Das Internet ist kein konfliktfreier Raum. Streit entsteht hier, wird angeheizt und ausgetragen wie überall, wo Menschen miteinander zu tun haben. Gleichwohl bietet die Online-Welt bislang nur wenig, um mit Konflikten konstruktiv umzugehen. Mit Online-Mediation soll sich das ändern.

Ein Bieter ärgert sich über den Lieferzustand einer online ersteigerten Vase, in einem virtuell kommunizierenden Arbeitsteam existieren unterschiedliche Vorstellungen über die Arbeitsaufteilung, oder in einer mailingliste eskalieren die gegenseitigen Beschimpfungen, weil jemand etwas themenfremdes geschrieben hat – das Internet ist voller Konflikte.

Mediation ist ein bewährtes Mittel…

… um Konflikte konstruktiv zu bearbeiten und gegebenenfalls zu lösen. In einem freiwilligen Prozess wird ein von allen Konfliktparteien akzeptierte Vermittler, der Mediator, hinzugezogen. Dieser hilft dabei, einen fairen Umgang zu finden, den Konflikt zu definieren, Lösungsoptionen zu generieren und Vereinbarungen auszuhandeln. Während Richterinnen oder Schlichterinnen kraft ihres Amtes eine Lösung herbeiführen, greifen Mediatorinnen mit Gesprächsführungsmethoden in den Konflikt ein und überlassen es letztlich den Konfliktparteien, eine eigene Lösung zu erarbeiten. Inzwischen haben viele Mediatorinnen das Internet entdeckt, um dort mit einer eigenen Webseite auf sich aufmerksam zu machen (
Übersicht). Aber mehr noch: Das Webangebot entwickelt sich zunehmend von „Schaufenstern“ zu „virtuellen Räumen“. Hier gestalten Online-Mediatorinnen die Gesprächssituation unter Zuhilfenahme der neuen Medien: E-mail, gemeinsame Dateiablagen, Diskussionsforen, Chat, Online-Umfragen, Audio- und Videokonferenzen sowie Software, die bei der Bewertung von Entscheidungsoptionen hilft, werden in das Webangebot integriert (
Beispiele). Dabei ist es nicht erstrebenswert, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht vollständig zu ersetzen. Vielmehr wird von Situation zu Situation überlegt, welcher Kommunikationskanal der angemessenste ist.

Online-Mediation für Online-Konflikte

Für Konflikte, die im Internet entstehen, ist häufig kein anderes Konfliktlösungsmodell verfügbar als das der Online-Mediation. Charakteristisch für solche Konflikte ist, dass die Konfliktparteien weit voneinander entfernt leben, manchmal sogar jenseits nationalstaatlicher Grenzen, und sich nicht persönlich kennen. Gerichtsverhandlungen scheiden hier in den meisten Fällen aus, weil die Zuständigkeiten nicht geklärt sind oder der Streitwert zu gering ist. Klassische Face-to-face-Mediationsverfahren sind angesichts der meist hohen Fahrtkosten ebenfalls keine pragmatische Alternative. Auch wenn der Streitwert für die einzelnen involvierten Personen gering sein mag, für virtuelle Gemeinschaften und E-Business-Unternehmen kann der konstruktive Umgang mit Konflikten überlebenswichtig sein. Es verwundert deswegen nicht, dass die Praxis der Online-Mediation ihren Anfang bei Konflikten nahm, die im Internet selbst entstehen; vermutlich waren die Moderatoren von Mailinglisten, Newsgroups und anderen virtuellen Gemeinschaften Anfang der 90er Jahre die ersten Online-Mediatoren.

Einer der Wegbereiter ist das mittlerweile legendäre „E-Bay-Projekt“ aus dem Jahr 1999. In dem Projekt wurde auf einer Webseite für Auktionen getestet, ob sich Bedarf an Konfliktvermittlung ergeben würde und ob Mediation in diesem Zusammenhang ein geeignetes Instrument sei. Innerhalb von nur zwei Wochen wurden 225 Beschwerden registriert. In 108 Fällen versuchte ein Mediator, mittels E-Mail-Kommunikation eine Einigung herbeizuführen, was in 50 Fällen gelang. In der Folge wurde dieser Mediationsservice
institutionalisiert. Nach eigenen Angaben konnte bei einem jährlichen „Durchsatz“ von 30.000 Fällen die Einigungsquote auf 80% gesteigert werden. Zweifellos hat sich die Praxis der Online-Mediation im E-Commerce bis dato am stärksten entfaltet.

Online-Mediation in den klassischen Mediationsfeldern

In den klassischen Praxisfeldern steckt Online-Mediation noch in den Kinderschuhen. Hierzu gehören die Familien- und Scheidungsmediation, die Wirtschaftsmediation, die Mediation in öffentlichen Konfliktlagen (auch Umweltmediation) und der Täter-Opfer-Ausgleich. Trotzdem könnte sich auch hier zukünftig Bedarf ergeben, und zwar vor allem bei Fällen in denen (halb-) anonyme Kommunikation vorteilhaft sein kann (z.B. in der Familienmediation), bei Fällen in denen sich die Konfliktparteien nicht begegnen wollen (z.B. im Täter-Opfer-Ausgleich oder in der Scheidungsmediation), oder bei Fällen in denen das Internet für die Beteiligten ein gewohntes und bequemes Kommunikationsmedium ist (z.B. in der Wirtschaftsmediation). In den klassischen Feldern ist die Verzahnung von face-to-face-Treffen und Online-Phasen eine neue Herausforderung für Mediatorinnen.

Auch die Mediation in öffentlichen Konfliktlagen, also bei umstrittenen politischen Entscheidungen, kann von den neuen Medien profitieren (vgl. die
Webpräsenz des Mediationsverfahrens zum Ausbau des Wiener Flughafens). Gerade wenn die Zahl der Konfliktparteien groß und unübersichtlich ist, bietet sich das Internet als Kommunikationsmedium an. Elektronische Diskussionsforen sparen Fahrtkosten, ermöglichen die gleichzeitige Teilnahme Vieler, unterstützen die differenzierte Auseinandersetzung und können bequem von einem selbst gewählten Ort aus zu einem selbst gewähltem Zeitpunkt betreten werden. Das Internet kann auch dabei helfen, das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Bedürfnis nach Vertraulichkeit bei den Konfliktparteien (Vertreter verschiedener Organisationen) und dem Anspruch auf Transparenz seitens der Öffentlichkeit fein auszutarieren: Mit Hilfe von frei zugänglichen und passwortgeschützten Bereichen kann gesteuert werden, wer auf was zugreifen und wer sich wo an der Diskussion beteiligen kann.

Online-Konsultation zur Vorbereitung politischer Entscheidungen

Mediationsverfahren sind in öffentlichen Konfliktlagen eher selten anzutreffen. Meistens gibt es klare und funktionierende Entscheidungswege. Die durch Wahlen legitimierten Politikerinnen und vom Gesetz beauftragten Behörden sind in der Regel nicht darauf angewiesen, einen Konsens zwischen verschiedenen Konfliktparteien zu verhandeln. Auch wenn Sie Entscheidungen eigenständig fällen, mag ihnen jedoch daran gelegen sein, verschiedene Interessengruppen zu konsultieren, um den Spielraum für Entscheidungen mit größtmöglicher Akzeptanz auszuloten. Solche konsultativen Dialogprozesse sind zwar keine Mediationsverfahren. Allerdings gibt es hier ein Verwandtschaftsverhältnis: Man ist gut beraten, Moderatorinnen mit Kenntnissen in der Mediation zu engagieren, weil es in öffentlichen Konsultationen auch darum geht, die Analyse von Konfliktursachen und die Suche nach integrativen Lösungen zu unterstützen, ohne dabei einen neutralen Standpunkt aufzugeben.

Das 1996 (!) durchgeführte RuleNet-Projekt der US-amerikanischen Atomaufsichtsbehörde ist ein Pionier in der Online-Konsultation. In Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Mediator wurde eine Webseite mit elektronischen Diskussionsforen eingerichtet, um Experten und Betroffene an der Neuformulierung der Feuerschutzrichtlinien in Atomkraftwerken konsultativ (d.h. „Rat gebend“) zu beteiligen. Der Mediator fasste den Stand der Diskussion regelmäßig zusammen und legte ihn den Beteiligten zur Abstimmung vor. Mit diesem „consensus evaluation tool“ versuchte er Konsensfelder zu identifizieren. Für die verbleibenden Streitpunkte wurden zum Schluss Lösungsoptionen gesammelt.

In Deutschland fand die erste Online-Konsultation erst fünf Jahre später statt: In Esslingen wurde im Jahre 2001 ein moderiertes Internetforum eingerichtet, auf dem Bürger über einen Zeitraum von 4 Wochen zu einem umstrittenen Bebauungsvorhaben Stellung nahmen und mit Vertretern der Stadtverwaltung ins Gespräch kamen (
Bericht als pdf). Aktuellere Beispiele für Online-Konsultationen sind die Interaktive Bürgerbeteiligung zur Neugestaltung des
Alexanderplatzes in Berlin oder das Internetforum
„Wachsende Stadt“ in Hamburg.

Mediatoren sind bislang konservativ, werden aber gebraucht

Auch wenn es viel versprechende Ansätze gibt (vgl. das neue
Buch„Online-Mediation“ im Sigma-Verlag), Mediatoren sind heute überwiegend noch skeptisch was den Gebrauch der neuen Medien anbetrifft. Statt nach neuen Anwendungsfeldern zu suchen oder neue niedrig-schwellige Formen der Fall-Akquise (z.B. per Web-Formular) auszuprobieren, herrscht vielerorts die Vorstellung vor, die Internetkommunikation sei eine sehr reduzierte Kommunikationsform und deswegen für die Bearbeitung von Konflikten ungeeignet. Es kann jedoch nicht darum gehen, die herkömmliche Mediationspraxis durch Online-Mediation zu ersetzen. Vielmehr kommt es darauf an, eine angemessene Antwort auf Online-Konflikte zu finden. Diese sind nämlich nur solchen Methoden zugänglich, die selbst auch internetbasiert sind. Darüber hinaus sollte geprüft werden, wie Mediation auch in den klassischen Praxisfeldern durch partielle Verwendung der neuen Medien effektiver werden kann. Die Kenntnisse von Mediatoren werden aber auch dort gebraucht, wo mit Hilfe von Internetforen Bürger an politischen Prozessen beteiligt werden – ein Kernbestandteil von E-Democracy. Denn die Erfahrungen mit Online-Konsultationen zeigen, dass konfliktsensible Moderatorinnen ein zentraler Erfolgfaktor sind.

Matthias Trénel ist Online-Moderator und Doktorand der Hans-Böckler-Stiftung am Wissenschaftszentrum Berlin

Oliver Märker ist Experte für E-Partizipation und Internetplattformen am Fraunhofer AIS Institut in Sankt Augustin, Bonn

Erschienen am 05.11.2003