Gregor Gysi war am Mittwoch, 13. Juni, zu Gast
im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Der Fraktionsvorsitzende
der Linken.PDS chattete wenige Tage vor dem Zusammenschluss mit
der WASG über Mindestlöhne, Frauen an der Parteispitze
und die Ost-West-Verteilung der neuen Linkspartei.

Moderator: Herzlich willkommen zum tagesschau-Chat,
heute vor allem über die neue Partei „Die Linke“,
die am Samstag ihren Gründungsparteitag hat. Der Diskussion
stellt sich im ARD-Hauptstadtstudio Gregor Gysi, Linksfraktions-Vorsitzender,
der ganz gewiss auch Antworten auf Fragen zu Mindestlohn, Stasi-Opferrente,
Afghanistaneinsatz oder anderen Themen hat. Kann es losgehen?

Gregor Gysi: Ja.

Oktober: Aufgrund insbesondere des „sozialen
Nachholbedarfs" halte ich die Erwartungshaltung vieler Menschen
an die neue Partei für enorm hoch. Sollten sie wieder mal von
einer Partei enttäuscht werden, ist wohl schnell „der
Ofen aus". Wie wollen Sie vermitteln, dass Sie als kleinerer
Partner in künftigen Regierungen nur einzelne Elemente ihrer
Forderungen durchsetzen können?

Gregor Gysi: Im Augenblick geht es uns bundesweit
um Oppositionspolitik, damit der Zeitgeist verändert wird.
Vor der Wahl 2005 sprach niemand vom gesetzlichen Mindestlohn, jetzt
fast alle. Das haben wir erreicht. In eine Bundesregierung kann
man – in fernerer Zeit – nur dann eintreten, wenn wichtige Elemente
der eigenen Politik durchzusetzen sind.

Gregor Gysi
Gregor Gysi,
Fraktionsvorsitzender von Die Linke.PDS

svenk4108: Lieber Herr Gysi, Ihre Partei beziehungsweise
Fraktion ist ja auch für einen flächendeckenden Mindestlohn.
Welche Zahl ist denn nun angestrebt in der Linkspartei? Die SPD
hätte ja gern 7,50 Euro.

Gregor Gysi: Unsere Forderung war und ist acht
Euro brutto pro Stunde. Nur so kommt man netto im Monat auf etwa
1000 Euro und damit auf den Betrag, den der Gesetzgeber schon früher
pfändungsfrei gestellt und damit doch wohl als Mindesteinkommen
festgelegt hat. Die SPD kann morgen im Bundestag für einen
gesetzlichen Mindestlohn stimmen. Mal sehen, was sie tun wird.

rosa: Die PDS/Linkspartei versucht sich durch
unrealistische Manöver wie den Widerstand gegen Hartz IV zu
profilieren. Wie möchte die zukünftige Linke den heutigen
Wohlfahrtsstaat denn bitte retten? Wie finanzieren sich ihre Konzepte?

Gregor Gysi: Über Steuergerechtigkeit. Die
Körperschaftssteuer für Banken und andere Kapitalgesellschaften
zum Beispiel beträgt in den USA 35, in Frankreich 33 und in
Großbritannien 30 Prozent. In Deutschland hatten wir 45 Prozent.
Schröder senkte sie erst auf 40 und dann auf 25 Prozent. Union
und SPD haben sie jetzt auf 15 Prozent gesenkt. Wir können
auch über den Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer und über
andere Steuersenkungen diskutieren. Das alles wird gemacht, um dann
Hartz IV oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu rechtfertigen.
Wir haben reale Alternativen, die es auch in Skandinavien und anderen
Ländern gibt.

Moderator: Nachfrage von mir: Ihr Antrag zum Mindestlohn
gründet sich auf einen Aufruf der SPD zum Mindestlohn. Eine
Chance auf Verabschiedung hat er nicht, schließlich ist die
SPD in einer Koalition gebunden und einen Bundesrat mit schwarzer
Mehrheit gibt es auch noch. Deshalb spricht SPD-Vizechefin Nahles
von „Politshow“. Da ist doch was dran, oder?

Gregor Gysi: Die SPD hat zu einer Unterschriftenaktion
aufgerufen und ist dann nicht bereit, ihrem eigenen Text im Bundestag
zuzustimmen. Sie schreiben es richtig. Das Bündnis mit der
Union ist ihr wichtiger als die Besserstellung von über zwei
Millionen ArbeitnehmerInnen.
Der Beschluss, um den es morgen geht, wäre nicht zustimmungspflichtig
im Bundesrat.

Hanson: Herr Gysi, wie wollen Sie beim Mindestlohn
verhindern, dass die Menschen Ihre Dienstleistungen, wie zum Beispiel
bei uns in Brandenburg möglich, einfach in Polen erledigen?
Wie es zum Beispiel um das Friseurgewerbe in Frankfurt/Oder bestellt
ist, muss ich Ihnen ja nicht erzählen.

Gregor Gysi: Die Schlechterstellung von Menschen
löst unsere Probleme mit den Nachbarländern nicht. Eine
innere Konkurrenz entsteht deshalb nicht, weil alle den gleichen
Mindestlohn zu zahlen haben, so dass zwischen den Bäckermeistern
und Frisören ein Ausgleich stattfindet. In grenznahen Regionen
werden bestimmte Dienstleistungen nicht mehr erbracht werden, weil
sie jenseits der Grenze viel billiger in gleicher Qualität
zu erhalten sind. Das gilt schon heute und sollte uns am Mindestlohn
nicht hindern. Allerdings erwächst daraus die von uns angestrebte
Aufgabe, in deutlichen Schritten Angleichungsprozesse innerhalb
der Europäischen Union vorzunehmen. Das betrifft eine Steuerharmonisierung,
ökologische, juristische und soziale Standards bis hin zu Löhnen.

cafetero: Wie begegnen Sie dem Vorwurf des Populismus
in der Frage des Mindestlohnes? Auch Ihre Partei wird die Gesetze
des Marktes nicht ausschalten können: Ist eine Leistung teurer
als ihr Nutzen, wird sie nicht nachgefragt werden. Vor allem nicht
dann, wenn Sie diese Leistung durch einen Mindestlohn zusätzlich
verteuern.

Gregor Gysi: Wenn es einen Mindestlohn gäbe,
gäbe es einen Kaufkraftanstieg, so dass gewisse Verteuerungen
beim Frisör und beim Bäcker zu verkraften wären.
22 Länder in Europa haben einen gesetzlichen Mindestlohn. Dort
hat sich also der „Populismus“ durchgesetzt, ohne dass
Großbritannien, Frankreich und andere Länder dadurch
ruiniert worden wären.

Moderator: Zurück zur Steuergerechtigkeit.
Die ist aber auch in Sachen Mindestlohn – sprich „Hochlohnland“
Deutschland – von Bedeutung: Bemerkung von:

tobiit: Dafür beteiligen sich in Deutschland
die Arbeitgeber mit fast 50 Prozent an Renten-, Kranken-, Pflege-
und Arbeitslosenversicherung – das gibt es in USA et cetera nicht!

Gregor Gysi: Die paritätische Finanzierung
der sozialen Sicherungssysteme war in Deutschland. am besten geregelt.
Sie ist inzwischen partiell aufgehoben worden. Die Riesterrente
zum Beispiel wird von den Unternehmen nicht mitfinanziert. Das gleiche
gilt für Krankentagegeld, Praxisgebühren et cetera. Trotzdem
stimme ich ihnen zu, dass man die Sozialabgaben und die Steuern
– beides belastet Unternehmen – addieren sollte. Deutschland hat
innerhalb der EU die zweitniedrigsten (!!!) Steuern, nur die Slowakei
hat niedrigere. Wenn ich die Sozialabgaben hinzunehme, liegen wir
auf Platz 16 – auch nicht rühmlich.

Moderator: Sie reden aber von nominellen Steuersätzen
und nominellen Belastungen. Die realen Belastungen sind sehr unterschiedlich.
Nicht ganz umsonst wird bei der Unternehmensteuerreform unterschieden
nach nominellen Sätzen und der realen Belastung. Die Statistik
ist hier sehr knifflig und auch gut auslegbar.

Gregor Gysi: Die OECD bemisst die realen Steuern,
nicht die nominalen. Bei den realen Steuern liegen wir auf dem vorletzten
Platz in der EU. Als ich noch Senator in Berlin war, sprach ich
mit amerikanischen Investoren. Die Steuern hatten sie durchgerechnet,
die hinderten sie nicht, nach Berlin zu kommen. Das Problem für
sie war der Kündigungsschutz – ein anderes Thema.

Moderator: Zwei Bemerkungen dazu:

cafetero: Außerdem lassen Sie (bewusst)
außer Acht, dass in den meisten Ländern der Europäischen
Union der Kündigungsschutz deutlich schwächer ist als
in der BRD, und dass die Höhe der Sozialabgaben niedriger liegt.
Warum greift Ihre Partei immer nur einzelne Punkte aus diesem Gefüge
auf und sieht sich offenbar nicht in der Lage, ein geschlossenes
Konzept zu präsentieren?

Hanson: Herr Gysi, es ist aber auch so, dass es
in England keinerlei Kündigungsschutz und eine in vielen Bereichen
nur rudimentäre Krankenversicherung gibt. Gerade dieses soll
in England durch den Mindestlohn abgefedert werden. Dort werden,
um beim Thema Steuern zu bleiben, auch keine hohen zweistelligen
Milliardenbeträge in die Rentenkasse beigesteuert – und zwar
von allen, auch von denen, die keinerlei Ansprüche an diese
haben.

Gregor Gysi: Bei Vergleichen mit anderen Ländern
ist es immer kompliziert, da man nicht alle Faktoren heranziehen
kann. Ich strebe in Deutschland keine Zustände wie in den USA
an, schon gar nicht in den Bereichen Kündigungsschutz oder
Krankenversicherung. Außerdem habe ich akzeptiert, dass wir
mit den Sozialabgaben einen anderen Platz einnehmen, den 16. in
der EU. Wir sind aber wirtschaftlich am leistungsstärksten.
Dazu passt Platz 16 nicht. Der Kündigungsschutz verhindert
auch in Deutschland keine einzige Kündigung. Der Unterschied
ist vor allem ein finanzieller: Ein befristetes Arbeitsverhältnis
endet zu einem bestimmen Datum ohne Abfindung. Bei einem unbefristeten
muss man kündigen und eine Abfindung zahlen. Es geht nur ums
Geld. Beim Mindestlohn geht es doch darum, dass Menschen einen Mindestlebensstandard
in einer Gesellschaft benötigen. Alle Erklärungen dagegen
gehen immer zum Nachteil von Millionen Menschen, die unterhalb oder
an der Armutsgrenze leben. Das können und müssen wir verhindern.
Noch eine Bemerkung zum Kündigungsschutz: Die Arbeitsdisziplin
von ArbeitnehmerInnen kann aus Angst vor einer jeden Tag möglichen
Kündigung oder aus einer Akzeptanz und einem Zugehörigkeitsgefühl
für das Unternehmen resultieren. Letzteres ist nicht nur für
die Betroffenen besser, sondern auch für die Unternehmen.

Moderator: Anderes, aber nicht minder interessantes
Problem. Drei für noch mehr Fragende:

feit: Warum sitzen keine Frauen in der Führungsspitze
der neuen Partei?

informatik: In der aktuellen Ausgabe des Magazins
„Der Spiegel ", hat Frau Kipping die geplante Besetzung
der Ämter der Vorsitzenden der neuen Linkspartei mit Herrn
Bisky und Herrn Lafontaine vehement kritisiert. Partei und Fraktion
werden dann ausschließlich von Männern geführt,
für 2008 forderte Frau Kipping dann unter anderem Frauen in
den Führungsämtern. Sehen Sie das als Kampfansage an Ihre
Person?

rosa: Wie wird gerechtfertigt, dass in der neuen
Parteiführung kaum Frauen vertreten sind, wo sich die zukünftige
Linke doch als feministisch bezeichnet? Stattdessen besteht die
Führungsriege beinahe nur aus alten Männern.

Gregor Gysi: Der künftige Parteivorstand
wird mindestens zur Hälfte aus Frauen bestehen. Der Fraktionsvorstand
besteht zur Hälfte aus Frauen. Die Fraktion besteht zur Hälfte
aus Frauen. Insofern haben wir auf hervorragende Weise eine Quotierung
durchgesetzt. So ist es auch im Statut geregelt. Zu früherer
Zeit waren Bisky der Partei- und ich der Fraktionsvorsitzende –
ohne Aufregung im Spiegel und bei Frau Kipping. Abgesehen davon,
dass der Spiegel in Feminismusfragen nicht gerade vorbildlich ist.
Eine Kampfansage sehe ich nicht. Jetzt geht es doch um eine Übergangszeit
bei der Bildung einer neuen Partei und nach dieser Übergangszeit
wird es auch einen Wechsel geben. Lothar Bisky und ich sind schon
mal zu früh gegangen, wir werden diesmal nicht zu spät
gehen. Aber auch dann hat ein Parteitag beziehungsweise die Fraktion
zu entscheiden, ob sie eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden
wählt.

Moderator: Das Interview habe ich auch gelesen.
Frau Kipping wählt ihre Worte nach meiner Erinnerung sehr sorgfältig.
Für Sie ist das also mehr ein Sturm im Wasserglas? Und zweite
Nachfrage: Sie wollen ja im kommenden Jahr wieder einen Parteitag
im Mai machen. Gibt es dann schon eine Vorsitzende?

Gregor Gysi: Ich habe ja nichts gegen Frau Kipping
gesagt. Sie ist eine wichtige Frau der Partei. Ich glaube, sie wird
wieder zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt werden. Beim
besten Willen kann ich nicht entscheiden, wen die Delegierten 2008
wählen werden. Es werden neue Delegierte sein und nach unserem
Statut müssen 2008 noch einmal zwei Vorsitzende gewählt
werden. Die Wahl gilt dann für zwei Jahre. 2010 wird dann nur
noch eine Vorsitzende beziehungsweise ein Vorsitzender gewählt.
Für mich ist die Übergangszeit 2010 für die Partei
beendet.

flame: Wie wird sich die politische Lage durch
die neue Linke in Deutschland verändern? Was sind ihre Visionen?

Gregor Gysi: Unsere Vision ist weltweit eine gesellschaftliche
Struktur, die Kriege dauerhaft verhindert, die ökologische
Nachhaltigkeit mit sozialer Gerechtigkeit und chancengleichem Zugang
zu hoher Bildung und Kultur ermöglicht, die Wohlfahrt für
alle ermöglicht. Abgesehen von dieser Vision sind wir dabei,
Deutschland europäisch zu normalisieren. In Frankreich, Italien,
Spanien, Portugal und Holland zum Beispiel gehören Parteien
links von der Sozialdemokratie zum akzeptierten politischen Spektrum.
Das hat nun auch in Deutschland begonnen. Wir sind auch eine Art
Korrekturfaktor. Die SPD ist unter anderem deshalb so geworden,
wie sie ist, weil sie glaubte, von der Union Stimmen holen zu müssen,
um mehrheitsfähig zu werden. Hätten wir eines Tages 15
Prozent der Stimmen, begänne in der SPD eine spannende Debatte,
ob man eine Politik machte, um fünf Prozent weiterer Stimmen
von der Union oder von uns zu gewinnen. Durch uns wird in Deutschland
wieder intensiver und stärker über soziale Gerechtigkeit
diskutiert und das ist dringend nötig. Ohne Veränderung
des Zeitgeistes kommen auch keine gesellschaftlichen Veränderungen
zustande.

Pietzke: Herr Gysi, ich kann mich mit drei von
vier Punkten, die Oskar Lafontaine als Voraussetzungen für
eine Regierungsbeteiligung angesprochen hat, sehr anfreunden. Jedoch
stört mich der vierte Punkt: Der Abzug deutscher Soldaten aus
Afghanistan. Ist das nicht ein „Alleinlassen“ der dortigen
Bevölkerung? Die Taliban und sämtliche Warlords warten
doch nur darauf, das Land wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.

RasoR: Herr Lafontaine bezeichnete unsere Soldaten
bei Christiansen als „Terroristen", weil sie im Ausland
eingesetzt werden. Wollen Sie internationale Verträge und Mitgliedschaften,
die zu Verpflichtungen der Armee führen, rückgängig
machen?

Gregor Gysi: Oskar Lafontaine hat weder in der
Sendung noch zu einem anderen Zeitpunkt unsere Soldaten als „Terroristen"
bezeichnet. Sein Vater ist im Zweiten Weltkrieg gefallen, also als
Teilnehmer einer Aggressionsarmee. Niemals käme er auf die
Idee, in seinem gefallenen Vater einen Terroristen zu sehen. In
Afghanistan finden zwei Einsätze statt: ISAF – völkerrechtsgemäß
und Enduring Freedom – völkerrechtswidrig. Der völkerrechtswidrige
Einsatz von Waffen führt zu unschuldigen Toten und ist laut
Bundestagsbeschluss Terror. Da die Tornados auch für Enduring
Freedom eingesetzt werden, verwies Oskar Lafontaine darauf, dass
dies dann auch Teilnahme am Terror sein. Die gegenwärtigen
Truppen unterstützen doch die Warlords. Das ist ein Problem.
Die Taliban halten sich nicht mehr in Afghanistan auf, sondern in
Pakistan. Die Befreiung der Völker ist immer ihre eigene Aufgabe,
nicht die Aufgabe ausländischen Militärs. Man muss mit
Argumenten aufpassen. Im Übrigen sind die Taliban von den USA
aufgebaut und gestärkt worden, was wir nicht vergessen sollten.
Wer Friedenspolitik machen will, muss nicht permanent aufrüsten
und Rüstungsexport betreiben. Gerade ist eine neue Statistik
erschienen. 2006 lag Deutschland auf Platz sechs der Rüstungsländer
und nahm im Waffenexport nach den USA und Russland Platz drei ein.
Wer soviel am Export von Waffen verdient, kann mir nicht erklären,
dass er meint, dass diese Waffen nur für edle Ziele eingesetzt
werden.

Pietzke: Die Afghanen alleine werden sich aber
nicht gegen einen erneuten „Überfall“ der Taliban
wehren können. Sie brauchen doch Schutz!

Moderator: Eine ganze Menge Taliban sind in Afghanistan,
nicht in Pakistan, das zeigen Kämpfe im Süden.

Gregor Gysi: Die erste Frage bedeutet doch nur,
dass es die Aufgabe gewesen wäre, eine eigenständige Armee
aufzubauen, was seit sechs Jahren erheblich vernachlässigt
wurde. Alle Experten, die dort waren, bestätigen dies. Meine
Aussage bleibt richtig, denn die Taliban, die Kämpfe führen,
kommen von Pakistan nach Afghanistan und ziehen sich dann wieder
nach Pakistan zurück. Und die pakistanische Regierung ist eng
mit den USA befreundet, aber nun auch wieder nicht so eng, dass
sie ernsthaft etwas dagegen unternähme.

Moderator: Noch mal zur Partei:

Zeus: Lieber Gregor Gysi, die Verteilung der Mitglieder
der neuen Linken in Ost und West ist ja noch sehr unterschiedlich.
Bei den Urabstimmungen stimmten sogar weite Teile der WASG gar nicht
mehr mit ab. Muss der Aufbau West nicht das innerparteiliche Kernthema
bis zur nächsten Bundestagswahl sein?

Gregor Gysi: Wenn man von den zahlenden Mitgliedern
der WASG ausgeht, das heißt von 9500 Mitgliedern, haben über
die Hälfte an der Urabstimmung teilgenommen. Manchmal resultieren
unterschiedliche Zahlen aus Kleinigkeiten. Bei der Linkspartei stand
auf dem Umschlag, dass der Empfänger das Porto bezahlt. Ein
Hinweis, der bei der WASG fehlte. Die Mehrheiten waren jeweils eindeutig.
Trotzdem stimme ich Ihnen zu. Wir werden nach dem 16. Juni mit einer
verstärkten Mitgliederwerbung in ganz Deutschland beginnen
und dabei geht es darum, die Landesverbände im Osten zu verjüngen
und die Landesverbände im Westen generell zu verstärken.
10.000 dazukommende Mitglieder aus den alten Bundesländern,
das bedeutet schon jetzt eine gewaltige Veränderung der dann
vereinigten Partei.

*$Gregor$*: Herr Gysi, denken Sie nicht, dass
die Feinde der Parteifusion in der WASG die Linke auf Dauer schwächen
können?

Gregor Gysi: Na, ich würde mal von Gegnern
sprechen. Die, die mitmachen, finden sich damit ab und werden innerhalb
der Partei wie andere auch diskutieren. Das ist in Ordnung und muss
nicht schwächen. Andere – wie Lucy Redler – werden eine neue
Partei gründen, wobei diese neue Partei mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit eher bedeutungslos werden wird.

Moderator: Unsere Chat-Stunde ist leider um. Das
Protokoll mit allen Fragen und Antworten gibt es wie immer in Kürze
auf den Seiten www.tagesschau.de und www.politik-digital.de. Vielen
Dank für Ihr Interesse und die zahlreichen Fragen und herzlichen
Dank an Herrn Gysi, dass Sie sich die Zeit für die Diskussion
genommen haben.

Gregor Gysi: Ich freue mich über ihr politisches
Interesse, das nämlich ist Voraussetzung um für Veränderungen
im Denken und Fühlen zu streiten, was wiederum eine Gesellschaft
verändert. Letztlich geschieht in jeder Gesellschaft nur das,
was die Menschen zulassen, dass es geschieht. Außerdem bedanke
ich mich, an so einer höchstmodernen Technik teilnehmen zu
können, von der in meiner Kindheit noch nicht einmal geträumt
wurde.