Sie sind die Wunderwaffe der politischen Diskussion im Internet-Zeitalter. Gezielte Falschmeldungen, in tendenziös gestalteten Portalen veröffentlicht und über die sozialen Medien verbreitet. Viele Phänomene der letzten Jahre lassen sich durch Fake News erklären, oder wurden dadurch unterstützt: die Anti-Vaxxer-Bewegung, der Brexit, die Wahl des US-Präsidenten oder der Aufstieg der AfD.

Doch wieso haben Falschnachrichten eine so starke Wirkung? Das Internet als Recherchequelle macht es einfacher denn je, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Die aktuelle Entwicklung scheint den entgegenzulaufen. Die Kommunikations- und Medienwirkungsforschung hat sich zum Ziel gesetzt, dieses Rätsel zu lösen. Ergebnisse aus der Psychologie und der Beobachtung von Fake-News-Strategien rechtsradikaler Akteure werfen nun neues Licht auf die Wirkungsweise der Fake News.

Der Bullshit-Rezeptor

Es gibt ein Persönlichkeitsmerkmal, das in der Psychologie gerne mit der Empfänglichkeit für Fake News assoziiert wird: die sogenannte “pseudo-profound bullshit receptivity”. Dieser Wert gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Mensch einer zufällig generierten Wortfolge einen Sinn zuschreibt (Beispiele finden sich hier und hier). Es wird angenommen, dass das menschliche Vermögen zur Mustererkennung hier eine Rolle spielt. In der Tat zeigt sich auch jenseits der Sprache, dass Menschen mit hoher Bullshit-Affinität in zufällig generierten Bildern mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Muster entdecken. Die Anfälligkeit für Bullshit ist also nicht nur ein Zeichen mangelnder Medienkompetenz oder Intelligenz. Im Gegenteil: es ist die Kombination eines starken Talentes zur Mustererkennung, allerdings ohne die Fähigkeit, falsch positive Ergebnisse auszuschließen.

Ein Team von Wissenschaftler der University of Regina und des MIT haben nun untersucht, welcher Zusammenhang zwischen der Empfänglichkeit für Bullshit und für Fake News besteht. Die Ergebnisse legen nahe, dass vor allem Menschen mit hoher Bullshit-Affinität Fake News Glauben schenken und sie weiterverbreiten:

Wer zufällig generierten Wortfolgen mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Sinn zuschreibt,

  • glaubt auch häufiger Fake News.
  • ist weniger gut in der Lage, Fake News und korrekte Nachrichten zu unterscheiden.
  • ist eher bereit, News-Inhalte zu teilen (gleich ob Fake oder korrekt)
  • (und, so eine andere Studie: ist weniger wohltätig)

Die Psychologie der Fake News

Welche anderen Erkenntnisse zur Psychologie der Fake News gibt es noch?

  • Menschen, die ihren eigenen Wissensstand überschätzen, glauben häufiger Fake News.
  • Wer besser in der Lage ist, kritisch zu denken, glaubt seltener Fake News.
  • Wiederholtes Lesen einer Fake-News-Schlagzeile erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man sie für glaubhaft hält (das Gleiche gilt auch für korrekten Nachrichten, und sogar dann, wenn man sich nicht an das erste Lesen erinnert.)

Es gibt zudem Hinweise darauf, dass die Anfälligkeit für Fake News weniger von deren Übereinstimmung mit den eigenen politischen Ansichten zusammenhängt, als mit einem Mangel an kritischem Denken: wer besser bei Tests zum kritischen Denken abschneidet, glaubt mit geringerer Wahrscheinlichkeit auch solche Fake News, die seine Weltanschauung bestätigen.

Die Funktionsweise von Fake News

Es ist wenig überraschend, dass die Verbreiter von Fake News die oben genannten Mechanismen gezielt ausnutzen. Erfolgreiche Fake News Kampagnen sind auf die oben erwähnten psychologischen Effekte zugeschnitten. Medienforscher identifizieren dabei folgende Taktiken:

  • Psychologisch: Wiederholung. Das beständige Wiederholen der immer gleichen Botschaften, egal wie oft sie unwidersprochen widerlegt wurden.
  • Technisch: Algorithmische Effekte (Trending Topics) durch Koordination. Funktionen wie “Trending Topics” führen dazu, dass durch die kurzfristige Häufung von Nachrichten zu einem Thema dieses von den Algorithmen der sozialen Netzwerke aktiv weiter verbreitet wird. So sollen etwa Anhänger der AfD generalstabsmäßig Kampagnen planen, um ihre Themen in die Öffentlichkeit zu heben.
  • Bots: Ein Werkzeug sowohl zur Wiederholung als auch zur Koordination.
  • Emotionalisierung gegen Reflexion: Emotionen behindern das kritische Denken kurzfristig. Lange genug, dass ein User ein Fake-News-Posting teilt. Dies wird auch durch den Einsatz von Bildern unterstützt: Bilder sind ein höchst effektives Werkzeug der Emotionalisierung und leicht zu fälschen. Zudem sind die Algorithmen der sozialen Netzwerke so programmiert, dass sie Bilder bei der Verbreitung bevorzugen.

Der Umgang mit Fake News

Wie kann man dem Problem der Fake News begegnen? Sowohl staatliche als auch privatrechtliche Akteure und natürlich die Anwender selber haben verschiedene Optionen. Zensurgesetze sind in autoritären Staaten beliebt (und mit dem NetzDG haben sie auch in Deutschland einen kleinen Bruder bekommen). Die EU hat sich bisher zu einem weniger aggressiven Vorgehen entschlossen und setzt auf Koordination, Aufklärung und eine Selbstverpflichtung der Plattformbetreiber. Diese unternehmen mittlerweile zunehmend Schritte gegen Fake News – auch, weil sie befürchten selber unter das Presserecht gestellt zu werden, und damit für Falschinformationen haftbar gemacht zu werden. Dies wäre eine parallele Entwicklung wie die zum Urheberrecht, wo den Plattformbetreibern Strafen drohen, wenn sie zulassen, dass geschützte Inhalte unlizenziert auf ihren Plattformen stehen.

Eine der vielversprechendsten Maßnahmen ist der Einsatz von Fact Checkern. Die dpa hat jüngst von Facebook das Mandat erhalten, als zweiter Fact Checker in Deutschland Falschnachrichten als solche auszuweisen.

Schließlich haben die User der sozialen Netzwerke die Möglichkeit, durch Protest und Boykott Schritte der Plattformen zu erzwingen. Viele der Maßnahmen, mit denen die sozialen Netzwerke in jüngster Zeit gegen rechtsextreme und populistische Angebote vorgegangen sind, dürften wesentlich durch den Druck der User zustande gekommen sein.

Doch wie effektiv sind diese Maßnahmen, und wie stark beschneiden sie den öffentlichen Diskurs und Grundrechte wie die Meinungsfreiheit?

Fact Checking

Allgemein bestehen Zweifel daran, ob man dem Problem der Fake News durch Korrektur und Richtigstellung Herr werden kann. Manche Studien zeigen, dass fundierte Gegendarstellungen keinen Effekt haben, wenn es darum geht, eine irrige Annahme zu korrigieren. Vor allem im politischen Bereich droht, dass der Fact Checker oder das Netzwerk von Usern als parteiisch wahrgenommen werden und ihre Versuche deswegen wirkungslos bleiben. Ihr Effekt ist im besten Falle schwach.

Dennoch sind die Diskussion über Falschmeldungen, die Frage, wer von ihrer Verbreitung profitiert und ihre Richtigstellung wichtig. Nicht dadurch, dass sie eine falsche Ansicht korrigieren (was wie gesagt zweifelhaft ist), sondern weil sie ein gelebtes Vorbild für Medienkompetenz sind. Ein User, der so mit der Frage konfrontiert wird, wer welche News mit welcher Motivation fälscht oder verfälscht darstellt und wie man den Wahrheitsgehalt prüfen kann, wird dadurch für eben diese Fragen sensibilisiert. Er entwickelt unwissentlich und unwillentlich die Werkzeuge, die ihn selbst weniger anfällig machen für die nächsten Fake News.

Einen eingefleischten Verschwörungstheoretiker wird selbst diese Fähigkeit nicht mehr erreichen. Das Ziel ist aber ein anderes: zu verhindern, dass das Lager der Populisten und Faktenverweigerer nicht weiter anwächst. Wie jeder Hype wird auch dieses Phänomen sich dann früher oder später totlaufen.

Bühne und Sprachrohr

Fake News sind ein Werkzeug politischer (und wirtschaftlicher) Akteure. Die Meinungsfreiheit gebietet es, sie nur im Extremfall zu unterbinden (bei strafrechtlich relevanten Inhalten etwa, und teilweise auch im Falle von staatlicher Propaganda). Das bedeutet jedoch nicht, dass ihnen private Organisationen eine Bühne einräumen oder ihre Botschaft verbreiten müssen. Zwar haben die sozialen Netzwerke ein wirtschaftliches Interesse daran, das zu tun. Sie haben aber in der letzten Zeit dem öffentlichen Druck nachgegeben und Maßnahmen ergriffen, Fake News zu bekämpfen. Auch durch die algorithmische Deselektion von Fake News-Inhalten und -Akteuren. Deren Nachrichten sind nach wie vor auffindbar, werden aber quasi nur noch auf gezielte Suche hin angezeigt. Ein normaler User wird sie in seiner Timeline nicht mehr zu sehen bekommen.

Ähnlich wie beim Fact Checking lassen sich die eingefleischten Fans von Fake News-Quellen dadurch nicht abhalten. Es lässt sich aber verhindern, dass sie ungehindert Nachwuchs bekommen. Leider sind die Maßnahmen nur teilweise aktiv: Zwar haben Fake News Inhalte 80 Prozent ihrer Reichweite eingebüßt, dafür dauert es bis zu drei Tage, bis ein Fake News Post als solcher erkannt und unterdrückt wird. In Social Media-Begriffen eine Ewigkeit.

Fazit

Das System Fake News funktioniert, weil psychologische Mechanismen und technische Möglichkeiten in Kombination eine starke Wirkung auf das Weltbild haben können. Es muss einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft daran gelegen sein, weder die freie Ausübung der Kommunikation zu stark zu beschränken noch zu versuchen, das Denken unserer Mitmenschen mit Gewalt zu ändern.

Gleichzeitig ist es die Aufgabe der Gesellschaft, jedem einzelnen faktenbasierte Urteile zu ermöglichen. Dazu sind Bildung und Zugang zu relevanten Informationen zentral wichtig. Die Schulpflicht ist nicht zuletzt deswegen weitgehend unumstritten, selbst wenn sie die Wahlfreiheit von Eltern und Kindern begrenzt.

Parallel darf es auch beim Zugang zu relevanten und korrekten Informationen staatliche Vorgaben geben. Dort, wo die technologische Verbreitung von Fake News es faktisch unmöglich macht, sich mit allgemein akzeptierten und wissenschaftlich begründeten Fakten auseinander zu setzen (man denke an die Impfdebatte), ist ein Eingreifen nicht nur möglich, sondern auch nötig. Eine Zensur im Sinne des NetzDG ist dennoch der falsche Weg. Der algorithmische Entzug der Megaphons, mit dem Verschwörungstheoretiker und Populisten neue Anhänger rekrutieren, ist dagegen ein geeigneter.

Titelbild: alone-4008607_1920 via pixabay