Die alte D-Mark ist vor langer Zeit gestorben. Der Euro aber, mittlerweile zwei Jahre alt, ist für viele immer noch ein ungewollter Nachwuchs.

Lebensgeschichten zweier Währungen.

Das Schicksal der D-Mark ist schon lange entschieden: Seit dem 1. Januar 1999 existiert sie nicht mehr als Währung. Sie glauben mir nicht? Sie haben eben noch Brötchen oder Zigaretten gekauft und mit der guten “harten” Mark bezahlt? Freilich, auch seit besagtem Datum sind die nationalen Münzen und Noten noch im Umlauf geblieben. Rechtlich gesehen ist die D-Mark aber seit rund zwei Jahren nur noch eine bestimmte Untereinheit des Euro (1 Euro = 1,95583 DM).

Die zum Jahreswechsel bevorstehende Einführung des Euro mit Münzen und Noten macht den Verlust der D-Mark nun greifbar. Wie kein anderes Symbol steht sie für die erfolgreiche deutsche Nachkriegsgeschichte. Dabei hatte sie diverse, nicht unbedingt erfolgreiche Vorgänger

Zwei Jahre nach der Reichsgründung 1871 wurde die Mark als gemeinsame Währung des Deutschen Reiches eingeführt. Sie war ein Kompromiss zwischen dem Taler (Norddeutschland) und dem Gulden (Süddeutschland) und markierte das Ende der “Vielstaaterei” in Deutschland.

In den nächsten 80 Jahren sollte es auch noch die Goldmark, die Rentenmark, die Roggenmark und die Reichsmark geben. Die Hoffnung auf Stabilität erfüllten sie jedoch alle nicht. Deutschland hatte in der Geschichte eine durchgängig zu beobachtende Neigung gezeigt, mit inflationären Tendenzen nachlässig umzugehen.

Im Herbst 1947 fiel die definitive Entscheidung, die wertlos gewordene Reichsmark in den Westzonen durch die D-Mark zu ersetzen. Dann begann der Kalte Krieg in Europa. Der Möglichkeit, in Deutschland zwei gegensätzliche Wirtschaftsordnungen mit einer gemeinsamen Währung zu akzeptieren, war eine klare Absage erteilt worden. Die D-Mark war ein Kind des Kalten Krieges, geboren als Verkörperung der Marktwirtschaft und Verneinung der Planwirtschaft.

Am Nachmittag des 18. Juni 1948 wurde der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard (damals noch Direktor der Wirtschaftsverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes) vom amerikanischen General Lucius Clay darüber in Kenntnis gesetzt, dass eine Währungsumstellung bevorstände. Am 20. Juni 1948 erblickte die D-Mark dann das Licht der Welt. Sie begann als eine im wesentlichen von außen (den Amerikanern) auferlegte Vorgabe und stieß auf wenig Interesse oder gar Begeisterung in der Bevölkerung.

Dass die D-Mark einmal mit soviel Stolz und Wehmut verabschiedet werden würde, war bei ihrer Einführung nicht abzusehen. Zwar nahm das Warenangebot im Nachkriegsdeutschland stetig zu, aber die neuen Produkte waren unerschwinglich. Es wurde öffentlich gegen steigende Preise protestiert. Ein im heutigen Karneval gern gespielter Schlager hatte seine Geburtsstunde nicht von ungefähr im Jahre 1949: “Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Pinkepinke, wer hat soviel Geld?”

Neben solch praktischen Problemen erregte auch das amerikanisch geprägte Design des neuen Geldes Aufsehen: Auf dem 5-Mark-Schein fand sich eine Darstellung der Freiheit in weiblicher Gestalt – mit deutlich zu erkennender Brustwarze!

Der schon angesprochene Ruf der Deutschen, das Mittel der Inflation freizügig einzusetzen, veränderte sich durch die Währungsreform von 1948. Fortan war Deutschland das Musterbeispiel verantwortungsvoller Währungspolitik und pflegte eine beispielhafte – und langweilige – “Stabilitätskultur”. Die Stabilität der D-Mark stand symbolhaft für die Selbstbeschränkung, die auch andere Bereiche der deutschen Politik und Gesellschaft auszeichnete.

Bei der “Wende” 1989/90 kam der D-Mark, als wesentlicher Bestandteil der deutschen nationalen Identität, noch einmal große Symbolkraft zu. Die Menschen in der DDR zeigten ein deutliches Interesse an der “harten” Westmark. Die Wirtschafts- und Währungsunion vom 1. Juli 1990 war ein zentraler Schritt auf dem Weg zur Einheit und machte die D-Mark zum alleinigen Zahlungsmittel in Gesamtdeutschland.

Gerade ältere Menschen, die noch lebhafte Erinnerungen an die Einführung der D-Mark haben, blicken dem Euro nun skeptisch entgegen. Die Angst vor schleichenden Preiserhöhungen (“Teuro”) und Inflation speisen sich auch wesentlich aus den Erfahrungen mit den zwei Weltkriegen. Dabei gibt es einen gravierenden Unterschied: 1948 handelte es sich um eine Währungsreform, bei der ein unmittelbarer und rapider Wertverlust des Geldes (der Reichsmark) den Staat (bzw. die Alliierten) zum Handeln zwang. Bei der Einführung des Euro handelt es sich um eine Währungsunion, um einen freiwilligen Zusammenschluss mehrerer Staaten mit einer stabilen Währungspolitik und einer funktionierenden Wirtschaft.

Die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ist schon seit Ende der 60er Jahre ein Vorhaben der Europäischen Union. Seit 1985 wird sie als notwendiger Schritt zur Vollendung des Binnenmarkts gesehen. Sie soll unter anderem zu einer besseren Koordinierung und Konvergenz der einzelstaatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitiken beitragen. So ist beispielsweise die bislang nationalstaatlich gesteuerte Geldpolitik auf die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen worden.

Bereits im Dezember 1991 wurde das Schicksal der D-Mark mit dem Vertrag von Maastricht besiegelt. Hierin legte der Europäische Rat fest, dass Europa noch vor dem Jahr 2000 eine einheitliche Währung haben sollte. Die Einigung über die WWU bedeutete die Ablösung der nationalen Währungen durch den “Euro”. Der Name war nicht unumstritten: Im Gespräch war beispielsweise auch “ECU” (European Currency Unit); eine im Europäischen Währungssystem schon seit 1979 gebräuchliche Bezeichnung.

Das graphische Symbol des Euro (€) lehnt sich an den griechischen Buchstaben Epsylon an und soll auf die Wiege der europäischen Kultur verweisen. Die parallel verlaufenden Linien stehen für die Stabilität des Euro, die er im Binnenmarkt bisher auch gezeigt hat. Die Währungsunion ist ein Beitrag zu einem stärkeren Zusammenwachsen Europas. Mit dem Euro haben die Menschen in zunächst 12 Staaten zum ersten Mal etwas Staatsübergreifendes in Händen, das zur Entwicklung einer europäischen Identität beitragen kann.

Geld ist kalt, prosaisch und existiert mit Vorliebe in den virtuellen Räumen diverser Banken. Menschen sind hingegen sinnliche Wesen. Mit Einführung der Euro-Münzen und Noten bekommt die seit zwei Jahren bestehende Währung endlich ein Gesicht. Der Andrang auf die Starter-Kits, zu deutsch: Startausrüstung, kann als Indiz für die Neugier der Menschen gelten, das neue Geld endlich greifen und erfahren zu können. Die farbenfrohen Scheine, ab 2002 zu erhalten, werden zu diesem sinnlichen Erlebnis beitragen. Europa hat nun ein Symbol, das jeden Tag durch die Hände seiner Bevölkerung gehen wird.

Die alte D(ame)-Mark ist schon vor langer Zeit gestorben, ihr Nachwuchs beinahe zwei Jahre alt. Es ist an der Zeit, die Trauer zu überwinden und den Euro lieb zu gewinnen.

Erschienen am 27.12.2001