Prof. Ludwig Fromm und Lydia Keune im Chat am 18. April 2001
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		Moderator: Sehr geehrte Frau Keune, sehr geehrter Herr Professor
		Fromm, liebe Chatgemeinde – herzlich willkommen zum Expertenchat von
		politik-digital und nadiv – dem Netzwerk Arbeit durch Innovation. Unser
		Thema ist die Verknüpfung von Architektur, Kommunikation und
		Multimedia, also das Leben im vernetzten Haus oder Wohnquartier der
		Zukunft. Frau Keune, ist das vernetzte Wohnen denn noch Zukunftsmusik
		oder schon Realität?
		
		Lydia Keune: Guten Abend, Moderator!
		
		Ludwig Fromm: Guten Abend, das ist ein Gruß an den Moderator!
		
		Lydia Keune: Ja, in
		einigen wenigen Projekten gibt es die vernetzte Realität schon. Zum
		Beispiel in Itzehoe bei Hamburg oder demnächst auch in Norderstedt.
		
		Moderator: Sind das Projekte oder leben dort schon Menschen?
		
		Lydia Keune: In beiden
		Projekten leben natürlich Menschen. Im Stadtteil Klosterforst in
		Itzehoe sind es insgesamt rund 500, die dort leben und über 700, die
		dort arbeiten.
		
		Bauhaus: Wie sieht es aus,
		kann man in der Zukunft seiner "Telearbeit" vom Bett aus nachgehen? Ist
		es nicht auch gefährlich, Beruf und Privates so wenig zu trennen?
		Werden die Menschen dann nicht zu absoluten Arbeitstieren und Sklaven
		der Technik?
		
		Ludwig Fromm: Gute Frage.
		Das Problem wird sich nur lösen lassen, wenn die Technik im Dienst des
		Menschen bleibt, manche würden sagen: in den Dienst der Menschen
		gestellt wird.
		
		Clara: Inwiefern soll die Technik im Dienst des Menschen stehen? Bitte erläutern Sie das?
		
		Moderator: Herr Fromm?
		
		LudwigFromm: Ja, Technik,
		besonders die so genannte Kommunikationstechnik ist dann im Sinne der
		Frage positiv zu bewerten, wenn sie ein kommunikatives Umfeld schafft,
		also dem Verständnis der Menschen untereinander dient.
		
		Lydia Keune: Es gibt
		darüber hinaus ja auch immer die Möglichkeit, Beruf und Arbeit anders
		zu verbinden – z.b. durch alternierende Telearbeit, wo die Menschen
		teilweise zuhause und teilweise in der Arbeitsstätte tätig sind.
		
		Clara: Warum beschäftigt sich eigentlich ein Architekt mit "Kommunikations-Architektur"? Was steckt dahinter?
		
		Ludwig Fromm: Architektur
		hat mit Qualität des Lebens ganz direkt etwas zu tum. Wir Architektem
		gestalten Umwelt, die das Zusammenleben der Menschen möglichst positiv
		beeinflussen soll. Hier ist ein Ansatz, sich mit
		Kommunikationstechniken zu beschäftigen.
		
		Lydia Keune: Wenn der
		Architekt, die Architektin nicht mitdenkt, kommt der multimediale
		Dienst (z.B.) nicht zum Endkunden bzw.. Mitarbeiter nachhause. Im
		Klosterforst haben wir 1,8 Mio. DM in Grünflächen und Spielplätze
		investiert.
		
		Clara: Was meinen Sie, Herr Fromm? Wie sehen die Städte der Zukunft aus? Rund, eckig, überall Internetzugänge? keine Grünflächen?
		
		Ludwig Fromm: Ich hoffe
		nicht! Die konkrete Form einer Stadt, ihre Gestalt ist übrigens von den
		Kommunikationstechniken nur bedingt abhängig. Die Architektur und die
		Stadtplanung haben ihre eigenen Gesetze. Internetzugänge wird es in
		Zukunft sicher mehr geben als im Moment, und sie werden unser tägliches
		Leben auch stärker bestimmen als heute, aber, ich sage es nocheinmal,
		die Form der Stadt der Zukunft wird sich anders bestimmen. Stichwort:
		Umweltproblematik.
		
		Lydia Keune: Das
		Multimedianetz spürt man nur, wenn man dort am Computer oder Fernseher
		sitzt und mit hoher Performance arbeitet oder surfen kann. Es ist
		meiner Ansicht nach wichtig, dass wir die Möglichkeiten der Zukunft
		einplanen, also beispielsweise durch Leerrohre bei der Erschliessung
		und multimediale Gebäudevernetzung. Dazu müssen Städteplaner und
		Architekten "ins Boot", die sich mit den Technologien von morgen
		beschäftigen.
		
		Moderator: Herr Fromm, ändert sich tatsächlich vor allem die Technik oder auch die Gestalt der Architektur?
		
		Ludwig Fromm: Die Technik
		wird sich sehr ändern! Die Architektur ist statischer und folgt ihren
		eigenen Regeln. Wenn wir heute Häuser bauen rechnen wir damit, daß ein
		Haus 50 bis100 Jahre bestehen wird. Das ist weniger schnellebig als die
		Technik. Das heißt nicht, daß sich der technische Standard eines Hauses
		im Leben des Gebäudes den technischen Neuerungen anpassen kann.
		Stichwort: Verkabelung.
		
		Daemen: Frau Keune, warum
		müssen ganze hochvernetzte Stadtteile gebaut werden, mit
		high-speed-Netzzugang etc. – wo doch der Vorteil des Internets in der
		Dezentralität liegen soll, es also keinen Unterschied macht, ob man von
		Wanneeikel oder Kairo aus arbeitet?
		
		Lydia Keune: Einer muss
		doch anfangen., denn von Wanneeickel nach Kairo kommt man mit grossen
		Datenmengen nur dann, wenn die Übertragungstechnologie auch
		leistungsfähig ist. Wir wissen heute noch nicht, was UMTS wirklich
		leisten wird und in einem kleineren Zusammenhang kann bei der
		Erschliessung gleich ein Hochleistungsnetz mitverlegt werden, um grosse
		Datenraten zu garantieren.
		
		Globo: Aber es gibt doch ganze Stadtteile, die hochvernetzt gebaut werden; wo sind da die Synergieeffekte?
		
		Lydia Keune: das Problem
		ist, dass die Infrastruktur für Multimedia nur sehr vereinzelt
		existiert. Diese Basis muss verbreitert werden, damit alle die gleichen
		Zugangsraten nutzen können. Welche Technologie das Rennen macht, ist
		noch nicht endgültig entschieden. Sollte es UMTS sein, werden
		irgendwann große Funktstationen ausreichen, um die Entfernungen zu
		kompensieren.
		
		Beuss: Architektur wird
		immer funktionaler, wo bleiben die ästhetischen und künstlerischen
		Aspekte? Kann man sich in den neuen Gebäuden auch wohlfühlen?
		
		Ludwig Fromm: Diese Frage
		hat mit unserem Kommunikationsthema nichts zu tun, trifft aber die
		Krise, in der sich die Architektur immer noch befindet. Das Wohlfühlen,
		eine berechtigte Forderung aller Menschen an die Architektur, wird von
		der Fachwelt nicht ernst genug genommen. Sachzwänge, ökonomische,
		funktionale, bautechnische, werden immer noch höher bewertet als der
		banale und doch so berechtigte Wunsch eines Menschen, sich in einem
		Hause wohlfühlen zu können.
		
		Miller: Gibt es eine frauenspezifische Architektur?
		
		Ludwig Fromm: Es gibt
		viele frauenspezifische Fragestellungen in der Architektur, viele
		Belange, die Frauen direkt betreffen. Beispiele: Mutter und
		Kind-Ausstattungen, Arbeiten in der eigenen Wohnung, Probleme der
		Kindererziehung, Probleme der Sicherheit (Angsträume z.B. in
		Tiefgaragen, in unübersichtlichen Treppenhausanlagen, etc.) Die
		traditionelle Architektur wird diesen Belangen leider nicht immer
		gerecht. Seit den 60ger Jahren gibt es eine starke Bewegung unter den
		Architektinnen, frauengerechte Architektur zu schaffen.
		
		Gope: Herr Fromm: Aus welchen Materialien bestehen die neuen Häuser?
		
		Ludwig Fromm: Stahl, Glas
		und Verbundwerkstoffe. Aber: Wir erinnern uns immer mehr und wieder an
		traditionelle und ökologische Baustoffe. Zum Beispiel wurde im
		Klosterforst Itzehoe Altbeton recykelt. Dadurch wurde die
		Abfallproblematik verringert und Energie gespart, die sonst für neue
		Werkstoffe verbraucht worden wäre.
		
		Blume: Herr Fromm: Gibt es
		spezielle Vorgaben für politische Architektur? Ich meine
		Regierungsgebäude, die haben doch eine spezielle Architektur! Ändert
		sich auch diese?
		
		LudwigFromm:
		Regierungsarchitektur meint in diesem Sinne wohl Architektur, in der
		politische Entscheidungen gefällt werden. Sie steht also somit im
		Mittelpunkt demokratischer Entscheidungsprozesse und sollte diese
		Aufgabe durch ihre Gestalt verkörpern. Wie ist es möglich: Sie hat eine
		besondere Lage innerhalb der Stadt (siehe Berlin) und sollte
		Prozeßhaftigkeit darstellen.
		
		Gope: Frau Keune: Wird die technische Infrastruktur in Klosterforst auch von den Bewohnern genutzt?
		
		LydiaKeune: Natürlich
		nutzen die Bewohner die Infrastruktur, z.b. können alle auf einen 2MB
		Internetzugang zugreifen und auch add-ons wie netmeetings, Intranet und
		Gratis-Telefonate im Stadtteilnetz nutzen. Auch können alle über
		Breitband ca. 35 Fernsehprogramme empfangen und sogar Video-on-demand
		benutzen.
		
		Blume: Frau Keune: Was werden Sie bei einer künftigen Quartiersentwicklung anders machen, als in Klosterforst?
		
		Lydia Keune: Bisher haben
		wir wenig zu meckern und viel richtig gemacht. Vielleicht oder ganz
		sicher, würden wir heute architektonisch "bunter" bauen. Als ehemaliges
		Kasernengelände könnte der Klosterforst heute baulich facettenreicher
		sein.
		
		Miller: Umwelt: Ist es
		ökologisch, Stadtteile auf der grünen Wiese hochzuziehen, anstatt
		innerhalb von bestehenden Quartieren die Technikanbildung zu
		verbessern?
		
		Ludwig Fromm: Nein.
		Bestimmt nicht! Verdichtung innerhalb bestehender Stadtstrukturen ist
		der einzige vertretbare Weg, mehr Wohnraum und mehr Arbeitsraum zu
		schaffen. Die Schonung der Ressource "Fläche" muß in Zukunft sehr viel
		ernster genommen werden. Unsere Städte wachsen und vernichten immer
		mehr Naturraum.
		
		Hubert: Sind die neuen
		Bauweisen eher für den ländlichen oder den urbanen Bereich geeignet?
		Wird es in Zukunft keine Pendler mehr geben?
		
		Ludwig Fromm: Wenn Sie auf
		die Verknüpfung von Bauen und Kommunikationstehnik abziehlen: Die neuen
		Bauweisen gelten dann für beide Bereiche und können bei intelligentem
		Einsatz tatsächlich Verkehrsprobleme mindern helfen, es können weniger
		Pendler entstehen wodurch auch Emissionswerte reduziert werden könnten.
		
		Klinkhart: Guten Abend,
		wenn ich das alles sehe frage ich mich nach der Finanzierbarkeit
		zukunftsorientierter Wohnquartiere. Einerseits frauenfreundlich,
		kinderfreundlich oder als politische Architektur "beamtenfreundlich",
		mit Highspeedanschluß und allem, was ein Telearbeiter/IT-Beamter
		benötigt. Das ganze möglichst ökologisch und schick soll es auch noch
		dehrkommen. Hat einmal jemand den Quadratmeterpreis für eine
		wirtschaftliche Vermietung errechnet ? Gibt es erfolgreiche Beispiele ?
		
		Lydia Keune: Trotzdem, im
		Klosterforst ist uns das gelungen. Wir haben im Quadratmeter-Preis in
		der Erstellung niemals den Höchstsatz im sozialen Wohnungsbau
		überschritten. Dabei haben wir natürlich alle Förderungsmöglichkeiten
		im öffentlichen Bereich genutzt und über exakte Planung und effizientes
		Projektmanagement versucht, kosten zu sparen. Zum Beispiel haben wir
		über 80% des gesamten Kasernenbetons recycelt und wieder im Hochbau
		verwendet.
		
		Mgiel: Bitte noch mal Frau
		Keune: Wie nutzen die Bewohner die Angebote tatsächlich? Nicht was sie
		können, sondern ob und wie sie es tatsächlich tun interessiert mich!
		
		Lydia Keune: Ja, sie
		werden sehr rege genutzt und selbst die Senioren im klosterforst
		besuchen IT-Kurse, die unser unternehmen anbietet. Zur Zeit nehmen z.b.
		rund 100 Haushalte auch an einem Pilotversuch für eine neue
		Internet-TV-Plattform über Set-Top-Boxen teil.
		
		Moderator: Zum Abschluss einen Ausblick, jetzt können beide noch mal in die Tasten greifen. Zum vernetzten Wohnen:
		
		Walze: Födert das ihre Kommunikation, ihre Produktivität und ihren Lebensstandard wirklich?
		
		Lydia Keune: das können
		wir heute noch nicht absehen. In Schweden gibt es gute Beispiele, dass
		sozial schwächere Quartiere durch Multimedia-Anbindung Arbeit und
		"besseres" Freizeitverhalten "produziert" haben.
		
		Ludwig Fromm: Das kann
		nicht eindeutig beantwortet werden. Es wird davon abhängen, wie die
		Technik wo und für wen zur Anwendung kommt. Das ist kein technisches
		Problem sondern ein soziales bzw. ein politische Problem oder besser:
		eine politische Aufgabe. Das Know How haben wir, um das Know Why
		streiten wir.
		
		Lydia Keune: Ich denke, es
		wird in dieser Frage der Entwicklung wie immer nicht ohne breite
		Diskussion auf allen gesellschaftlichen Ebenen gehen.
		
		Moderator: Vielen Dank für
		den spannenden Chat! Das nächste Mal sollten wir dann live aus
		Klosterforst mit streaming chatten, dann können wir auch die übrigen
		Fragen beantworten! Bis zum nächsten Mal: Am Freitag, den 20. April von
		15 bis 16 Uhr mit Professor Konradt zum Thema "Virtuelle Teamarbeit".
		Einen Gruss an alle und bis dann! : Vielen DAnk für den spannenden
		Chat! Das nächste Mal sollten wir dann live aus Klosterforst mit
		streaming chatten, dann können wFragen beantworten! Bis zum nächsten
		Mal: Am Freitag, den 20. April von 15 bis 16 Uhr….
		
		Lydia Keune: Tschüss !
		
		Ludwig Fromm: Danke für die Fragen!
		
		
		
		
		Das ausführliche Transkript finden sie hier. 
		
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