Michael Müller,
der stellv. SPD-Fraktionsvorsitzende und umweltpolitische Sprecher
war am 12. September zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de
und politik-digital.de. Koalitiosszenarien, Mehrheitsverältnisse,
Energie- und Steuerpolitik wurden ausführlich dikutiert.

Moderator: Herzlich Willkommen
zum tacheles.02-Chat. Die letzte Woche vor der Wahl in der sich
so viele unentschlossene Wähler noch entscheiden sollen ist
angebrochen. Zum Chat ist jetzt Michael Müller, SPD-Vizefraktionschef
und bekannter SPD-Linker ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Vielen
Dank, dass Sie gekommen sind. Kann es losgehen?

Michael Müller: Prima.

Moderator: Herr Müller, eine Fortsetzung der
rot-grünen Koalition ist so gut wie ausgeschlossen. Wie es
auch am Wahltag aussieht, einen Kanzler Schröder wird es danach
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geben. Wie
geht man als Parteilinker damit um?

Michael Müller: Nachdem was ich heute von
der Forschungsgruppe Wahlen gehört habe, ist rot-grün
nicht vollständig ausgeschlossen. Und wenn es nicht vollständig
ausgeschlossen ist, kämpft man natürlich zuerst für
das, was man für das Beste hält und das ist nun mal rot-grün.

09113758493: Kann Schröder überhaupt
besser regieren, wenn er die Wahl wider Erwarten gewinnen sollten
und die Machtverhältnisse im Bund sich ja nicht verändert
haben?

Michael Müller: Diese Sichtweise halt ich
für falsch. Denn erstens ist die Ausgangssituation so, dass
eine Fortsetzung der bisherigen Koalition bis 2006 die Möglichkeit
einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat bedeutet hätte. Dann
wäre es zu einer totalen Blockade gekommen, weil der Bundestag
alle wichtigen Gesetze mit Zwei-Drittel-Mehrheit hätte beschließen
müssen. Zweitens kann sich bei den vier anstehenden Wahlen
2006 einiges ändern. Und drittens – das Wichtigste – elf von
sechzehn Ländern haben große Haushaltsprobleme, die betroffenen
Unionsländer lassen sich sicher nicht noch 4 Jahre unter die
Knute der Blockadestrategie des Konrad-Adenauer-Hauses nehmen. Insofern
wird die Bundestagswahl einen Knoten aufbrechen.

robotron74: Ganz richtig Herr Müller, Rot-Grün
ist nicht ganz ausgeschlossen, da muss aber schon noch eine doppelte
Flut kommen. Wenn nur die Große Koalition bleibt, macht die
SPD-Linke ihrer Parteispitze dann genauso viel Ärger wie Schröder?

Michael Müller: Erstens haben wir Schröder
keinen Ärger gemacht, sondern Gesetze verbessert und zweitens
kommt hoffentlich keine zweite große Flut. Und drittens gehört
die Auseinandersetzung immer noch zur Demokratie. Im Gegenteil,
uns fehlt oft die inhaltliche Auseinandersetzung.

DonCarlos: Hat es eigentlich noch was mit politischer
Aufrichtigkeit zu tun, wenn ein Neuankömmling in der Politik
wie Kirchhof in Grund und Boden geredet, seine Vision bewusst falsch
rezipiert und zu einer Negativkampagne missbraucht wird?

Michael Müller: Erstens ist Herr Kirchhof
kein Neuankömmling in der Politik, sondern steht schon seit
Jahren in der öffentlichen Debatte. Zweitens halte ich seine
Visionen nicht für reformerisch, sondern für erzkonservativ
und restaurativ. Meines Erachtens steht auch kein steuerpolitisches
Konzept dahinter, sondern der neokonservative Versöhnungsgedanke,
der anders als früher durch die Orientierung auf einen Marktradikalismus,
dass die Menschen auf sich selbst zurückfallen und Heimat,
Familie und Nation wieder zu schätzen lernen. Ich habe in den
letzten Wochen zahlreiche Aufsätze von Herrn Kirchhof gelesen
und kann nur sagen: Herr Kirchhof, mir graust vor Ihnen, dass ist
19. Jahrhundert.

gégé: Warum macht die SPD eigentlich
so stark auf Negativkampagne, das ist doch auch für den eigenen
Ruf schlecht, oder?

Michael Müller: Ich weiß nicht, was
sie damit meinen, denn im Zentrum stehen ja eher Themen wie Agenda
2010 und die Energiepolitik. In beiden Fällen geht es eher
um die Vorsorge, um die Zukunft und nicht einfach um Abgrenzung
gegen den Gegner.

nadine: Wo wollen Sie das Geld für verstärkte
Innovationen im Energiebereich hernehmen, den Sie ja als zukunftsträchtigen
Arbeitsmarkt sehen?

Michael Müller: Investitionen in die Energieeinsparungen
haben, wenn sie zu einer absoluten Reduktion des Energieverbrauchs
führen, sehr positive Effekte. Dadurch lassen sich nicht nur
sehr viele Arbeitsplätze schaffen und die Märkte von Morgen
besser entwickeln Es werden auch die externen Kosten gesenkt und
die Importkosten für Energie reduziert. Ich will ein Beispiel
zum Verdeutlichen nehmen: Eine Reduzierung des Energieumsatzes in
der deutschen Wirtschaft um 10 Prozent würde rund 800.000 neue
Arbeitsplätze schaffen, weil Energie und Rohstoff durch Technik
ersetzt wird. Hinzu kommt, dass wir es in der Welt mit einer großen
Knappheits- und Preiskrise im Energiesektor zu tun haben werden,
denn die Energierohstoffe, die heute von rund 1,3 Milliarden Menschen
genutzt werden, müssen schon in wenigen Jahren im selben Umfang
für 5 bis 7 Milliarden Menschen zur Verfügung stehen.
Wer heute in die Effizienz- und Solartechniken investiert, wird
die Märkte von morgen bestimmen.

DerWindimWald: Herr Müller, halten Sie es
nicht auch für dringend geboten, dass die Solarenergie endlich
deutschland- und europaweit so gefördert wird, dass sie eine
echte Energiealternative wird?
Schtimm: Wie sehen Sie die Chancen für die Aufrechterhaltung
des Atomausstiegs im Falle einer großen Koalition?

Michael Müller: Ich habe gerade in einem umfangreicheren
Buch – „Weltmacht Energie“ – herausgearbeitet, dass
die Leittechniken dieses Jahrhunderts die Kombination aus Solarwirtschaft
und Effizienzrevolution sein müssen. Wir wollen im Jahre 2020
einen Anteil von 25% regenerativer Energien in Deutschland erreichen.
Wir haben den Anteil in den letzten Jahren schon verdoppelt und
sind bei Strom bei rund 11 Prozent. Diese Erfolge werden nur möglich,
wenn wir aus der Atomenergie aussteigen, genauso wie aus den anderen
Großkraftwerken. Wir brauchen eine dezentrale und effiziente
Energiestruktur in der Zukunft. Wogegen die Atomenergie höchst
ineffizient, verbraucherfern und viel zu teuer ist. Deshalb ist
es für uns ein Eckpunkt, bei einer hoffentlich nicht eintretenden
rot-schwarzen Konstellation, dass am Atomausstieg nicht gerüttelt
wird.

MobyDick: Was halten Sie von den Vorschlägen
Sigmar Gabriels, eine Ampelkoalition im Bund zu installieren? Was
will er damit wohl erreichen? Verunsichert die Wähler doch
nur, oder?

Lennart.Zweitwähler: Herr Müller, wäre
eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP denkbar? Gerade die
Grünen und die FDP sind in innenpolitischen und rechtlichen
Fragen doch sehr ähnlicher Auffassung. Ich denke, dass viele
Menschen auch diese Koalition befürworten würden.

Michael Müller: Ich halte nichts von dem Gerede
Sigmar Gabriels, der sollte mehr Wahlkampf und weniger Interviews
machen. Im Augenblick geht es nicht um Koalitionen, sondern darum,
stärkste Fraktion zu werden. Auf dieser Basis kann man anders
entscheiden, als spekulativ.

Sommerhoch: Ist zu befürchten, dass die Gewerkschaften
als treibende Kraft für die SPD ausfällt, wenn sie sich
zwischen den linken Parteien entscheiden müssen?

Michael Müller: Ich glaube, dass das Hauptproblem
der Gewerkschaften wie der Linken insgesamt ist, dass sie in dieser
veränderten Epoche der Globalisierung mit den alten Antworten
nicht mehr hinkommt. Wir sind in der Situation, dass die soziale
Frage mit aller Schärfe zurückkehrt, aber die traditionellen
Rezepte aus hohem Wachstum, Flächentarifvertrag und nationalstaatlicher
Souveränität immer weniger greifen. Aus meiner Sicht muss
die Linke sehr viel stärker auf die Idee der Regionalisierung
der Weltwirtschaft, der Gestaltung einer modernen Wissensgesellschaft
und einer effizienten Neuordnung der Energie- und Ressourcenbasis
setzen. Sie braucht ein neues Fortschrittsmodell. Deshalb habe ich
auch Zweifel, die Linke als die Linkspartei zu bezeichnen, weil
erstens zu links nicht nur die Kritik, sondern auch die Selbstkritik
gehört. Und die Linkspartei zweitens in den Zukunftsfeldern,
wozu auch die Ökologie gehört, wenig bietet. Ob also die
SPD zerrieben wird, liegt letztlich daran, ob die Linke die programmatische
Erneuerung schafft oder nicht.

helm: Was sollen eigentlich immer die Verräter-Vorwürfe
gegen Lafontaine? Auch wenn es ja vielleicht okay ist, nach einer
Wahl, wenn sich vieles auf einmal ändert, alte Positionen zu
räumen, ist doch der, der an den alten Positionen festhält,
vielleicht alles mögliche (Sturkopf, Profilneurotiker usw.),
aber doch sicher kein Verräter. Was meinen Sie?

Michael Müller: Ich bin deshalb in einer schwierigen
Situation zu antworten, weil ich am Abend vor seinem Rücktritt
mit Lafontaine 5 Stunden zusammen war. Meines Erachtens hat Oskar
Lafontaine ein zentrales Problem, das er nicht zugeben kann: als
Finanzminister gescheitert zu sein. Hintergrund: er war bei der
Finanzministerkonferenz der G7 von den anderen Ministern völlig
im Stich gelassen worden. Die Konsequenz war, Lafontaine hätte,
um die EU-Vorgaben zu erfüllen, hart arbeiten und den Haushalt
um 10 Milliarden kürzen müssen. Das konnte und das wollte
er nicht. An dem Abend vor seinem Rücktritt war von Kritik
an Schröder nichts zu hören.

Marcus M: Hallo, ich bin Anfang des Jahres Genosse
geworden, weil mich der Demokratische Sozialismus, so wie er im
SPD-Programm steht, anspricht. Sind sie Demokratischer Sozialist?
Wie beurteilen Sie (eigentlich du als Genossen) die Politik der
SPD im Hinblick auf das Parteiprogramm, das den Demokratischen Sozialismus
enthält?

Michael Müller: Ich glaube, dass wir weltweit
eine neue Form von "Systemauseinandersetzung" erleben.
Einerseits zwischen dem anglo-amerikanischen Modell des Individualkapitalismus
und der europäischen Idee der Sozialdemokratie. Mit der Vorherrschaft
der Finanzmärkte ist die soziale Demokratie immer mehr in die
Defensive geraten. Das bedeutet faktisch auch das Ende der früheren
demokratischen Marktwirtschaft. Meines Erachtens hat nicht nur die
SPD, sondern mehr noch die europäische Demokratie, nur dann
eine Zukunftschance, wenn sie zu einer Erneuerung ihres Modells
kommt. Und das kann nur in der Tradition des Demokratischen Sozialismus
stehen.

Spdverlasser: Nach der Wahl haben wir doch immer
noch eine 2/3 Mehrheit Schwarz im Bundesrat, wie soll dann ihre
Politik da durchflutschen? Ich glaube, dass es eine Große
Koalition geben wird! Überzeugen Sie mich vom Gegenteil?

Michael Müller: Erstens haben wir noch keine
2/3-Mehrheit, diese droht – das war ja ein Grund für die vorgezogene
Wahl. Die Strategie der Union ist Blockade und Chaos. Ich war Vorsitzender
vieler AGs im Vermittlungssausschuss und dort sind Entscheidungen,
die von allen Fraktionen inhaltlich getragen wurden, trotzdem nicht
beschlossen worden, weil man öffentlich die Signalkultur aufbauen
wollte, dass Rot-Grün, und insbesondere der unfähige grüne
Minister Trittin es nicht schaffen. Hinzu kommt, dass neben der
allein machtpolitischen Ausrüstung der Union, sie sich inhaltlich
nicht erneuert hat. Bis heute sieht sie die Wahlniederlagen von
1998 und 2002 als "Betriebsunfälle" an. Ich weiß
nicht, wie man mit dieser Partei zusammen arbeiten soll. Deshalb
bin ich für eine Fortsetzung von Rot-Grün, die aber nur
kommen wird, wenn sich die Kräfte nicht zersplittern.

Kowa: Herr Müller, wird es bei entsprechenden
Mehrheitsverhältnissen eine rot/ rot/ grüne Koalition
geben?

JH_: Was halten Sie von Rot/ Rot/ Grün?

Michael Müller: Das wird nicht kommen, weil
es die SPD zerreißen würde. Das weiß innerhalb
der SPD jeder, der Verantwortung trägt.
Infam: Wenn aber Schröder abgewählt ist, wird die SPD
danach (auch durch die "Linke ") sich wieder mehr auf
linke Politik besinnen oder bleibt es bei Entlastung von Spitzenverdienst
und Agenda 2010?
Fiete_Schulze: Ist die SPD nicht schon zerrissen?

Michael Müller: Nein dass sehe ich nicht,
sie ist zur Zeit einiger denn je, wenn ich die Ausrutscher einiger
weniger weg lasse. Man muss natürlich fragen, was ist links?
Ich halte den Begriff Agenda 2010 für falsch, weil es im Kern
um eine Agenda 2000 geht. Tatsächlich werden die Fehler der
90’er Jahre beseitigt, ein Blick in den Bericht der Arbeitsgruppe
Bündnis für Arbeit zeigt, dass alle Länder, z.B.
die skandinavischen, die heute gut dastehen, entsprechende Reformen
zwischen ’90 und ’95 gemacht haben. Im unserem Land herrschte damals
Reformstau. Deshalb ist es auch falsch, ja ein Ausweis von Unwissen,
wenn z.B. Gysi und Lafontaine empfehlen, die Bundesrepublik solle
sich ein Beispiel an Schweden nehmen. Dort waren die Eingriffe in
die Sozialsysteme viel einschneidender.

JH_: Also darf man, wenn man Rot/ Rot/ Grün
will, NICHT die SPD wählen, denn das führt doch nur zu
Schwarz/ Rot, das wissen sie doch auch, oder?

Michael Müller: Das teile ich nicht, aber
wie soll man Rot-Rot-Grün erreichen, wenn man die SPD verhindern
will? Ich bin nicht dafür, aber diese Logik begreife ich nicht.

wolchan: Vermutlich ist doch jeder vernünftige
Mensch in Deutschland momentan für eine Vereinfachung des Steuersystems.
Warum äußert sich die SPD dazu nicht eindeutiger? Das
würde doch wohl der UNION den letzten Wind aus den Segeln nehmen.

Michael Müller: Ich bin sehr für eine
Vereinfachung des Steuersystems. Aber ich bin auch für den
Grundsatz "Mit Steuern steuern". Wir brauchen z.B. einen
leistungsstarken öffentlichen Sektor, um die Bildungschancen
zu verbessern und die Umwelt zu schützen.

nordlicht: warum wird Herr Kirchhoff eigentlich
nicht von Ihrer Partei als (zunächst) unabhängiger Finanzexperte
akzeptiert?

Michael Müller: Was ist unabhängig? Was
ist Experte? Ich kenne beispielsweise viele Experten, die mir im
Umweltbereich lange gesagt haben, von den FCKWs gehen keine Gefahren
für die Ozonzerstörung aus. Das Gegenteil war richtig.
Und auch bei den Steuerexperten muss ich erst mal fragen: Wem dient
es? Dahinter steht ein Verständnis, das wie Herr Kirchhof selber
sagt, die Idee der Gesellschaft sehr kritisch sieht. Ich glaube,
dass die Idee der Gesellschaft Basis der europäischen Kultur
ist. Hierin unterscheiden wir uns fundamental von den USA, wo der
Schwerpunkt auf einem Individualkapitalismus liegt. In Europa ist
es das Ergebnis jahrhundertelanger Auseinandersetzungen und die
Bändigung von Konflikten, dass wir uns sehr bewusst im letzten
Jahrhundert für die Idee der sozialen Demokratie entschieden
haben. Herr Kirchhof vertritt dagegen den amerikanischen Weg der
Neocons.

benboi: Aber warum ist eine Einheitssteuer von
25% nicht gerecht???
Michael Müller: Weil sie erstens zu Lasten des öffentlichen
Sektors geht. Zweitens eine Lücke von mindestens 40 Milliarden
Euro aufreißt. Drittens die Lasten höchst ungleich verteil.
Hier empfehle ich die Bücher von Krugman und Stieglitz über
die Folgen der Flat-Tax in den USA auf die sozialen Schichtungen.
Und schließlich schränkt dieses System in gravierender
Weise die staatliche Handlungsfähigkeit ein.

Fiete_Schulze: Will die SPD endlich höhere
Steuern für die Reichen und Wohlhabenden, damit es den Armen
besser geht und diese nicht mehr den Großteil der Steuern
zahlen müssen?

Koopsi: Warum hat die SPD den Spitzensteuersatz
gesenkt und will jetzt wieder eine Reichensteuer? Das ist doch eine
Täuschung der Wähler.

Michael Müller: Erstens haben wir auch die
Eingangsteuersätze massiv gesenkt, sie sind von 25,9 % auf
15 %, also um rund 9 Prozentpunkte abgesenkt worden. Dadurch hat
sich auch der Progressionsverlauf geändert. Ich habe mich sehr
dafür eingesetzt, dass die Absenkung auf 42 % nicht stattfindet,
sondern der Satz bei 45% bleibt. Dies wurde mehrheitlich vom Bundesrat
überstimmt. Trotzdem muss ich noch eine Illusion beenden: Unter
den Bedingungen weltweit offener Märkte gerät die nationale
Steuerpolitik an Grenzen, zumal in einem Exportland wie der BRD.
Deshalb müssen wir zur europäischen Lösungen in der
Steuerpolitik kommen.

Sojus: Herr Müller, wie schätzen Sie
das Wahlziel des Kanzlers ein, 38 Prozent am kommenden Sonntag für
die SPD zu bekommen?

Michael Müller: Realistisch.

EarlMobile: Was halten Sie eigentlich von einem
gemeinsamen Auftritt von Gerhard Schröder und Joschka Fischer
noch vor der Wahl als Bekenntnis zu Rot-Grün, wie 2002? Wäre
die nicht eine gute Möglichkeit die Alternative Merkel/ Gerhardt
noch mal zu verdeutlichen?

Michael Müller: Die Antwort zeigt, dass Herr
Westerwelle schon auf dem Abstellgleis steht. Ich bin sehr für
einen gemeinsamen Auftritt, nur muss man wissen, dass der gemeinsame
Auftritt 2002 die Einladung einer Unterstützerorganisation
war. Eine solche Einlandung hat es diesmal nicht gegeben. Trotzdem
ist es aus meiner Sicht klar, dass es um das Duo Fischer – Schröder
geht.

JH_: Wollen sie wirklich weitere 4 Jahre Rot/ Grün
mit nur einem Abgeordneten Stimmmehrheit im Bundestag? Das ist doch
totale Blockade.

Michael Müller: Ich weiß nicht, wie
sie schon zu dem Wahlergebnis kommen. Ich finde, man sollte erst
mal die Bürgerinnen und Bürger entscheiden lassen.

Simon Haber: Haben Sie nicht auch den Eindruck,
dass im Wahlkampf alles außer die Wirtschaftspolitik zu kurz
kommt?

Michael Müller: In den letzten Tagen haben
wir viel über Energie- und Klimafragen gehört. Ich finde
zu Recht, weil dies eine zentrale Zukunftsfrage ist. Ein Beispiel:
in den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil an den Meeresregionen,
in denen in der Deckschicht für länger Zeit 27 Grad Celsius
überschritten wird, um knapp 20% erhöht. Die Folge ist
– weil das eine kritische Grenze ist für die Bildung von Orkanen
– dass es immer häufiger zu gewaltigen Naturkatastrophen kommt.
Diese Extreme beschränken sich nicht nur auf den pazifischen
Raum, wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass im Nordatlantik
die dort überdurchschnittlich hohen Temperaturanstiege – rund
3 Grad Celsius – gefährliche Folgen für die Lebensverhältnisse
in Nordeuropa haben werden. Noch kann man dies durch eine andere
Energie – und Verkehrspolitik verhindern, aber nicht mehr lange.

jessikaxxl: Ich wohne in der Südeifel und
auf der Landkarte steht "Naturpark Südeifel ". Wenn
man allerdings durch diesen Naturpark wandert oder fährt, gibt
es mittlerweile kaum eine Stelle, von der aus man nicht mindestens
30 bis 40 hässliche Windräder sehen kann. Ist das nicht
auch eine Art Umweltverschmutzung? Die Lärmbelästigung
ist auch nicht zu vernachlässigen. Bei ungünstiger Windrichtung
kann ich die nächsten Windräder sogar bei mir ihm Tal
hören.

Michael Müller: Ich will darauf hinweisen,
dass wir in der Novelle des erneuerbaren Energiengesetzes eine Reihe
von schärferen Anforderungen gestellt haben, um den Naturschutz
zu berücksichtigen. Dennoch fällt es mir auf, dass diese
Kritik selten in Bezug auf die 70.000 Hochspannungsmasten in Deutschland
geübt wird.

von_Stern: Wäre auch Rot-Grün unter Tolerierung
der PDS möglich?
Michael Müller: Das kann man nicht abstrakt beantworten. Ich
wüsste aber nicht, wie auf dieser instabilen Basis eine stabile
Außenpolitik möglich sein sollte, zum Beispiel der Einigungsprozess
in Europa.

Moderator: Sie wollen es aber nicht ausschließen?

Michael Müller: Doch, das sagte ich damit.

Franz Josef VII.: Ist Ihnen eigentlich schon einmal
aufgefallen, dass es in den Ländern (z.B. Schweiz, Luxemburg,
Singapur etc.), die erwiesenermaßen ein höheres Wohlstandsniveau
wie Deutschland haben, Gewerkschaften und linke, sozialistische
Parteien wie die SPD überhaupt gar keine Rolle spielen? Was
schließen Sie daraus?

Michael Müller: Die Frage ist falsch, die
Schweizer Demokraten waren in den letzten Jahren immer an der Regierung,
in Luxemburg ebenfalls und Singapur kann ich nicht vergleichen.

Maler2: Herr Müller, warum können nicht
mehr Gelder in die Unterstützung junger Familien fließen?

Michael Müller: Es ist in den letzten Jahren
erhebliches Geld in die Familien geflossen, nicht nur beim Kindergeld,
sondern auch in die Ganztagsschulen und in der Kinderbetreuung.
Allerdings haben die Länder das sehr unterschiedlich umgesetzt.
Der nächste Schritt soll das Elterngeld sein, um noch zu einer
konzentrierteren Förderung zu kommen.

KurtSchumacher: Was sagen Sie zum Niveau der politischen
Auseinandersetzung in diesem Wahlkampf? Gebietet es z. B. nicht
bei aller inhaltlichen Differenz die Achtung der Person, dass man
einander beim Namen nennt, anstatt über "einen Professor
aus Heidelberg " herzuziehen?

Michael Müller: Naja, das halte ich für
eine vertretbare Polemik und die gehört sicher auch zum Wahlkampf.
Entscheidend aber sind die Konzepte, die dahinter stehen. Und da
macht die Zuspitzung die Unterschiedlichkeit auch klarer. Im Übrigen
habe ich nicht den Eindruck, dass die anderen Parteien in ihren
Argumenten jederzeit fair sind. Ich will mir Beispiele jetzt ersparen.

EarlMobile: Wenn es trotz aller programmatisch-inhaltlichen
Differenzen zwischen CDU/ CSU und SPD dennoch zu einer Großen
Koalition kommen sollte, wer wäre in der SPD dann für
den Posten des Außenministers vorgesehen (angenommen, die
CDU würde den Kanzler stellen)?

Michael Müller: Ich habe schon gesagt, dass
ich mich an derartigen Spekulationen nicht beteilige.
Moderator: Eine letzte Frage:

Leo1: Denken Sie nicht, dass Schröders Politik,
die offensichtlich nicht die der SPD-Linken ist, eine neue, erfolgreiche
politische Position der SPD in Zukunft darstellt?

Michael Müller: Ich glaube persönlich,
dass das Grundproblem der modernen Politik ist, die pragmatische
Politik mit einer sittlichen Idee zu verbinden. Dies ist sehr selten
bisher gelungen. Ich glaube, dass das auch nur beschränkt möglich
ist, wenn man unter alltäglichen Regierungszwängen steht.
So wichtig einzelne Personen sind, die brauchen immer die Rückkopplung
in den demokratischen Diskurs. Ich habe eher den Eindruck, dass
dieser demokratische Diskurs in der Mediokratie zu kurz kommt.

Moderator: Das war’s. Unsere 60 Minuten Politik-Chat
sind um. Vielen Dank für Ihr Interesse und die vielen Fragen.
Herzlichen Dank Herr Müller, dass Sie heute Zeit für den
Chat fanden. Alle unsere Chat-Protokolle finden Sie wie immer auf
den Seiten der Veranstalter. Dort erfahren Sie auch die Termine
für die nächsten Chats. Einen schönen Tag wünschen
tagesschau.de, politik-digital.de und tagesspiegel.de.

Michael Müller: Wer will, kann mich auch über
mein Büro im Bundestag erreichen.