Sebastian Nerz ist neuer Vorstandsvorsitzender der Piratenpartei Deutschland. Beim Bundesparteitag in Heidenheim setzte sich der Lokalmatador mit 61 Prozent gegen den Berliner Christopher Lauer (39 Prozent) durch. politik-digital.de war vor Ort.

Beim Bundesparteitag im baden-württembergischen Heidenheim am vergangenen Wochenende haben die Piraten eine neue Führungscrew gewählt. Der 27-jährige Bio-Informatik-Student Sebastian Nerz tritt die Nachfolge von Jens Seipenbusch als Parteichef an, Schatzmeister Bernd Schlömer gibt sein Amt an Rene Brosig ab und wechselt auf den Posten des stellvertretenden Vorsitzenden. Die politische Geschäftsführung übernimmt die Psychologie-Studentin Marina Weisband. Der Thüringer Wilm Schumacher wird neuer Generalsekretär, als Erster Beisitzer wurde Matthias Schrade, als Zweite Beisitzende Gefion Thürmer gewählt.

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Von den 12.000 Parteimitgliedern waren rund 600 Mitglieder nach Heidenheim gereist und bestätigten mit der Wahl Nerzs das Stimmungsbild, das eine Umfrage der Mitgliederzeitung "Flaschenpost" ergeben hatte. Nach Aussage einiger Teilnehmer verlief der Parteitag wesentlich strukturierter als die letztjährige Veranstaltung in Bingen, die aufgrund einer Flut von Anträgen den zeitlichen Rahmen gesprengt hatte. Entsprechend zufrieden äußerte sich Aleks A.-Lessmann, Politischer Geschäftsführer des Landesverbandes Bayern: "Im Gegensatz zu anderen Parteien werden unsere Kandidaten von der Basis ausgesucht, von der Basis befragt und von der Basis gewählt. Der neue Vorstand wurde entsprechend mit Bedacht gewählt. Die Piraten haben sich ein tatkräftiges Team ausgesucht und wohl ein Team, dem sie 12.000 und mehr Mitglieder anvertrauen. Und dem sie zutrauen, bei den nächsten Wahlen den Erfolgskurs weiter zu führen: So haben wir im Jahr 2011 Kommunalsitze in Hamburg und Hessen gewonnen, sind sechstgrößte Partei in Deutschland und stehen für die erfolgreichste Partei-Neugründung seit dem Ende des Kalten Krieges."

Während Inhalte im Tagungsprogramm kaum eine Rolle spielten, zeigten sich in Gesprächen am Rande des Parteitags viele Piraten von der Notwendigkeit der im vergangenen Herbst beschlossenen programmatischen Erweiterung auf unter anderem die Sozial- und Umweltpolitik überzeugt. Darüber hinaus betonten sie, dass sich ein erweitertes Programm logisch aus den Kernanliegen ergäbe, auch wenn die differenzierte Ausarbeitung noch anstehe. Übereinstimmung herrschte in dem Punkt, dass der Wahlkampf 2011 zu den noch anstehenden Landtagswahlen nicht nur online erfolgen könne. Neue Wähler seien nur im direkten Gespräch zu gewinnen, nachdem die Rekrutierung innerhalb der Kernzielgruppe bereits erschöpft sei. Auf die Notwendigkeit des persönlichen Dialoges auch auf innerparteilicher Ebene hatte schon der neue Vorsitzende Nerz in einer Rede hingewiesen und parteiinterne Streitigkeiten mit der teilweise fehlenden persönlichen Offline-Kommunikation der Beteiligten erklärt. Aufgabe des neuen Vorstands sei es daher, auch und gerade bei unterschiedlichen Auffassungen den direkten Dialog zu suchen. Gegenüber politik-digital.de blickte Nerz optimistisch in die Zukunft: "Trotz oder gerade dank der Auseinandersetzungen und Diskussionen haben die Piraten einen Vorstand gewählt, der über Differenzen hinweg gemeinsame Ziele wie den Kampf für Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit in Angriff nehmen wird. Der neue Vorstand wird gut zusammenarbeiten, gerade weil unterschiedliche Ansichten hier zusammenkommen."

Angesichts der bevorstehenden Wahlen in Bremen und Berlin wies Erich Sturm vom Landesverband Bremen in einem Redebeitrag darauf hin, dass man die netzpolitischen Themen besser verständlich machen und problematisieren müsse: Man müsse Begriffe wie Vorratsdatenspeicherung erklären und den Bürgern die Relevanz verdeutlichen. Einfache Slogans dienten weder der inhaltlichen Auseinandersetzung noch dem Wahlkampf und der öffentlichen Wahrnehmung der Piraten.

Auch wenn die Piraten die rein netzpolitische Ecke verlassen haben und sich nun auch mit den nicht-digitalen Politikfeldern auseinandersetzen, offenbaren sich nach wie vor große Unterschiede zum Auftreten der etablierten Parteien, personifiziert in Heidenheim durch Oberbürgermeister  Bernhard Ilg (CDU). Dieser spann in seinem Grußwort einen kühnen Bogen von der Schöpfungsgeschichte über das ostwürrtembergische Motto „Talente und Patente“ bis hin zu seiner Freude über den Besuch der „Piratinnen und Piraten“ und löste damit bei den Anwesenden einige Verwunderung, Heiterkeit aber auch Zustimmung aus.