(Artikel) Webkunstwerke hängen nicht im Museum. Ihre Bühne ist das Internet und meist ist der Betrachter Teil der Inszenierung. Eine kurze Besuchertour durch zehn Jahre Netzkunst – von den Anfängen bis heute.

Die Pioniere

Einzigartig verstörende Netzkunst produziert das holländisch-belgische Duo ”
Jodi” seit Mitte der 90er Jahre. Hinter dem Projekt stehen die Netzkunst-Pioniere Dirk Paesmans und Joan Heemskerk, die zunächst nur online arbeiteten. Dabei ging es dem Duo von Anfang an darum, die “neuen Informationsfreiheiten” des Netzes bewusst zu stören, indem Netzinhalte völlig neu kodiert und damit gezielt konterkariert wurden. In den Informationsfluten wird die gesuchte Information so zur Mangelware und bei “Jodi” zur Collage aus unzähligen Webseiten-Schnipseln – zusammenhangslos und scheinbar bedeutungslos. “Jodi”-Projekte sehen dementsprechend aus: Chaotisch, absurd, ohne Navigation, ohne Suchfunktion, absichtlich nicht intuitiv erfassbar. “Jodi” bringt unsere technologische Abhängigkeit ironisch und selbstgefällig zum Ausdruck.

Nur Eingeweihte können immer wieder etwas entdecken: Das “Jodi”-Projekt
http://wwwwwwwww.jodi.org erscheint als blinkendes Ziffern-Chaos, und der reine HTML-Quelltext ist die eigentliche Aussage. Lässt man den Browser die Programmiersprache anzeigen, eröffnen sich ganz neue Perspektiven.

Das Spiel mit der Angst brachten Paesmans und Heemskerk 1999 mit ”
OSS” zum Höhepunkt. Klickt man auf die Seite, rasen plötzlich fünf kleine Browserfenster über den Bildschirm. “Oh nein, Virus”, denkt man – doch keine Angst, es ist nur Netzkunst. Und
so sah “Jodi” übrigens das Internet.

Die Medientaktiker

Die Überrumplungstaktik nutzte 2004 das Künstlerkollekitv ”
0100101110101101.org” um Eva und Franco Mattes. Für ihr Projekt “Nikeground” in Wien entwarfen sie in Zusammenarbeit mit Public Netbase eine variantenreiche mediale Werbestrategie – von einer gefälschten “Nike”-Webseite bis hin zu Werbeflyer-Verteilungsaktionen. So gaukelten sie der Wiener Öffentlichkeit vor, dass der amerikanische Sportwarenhersteller den altehrwürdigen Wiener Karlsplatz in den stylischen und werbefinanzierten “Nikeground” verwandeln wolle. Die Wiener liefen Sturm, das Amt für Denkmalschutz war verwirrt, auch das Straßenbauamt wusste nichts.

“Nike” verklagte das Künstlerkollektiv sofort nach Aufdeckung des medialen Verwirrspiels wegen Urheberrechtsverletzungen – und unterlag vor Gericht. ”
Nikeground” spielte also nicht nur ungestraft mit dem Namen und dem Logo eines multinationalen Konzerns, sondern setzte auch durch, dass Markennamen von Kunst- und Kulturprojekten aufgegriffen und weiterverarbeitet werden dürfen.

Die Verspielten

Auf Interaktivität und “Web 2.0″ als Schnittstelle zwischen Unterhaltung und praktischem Nutzen setzt ”
t.y.p.o.r.g.a.n.i.s.m“. Für die Macher bedeutet Kunst, den Nutzer durch individuelles Mitmachen selbst Kunst erschaffen zu lassen. Oder – undramatischer ausgedrückt – sich spielerisch selber auszuprobieren. In acht hübsche Flash-Animationen verpackt, zeigt ”
t.y.p.o.r.g.a.n.i.s.m“, was mit der Kombination von Computer-Programm und Typographie so alles möglich ist: eigene, kleine Musikstücke erzeugen, Fotographien automatisch in Zahlen und Buchstaben umwandeln, sich gute und schlechte Nachrichten aus dem CNN-Angebot nebeneinander anzeigen lassen – ”
t.y.p.o.r.g.a.n.i.s.m” macht einfach Spaß.

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