Mittwoch,
8. November 2006: Wenige Stunden nach
dem Ergebnis der "Midterm elections" in den USA meldet sich
ARD-Korrespondent Thomas Berbner per Chat aus Washington. Rumsfelds
Rücktritt ist eine klare Botschaft an die Wähler, erklärt
er. Vor allem auf die Irak-Politik wird das Wahlergebnis Auswirkungen
haben.

Moderator: Hallo
aus Hamburg! Guten Abend allerseits! Herzlich Willkommen zum tagesschau-Chat
mit ARD-Korrespondent Thomas Berbner. Unser Thema: Wie geht’s weiter
nach den Kongresswahlen in den USA? Herr Berbner ist uns jetzt live
aus Washington zugeschaltet. Hallo Herr Berbner, können wir
loslegen?

Thomas Berbner: Von mir aus kann
es losgehen.

Moderator: Irak-Krieg. Dazu liegen gleich mehrere
Fragen vor:

neuia2: Wie geht es im Irak weiter?

Inas: Inwieweit wird sich dieser Machtwechsel
auf die Irakpolitik auswirken? Mit Sicherheit werden die Demokraten
eine andere Politik fordern.

tina17: Mich würde auch interessieren, was
sich Ihrer Ansicht nach im Bezug auf die Strategie im Irak ändern
könnte und ändern wird.

Thomas Berbner: Der Präsident ist immer noch
Chef der Außenpolitik, aber auf mittlere Sicht führt
an einem Abzug der Truppen aus dem Irak sicher kein Weg vorbei.

Tschakka: Herr Berbner, wie ist die Stimmung in
der Bevölkerung denn nun wirklich? Wollen die Amerikaner einen
Abzug der Truppen und eine politische Wüste hinterlassen?

Thomas Berbner: Die Mehrheit auch unter den Republikanern
ist für Abzug. Es könnte dazu kommen, dass man am Ende
sagt, wir haben uns lange genug gekümmert. Jetzt ist das Sache
der Irakis.

juppheidi: Auf mittlere Sicht ein Abzug aus dem
Irak. Können Sie das in Jahren sagen?

Thomas Berbner: Schwierig. Aber ich denke, einen
erheblichen Teil könnten die USA schon innerhalb eines Jahres
abziehen. Es könnten dann auf Dauer einige Zehntausend Soldaten
dableiben wie zum Beispiel in Südkorea.

Tschakka: Aber dann würde die Weltgemeinschaft
doch aufschreien, oder?

Thomas Berbner: Die USA fühlen sich beim
Thema Irak schon auch sehr im Stich gelassen. Wenn auch zu Unrecht.

yacktahn: Aber würde ein Abzug nicht auch
bedeuten, dass sich die US-Regierung ein neues Anti-Terror-Schlachtfeld
sucht?

Thomas Berbner: Beim nächsten Mal wird die
Regierung mit Sicherheit vorsichtiger sein. Alles andere wäre
politischer Selbstmord.

claudiha: Vor der Wahl hat man oft gehört,
dass das Todesurteil von Saddam Hussein Einfluss auf die Wahl nehmen
wird. Sehen Sie das im Wahlergebnis bestätigt?

Thomas Berbner: Vielleicht wäre es ohne das
Urteil noch schlimmer für die Republikaner gekommen, aber an
der grundsätzlichen Haltung der Wähler hat das sicher
nichts mehr geändert.

Cateskontrolle: Wie würde sich ein Abzug
auf das Ansehen der Republikaner auswirken?

Thomas Berbner: Man wird versuchen müssen,
auch die Besatzungszeit als Erfolg zu verkaufen und die eigenen
Opfer als notwendigen Beitrag zur Sicherheit Amerikas. So wird das
ja auch schon eine ganze Weile gemacht.

Moderator: Eng mit dem Irak-Krieg verbunden ist
die Personalie des Tages: Verteidigungsminister Rumsfeld wird ausgetauscht.

mdtiger: Mit Robert Gates wurde wieder ein Bushist
nominiert. Wie soll sich da die Irak-Politik auch nur im geringsten
ändern?

Thomas Berbner: Ja, das schlug hier heute ein
wie die sprichwörtliche Bombe. Es wird sicher andere Akzente
geben, aber eines ist klar: Schnell wird man das Problem nicht lösen
können. Jetzt bewahrheitet sich die Warnung des damaligen Außenministers
Powell: Wie kommen wir da wieder raus?

Donaldo: Guten Tag nach Amerika: Herr Berbner,
kennen sie den neuen Verteidigungsminister Gates? für welche
Richtung steht er, ist er auch so ein Hardliner wie Rumsfeld?

Thomas Berbner: Er ist auch ein Konservativer,
vielleicht nicht ganz so unflexibel wie Donald Rumsfeld, aber auf
jeden Fall seit langem ein enger Freund der Familie Bush.

Mdtiger: Andere Akzente von einem Geheimdienstmann?
Etwa so wie bei Putin in Russland?

Thomas Berbner: Man kann viele Dinge gut oder
schlecht machen, auch die Führung der CIA oder des Pentagon.
Aber er bestimmt ja auch nicht die Richtlinien der Politik.

Deval: Wie beurteilen Sie den wohl kalkulierten
Rücktritt Rumsfelds hinsichtlich seiner Wirkung auf die Bevölkerung?

Thomas Berbner: Der Rücktritt war überfällig
und die Botschaft an die Wähler ist ganz klar: Wir haben verstanden.
Es wird sich etwas ändern.

DDosenfutter: Welche Konsequenzen kann das Wahlergebnis
für die politische Karriere von Condi Rice haben?

Thomas Berbner: Sie war eine der eher moderaten
Gegenspielerinnen im Kabinett. Rumsfelds Rücktritt stärkt
ihren eher pragmatischen Ansatz.

billgates: Was mir auffällt, ist eigentlich
eher, das die Anti-Kriegs-Aktivisten auch sehr in der Defensive
sind: ‘Being against the war is patriotic’ müssen sie sich
rechtfertigen. Dennoch scheint die Anti-Kriegs-Stimmung ja wichtig
für die Wahl gewesen zu sein. Wie geht das zusammen?

Thomas Berbner: Zwischen Kriegsmüdigkeit
der Massen und Aktivismus auf der Straße klafft in diesem
Land ein tiefer Graben. Nur wenige gehen den Weg in aktive politische
Opposition in der Bürgerrechtsbewegung.

Moderator: Noch einmal zum Präsidenten Bush:

KrautBot: Wie dünn sind die Reihen der Sympathisanten
um G.W. wirklich geworden? Man hört immer davon, dass Parteigenossen
Auftritte mit dem Präsidenten ablehnten. Sind das Einzelfälle
oder zeichnet sich da mehr ab?

Thomas Berbner: Das sind Einzelfälle, aber
durchaus bemerkenswerte. Was unter der Oberfläche gärt,
ist die generelle Unzufriedenheit mit den Ergebnissen im Irak. Auch
in der eigenen Partei. Es ist der Herbst der Neocons.

webcam12: Mich würde mal interessieren: Haben
eigentlich die Neokonservativen um Cheney, Rumsfeld, etc. irgendwie
einmal eingestanden, dass ihre gesamte Irakkalkulation nicht aufgegangen
ist?

Thomas Berbner: Noch vor wenigen Tagen hat der
ehemalige Berater der Regierung Richard Perle gesagt, er hätte
damals gegen den Irakfeldzug gestimmt, hätte er gewusst, wie
schlecht alles geplant war. Perles Spitzname ist übrigens Prince
of Darkness.

matthias1978: Können Sie nachvollziehen warum
Bush erst nach sechs Jahren ernsthaften Gegenwind von den Bürgern
bekommt?

Tiffy: Gibt Bush vor Ende seiner Amtszeit auf?

Thomas Berbner: Das wird außerhalb Amerikas
oft nicht verstanden, aber der Schock über die Terroranschläge
am 11. September 2001 hat dieses Land in allen Schichten der Bevölkerung
traumatisiert. Dem eigenen Schutz und Bedürfnis nach Rache
wurde zu lange zu vieles untergeordnet.

Moderator: Damit sind wir bei der Innenpolitik:

check: Wie stehen die Demokraten zum ‘Patriot
Act’ oder anderen Maßnahmen, die ja bei uns stark kritisiert
werden? Ist da in irgendeiner Form eine Änderung zu erwarten?

Thomas Berbner: Es wird sicher schwieriger für
den Präsidenten, den Patriot Act aufrecht zu erhalten, da hatten
sich die Demokraten zum Beispiel bei Verlängerungen der Gesetze
auch jetzt schon geweigert. Und jetzt haben sie im Repräsentantenhaus
die Mehrheit.

christina: Werden die Demokraten jetzt "abrechnen"?

Xilef: Inwieweit können sich denn nun die
Demokraten im House durchsetzen, wenn Bush weiterhin über sein
Vetorecht verfügt?

Thomas Berbner: Sie sagen nein, es gehe nicht
um Vergeltung, sondern um konstruktive Zusammenarbeit. Aber einige
alte Rechnungen werden sicher noch beglichen. So ist Politik.

Jan Hu.: Welche Untersuchungen wird die neue demokratische
Sprecherin wohl einleiten? Vorwarnungen bezüglich des 11. September?
Mangelnde Untersuchung des Insidertradings u.ä.? Gründe
für den Irakkrieg? Abschaffung von ‘habeas corpus’?

Thomas Berbner: Das Desaster im Irak wird sicher
untersucht. Und der Kampf gegen den Terror hat ja viele Problemfelder
aufgetan, nicht zuletzt die Behandlung der Gefangenen in Guantanamo.

Jan Hu.: Macht der Ausgang der Wahl die baldige
Schließung von Guantanamo wahrscheinlicher? Wie sind die Aussichten
auf faire Verfahren?

Thomas Berbner: Mit Sicherheit. Faire Verfahren
sind aber noch in weiter Sicht. Wahrscheinlich wird man versuchen,
einen Großteil der Gefangenen einfach in ihre Heimatländer
abzuschieben, denn die große Frage ist: wie viel Belastungsmaterial
liegt eigentlich tatsächlich vor?

Allegro: Hat es eigentlich in den USA irgendeine
Aufmerksamkeit in Bezug auf den Fall Murnaz gegeben?

Moderator: Hier ist wohl Murat Kurnaz gemeint,
der "Bremer Taliban".

Thomas Berbner: Klar. Nicht mehr oder weniger
als bei anderen Fällen. Aber der Anwalt von Kurnaz war ja auch
hier in den USA, das wurde schon bemerkt und in Zeitungsartikeln
behandelt.

Tiffy: Was für einen Einfluss haben die Probleme
mit den Wahlcomputern auf das Wahlergebnis? Das lässt an die
Wahlen von Präsident Bush gegen Gore und gegen Kerry denken…
diesmal bloß umgekehrt.

Thomas Berbner: Es hat immer Berichte über
Probleme mit den Maschinen gegeben, aber die große Manipulation
hat bisher niemand beweisen können. Es bleibt das Unbehagen,
dass es möglich wäre.

Moderator: Damit zum nächsten großen
Thema: der Präsidentschaftswahl 2008.

Juppidu: Wird der nächste Präsident
Demokrat? Ist das Wahlergebnis ein Indikator dafür?

Thomas Berbner: Zumindest hätte ein Demokrat
gute Chancen, wenn die Partei den richtigen auswählt. Das Wahlergebnis
zeigt, der Wille nach Veränderung ist grundsätzlich da.

Deft: Wie stehen die Chancen für Barack Obama
auf die Präsidentschaftskandidatur nach dem Wahlergebnis- Hillary
Clinton hat ja überzeugend gewonnen

Thomas Berbner: Obama ist sehr beliebt und tritt
sicher und sympathisch auf. Aber in den USA überlegen sich
die Anhänger einer Partei sehr genau, wen sie auswählen.
Und die haben in den Vorwahlen ja das letzte Wort.

mdtiger: Wer wird Bushs Nachfolger bei den Republikanern?

Thomas Berbner: Da ist es sehr viel weniger klar
als zum Beispiel die sehr wahrscheinliche Kandidatur von Hillary
Clinton bei den Demokraten, aber John McCain, der Senator aus Arizona,
wird gehandelt. Ein alter Gegenspieler Bushs aus den eigenen Reihen.

goldstaub1987: Haben Sie Herrn Bush schon einmal
getroffen? Ist sein Intellekt wirklich so klein, wie man immer sagt
;)?

Thomas Berbner: Ich habe ihn schon sehr oft getroffen
und ich denke, man macht einen Fehler, wenn man ihn unterschätzt.
Er ist sicher nicht sehr belesen und weltgewandt, aber er hat viele
Fähigkeiten eines machtbewussten Instinktpolitikers.

lovelydevil: Wünschen sich die Amerikaner
Bill Clinton zurück?

Herman P.: Bedeutet eine Wahl Hillary Clintons
eine Rückkehr Bill Clintons an die Macht?

christina: Hillary!!!!!!!

Thomas Berbner: Die Demokraten auf jeden Fall,
aber Bill Clinton ist bei Erzkonservativen geradezu verhasst. Sollte
Hillary Clinton antreten, könnte er ihr nur helfen. Sie ist
längst eine eigenständige Kraft.

Moderator: Noch eine Nachfrage zu Bush:

Ich bins: Wie sehr entscheidet er denn selber
als Person? Wie abhängig ist er von seinen Spindoktors?

Thomas Berbner: Er hing am Anfang seiner Amtszeit
sehr von seinen Beratern ab, das ist aber besser geworden. Es war
aber nie so, dass er die willenlose Marionette ist, als die er oft
dargestellt wurde. Er ist eben ein sehr konservativer Mensch, der
vieles von dem, was er sagt, tatsächlich meint.

Moderator: Zu den transatlantischen Beziehungen:

mdtiger: Welche Vorteile bietet das Ergebnis für
die Europäische Union?

webcam12: Wie sieht das mit dem Verhältnis
zwischen USA und Deutschland aus? Wird sich da jetzt noch mehr verändern?

norbert1: Was bedeutet der Wechsel für Deutschland?

Thomas Berbner: Das Verhältnis zu Deutschland
war ja schon in jüngerer Vergangenheit sehr viel besser geworden.
Ich sehe aber in naher Zukunft auch keine neuen Forderungen an Europa.
Wenn Europa den USA noch mehr hilft, wäre das z.B. im Irak
sicher willkommen.

Allegro: Sind die USA für Sie persönlich
ein fortschrittliches oder eine rückständiges Land? Manchmal
denke ich, dass da mittelalterliche Zustände vorherrschen (KV,
etc.)

Sabine_Rademacher: Sind Sie eigentlich krankenversichert?

Thomas Berbner: Wir scherzen manchmal unter uns,
die USA seien das fortschrittlichste Schwellenland, das wir kennen.
Gerade als Deutscher ist man in punkto Effizienz und Infrastruktur
ja auch sehr verwöhnt. Ich habe jedenfalls in der Ferne deutsche
Beamte zu schätzen gelernt und im Gegensatz zu 40 Millionen
Amerikanern bin ich krankenversichert.

Moderator: Apropos Schwellenland…

billgates: Kennen Sie „Video the Vote“,
eine Website, die Unregelmäßigkeiten bei der Wahl dokumentiert?
Das ist erschütternd, was da für Berichte zu sehen sind.

kalle44: Werden die Wahlmaschinen in den USA kontrovers
diskutiert, oder ist das keine Debatte in der Öffentlichkeit?

Thomas Berbner: Doch, es wird heiß debattiert.
Aber Amerikaner lieben Technik und das berechtigte Misstrauen konnte
sich bisher nie durchsetzen.

Finn: Wann kann man in Virginia mit einem endgültigen
Ergebnis rechnen?

Thomas Berbner: Vielleicht schneller als es im
Moment aussieht. Der Demokrat Jim Webb glaubt, dass er klar gewinnt,
wenn die Briefwahlstimmen ausgezählt sind. Am 27. November
soll es spätestens ein offizielles Ergebnis geben.

Moderator: Das war’s für heute, vielen Dank
an unseren Chatpartner Thomas Berbner in Washington, an unsere User.
Leider konnten wie immer nicht alle Fragen beantwortet werden. Zum
Schluss noch der Hinweis auf den nächsten Chat: Morgen, am
Donnerstag also, um dreizehn Uhr sind wir mit Johannes Kahrs verbunden,
das ist der Verteidigungs­experte der SPD. Die zentrale Frage
lautet dann: Wird der Libanon-Einsatz zum Spreng­satz für
die Große Koalition?

Thomas Berbner: Vielen Dank an alle, hat ganz
viel Spaß gemacht. Liebe Grüße aus Washington.

Moderator: Übrigens: Thomas Berbners Zusammenfassung
dieser Wahl können Sie gleich im Nachtmagazin sehen: Gleich
im Ersten!