Ja, es gab 2009 einen Onlinewahlkampf. Und nein, so mitreißend oder innovativ wie Barack Obamas Kampagne war er nicht. Kein parteipolitischer Youtube-Spot, kein Kandidatenprofil bei Facebook oder studiVZ und schon gar kein Twitter-Account hat die Schallgrenze von 100.000 Views, Unterstützern oder Followern geknackt. Und das bei einem riesigen Potenzial.

Einzige Ausnahme ist der Piratenpartei-Wahlwerbespot, deren Urheber den etablierten Parteien in Sachen Aktivismus, Begeisterung und Bewegung massiv den Wind aus den Segeln genommen haben. Das Potenzial für Onlinewahlkampf und Beteiligung scheint weitaus höher: 62 Millionen Wahlberechtigte, 46,3 Millionen Onliner, 14,6 Millionen Nutzer von Sozialen Netzwerken und 1,4 Millionen Parteimitglieder gibt es in Deutschland.

Durchbruch 2013 oder so

Der große Durchbruch für den Web-Wahlkampf wird von Experten jetzt für den nächsten Urnengang vorhergehofft, also auf 2013 verschoben. Aber das war 1998, 2002 und 2005 auch schon so.

Schuld, da sind sich die Beobachter ziemlich einig, waren die etablierten Parteien. Die hätten es nicht geschafft, interessante Mitmach-Aktionen anzubieten, Kontrollverlust zu akzeptieren und Dialog auf Augenhöhe zuzulassen. Stimmt, aber auch die Bürger und User haben, da wo sie es konnten, auf den interaktiven Angeboten der Parteien zu großen Teilen lediglich Frust abgelassen und sich über die "Internetausdrucker" lustig gemacht. Konstruktiver Dialog sieht anders aus – von beiden Seiten.

Wie groß ist das Nutzerinteresse?

Überhaupt, wie groß ist eigentlich die Menge der Deutschen, die aktiv im Netz kommunizieren (und das auch über Politik), die Inhalte erstellen und sich nicht in erster Linie informieren möchten? 130.000 Unterzeichner der ePetition gegen Netzsperren, 20.000 Demonstranten gegen Überwachung in Berlin, 67.000 Fans von Angela Merkel und einige Dutzend "Yeah"-Flashmobber bei Merkels Wahlkampfauftritten sind – in Netzpolitik-Dimensionen gemessen – mehr Beteiligung als jemals zuvor.

Aber noch einmal die Zahlen: 62 Millionen Wahlberechtigte, 46,3 Millionen Onliner, 14,6 Millionen Nutzer von Sozialen Netzwerken und 1,4 Millionen Parteimitglieder.

Kreativität und Kontrollverlust

Dennoch, einige der kreativsten und spannendsten Angebote kamen von außerhalb der Parteien. Verballhornungen von Wahlkampfplakaten, Umdeutungen von Werbespots oder ganze Kampagnen. Das zeigt, die Ideen sind da.



Doch die große Angst der Politstrategen vor dem Kontrollverlust  verhinderte, dass Kreativität und Mut auch in Namen der Parteien zur Umsetzung kamen. Der politische Gegner könnte ja einen Angriffspunkt geboten bekommen. Hier müssen die Planer der kommenden Online-Wahlkämpfe als erstes ansetzen: Kontrolliertes Web 2.0 ist ein Oxymoron.

Soziale Netzwerke im Zentrum

Dreh- und Angelpunkt des Web 2.0-Wahlkampfes waren 2009 die Sozialen Netzwerke, allen voran studiVZ und meinVZ. Auch die haben ihre Millionen Nutzer jedoch mit flächendeckender Verlinkung in ihre Wahlzentrale, auf die Kandidatenprofile und in die Politikgruppen gelenkt. Die Tausenderkontaktpreise dafür könnte keine Partei bezahlen.

Gefloppt sind hingegen die Unterstützernetzwerke der Parteien: Die Freiwilligen dort sollten dem Online-Wahlkampf den richtigen "Drive" geben und die Parteibotschaften in den "Longtail" bringen – und als Krönung On- und Offline verzahnen. Übrig geblieben ist von den Plänen wenig. Die Anregung aus dem CDU-Team-Deutschland, doch einmal ins lokale Altenheim zu gehen und mit den Senioren beim Kaffee über Politik zu sprechen, soll hier nur stellvertretend für andere Absurditäten stehen.

Massenmedien berichteten intensiv (über Obama)

Anders als die Mehrheit der Nutzer, haben sich die Massenmedien 2009 jedoch intensiv in den Online-Wahlkampf eingeschaltet. Dies führte zu einem Verstärkereffekt der Botschaften, die Kandidaten und Parteien ja eigentlich über das Internet bequem an den Medien vorbei senden wollten: Da die Massenmedien ausführlich über die Onlinebemühungen der Parteien berichteten, gelangten auch die Webwahlkampfbotschaften zu den weniger Onlineaffinen.

Über allen Texten, Kommentaren und Interviews lag jedoch die Vergleichsfolie Barack Obama. Da konnte der deutsche Wahlkampf nur verlieren – allein schon aus Geld- und Zeitgründen.  Von der unterschiedlichen politischen Kultur und dem (fehlenden) Charisma der zur Wahl stehenden Kandidaten ganz zu schweigen.

Privacy Preference Center