Dagmar Wöhrl
Dagmar Wöhrl, wirtschaftspolitische
Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, am 24. September 2003 zu Gast
im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.

Moderator:
Liebe Politik-Interessierte, herzlich willkommen im tacheles.02-Chat.
Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de
und wird unterstützt von tagesspiegel.de und von sueddeutsche.de.
Heute ist die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag,
Dagmar Wöhrl (CSU), zum Chat ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Kann
es losgehen?

Dagmar Wöhrl:
Ja

Moderator:
Der Fraktionsvize Friedrich Merz hat mit seinem Rückzug vom Rückzug
für viel Aufregung in der Unionsfraktion gesorgt. Nun streiten sich
die Geister. Hat er damit Angela Merkels Position gestärkt oder geschwächt?

Dagmar Wöhrl:
Also, Angela Merkel hat gestern ein sehr gutes Ergebnis bekommen bei ihrer
Wahl zur Fraktionsvorsitzenden der Union, so dass es keinesfalls zu einer
Schwächung gekommen ist. Wir sind froh, dass sich Herr Merz gestern
wieder zur Wahl als Fraktions-Vize gestellt hat, denn er ist einer der
fähigsten Wirtschafts- und Finanzpolitiker der Union.

Ehrich:
Was waren die Motive des Zickzack-Kurses von Friedrich Merz vor der Wahl
zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden?

Dagmar Wöhrl:
Er hat seine Kritik an der Gesundheitsreform zum Ausdruck gebracht.

Lassie:
Merz, mit dem schlechtesten Ergebnis aller Stellvertreter, hat einen Denkzettel
verpasst bekommen. Er verteidigt sich, dass er in der Sache ein Thema
angesprochen habe, "bei dem viele Kolleginnen und Kollegen mit mir
einer Meinung sind, sowohl vom Verfahren wie vom Inhalt. Diese Gesundheitsreform
ist für uns eine schwere Entscheidung." Auch für Sie?

Dagmar Wöhrl:
Dass wir alle nicht glücklich sind, über diese Gesundheitsreform,
kann man, glaube ich, verstehen. Wichtig wäre eine große Strukturreform
gewesen, aber wenn man einen Konsens finden will, müssen natürlich
auch Abstriche gemacht werden. Wenn wir an der Regierung gewesen wären,
hätte eine Gesundheitsreform anders ausgesehen.

Moderator:
Wie werden Sie im Bundestag abstimmen? Mit Ja oder Nein?

Dagmar Wöhrl:
Ich werde mit Ja abstimmen. Aber auch in dem Wissen, dass es nicht das
Ende einer Gesundheitsreform ist.

Ernie:
Gemeindefinanzreform: Auf welcher Seite stehen sie? Auf der Seite des
Städtetages oder stimmen sie dem BDI (die Gewerbesteuer abzuschaffen)
zu?

Dagmar Wöhrl:
Nach meiner Auffassung entspricht keiner der beiden Vorschläge einer
richtigen Gemeindefinanzreform. Es müssen nochmals neue Vorschläge
erarbeitet werden. Da die Gemeinden und Städte jedoch mit dem Rücken
an der Wand stehen, hat die Union einen Sofortprogramm-Antrag eingebracht,
wonach den Kommunen auf ein Jahr befristet der Umsatzsteueranteil erhöht
werden soll und die von Rot-Grün erhöhte Gewerbesteuerumlage
von 28 auf 20 Prozent zurückgenommen werden soll. Ich bin ein absoluter
Gegner davon, ertragsunabhängige Elemente wie auch Mieten, Leasingraten
und Zinsen in die Berechnung mit aufzunehmen.

Moderator:
Die Klagen der Kommunen werden immer "lauter" – trotzdem scheinen
Sie keine richtig "Lobby" in der Bundespolitik zu haben oder
täuscht der Eindruck?

Dagmar Wöhrl:
Die größten Lobbyisten bei der Gemeindefinanzreform sind die
Politiker selbst, da sehr viele früher in der Kommunalpolitik tätig
gewesen sind und die Beschwerden der Bürger in ihren Wahlkreisen
über Schließungen von Schwimmbädern, Schulbüchereien,
usw. hautnah mitbekommen. Auch ich komme aus der Kommunalpolitik und kann
so meine Erfahrungen aus dieser Zeit mit einbringen. Eigentlich sollte
jeder Bundespolitiker vorher in der Kommunalpolitik tätig gewesen
sein.

Kohler:
Welche anderen Subventionen sollen abgebaut werden? Was werden Koch und
Steinbrück am kommenden Dienstag vorstellen?

Moderator:
Also: Was wissen Sie schon?

Dagmar Wöhrl:
Also, ich weiß noch nichts genaues, aber ich gehe davon aus, dass
eine Pauschalenkürzung von 10 % über 3 Jahre vorgeschlagen wird.

Hugo_Boss:
Die Kürzung der Pendlerpauschale ist im Haushaltsbegleitgesetz 2004
Teil eines umfassenden Subventionsabbaus. Sind Sie gegen die Kürzung
der Entfernungs-Pauschale für Berufspendler auf 15 Cent?

Dagmar Wöhrl:
Die Entfernungspauschale ist für ein Flächenland wie Bayern
eine wichtige Angelegenheit, deswegen bin ich nicht für diese Kürzung.
Außerdem muss man sehen, dass diese Entfernungspauschale von Rot-Grün
als Kompensation für die Erhöhung der Ökosteuer eingeführt
worden ist.

Moderator:
Damit stellt sich die Frage:

Lacoste:
Hat die Kürzung der Pendlerpauschale im Bundesrat eine Chance?

Dagmar Wöhrl:
Ich glaube nicht.

Maja:
Aber ökologisch ist es doch sinnvoll, wenn Pendler den ÖPNV
benutzen?

Dagmar Wöhrl:
Sicher ist es sinnvoll, aber in vielen Gegenden gibt es keine Angebot
des öffentlichen Personen-Nahverkehrs.

petermann25:
Sie sagen, dass ein „Befreiungsschlag“ auf dem Arbeitsmarkt
nötig ist. Aber wie genau sieht denn so ein Befreiungsschlag aus?
Wie sollen neue Arbeitsplätze finanziert werden?

Dagmar Wöhrl:
Wichtig ist, dass unsere Betriebe wieder mehr Luft zum Atmen bekommen.
Arbeitsplätze werden nun mal von Unternehmern geschaffen. Leider
ist die wirtschaftliche Lage unseres Standortes zur Zeit nicht gerade
rosig. Unternehmer sind verunsichert. Sie wissen nicht, was auf sie zukommt.
Nicht nur hinsichtlich ihrer Auftragslage, sondern auch vor allem hinsichtlich
der Gesetzgebung der Regierung. Diese äußert sich in einem
Hü und Hott und lässt jegliches Gesamtkonzept vermissen. Nicht
alles kostet Geld, was von der Regierung auf den Weg gebracht werden müsste.
Einer der wichtigsten Punkte wäre eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
Als Beispiel will ich hier erwähnen: betriebliche Bündnisse
für Arbeit in den Betrieben oder z.B. das Kündigungsschutzgesetz.
In unserem Antrag des Arbeitsmarktmodernisierungsgesetzes der Union sind
viele Forderungen enthalten von Wiedereinführung des alten Teilzeitgesetzes
bis hin von Einstellungen von Mitarbeitern während der Probezeit
unter Tarif. Ein ganz wichtiger Punkt ist unser Ziel, die Lohnnebenkosten
zu senken. Leider geht die Schere zwischen brutto und netto immer weiter
auseinander und die Menschen haben netto immer weniger Geld in der Tasche.
Vor allem der personalintensive Mittelstand, der sowieso schon unter einer
geringen Eigenkapitalquote zu leiden hat, ist besonders stark davon betroffen.

Paris:
Reformen a la Stoiber heißt aber auch, Pleiten wie Kirch hinzunehmen?
Herr Stoiber ist da nicht besser als Herr Clement in NRW!

Pumuckl:
Aber ist das nicht auch das Erbe der langen Kohlregierung?

Dagmar Wöhrl:
Dass auch während unserer Regierungszeit Fehler gemacht worden sind,
wird, glaube ich, niemand bestreiten. Als Beispiel kann man hier das Frühverrentungsgesetz
nennen, womit sich viele Unternehmen auf Kosten des Staates von älteren
Mitarbeitern getrennt haben, ohne im Gegenzug, wie mit dem Gesetz angedacht,
Arbeitsplätze mit jüngeren Mitarbeitern zu schaffen.

Resterampe:
Wie viel Wachstum brauchen wir wirklich, um am Arbeitsmarkt Effekte zu
erzielen, die auch die vielen schlecht ausgebildeten Arbeitslosen miteinbeziehen?

Dagmar Wöhrl:
Man geht davon aus, dass wir in Deutschland mindestens ein Wachstum von
2,0 % benötigen, um zu einem Beschäftigungszuwachs zu kommen.
Andere Staaten benötigen ein viel geringeres Wachstum, die USA z.B.
nur 0,7 %. Das zeigt, dass wir kein konjunkturelles Problem haben, sondern
ein strukturelles. Mit großer Sorge habe ich letzte Woche vom IWF
vernommen, dass Deutschland dieses Jahr das einzige Land in der Welt mit
Null Wachstum sein wird. Ein Abbau unserer Arbeitslosigkeit scheint somit
in weite Ferne gerückt.

Moderator:
Das klingt ziemlich hoffnungslos: 2% Wachstum, dann erst tut sich was.

Dagmar Wöhrl:
Deswegen ist es notwendig, Mut zu haben und Strukturreformen anzugehen.
Früher hat man immer gesagt, wir haben kein Erkenntnisproblem in
der Politik, sondern wir haben ein Umsetzungsproblem. Ich sehe es inzwischen
anders: Nämlich, dass wir ein Erkenntnisproblem haben, dass unsere
jetzigen Strukturen wie z.B. unsere sozialen Sicherungssysteme in der
bestehenden Form keine Zukunft mehr haben; aufgrund immer geringeren Beschäftigungszahlen
und immer höherer Lebenserwartung der Menschen.

TollSammler:
Die Gegenfinanzierung der vorgezogenen Steuerreform durch Kredite: ist
das sinnvoll?

Zug:
Soll die Nachfrage der Konsumenten gestärkt werden, dann ist doch
Eichel auf dem richtigen Weg: Wie würden sie die Bürger netto
besser stellen, ohne mehr Schulden?

Dagmar Wöhrl:
Eine Steuerreform auf Pump lehne ich ab. Vergessen wird in der ganzen
Diskussion, dass die Steuerreform schon vom Mittelstand durch Abschreibungsverschlechterungen
vorfinanziert wurde. Für mich ist das ein populistischer Vorschlag,
da es für die Länder und die Kommunen unmöglich ist, das
benötigte Finanzvolumen in Milliardenhöhe aufzubringen. Ein
ganz großes Problem ist die Schwäche unserer Binnenkonjunktur,
die auch auf eine starke Konsumzurückhaltung zurückzuführen
ist. Die Menschen sind verunsichert. Sie wissen bei dieser Regierung nicht
woran sie sind, viele haben Angst um ihren Arbeitsplatz, viele um ihre
Altersversorgung.

Kohler:
Müssen Schröder und Eichel die Stabilitätskriterien der
EU einhalten oder würden sie die auch flexibel auslegen?

Dagmar Wöhrl:
Ich bin ein strikter Befürworter des Stabilitätspaktes. Deutschland
hat unter Finanzminister Theo Waigl mit viel Mühe den Stabilitätspakt
bei den anderen Mitgliedsländern der EU durchgesetzt. Ein Aufweichen
des Paktes hätte schwerwiegende Folgen für den Euro. Deutschland
wird unter Eichel nächstes Jahr das dritte Mal in Folge das Defizitkriterium
von 3 % bei weitem überschreiten, so dass mit Strafzahlungen in Höhe
von 10 Milliarden Euro an die Europäische Union zu rechnen ist. Wir
können nur hoffen, dass die unsolide Haushaltspolitik Deutschlands
in Europa keine Schule macht.

Moderator:
Noch mal zu den Subventionen:

Oioi:
Subventionen abbauen, da fällt mir die Landwirtschaft als erstes
ein. Ihnen auch?

Rwqrw:
Warum nicht endlich die Subventionen für Bauern und Häuslebauer
abschaffen? Weil das ihre Wähler sind?

Dagmar Wöhrl:
Es ist dringend notwendig, an die Subventionen heranzugehen. Dennoch bin
ich der Auffassung, dass man zwischen strukturerhaltenden und investitionsfördernden
Subventionen unterscheiden muss. Wissen muss man, dass die deutsche Landwirtschaft
mit viel höheren Umwelt- und Tierschutzauflagen zu leben hat. Nichtsdestoweniger
war die deutsche Landwirtschaft bereit, im Rahmen des EU-Abkommens mit
der USA zur Agrarreform Subventionskürzungen hinzunehmen. Wichtig
ist eine Diskussion: Wie sollen zukünftig Subventionen vergeben werden?
Subventionen werden immer irgendwann notwendig sein, aber sie müssen
von Anfang an befristet sein und nicht zur Dauereinrichtung werden.

Moderator:
Ein ganz anderes – berechtigtes – Subventionsthema:

Gerri:
Wie sieht es denn aus mit Subventionen für Kunst und Kultur? Das
sind keine Gebiete, mit denen kurzfristig Geld verdient werden kann, trotzdem
erscheinen sie mir förderungswürdig.

Moderator:
Die Frage stellt sich vor allem angesichts der Finanzlage der Kommunen.

Dagmar Wöhrl:
Also ich setze hier sehr stark auf privates Engagement, vor allem der
Unternehmen. Auch die IHK’s haben in diesem Zusammenhang schon einige
Kulturstiftungen ins Leben gerufen, die sich durch Spenden von Unternehmen
finanzieren.

Markus:
Frau Wöhrl, hätten Sie nicht Lust, den Merz zu beerben? Schon
mal mit Frau Merkel darüber gesprochen? Oder darf das nur ein CDU’ler
machen?

Dagmar Wöhrl:
Ich glaube, dass sich diese Frage nicht stellt. Ich bin froh, mit Herrn
Merz zusammen zu arbeiten.

Moderator:
Liebe Leser/innen und Fragende, die Stunde ist vorbei, vielen Dank für
Ihr Interesse und die Fragen. Vielen Dank, Frau Wöhrl, dass Sie sich
die Zeit genommen haben. Ein Terminhinweis noch: Am kommenden Dienstag,
30.9.2003 ist Anna Lührmann voraussichtlich von 17.30 bis 18.30 Uhr
bei uns Gast im ARD-Hauptstadtstudio. Die Grünen-Politikerin ist
die jüngste Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Alle Chat-Transkripte
finden Sie wie immer auf den Seiten der Veranstalter. Das tacheles.02-Team
wünscht noch einen schönen Nachmittag und Abend.

Dagmar Wöhrl:
Tschüß, bis vielleicht bald wieder einmal hier bei tacheles02.