Am Mittwoch, 17. August, war Olaf Scholz
zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.
Er verteidigt die rot-grünen Reformen und betont, dass Gerd
Schröder keine Neuwahlen wegen einer Blockade im Bundesrat
wollte. Die Föderalismusreform müsse sein, um mehr Transparenz
über Verantwortlichkeiten im Bund zu schaffen.

Moderator: Liebe Politik-Interessierte,
willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein
Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de. Zum Chat ist heute der SPD-Bundestagsabgeordnete
und ehemalige SPD-Generalsekretär in der Redaktion von tagesschau.de
in Hamburg. Herr Scholz, können wir beginnen?

Olaf Scholz: Guten Tag, ich bin
bereit.

hge3: Sehr geehrter Herr Scholz,
was halten Sie vom Kompetenzteam von Angela Merkel?

Olaf Scholz: Mir ist vor allem
die Ernennung von Herrn Kirchhof aufgefallen, der ist sicher kompetent,
aber er hat völlig unakzeptable politische Ansichten. Mit der
Flat-Tax schlägt er einen völlig ungerechten Steuertarif
vor. 25% als Höchststeuer ist maßlos ungerecht.

Moderator: Gegen Herrn Beckstein
als Innenminister dürften Sie nichts haben. Er ist öfter
softer als Otto Schily?

Olaf Scholz: Richtig ist, dass
Otto Schily ein guter Innenminister ist. Und deshalb wird er es
auch bleiben.

Superduper: Herr Scholz, in Fachkreisen
ist unbestritten, dass die Zukunft der Arbeit nicht mehr in der
Vollbeschäftigung liegt, weil diese nicht mehr möglich
ist. Wie wird die SPD ihre Reformen, die Zukunft der Arbeit mitgestalten?

Olaf Scholz: Es gibt ja viele
Fachkreise. Und es gibt auch ganz viele, die keineswegs der Auffassung
sind, dass Vollbeschäftigung unmöglich ist. Ich persönlich
glaube, dass wir vor allem die Aufgabe haben, die Langzeitarbeitslosigkeit
zu bekämpfen. Die Hälfte aller Arbeitssuchenden sucht
länger als ein Jahr nach Arbeit. Das ist etwas, das wir mit
Reformen – wie in anderen Ländern – richtig bekämpfen.
Und zwar geht es um unsere Arbeitsvermittlungsreform, jetzt soll
sich – nicht mehr wie früher- ein Arbeitsvermittler um 800
Arbeitssuchende kümmern, sondern höchstens um 150.

alterego: Wie läuft Ihre
Kampagne "Rent-a-Olaf ", Herr Scholz?
Olaf Scholz: Ich habe keine Kampagne "Rent a Olaf", aber
ein netter Pressemann hat eine Wahlkampfaktivität so benannt.
Ich habe nämlich den Bürgerinnen und Bürgern aus
meinen Wahlkreis das Angebot gemacht, mich zu sich nach Hause einzuladen
und ihre Nachbarn und Freunde dazu. Über 50 Termine sind bisher
vereinbart und sie verlaufen ziemlich spannend – auch für mich,
obwohl es fast immer 2 bis 3 Stunden geht.

KarlBruchsal: Wird der Wahlkampf
nicht zur Farce? Jetzt wollen alle möglichen Leute auch TV-Duelle
machen, will eigentlich irgendjemand sich noch um unsere Probleme
kümmern?

Olaf Scholz: Ich glaube schon,
dass die meisten Politikerinnen und Politiker sich um die Probleme
der Bürgerinnen und Bürger kümmern wollen. Das gilt
parteiübergreifend. Besonders gut tun das natürlich aus
meiner Sicht die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Aber
all die Extra-TV-Duelle haben bestimmt etwas mit der Eitelkeit der
beteiligten Herren zu tun. Wichtig ist das TV-Duell Schröder-Merkel.

kai 69: Wie geht man auf Dauer
mit den Linksparteien um?

Olaf Scholz: Die Linkspartei muss
nicht verteufelt werden, aber man kann ganz sachlich festhalten,
dass sie eine linke Ausprägung populistischer Parteien ist.
Populismus lebt davon, den Menschen zu versprechen, es könne
alles wieder so werden wie es einmal war, und die Realität
auszublenden. Solche Parteien sind natürlich nicht koalitionsfähig.
Von der Linkspartei wissen wir sogar, dass sie gar nicht will.

pokerface: Guten Tag Herr Scholz,
wie erklären sie sich die Tatsache, dass die CDU trotz Stoibers
Äußerungen in den jüngsten Umfragen in Ostdeutschland
wieder zulegen konnte. Konnte die CDU gar wegen dieser Äußerungen
zulegen?

Olaf Scholz: Das glaube ich nicht.
Ich stelle fest, dass gegenwärtig viel Bewegung da ist. Viele
Menschen sind ratlos, was sie wählen sollen, und das ist jetzt
die Chance auch für die sozialdemokratische Partei. Weil der
Wahlsieg von Schwarz-Gelb immer unwahrscheinlicher wird, kommt es
eben auf jede Stimme an. Das wird hoffentlich dazu führen,
das bis zur Wahl die Zustimmung zur Sozialdemokratischen Partei
weiter wächst, damit das passieren kann, was die meisten Deutschen
wünschen: Schröder bleibt Kanzler.

Moderator: Glauben Sie, dass sie
sich gegenüber dem Ergebnis von 2002 (38,5) sogar noch verbessern
können?

Olaf Scholz: Vorhersagen sind
schwierig, vor allem, wenn man gerade nicht in der Pole-Position
steht. Aber es sind noch viele Wahlkampf-Runden zu drehen und ich
bin guter Hoffnung, dass am Ende die Roten vorne liegen.

Moderator: Woher kommt die Hoffnung?

Olaf Scholz: Ganz konkret ermutigen
mich die täglichen Gespräche an Infoständen und auf
Veranstaltungen. Da sind viele interessierte und freundliche Menschen.
Und im Übrigen, um in dieser Wahl gewinnen zu können,
musste die SPD zunächst erreichen, dass die Wahl nicht als
schon längst gelaufen wahrgenommen wird. Das ist passiert.
Jetzt überlegen sich viele Unentschlossene, ob sie nicht wählen
gehen sollen und ob sie nicht erneut der SPD die Stimme geben.

Ike: Ich habe den Eindruck, dass
die SPD immer, wenn sie in der Regierungsverantwortung steht ein
fürchterlich zerstrittener Haufen ist. Hier könnte man
von den Rechten lernen. Wenn es um die Macht geht stehen sie zusammen.

Olaf Scholz: Wem sagen Sie das?

Hutte: Hallo Herr Scholz, was
ist dran an dem Gerücht, dass Sie in die Bundespolitik wechseln?
Welche Chance bedeutet das für Sie?
Olaf Scholz: Ich bin Bundespolitiker, wie den meisten schon aufgefallen
ist. Zweimal habe ich meinen Wahlkreis in Hamburg-Altona mit sehr
großem Vorsprung direkt gewonnen. Das will ich wieder tun.
Danach sehen wir weiter.

Hector: Welche Rolle sehen Sie
für sich in der SPD, wenn die Wahl für Ihre Partei verloren
gehen sollte?

Olaf Scholz: Freuen sich alle
darauf, dass ich das an verantwortlicher Stelle tue.

Blubber: Lieber Herr Scholz, welche
Möglichkeiten sehen Sie, die immense Staatsverschuldung zu
stoppen oder gar zu reduzieren. Kann man den Bürgern überhaupt
noch finanzielle Versprechungen machen? Stichwort Elterngeld?

Olaf Scholz: Wir müssen die
immense Staatsverschuldung reduzieren und dabei sind wir auch weiter
gekommen, als es den äußeren Einruck macht. Trotz schlechter
Konjunktur ist es uns nämlich gelungen, den Bundeshaushalt
strukturell zu sanieren. Was noch unerledigt geblieben ist, ist
meist am Widerstand der CDU und der FDP im Bundesrat gescheitert.
Nach der Wahl können auch die CDU-Ministerpräsidenten
angesichts ihrer eigenen Haushaltslage aber die Kooperation nicht
mehr verweigern und wir werden weitere Fortschritte machen. Im Übrigen,
das Elterngeld ist nicht sehr teuer, aber dringend notwendig. Deutschland
muss es den vielen Paaren ermöglichen, so viele Kinder zu kriegen,
wie sie gerne wollen. Das ist heute nicht so, und da hat Deutschland
einen riesigen Nachholbedarf. Wenn es uns nicht gelingt, deutlich
mehr Kinder in Deutschland zu haben, werden wir weder unseren Staatshaushalt
noch die Sozialversicherung langfristig sanieren können.

robotronic67: Prima, die SPD wächst
auf unglaublich 33 Prozent und dann reicht es wegen SPD-Renegat
Lafontaine nur für eine Große Koalition. Sollten Sie
das nicht mal den Leuten sagen?
Olaf Scholz: Ich glaube schon, dass man den Leuten sagen muss, dass,
wenn auf der Linken eine Partei gewählt wird, die nicht selber
Politik machen will, sondern sich darauf beschränkt, eine kritische
Stimme zu erheben und Forderungen aufzustellen, die niemand erfüllen
kann, das politische Spektrum in Deutschland verengt wird. Deshalb
stellen Sie diese Frage mal Herrn Lafontaine!

hsiebert: Was ist eigentlich Ihre
Rolle im Wahlkampf?

Olaf Scholz: Ich mache einen!
Überregional, im Fernsehen, in der Zeitung, Rundfunk und bei
Chats und in meinem Wahlkreis.

jackblack: Moin moin, sagen Sie
Herr Scholz, streben Sie eigentlich wieder nach höheren Ämtern
für den Fall, dass die SPD doch besser als erwartet abschneidet?

Olaf Scholz: Ich will erneut in den Bundestag
einziehen und dann sehen wir alle gemeinsam, was geschieht.

zaphod_beeblebrox: Die Schröder-Ostpolitik
habe ich vor ein paar Tagen in Dresden bewundern können: da
ließ er sich feiern als Friedensfürst. Aber: wo ist die
Ostpolitik der SPD?

Olaf Scholz: Ich gebe zu, dass ich die Frage
nicht verstehe. Die Ostpolitik ist von Sozialdemokraten überhaupt
erst entwickelt worden. Zum Beispiel von Willy Brandt. Und Schröder
ist zu Recht ein Friedenskanzler. Die Stärke, die er bewiesen
hat, als es darum ging, Deutschland aus dem Irak-Krieg herauszuhalten,
war und ist beeindruckend.

scorpio2: Sehr geehrter Herr Scholz, wie sehen
Sie die Teilung Deutschlands in Ost und West? Stichwort: überzogene
Stoiber-Äußerungen

Olaf Scholz: Die Aussagen von Stoiber waren peinlich
und kommentieren sich eigentlich selbst. Am bedenklichsten finde
ich, dass er vermutlich wirklich gesagt hat, was er denkt. Ich jedenfalls
freue mich immer noch über die Deutsche Einheit.

UrmelAusdemAll: Können Sie verstehen, dass
Menschen nicht zur Wahl gehen, weil sie von der Politik frustriert
sind?

Olaf Scholz: Kann ich. Ist trotzdem falsch. Wer
sich nicht um die Politik kümmert, und sei es, alle vier Jahre
zur Wahl, um den kümmert sich die Politik. Und das kann auch
schlecht enden, z.B. wenn man sich vier Jahre schwarz ärgern
muss. Im Übrigen will ich Ihnen sagen, dass ich glaube, dass
die Frustration vieler Bürgerinnen und Bürger auch daher
rührt, dass die Politikerinnen und Politiker überzogene
Vorstellungen von ihren Handlungsmöglichkeiten vermitteln.
Wir sind zwar nicht ohnmächtig aber auch nicht allmächtig.

geophy: Sie selbst mussten ja, was Ihre Karriere
anbelangt, auch schon die eine oder andere Niederlage einstecken.
Wirkt das innerhalb der Partei nach?

Olaf Scholz: Ich habe den Eindruck, dass meine
Arbeit in der SPD sehr weit geschätzt wird.

Moderator: Verstehen Sie den Vorwurf, dass Sie
bisweilen kühl wirken?

Olaf Scholz: Persönlich nicht, aber letztlich
muss sich jeder selbst ein Urteil bilden.

Richtigwaehler: Hatten sie wirklich ein Comeback
innerhalb der SPD? Oder sehen sie das anders?

Olaf Scholz: Alle schreiben, da wäre ein
Comeback, dann ist das wohl so.

kapitalfehler999: In den Umfragen scheinen Stoibers
Ossi-Äußerungen ja die Wähler nicht zu schocken,
im Gegenteil.
Olaf Scholz: Wir werden sehen. Ich glaube jedenfalls, dass – falls
hinter den Äußerungen ein Kalkül gestanden haben
sollte – es nicht aufgehen wird. In Deutschland will niemand eine
"Lega Nord", auch nicht als "Liga Süd".

olli1891: Sehen Sie eher Chancen für eine
Ampelkoalition als für eine Rot-Rot-Grüne?

Olaf Scholz: Für Rot-Rot-Grün sehe
ich keine Chance, und hielte das auch für einen Fehler.

kern: Herr Scholz, wäre es klug für
Deutschland, sich mehr am skandinavischen sozialdemokratischen Modell
zu orientieren (hohe Steuern, niedrige Lohnnebenkosten, gutes Bildungssystem
etc.)?

Olaf Scholz: Jedes Land muss seinen eigenen Weg
gehen. Was wir von den skandinavischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
lernen können, ist dass wir Bildung ganz in den Vordergrund
schieben. Wir müssen investieren in die Köpfe, schon lange
vor der Schule: in der Krippe, im Kindergarten, in Ganztagsschulen.
Es darf nicht so sein, dass in Deutschland die Herkunft so sehr
über die Bildungs- und Berufschancen von Menschen entscheidet,
wie das heute der Fall ist. Wir können von den Skandinaviern
auch in der Arbeitsmarktpolitik lernen. Das haben wir mit unserer
Arbeitsvermittlungs-Reform umgesetzt. "Hartz IV" gibt’s
da schon seit fast zehn Jahren. Bei dem Sozialstaat sollten wir
den deutschen Weg, soziale Sicherheit über Sozialversicherung
zu gewährleisten, nicht verlassen. Es ist unvorstellbar, dass
wir das, was heute an Beiträgen zur Renten- und Krankenversicherung,
zur Pflege- und Arbeitslosenversicherung geleistet wird, als Steuern
erheben könnten. Es bedeutete eine Verdreifachung des Steuervolumens.
Und wahrscheinlich wäre Mangel die Folge des Weges, den Sozialstaat
durch Steuern finanzieren zu wollen. Deshalb fand ich und finde
ich den mühsamen Weg, den Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge
zu begrenzen, richtiger.

User22: Die Worte Schröders zum Iran-Konflikt
sind der leicht zu durchschauende Versuch, mit der "Friedenspartei
"-Nummer zu punkten. Warum hat ihn davon niemand abgeraten?

Olaf Scholz: Schröders Aussagen zum Iran
sind gefallen als eine Antwort und eine Aussage des Kanzlers notwendig
waren. Was er gesagt hat, war richtig und wir haben ja auch gemerkt,
dass kurz darauf die amerikanische Regierung diese Linie unterstützt
hat und sogar die Opposition nach anfänglich anders lautenden
Äußerungen, dem Kanzler beipflichten will.

Moderator: Könnte die SPD von konkreteren
Drohungen Bushs profitieren?

Olaf Scholz: Die Sache ist zu ernst für
solche Spekulationen.

Hanna: Inwiefern wäre eine Regierung SPD/Grüne
noch eine Chance für eine handlungsfähige Regierung? s.
Bundesrat

Olaf Scholz: Ich bedanke mich für die Frage.
Ich habe mich nämlich sehr geärgert, dass das Verhältnis
Bundestag-Bundesrat überhaupt für die Begründung
der Neuwahlen herangezogen wurde. Schröder zum Beispiel hat
das nicht gemacht. Man kann ja vieles über die letzten sieben
Jahre sagen, nur nicht, dass es beim Stillstand von Helmut Kohl
geblieben ist. Wir haben eine Einkommens-Steuerreform gemacht, die
den Staat 50 Milliarden Euro kostet. Wir haben die Unternehmens-Steuer
komplett neu organisiert. Wir haben eine substanzielle Rentenreform
auf den Weg gebracht und mit einer weitreichenden Gesundheits-Reform
den Anstieg der Beiträge verhindert. Mit der Arbeitsvermittlungsreform
haben wir die größte Sozialreform der letzten 30 Jahre
auf den Weg gebracht – eine längst überfällige übrigens.
Wir haben das Lebenspartnerschaftsrecht geschaffen für Homosexuelle,
das Staatsangehörigkeitsrecht neu geregelt und das Zuwanderungsrecht
modernisiert. Wir sind aus der Atomenergie ausgestiegen. Ganz schön
viel für angebliche Handlungsunfähigkeit. Die Wahrheit
ist, dass das Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesrat seit
Ende der 70er Jahre meistens durch unterschiedliche Mehrheiten geprägt
ist. Und deshalb brauchen wir eine Föderalismus-Reform auch
nicht, weil Deutschland sonst nicht regiert werden kann, sondern
deshalb, weil die Wählerinnen und Wähler durchschauen
können müssen, wer was zu verantworten hat. Und das geht
in den Hinterstuben des Vermittlungsausschusses oft verloren.

Klassenfreund: Wie überzeugt die SPD junge
Paare, Kinder zu bekommen, in Zeiten von Arbeitslosigkeit?

Olaf Scholz: Wir wollen niemanden überzeugen,
Kinder zu bekommen. Wir wissen, die meisten Paare hätten gerne
mehr Kinder, als sie tatsächlich bekommen. Und das liegt vor
allem daran, dass Deutschland anders als viele andere Länder
es den jungen Paaren nicht möglich macht, Beruf und Familie
miteinander zu vereinbaren. Deshalb haben wir das Tagesbetreuungsausbaugesetz
(Schrecklicher Name!) auf den Weg gebracht, damit junge Eltern zugleich
berufstätig sein können und einen guten Platz für
ihre Kinder haben. Deshalb diskutieren wir über Renate Schmidts
Vorschlag mit dem Elterngeld. Und deshalb haben wir auch die Arbeitsvermittlungs-Reform
auf den Weg gebracht. Wer seinen Arbeitsplatz verliert, soll nicht
mehr einfach alleine gelassen werden, wie es früher der Fall
war, sondern intensiv bei der Arbeitssuche unterstützt werden.
Die Menschen brauchen Hoffnung und gut wäre, wenn keiner befürchten
müsste, länger als ein Jahr arbeitslos zu bleiben, wenn
er seinen Arbeitsplatz einmal verliert.

Franz Josef II: Wie erklären Sie sich –
aktuelle Meldung der Bundesagentur für Arbeit von heute -,
dass immer mehr Arbeitnehmer, Handwerker etc. nach Österreich,
in die Schweiz etc. auswandern, obwohl Sie, die SPD – als vermeintliche
"Heilsbringer " der Arbeiterklasse – an der Regierung
sind?

Olaf Scholz: Wir sind keine "Heilsbringer",
wir bemühen uns um gute Politik und haben uns getraut, die
Augen vor den Problemen unseres Landes nicht zu verschließen.
Deshalb haben wir viele Reformen auf den Weg gebracht, die nicht
immer allen gefallen haben, aber dringend notwendig waren. Im Übrigen
haben wir uns darum bemüht, durch Entbürokratisierung
im Handwerksrecht auch mehr Arbeitsplätze in Deutschland möglich
zu machen. Das ist am Widerstand der sonst als Deregulierer auftretenden
Freunde von CDU und FDP gescheitert. Und natürlich gibt es
noch ein wichtiges Thema: wir müssen die Schwarzarbeit mit
allen Mitteln bekämpfen, der Ehrliche darf nicht der Dumme
sein. Um das zu bewirken haben wir z.B. diese Aufgabe auf den Zoll
übertragen, der auch mit polizeilichen Mitteln agieren kann.
Jetzt gibt es einen richtigen Boom an Ordnungsgeldern und Strafanzeigen.

Spdreform: Herr Scholz, stimmen Sie mit mir überein,
das der SPD mit der Änderung der Erwerbsstruktur nicht nur
Stammwählerschichten, sondern auch eine theoretische Fundierung
der modernen Sozialdemokratie abhanden gekommen sind? Wann wird
diese Lücke endlich geschlossen?

Olaf Scholz: Das ist mir ein wenig zu materialistisch
gedacht. Richtig ist aber, dass wir uns heute fragen müssen,
was die zentralen Gerechtigkeitsfragen der Zukunft sind. Aus meiner
Sicht ist das neben der immer weiter bestehenden Aufgabe, soziale
Sicherheit zu gewährleisten, vor allem die Teilhabe an Bildung
und Arbeit.

Student79: These: Umfang, Sinn und Zweck z.B.
von Hartz IV wird oft missverstanden. Frage: Sollte die nächste
Bundesregierung nicht mehr Aufwand in Informationen über ihre
Vorhaben für die Bevölkerung stecken, um die Menschen
zu involvieren und Frustration zu vermeiden?

Olaf Scholz: Zunächst: wenn`s nach mir geht,
ist die nächste Bundesregierung die alte. Jedenfalls, was den
Kanzler betrifft. Ansonsten bin ich auch fest davon überzeugt,
dass viele Politiker dazu neigen, zu wenige Informationen und Argumente
öffentlich zu verbreiten. Meine Erfahrung ist nämlich,
dass man – wenn man die Menschen ausreichend informiert – sich auf
ihr Urteilsvermögen durchaus verlassen kann.

zuckerbrot: Herr Scholz, sehen Sie die Visa-Affäre
als ausgestanden an?

Olaf Scholz: Ja. Es hat sich gezeigt, dass zwar
nicht alles richtig gelaufen ist, wie Minister Fischer ja auch eingeräumt
hat, dass aber auch kein Anlass für hysterische Übertreibung
besteht. Im Übrigen habe ich festgestellt, dass, was die Visapraxis
der konsularischen Vertretungen Deutschlands betrifft, vorwiegend
Kontinuität herrscht. Unter Kohl, Kinkel und Kanther war es
teilweise noch schwieriger.

gigiz1211: Welche Chancen und Möglichkeiten
schreiben Sie einer großen Koalition zu?

Olaf Scholz: Ich bin dafür, dass Gerd Schröder
Kanzler bleibt.

Thomas_Reinhardt: Herr Scholz, nach Jahren der
Senkung der Unternehmensbesteuerung scheint deutlich, dass dies
keine Arbeit schafft. Warum das Gießkannenprinzip? Wäre
es nicht sinnvoller, Unternehmen für einen eingestellten Arbeitslosen
bestimmte Steueranreize zu bieten? Zum Beispiel doppeltes Gehalt
auf der Kostenseite für die Dauer der vorhergegangenen Arbeitslosigkeit?
Olaf Scholz: Die Neuordnung der Unternehmens-Besteuerung war notwendig.
Das frühere Steuersystem war absurd. Wenn ein Unternehmen seine
Gewinne im Unternehmen ließ, musste es 45% Körperschaftssteuer
zahlen plus Gewerbesteuer. Wenn es sie ausschüttete, waren
es zuletzt 33% plus Gewerbesteuer. Manche haben dann ein bisschen
durch Steuer-Sparmodelle gedreht, den ausgeschütteten Gewinn
wieder eingelegt. Jetzt haben wir einen einheitlichen definitiven
Steuersatz im Unternehmen/Körperschaft von 25% plus Gewerbesteuer.
Ihr Modell bei der Einstellung von Arbeitssuchenden ist sehr weitgehend.
Sinnvoller erscheint mir eine zielgerichtete Förderung. So
gibt es z.B. Lohnkostenzuschüsse für ältere Arbeitssuchende
und auch bei vielen Langzeitarbeitslosen.
rotzoll: Über die letzten Jahre hatte man gerade bei den komplexen
Reformen den Eindruck, dass die Regierung sich dem Bürger zu
wenig kommuniziert hat. Wie wollen sie das in Zukunft handhaben?
Ziehen sie dabei auch verstärkt neue Medien wie z.B. das Podcasting
in Betracht?

Olaf Scholz: Ich bin sehr dafür, dass alle
Wege der Kommunikation genutzt werden. Auch manche, die so neu sind,
dass die meisten Politiker gar nicht wissen, wovon die Rede ist.

JimmyHosseini: Wie denken Sie darüber –
fehlt es in Deutschland an kompetenten Wählern. Es wird ja
ständig von kompetenten Politikern gesprochen, was ist mit
den Wählern? Mit kompetent meine ich auch verantwortungsbewusst
– und dies unabhängig von der politischen Gesinnung.

Olaf Scholz: Ich halte die Wählerinnen und
Wähler für kompetent. Demokratische Demut ist für
alle Politiker angebracht.

Achim30: Welche Rolle werden die SPD-Linken (Nahles
und Co.) künftig spielen?

Olaf Scholz: Sie gehören zur ganzen großen
weiten sozialdemokratischen Partei dazu.

Moderator: Sind Sie links, oder Netzwerker? Wo
verorten Sie sich in der SPD?

Olaf Scholz: Mit Mitte 40 bin ich Sozialdemokrat.

moskauperle: Wie sehen Sie eigentlich im Nachhinein
den Versuch der SPD-Führung, den Grund für die Neuwahl
den Grünen in die Schuhe zu schieben? Ehrlich gesagt, das fand
ich wirklich daneben!

Olaf Scholz: Bei der Neuwahl-Entscheidung geht
es darum, die Legitimation für die Regierung von Schröder
und Fischer neu herzustellen. Und zwar nicht dadurch, dass man krampfhaft
an der "Macht" festhält, sondern, dass man sich dem
Votum der Wählerinnen und Wähler aussetzt.

Moderator: Unsere Zeit ist bereits um. Vielen
Dank an alle User für das große Interesse. Etliche Fragen
sind leider unbeantwortet geblieben. Vielen Dank, Herr Scholz, dass
Sie sich Zeit für den Chat genommen haben. Das Transkript dieses
Chats finden Sie auf den Seiten der Veranstalter. Den nächsten
Chat gibt es morgen, ab dreizehn Uhr, mit dem Grünen Bundestagsabgeordneten
Werner Schulz. Das tacheles.02-Team wünscht allen noch einen
angenehmen Tag!

Olaf Scholz: Schönen Dank.