ProtestDrosselungJohannes Scheller ist 20 Jahre alt und bekommt derzeit viel Medienaufmerksamkeit. Im Unterschied zu seinen Altersgenossen braucht er dazu jedoch keine Bühne, jedenfalls keine mit Background-Sängern. Er hat eine Petition zur gesetzlichen Festschreibung der Netzneutralität gestartet. Das Quorum von 50.000 Mitzeichnungen war nach drei Tagen erreicht, vergangenen Montag durfte Scheller vor dem Petitionsausschuss des Bundestages sprechen. Die Sitzung und die anschließende Expertenanhörung bewiesen zweierlei: „Die eine“ Netzneutralität gibt es nicht – und die rechtliche Ausgestaltung bleibt umstritten.
Die Telekom-Pläne, wonach die Übertragungsrate des Internetanschlusses ab einer bestimmten abgerufenen Datenmenge gesenkt wird, sorgen seit Ende April für Proteste. Der eigentliche Stein des Anstoßes ist aber nicht die faktische Preiserhöhung, sondern die Verletzung der Netzneutralität, also der Gleichbehandlung aller Daten. Nicht gedrosselt werden soll nämlich der Telekom-Videodienst „Entertain“, was einer Bevorzugung gegenüber Konkurrenzangeboten gleichkommt. Telekom-Chef René Obermann ist da anderer Meinung. „Entertain“ sei ein besonderer Datenstrom, da die Telekom dessen Qualität garantiere („managed service“). Somit sei er kein regulärer Internetverkehr, zumal er ohnehin dem Rundfunkstaatsvertrag unterliege. Nach geltendem Recht ist die Tarifänderung der Telekom legal, eine strikte Netzneutralität nicht festgelegt.
Die Debatte über Gleichheit, in dessen Mittelpunkt bisher Menschen und ihr sozialer Status standen, dreht sich neuerdings um digitale Info-Häppchen. Sind alle Bits gleich, oder sind manche gleicher?
Vor dem Ausschuss erklärte der Petent Johannes Scheller, was an der Ungleichbehandlung von Daten problematisch ist. Scheller sieht die Gefahr eines Zwei-Klassen-Netzes mit schnellen und langsamen Anbietern. Seine Argumente tangieren zwei Kategorien, die demokratische und die wirtschaftliche. Ohne Netzneutralität könnte der freie Informationsfluss – und damit die Demokratie – gestört werden. Zudem würden kleinere Firmen im Wettbewerb behindert, weil sie sich die schnelleren Verbindungen nicht leisten können. Wohl auch an die Adresse der schwarz-gelben Koalition gerichtet, erklärte Scheller: „Netzneutralität ist ein Standortfaktor“.

Der Teufel im Detail

In der Sitzung des Petitionsausschusses sprachen sie alle Parteien- und Ministeriumsvertreter dafür aus, dass die Netzneutralität in Deutschland garantiert wird. Die Frage war nur, in welcher Form. Der FDP-Abgeordnete Jimmy Schulz, mit dem Arbeitsschwerpunkt Internet, gab ein technisches Problem zu bedenken. Würde das Prinzip der Netzneutralität so strikt umgesetzt wie es der Petitionstext vorsieht, wären viele Dienste im Netz nicht länger nutzbar. Das Internet könnte dann in seiner gegenwärtigen Form nicht mehr fortbestehen. Denn: Auch heute wird bereits „traffic shaping“ betrieben, also die vom Provider durchgeführte Priorisierung bestimmter Datenmengen. Bei großen Datenpaketen, etwa Videos, werden nicht alle Daten gleich schnell übertragen. So wird zum Beispiel der Anfang eines Films schneller geladen, während der Nutzer guckt und der Rest im Hintergrund weiter lädt. Der Verordnungsentwurf erlaube die Fortführung dieser Praxis. Scheller zeigte sich in diesem Punkt einverstanden. Netzneutralität werde seines Erachtens verletzt, sobald wirtschaftliche Kriterien den Ausschlag geben, nicht jedoch technische.
Wirkliche Uneinigkeit herrschte darüber, ob die Netzneutralität in ein Gesetz oder in eine Verordnung geschrieben gehört. Die beiden Rechtsakte unterscheiden sich dahingehend, dass im Gesetz Grundlegendes in eher allgemeiner Form, in der Verordnung Details definiert werden. Gesetze beschließt das Parlament, Verordnungen die Exekutive, ggf. unter Zustimmung des Bundesrates.
Wirtschafts- und Verbraucherministerium sowie der CDU/CSU-Vertreter gaben an, dass eine Verordnung reiche. Durch sie könne die Regierung außerdem flexibler reagieren, als das per Gesetz möglich sei, führte Reinhard Brandl von der CSU aus.
Der Vertreter des FDP-geführten Justizministeriums machte eine Präferenz davon abhängig, wie präzise die Netzneutralität in einer Verordnung geregelt würde. Genau hier liegt für Scheller und die Opposition der Knackpunkt. Der aktuelle Verordnungsentwurf sei zu schwammig formuliert. Seine Umsetzung würde nicht zwangsläufig verhindern, dass die Telekom ihre strittige Politik weiterverfolgen könne, so Scheller.
Die netzpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Halina Wawzyniak, kritisierte die Formulierung der vorgeschlagenen Verordnung und stieß damit ins selbe Horn wie Grüne und SPD: „In der Verordnung ist von ‘willkürlicher Verschlechterung’ und ‘ungerechtfertigter Behinderung oder Verlangsamung’ die Rede. Was das genau bedeutet, konnte der Vertreter der Bundesregierung nicht beantworten.“ Die zuständigen SPD-Vertreter – Klaus Hagemann, Stefan Schwartze und Lars Klingbeil – gaben zu bedenken: „Es hat sich gezeigt, dass der Markt es nicht alleine regeln kann.“
Der Grüne Netzpolitiker Konstantin von Notz packte das Problem an der gesetzlichen Wurzel. Danach sei das Telekommunikationsgesetz, von dem sich die Verordnung ableitet, in Bezug auf die Definition von Netzneutralität zu ungenau. Aus diesem Grund haben die Grünen in der aktuellen Legislaturperiode zwei Initiativen zur gesetzlichen Sicherung der Netzneutralität verabschiedet – und wollen die Regelung auch auf europäischer Ebene durchsetzen.

Überlastete Leitung

Der Petitionsausschuss konnte das Thema nicht erschöpfend behandeln. Insofern war es praktisch, dass direkt im Anschluss der Unterausschuss „Neue Medien“ tagte, der Experten befragte. In dieser Runde vertiefte man, was zuvor angerissen wurde. Erlaubt der Verordnungsentwurf zur Netzneutralität „managed services“? Tut er, lautet die Einschätzung des Wirtschaftsministeriums. Diese Dienste seien für kleinere Unternehmen sogar vorteilhaft, da sie eine Leistung garantierten, ergänzte ein Telekom-Vertreter.
Wird für die Drosselung in die Dateien geguckt? Die Antwort der Telekom lautet “Nein”, versuchte der Mitarbeiter zu beruhigen.
Sollte Netzneutralität auch für den Mobilfunk gewährleistet werden? Die Position des Branchenverbands Eco ist da eindeutig: Klar! Dessen Vertreter zielte jedoch auch auf die bereits genannten Probleme des Telekom-Vorhabens hin: „Managed services“ würden finanzschwache Organisationen ausschließen, und Volumentarife bremsten die Informationsgesellschaft.
Viel Gegenwind für die Telekom. Aber die ist, das wurde auch deutlich, nicht alleine. Vodafone möchte die bestehenden deutschen und europäischen Gesetze ebenfalls beibehalten. Der Grundsatz des Telekom-Konkurrenten: Basisabdeckung für alle, Qualitätsdifferenzierung gegen Aufpreis. Netzneutralität im Sinne Schellers ist etwas anderes.
 
Bild: netzpolitik.org (CC BY-NC-SA 2.0)