxisformen hervor, gleichzeitig generieren sie seine spezifischen Herrschafts- und Ungleichheitsstrukturen.

Zur Nutzung des demokratischen Potenzials netzbasierter Kommunikation bedarf es aber politischer, kultureller und sozialer Innovationen. Damit ist ein Phänomen angesprochen, dass auch aus der Arbeitswelt bekannt ist. In der Organisations- und Techniksoziologie wurde mehrfach festgestellt, dass die Einführung von Technik in Unternehmen für sich genommen keine automatische Effizienzsteigerung (etwa im Sinne von mehr Produktivität) herbeiführt.

Der Zusammenhang von Persistenz und Wandel soziokultureller und politischer Kommunikations- und Handlungsmuster im Kontext von Internetnutzung ist also keineswegs ein dialektischer. Erst im Verbund mit sozialen, politischen bzw. organisationalen Innovationen kann das demokratisierende Enabling-Potenzial in politischen Prozessen ausgeschöpft werden. Es bedarf der politischen Unterstützung und des Willens zur Ausweitung von Partizipation, damit dieses technische Potenzial tatsächlich zur Geltung kommen kann. Davon sind wir gegenwärtig noch weit entfernt beziehungsweise es gibt auf Seiten der klassischen politischen Akteure keine relevanten Kräfte, die eine solche Entwicklung ernsthaft vorantreiben wollen oder damit nachhaltig experimentieren. Andererseits ist noch einmal grundsätzlich zu fragen: Warum sollten ausgerechnet über ein Werkzeug und einen Versammlungsort wie es das Internet darstellt, demokratische Strukturen bewerkstelligt werden, die immer Ausdruck entsprechender gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse und damit höchst konfliktuös sind. Es ist nur klar, dass solche Konflikte eben auch hier praktisch wie programmatisch verhandelt werden.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Koordinator des Forschungskollegs Kulturwissenschaftliche Technikforschung am Institut für Volkskunde der Universität Hamburg (früher tätig am Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur in Tübingen).

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