Die Spitzenkandidaten für die Europawahl sind kaum bekannt: Ein Online-Wahlkampf mit versteckten Spitzen. Nur die FDP setzt voll auf eine Person.



Alle Spitzenkandidaten der Europawahl haben ein Problem: kaum einer kennt sie – das Vorurteil besteht, dass die Parteien nur ihre zweite Garnitur ins Rennen schicken. Wahlkämpfe leben aber von Gesichtern und Geschichten: Stichwort Personalisierung und Emotionalisierung der Politik. Daher gibt es Unterschiede in der Online-Strategie, wie die Ressource Aufmerksamkeit am Besten gewonnen werden kann.

Online-Wahlkampf mit versteckten Spitzen

(Quelle: PhotoCase.de)

Nur in Kombination erfolgreich

Die CDU verzichtet im Wahlkampf für Spitzenkandidat Hans-Gert Pöttering auf eine eigene Webseite. Stefan Hennewig, stellvertretender Leiter der CDU Marketingabteilung, führt diese Entscheidung vor allem auf das mangelnde Interesse an der Europawahl zurück. Seine Erfahrungen mit dem Bundestagswahlkampf hätten gezeigt, dass „eine sehr hohe Aufmerksamkeit in den Medien und der Bevölkerung vorhanden sein muss, um ‚Sonder-Domains’ zu transportieren“. Folglich wickelt die CDU alle Online Aktivitäten für die Europawahl über ihr Portal
www.cdu.de ab. Interaktion soll dabei zwischen Wählern und Gewählten durch themenspezifische Foren entstehen. “Projekt Wachstum“ fordert die User auf, Vorschläge für mehr Wachstum einzureichen. Einen besonderen Mehrwert des Mediums Internet sieht der CDU-Stratege in der schnellen und effizienten „internen Kommunikation, Mobilisierung und Organisation der Kampagne“. Werbe-Botschaften sind für Hennewig besser durch Fernsehen und Plakate zu transportieren, nicht zuletzt aufgrund der heute noch höheren Reichweite.

Eurokampa: Informieren ist das Ziel

Achim Post, Leiter der SPD-Eurokampa, sieht vor allem in der strategischen Auswertung vergangener Wahlkämpfe den Schlüssel zu einem gelungenen Online-Angebot. „Die Wählerinnen und Wähler suchen in erster Linie Basis- und Hintergrundinformationen zu den aktuellen politischen Themen und zur Kampagne“, ist sein Fazit. Auf den Seiten der
Eurokampa sieht diese abstrakte Formel dann so aus: News im aktuellen Weblog-Format, Werbspots, Quiz und SMS Service. Ein Newsletter soll die Nutzer an die Kampagne binden. Wechselnde Promi-Zitate sollen die User wiederholt zum Internettauftritt locken. Spitzenkandidat Martin Schulz, am ehesten bekannt durch Berlusconis Attacke gegen ihn, geht im Gewitter der vielen Online-Angebote fast unter. Eine eigene Wahlkampf-Homepage hat er nicht. (vgl.
http://www.martin-schulz.info/)

Inhaltlich ist für Post vor allem das genaue zuschneiden der Texte auf die Leserwünsche wichtig, denn „das Internet bietet die Möglichkeit, Informationen von kurz und prägnant bis sehr umfassend anzubieten – ja nach Rezipienteninteresse“. Trotz hohem Aufwand des Online-Wahlkampfes gibt es für Post nichts, was ein persönliches Gespräch mit dem Wähler ersetzen könnte.

Grüne Doppelspitze

War der Bundestagswahlkampf der Grünen stark auf die Gallionsfigur Joschka Fischer zugeschnitten, ist im Europawahlkampf die Kampagne der Star. Verständlich, denn auf Listenplatz eins der Grünen findet sich eine eher unbekannte Kandidatin: Rebecca Harms. Daher vertritt Daniel Cohn-Bendit Deutschland im „Dream Team“ der Grünen.

Margit Göbel aus dem Wahlkampfteam von Grünen-Spitzenkandidatin Rebecca Harms sieht ihre Partei auch im Netz in der Vorreiterrolle. „Wir als Grüne gehen auch im Internet den europäischen Weg“. Dazu gehören eine gemeinsame Wahlkampfseite aller 25
grünen Parteien, gemeinsam verwaltete Termindatenbanken und Informationsportale. Die Inszenierung der privaten als öffentlichen Person erfolgt bei Rebacca Harms in Form eines Tourtagebuchs. Da eine Kommentarfunktion und Links fehlen, kann nach strenger Weblog Definition nicht von einem solchen gesprochen werden.

Nicht überzeugt zeigt sich Göbel indes von zu vielen technischen Spielereien im Online-Wahlkampfdschungel. „Was ich bezweifele ist, dass ein Wähler sich in seiner Wahlentscheidung beeinflussen lässt, nur weil eine Partei ein nettes Online-Game anbietet“. Ein Blick auf die Grünen-Seite verrät aber, dass nicht alle Grünen-Strategen dieser Meinung sind. Viel Raum nimmt das versenden von eCards ein, bestückt mit den Plakaten der bundesweiten Werbekampagne der Grünen.

Eine Frau kann besser

Die FDP setzt stark auf die Anziehungskraft ihrer Frontfrau Silvana Koch-Mehrin. Bei den Wahlkampfstrategen der Liberalen hat man sich sowohl für eine Kampagne im Partei-Portal als auch für eine
Silvana2004 Webseite entschieden. Die Wahlkampfgestaltung im „Daily Soap“ Format erreicht sie mittels einer SMS Fragestunde, einer „Home- Story“ und einem Terminkalender. Die „
Silvana Lounge“ macht wieder das Team zum Star. Neben der Vorstellung des Wahlkampfteams will die Liberale Unterstützer und Spender gewinnen.

Im Schatten Stoibers

Wie die CDU verzichtet auch die CSU auf eine Homepage für ihren Spitzenkandidaten. Über das Partei-Portal
www.csu.de wird der Besucher auf interne Wahl-Sonderseiten geführt. Doch nicht der Spitzenkandidaten zur Europawahl, Dr. Ingo Friedrich, empfängt den Besucher, sondern ein überall präsenter bayerischer Landesvater. Der Spitzenkandidat geht zwischen soviel ‚Stoiber’ unter. Den Nutzern werden nur klassische Informationsformate geboten: Wahlprogramm Auszüge, Kreuzworträtsel und Termine.

Den roten Faden suchen

Die PDS Spitzenkandidatin bewertet den Einsatz von Online Tools für Wahlkampfzwecke eher skeptisch. „Eine richtige Online-Strategie habe ich mir nicht zugelegt“, sagt Sylvia-Yvonne Kaufmann. „Als sehr effektiv haben sich aber Werbeanzeigen bei Suchmaschinen erwiesen“. Chats seien nur mit Einschränkungen als sinnvoll zu erachten. Die Kommunikation von Gesicht zu Gesicht ist auch für sie wichtiger und erfolgversprechender. Die Partei hat zwar ein umfangreiches
Wahlportal, aber Personalisierung muss nicht sein. „Die Köpfe zum Programm“ werden im Plural und intern ohne extra Sonderseiten vorgestellt.

Die Ausgangslage vor der Wahl

Am 13. Juni 2004 haben 342 Millionen EU-Bürger die Wahl. Ein neues Europaparlament muss gewählt werden. Laut infratest dimap (DeutschlandTREND Mai 2004) hat die CDU die besten Chancen. Im Mai sprachen sich demnach rund 45 Prozent der Befragten für die CDU/CSU, 30 Prozent für die SPD und 13 bzw. 6 Prozent für Grüne bzw. FDP aus. Den PDS-Genossen droht das gleiche Schicksal wie der FDP 1999: Das Scheitern an der 5-Prozentmarke.

Erschienen am 03.06.2004

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