Wo steht Deutschland auf dem Weg in die E-Democracy? Wird sie überhaupt kommen? Über diese und andere Fragen sprach politik-digital mit Dr. Thomas Hart, dem Projekt-leiter “E-Government & E-Democracy” bei der Bertelsmann Stiftung.

Dr. Thomas Hart

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: Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?

Dr. Thomas Hart: Schwer zu sagen – aber zum Glück auch nicht wichtig. E-Democracy ist nichts, mit dem man Goldmedaillen gewinnen kann. Auch wenn wir neuerdings einen “deutschen Meister” haben, ist das einzig Entscheidende: Ist sich jeder einzelne Entscheidungsträger bewusst, dass die Möglichkeiten, die das Internet zur Weiterentwicklung demokratischer Teilhabe in sich trägt, noch längst nicht ausgereizt sind? Sicher haben wir in Deutschland noch kein elektronisches Petitionssystem wie in Schottland, dafür haben wir politik-digital oder dol2day. In Düsseldorf gibt es ein von den Bürgern sehr gut angenommenes System zur öffentlichen Konsultation bei der Bauleitplanung. Das eine klingt vielleicht ein wenig prickelnder als das andere – es geht aber einzig darum, herauszufinden, wo sich Bürger engagieren wollen und wie man ihnen dazu nützliche Wege öffnet. Jedes dieser Beispiele hat viele bessere und weniger gute Brüder und Schwestern.


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: Warum sind wir in Deutschland, aber auch weltweit, noch nicht weiter? Was sind die wichtigsten Hemmnisse?

Dr. Thomas Hart: Tatsächliche Hemmnisse gibt es wenige. Natürlich zeigt der öffentliche Sektor gerade keine sehr große Bereitschaft, eine Menge Geld in etwas zu investieren, was man schon hat – Demokratie. Es gibt aber trotzdem genügend Akteure – Forschungsinstitute, die ja selbst mit öffentlichen Mitteln arbeiten, v.a. in Nordamerika auch private Initiativen und NGOs, die kontinuierlich herauszufinden versuchen, was das Internet der Demokratie nutzen kann. Dahin wird es gehen: man darf sich nicht darauf verlassen, dass “der Staat” alle Entwicklungen zahlt und überall experimentiert. Kreativität, Engagement – und Geld – müs-sen von allen Akteuren kommen, die sich die Weiterentwicklung von E-Democracy wünschen.


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: Welche Akteure bringen in Deutschland das Thema E-Democracy voran, welche bremsen?

Dr. Thomas Hart: Ich sehe keine wirklichen Bremser, die Grenze scheint mir eher zwischen Euphorikern und Agnostikern zu verlaufen. Keiner kann sagen, ob sich “die Demokratie” in-folge der Verbreitung und der kreativen Nutzung neuer Kommunikationstechnologien verän-dern wird. Das einzig Sichere ist die Voraussage, dass man nicht herausfinden wird, ob unsere Demokratie von der Technik profitieren kann, wenn man es nicht versucht. Die Euphoriker haben die Aufgabe, die Agnostiker für all diese Möglichkeiten zu gewinnen. Wenn ich skeptisch bin, dann möchte ich ein konkretes Produkt sehen, das mich überzeugt. Bisher ist das nicht wirklich gelungen – ich habe zum Beispiel noch keine wirklich überzeugende Online-Abbildung eines Bürgerforums gesehen. Die Projekte, die sich politischen De-liberationsprozessen widmen, sind zu technisch, zu wenig interaktiv und sie haben keinen Sex-Appeal. Kein Wunder also, dass es noch nicht sehr viele Menschen gibt, die spontan da-von überzeugt sind, dass hier der Demokratie auf die Füße geholfen wird.


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: In welchen Schritten wird Deutschland zur E-Democracy werden und in wel-chem Verhältnis stehen die Themen E-Government, E-Democracy und Informationsfreiheit zueinander?

Dr. Thomas Hart: Deutschland wird überhaupt nicht zur E-Democracy werden, ebenso wenig wie andere Länder. Deutschland wird, wenn alles gut läuft und die Konzepte sukzessive verbessert werden, eine Demokratie werden, in der es für Bürger mehr Möglichkeiten gibt, sich in die Diskussionsprozesse einzubringen und sich selbst über politische Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Und bis es soweit ist, heißt es: einen Schritt vor den Nächsten setzen, mit Konzepten und mit Technik experimentieren, und ab und zu einmal den größeren Schritt dem kleineren vorziehen. Zum Zusammenhang der verschiedenen Felder: E-Government hat sicher einen stärker Staats-Apparat bezogenen Fokus. Was aber nicht heißt, dass die Reform der staatlichen Verwaltungs- und Entscheidungsabläufe mithilfe moderner Technik nicht eine wunderbare Gelegenheit bieten würde, offener, transparenter zu werden. Man kann das grundsätzlich unter die Forderung nach Informationsfreiheit stellen, wenn auch in Deutschland der konkretere Wunsch nach einem Gesetz, das die Informationsrechte der Bürger auf ein stärkeres Fundament stellt, noch im Vordergrund steht. Nur wenn den Bürgern besser aufbereitete Informationen zeitnah angeboten werden, haben diese auch die Möglichkeit zu entscheiden, ob und auf welchem Weg sie sich einbringen möchten. Ob online oder offline ist dann egal.


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: Gibt es verfassungsrechtliche Probleme?

Dr. Thomas Hart: Eine interessante Frage. Tatsächlich wird der Begriff “Bürgerbeteiligung” oft leichtfertiger in den Mund genommen, als es vielleicht gerechtfertigt ist. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Stärkung direktdemokratischer Elemente bei “E-Democracy” mitdiskutiert werden kann – es sollte aber nicht im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Bürger sollen mitwirken können, sich an der Ausgestaltung des Gemeinwesens, auch gerade ihres eigenen Umfeldes, ihrer Heimatstadt, beteiligen können. Das hat erst einmal noch nichts da-mit zu tun, dass sich deshalb tatsächliche Entscheidungsgewalt, wie sie in unserer repräsentativen Demokratie ganz klug aufgeteilt ist, grundsätzlich verschieben sollte. Eine auch wichtige, aber doch eine andere Baustelle.


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: Welche Positionen und Ziele hat die Bertelsmann Stiftung hinsichtlich des Themas E-Democracy?

Dr. Thomas Hart: Das ist schnell gesagt: unsere Aufgabe ist es immer, in gesellschaftliche Entwicklungen hinzuschnuppern, um herauszufinden, ob wir etwas beitragen können. Das Ziel hinsichtlich E-Democracy ist damit auch klar: Beobachten, ob es spannende Entwicklungen, Applikationen und Strategien irgendwo auf der Welt gibt und diese Information dann an diejenigen weiter leiten, die sich hierzulande damit befassen. Eine Ausgangshypothese haben wir dabei: Es wäre doch gelacht, wenn in einem so vielfältigen Instrument wie dem Internet nicht auch eine Möglichkeit verborgen läge, die Beziehung zwischen Bürger und Staat zu verbessern, diese Gruppen wieder näher aneinander heran zu bringen. Herauszufinden, wie das geht – dazu möchten wir beitragen.


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: Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Hart!


Das Gespräch mit Dr. Thomas Hart führte Tobias Ernst.