Foto: #LoxaEsMás
Eine Kleinstadt im Süden Ecuadors macht es vor: Die neuen Kommunikationsmedien kanalisieren die Unmut der Bürger. In ihrer ersten Aktion sammelte die Bürgerinitiative #LoxaEsMás auf Twitter die Veränderungswünsche der Einwohner – und tapezierte die Stadt Loja mit den beliebtesten Forderungen. Müssen Online-Aktivisten wieder offline gehen, um für die Gesellschaft sichtbar zu werden?

Die Idee des “Straßengezwitschers” entstand beim Essen. “Twit Callejero” nennt es Carlos Correa Loyola, Blogger und Gründer der Initiative #LoxaEsMás (Loja ist mehr), der sämtliche Mitstreiter für die erste Teamsitzung zum Grillen zu sich einlud. In einem resignierten Blog-Post hatte Correa bereits Monate zuvor das “marode öffentliche Transportwesen” sowie weitere von der Gemeinde vernachlässigte Dienstleistungen beklagt. Ungehört war sein Warnruf damals noch in den Weiten des Web 2.0 verhallt – nun endlich kommt das Echo zurück.

Correa wollte ein Forum schaffen, in dem Probleme wie die Wasserknappheit oder die Müllbeseitigung nachhaltig angepackt werden, in dem die Bürger in verschiedenen kleinen Ausschüssen nach Lösungen suchen und miteinander diskutierten. Lösungen für Missstände, um die sich Lojas Verwaltung in den Augen vieler Bürger nicht kümmerte. Für sie war klar: Die Gemeinde könnte viel besser dran sein, Loja könnte “mehr sein”. Daher der Name der Bewegung: LoxaEsMás. Correa grübelte über die Umsetzung der Bürgerbeteiligung nach, bis er beim Durchforsten der sozialen Netze das richtige “Werkzeug” dafür fand – den Tweet für die reale Welt. Die Idee dahinter: Die Bewohner drücken ihren Missmut wie beim Original-Tweet in maximal 140 Zeichen aus und bringen ihn an den Plakatwänden in der Stadt an. Der “Straßen-Tweet” ist also die Umwandlung einer Kommunikationsform von der virtuellen in die analoge Welt. Was bedeutet dieser Schritt für künftige Initiativen? Werden aus den Online- jetzt Offline-Aktivisten?

Träume dir deine Stadt in 140 Zeichen

Vielleicht müssen künftig virtuelle und analoge Aktionsformen noch mehr miteinander verschmelzen, wie es die Homepage der Initiative propagiert: “hackeando la democracia” ist das erklärte Ziel – Demokratie hacken. Wie die ecuadorianische Initiative zeigt, geht es um die Frage der Sichtbarkeit. In den neuen Medien wurde die Kampagne #loxaesmas binnen weniger Wochen bekannt. Am 8. Juni verbuchte Trendsmap Ecuador sie als landesweiten Trend. Auf Twitter folgen bereits über 750 User der Kampagne. Das Bloggerportal “Global Voices” verhalf der Initiative zu Gehör außerhalb des spanischsprachigen Raumes. Selbst der arabische Sender Al Jazeera und das deutsche Portal Democracy International verwiesen in einem Tweet auf die Bemühungen der Bürgerinitiative um mehr demokratische Beteiligung.

Im eigenen Land hingegen blieb der Wirkungskreis rund um den IT-Manager Correa zunächst beschränkt. In dem armen südamerikanischen Andenstaat ist einem Großteil der Bevölkerung der Zugang zum Internet verwehrt. Der Beschluss, den das Kollektiv Ende März beim Grillen fasste, trug dieser Situation Rechnung. #LojaEsMás wollte sichtbar werden für die Bewohner der Stadt. In einem 30 sekündigem Radiospot wurden die Lojaner zum Mitmachen aufgefordert. “Wie träumst du dir Loja in 140 Zeichen?”  fragt eine sonore Männerstimme. Und verspricht: “Die meist gewählten Antworten werden in der Stadt veröffentlicht. Alles was du brauchst, ist ein Twitter-Account”.

Vom Aktionismus 2.0 zu 1.0?

Vom 8. bis zum 29. Juni konnten die Bewohner ihre Kritik und Ideen für die Verbesserung der Lebensbedingungen in ihrer Stadt tweeten. Viele der 332 eingereichten Wünsche lesen sich mehr als nostalgischer Appell zur Wiederentdeckung früherer Größe als dass sie konkrete Verbesserungsvorschläge bereithielten. Die Mehrheit der Bürger wünscht sich die Stadt, wie sie einmal war – wie sie wieder sein könnte. Doch einige Teilnehmer wie der User @pabloaduquec rütteln wach mit der Aufforderung, endlich die Angst davor zu verlieren, von den Repräsentanten die Arbeit einzufordern, die sie zu machen hätten. Die Stadt sei “mehr als die 3 TV-Kanäle und 3 Zeitungen, sondern 2.000 Twitterer, deren Stimme im Web und in den Straßen widerhallt”.

Seit vergangener Woche hängen die auf Papier gedruckten Tweets an den Plakatwänden der Stadt. Sie spiegeln Wünsche nach Veränderung, Entwicklung, Verantwortung der Autoritäten und der Bürger wider. Auf Facbook und Flickr verbreitet die Gruppe Fotos der Plakate. Jetzt überlegen die Aktivisten, ob sie dem Bürgermeister die vollständige Liste an Forderungen oder lediglich eine Auswahl der 50 meistgewählten Tweets vorlegen, über die die User gerade noch abstimmen. Da sich die Kritik vorwiegend am Verhalten der lokalen Politiker festmacht, ist die Kooperationsbereitschaft der Gemeinderäte unwahrscheinlich. Nimmt der Bürgermeister die Initiative jedoch ernst, könnte aus der aktiven Meinungsäußerung gar eine konstruktive Bürgerbeteiligung reifen.

Der Tweet kündigt an, die Aktionen der Stadtverwaltung unter die Lupe nehmen.

Soweit scheint Loja aber noch nicht zu sein. Lediglich der Regionalsender Ecotel-TV hat über die Plakat-Aktion berichtet. Ein Unterstützer der Loxianer hat einen zweiminütigen Mitschnitt des Beitrags auf YouTube hochgeladen. In den Lokalzeitungen der Stadt Crónica und Diario Centinela sucht man hingegen vergeblich nach einer Berichterstattung über die Bürgerinitiative. In einem Meinungsartikel drei Tage nach Anbringung der Tweets zeigt sich zwar ein Crónica-Kolumnist “äußert befriedigt, dass der wahrhafte Souverän nun an den öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen beginnt”. Allerdings ohne die Bewegung mit einem Wort zu erwähnen. Dabei greift der Meinungsartikel eben jene Kritik an der Stadtverwaltung auf, die auch Correa zur Aktion getrieben hatte. Auch die landesweiten Tageszeitungen La Hora, El Comercio oder Hoy berichteten bislang nicht über die Initiative.

Es scheint #LojaEsMás wie anderen Protestbewegungen zu gehen, die nach einer schnell verbreitenden multimedialen Aufmerksamkeit mühsam Sichtbarkeit “auf der Straße” erarbeiten mussten. Die Galionsfigur der chilenischen Studentenproteste etwa, Camila Vallejo, tritt auch mit einer halben Million Followern auf Twitter regelmäßig als Rednerin der “Studentische Linke” offline in Erscheinung. Im April reiste sie nach Kuba – ihre Delegation wurde von der “Union Junger Kommunisten” (UJC) eingeladen. Ähnlich setzt die während der mexikanischen Präsidentschaftswahl gegründete Studentenbewegung #yosoy132 auf Offline-Aktionen. Einen Tag nach den Präsidentschaftswahlen am 1. Juli organisierte die Bewegung einen Protestmarsch gegen Gewaltausbrüche sowie “Anomalien bei der Wahl”. Erneut haben viele mexikanische Medien darüber berichtet. Mit dem “Twit Callejero” sind nun die Ecuadorianer erstmalig sichtbar für die gesamte Gesellschaft in Erscheinung getreten. Auf Dauer werden die Medien sie nicht ignorieren können. Das ist auch Correa klar. Als @calu muss er auf Twitter zugeben: “Es wäre viel verlangt, wenn die Medien 1.0 #LoyaEsMás so viel Zeit und Platz widmeten wie dem Fußball”.