Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister
des Landes Berlin, stellte sich am 29. August im tacheles.02 Live-Chat
von tageschau.de und politik-digital.de den vielfältigen Fragen
der Teilnehmer. Themen waren mögliche Koaltionen nach der Wahl,
die Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS in Berlin, aber auch Fragen
der internationalen Politik

Moderator: Liebe Politik-Interessierte,
willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein
Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de. Zum Chat ist heute der regierende Bürgermeister
Berlins, Klaus Wowereit ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Eine
Stunde lang wird er Ihre Fragen beantworten. Herr Wowereit, können
wir beginnen?

Klaus Wowereit: Ja, ich bin bereit.

Moderator: Herr Wowereit, macht der Wahlkampf
überhaupt Spaß bei den Umfragewerten?

Klaus Wowereit: Wahlkampf ist ein Kampf, und da
muss man um jede Stimme kämpfen. Die Stimmung ist besser als
die Umfragewerte, und die SPD-Leute vor Ort kämpfen, und deshalb
macht es auch Spaß.

gerol: Herr Wowereit, glauben Sie, ein schlechtes
Abschneiden der SPD würde auch Ihre Regierung beeinträchtigen?

Klaus Wowereit: Nicht direkt, aber natürlich
ist für Berlin auch wichtig, wer im Bund regiert. Und die Bundesregierung
und wir haben gut zusammengearbeitet und deshalb schauen wir natürlich
mit Spannung auf das Ergebnis.

jhgfdjhf: Wie genau wollen Sie als rot-rot-grüner
Fan in Zukunft mit einer schwarz-gelben Bundesregierung kooperieren?

Klaus Wowereit: Ich bin kein Fan von rot-rot-grün
sondern ein Fan von SPD-rot. Aber unabhängig von der parteipolitischen
Zugehörigkeit müssen die Landesinteressen gegenüber
der Bundesregierung vertreten werden.

Musterknabe: Welche Chancen räumen Sie der
Linkspartei in der Bundestagwahl ein? Und halten Sie sie für
koalitionsfähig mit den Grünen?

Klaus Wowereit: Die Linkspartei wird zur Zeit
in den Umfragen überschätzt. Sie wird verlieren bis zu
den Bundestagswahlen. Wer den Parteitag der Linkspartei am Samstag
verfolgt hat, konnte leicht feststellen, dass diese Partei überhaupt
nicht regieren will, sondern den Menschen das Blaue vom Himmel verspricht,
aber keine realistischen Politikantworten gibt.

helles: Sie werden ja gerade in der Presse auch
als heimliches Vorbild für die SPD / für eine PDS-Grünen-SPD-Regierung
auf Bundesebene ziemlich zerrissen. Macht ihnen das was aus?

Klaus Wowereit: Als Politiker muss man auch Zerreißproben,
wenn sie denn da sein sollten, überstehen. In einer solchen
befinde ich mich aber zur Zeit nicht. Wir leisten in Berlin eine
gute Regierungsarbeit, was daran liegt, dass die PDS-Senatoren das
Gegenteil von dem tun, was ihre Bundespartei fordert.

Kennedy: Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit
mit der PDS in Berlin? Wo sehen Sie Erfolge, wo gab es die größten
Schwierigkeiten? Kann man Erfahrungen aus der Koalition auf Landesebene
auf den Bund überhaupt übertragen?

Klaus Wowereit: Wir haben gut zusammen gearbeitet
und werden dies auch weiter tun. Wir haben das, was Bundeskanzler
Schröder für den Bund gefordert hat, nämlich die
Systeme grundlegend zu reformieren, in Berlin in weiten Feldern
umgesetzt. Dies war schwer, zeigt aber Erfolge. Man kann die Situation
in Berlin nicht automatisch auf den Bund übertragen, da beispielsweise
die ganze Thematik der Außenpolitik in Berlin einen anderen
Stellenwert einnimmt als im Bund.

Titus: Haben Sie Lust, auch mal in der Bundespolitik
aktiv zu werden?

kasimir_gott: Wäre für Sie eigentlich
auch ein Amt als Bundesminister interessant?

Super-Moderator: Wollen sie Schröder beerben
Herr Wowereit?

Klaus Wowereit: Als Quasi-Ministerpräsident
ist man automatisch auch auf der Bundesebene präsent und natürlich
werde ich die Interessen Berlins im Bund weiter mit Nachdruck vertreten.
Ich bin nicht auf Jobsuche und mache das Amt des Regierenden Bürgermeisters
gerne und kandidiere nächstes Jahr erneut für dieses Amt.

Capitano: Als noch einer der wenigen Sympathieträger
der SPD: würde es für Sie in Frage kommen, in 4 Jahren
als Kanzlerkandidat anzutreten? Wenn nein, weshalb?

Klaus Wowereit: Das ist eine schöne Frage,
die von jedem Politiker wie folgt beantwortet wird: Ich bin Regierender
Bürgermeister und will die Arbeit gut machen.

engelebrt: Finden Sie nicht, dass die SPD immer
unglaubwürdiger wird, da Gerhard Schröder erst das Vertrauen
absichtlich verloren hat, und dann wird er wieder Spitzenkandidat.
Finden sie das nicht auch etwas komisch?

Klaus Wowereit: Das glaube ich nicht. Schröder
hat Mut bewiesen, den Weg der Neuwahl zu gehen mit allen damit verbundenen
Risiken. Er braucht und will ein erneutes Votum der Wähler,
um die schwierige Arbeit fortzusetzen. Dies ist ein ganz klarer
Weg.

J.O.: Wie beurteilen Sie die Möglichkeit
einer großen Koalition, sollte schwarz-gelb keine Mehrheit
haben? Gäbe es mehr Schwierigkeiten als Chancen?

Klaus Wowereit: Ich habe schlechte Erfahrungen
gemacht mit einer großen Koalition. Es ist ein Irrtum zu glauben,
große Koalitionen lösen große Probleme. Eine große
Koalition sollte man nicht anstreben, weil sie klare politische
Konzepte verwässert.

kalle55: Sie werden es ja bestimmt nicht sagen
wollen, aber was machen Sie, wenn Sie der Ruf zur Mitarbeit in einer
Großen Koalition erreicht? Koalitionserfahren sind Sie ja
genug.

Klaus Wowereit: Ich bin Regierender Bürgermeister
und kandidiere nächstes Jahr noch einmal zum Regierenden Bürgermeister.

kobra: Steuert die SPD auf einen großen
personellen Umbruch zu? Wenn Schröder geht, geht dann auch
Müntefering? Wer kommt dann?

Klaus Wowereit: Ich gehe davon aus, dass die SPD
die Wahlen erfolgreich bestehen wird. Dementsprechend wird Gerhard
Schröder Kanzler bleiben und Müntefering in seinen Ämtern.
Aber selbstverständlich muss sich jede Partei erneuern und
deshalb werden in der nächsten Legislaturperiode andere Personen
eine wichtigere Rolle einnehmen, als es bislang der Fall war.

Uwe Drahn: Sie und Herr Platzeck gelten als neue
Generation, als Kronprinzen in der SPD. Wie sehen Sie Ihre persönliche
Zukunft in der SPD?

Klaus Wowereit: Platzeck und Wowereit werden als
Ministerpräsidenten in der Bundespolitik stärker Gehör
finden und gerade auch die besonderen Interessen Ostdeutschlands
vertreten.

Wowi: Was halten Sie vom Comeback ihres ehemaligen
Wirtschaftssenators Gregor Gysi?

Klaus Wowereit: Dies ist schon sehr verwunderlich
und zeigt, dass die PDS ohne Gysi nichts zu bieten hat. Gysi hatte
die Chance, im Berliner Senat praktische Politik zu betreiben. Er
hat hingeschmissen und damit gezeigt, dass es ihm mehr ums Reden
als ums Handeln geht.

Robin: Wie schätzen Sie die Kompetenzen der
CDU-Riege ein? Welche Konsequenzen fürchten Sie bei einem Wahlerfolg
der Schwarzen?

Klaus Wowereit: Ich denke, die CDU hat ein gänzlich
anderes Gesellschaftskonzept als die SPD. Die SPD tritt für
soziale Gerechtigkeit ein, bei der CDU hat man den Eindruck, dass
nur der Starke sich durchsetzen wird. Deswegen sollte jeder gut
überlegen, welche Gesellschaft er in Deutschland haben will:
Eine solidarische oder eine egoistische.

andreas82: Was halten Sie vom Kirchhofschen Steuermodell?
Und ganz allgemein: Halten sie das jetzige Steuersystem reformierbar
oder meinen Sie nicht auch dass ein ganz Neues her muss?

Klaus Wowereit: Ich bin sehr für Subventionsabbau,
damit auch alle die unterschiedlichen Steuersätze zahlen müssen.
Nur der Reiche kann viel von der Steuer absetzen, der Normalbürger
kann dies nicht. Aber wir brauchen Geld in den öffentlichen
Kassen, deshalb können wir uns zur Zeit Steuersenkungen nicht
leisten. Aber Subventionsabbau ist notwendig, um mehr in Bildung
und Wissenschaft zu investieren. Kirchhof hat keine Mehrheit in
der CDU/CSU.

wise: Warum ist es keiner Partei möglich,
konsequent Reformen umzusetzen? Sind die Politiker ihren Lobbies
so sehr verpflichtet, dass es nicht möglich ist beispielsweise
Subventionen zu kürzen? Was denken Sie?

Klaus Wowereit: Wir brauchen auch außerhalb
der Politik ein gesellschaftliches Klima, das grundlegende Reformen
ermöglicht. Wenn man sieht, wie die SPD für die Reformpolitik
der Agenda 2010 bei den Landtagswahlen schlecht abgeschnitten hat,
dann macht das nicht gerade Mut. Also vielmehr Unterstützung
für Politiker, die bereit sind auch unangenehme Dinge zu sagen
und zu verändern.

carn123: Herr Wowereit, die SPD hat ja in der
letzten Legislaturperiode Reformen gemacht, die vielfach als unsozial
bezeichnet wurden. Glauben sie, dass eine rot-grüne Regierung
in den nächsten 4 Jahren noch mehr Reformen anpacken wird,
die viele für unsozial halten oder ist es erst einmal genug?

Klaus Wowereit: Wir müssen noch weiter Reformen
in der BRD umsetzen, z.B. die Fragen im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung.
Aber alle Reformen müssen sozial gerecht und ausgeglichen sein
und es muss den Menschen erklärt werden, wozu sie notwendig
sind.

S. Haber: Halten Sie eine hohe Kapitalsteuer für
vertretbar?

beefybiker: Wer ist denn nach Ihrer Auffassung
reich?

Klaus Wowereit: Ich denke, dass jemand, der –
wie in unserem Wahlmanifest geschrieben – als Single 250.000 Euro
und als Verheirateter 500.000 Euro Jahreseinkommen bezieht, durchaus
als reich zu bezeichnen ist. Deshalb ist es auch vertretbar, dass
diese hohen Einkommen stärker besteuert werden. Bei der Kapitalsteuer
muss man die Summe der Belastungen für Unternehmen sehen. Sie
dürfen Investitionen nicht verhindern aber große Gewinne
nicht schonen.

Musterknabe: Wie sieht Ihre Politik der Familienförderung
aus? Warum sollte ich mir bei der wirtschaftlichen Lage Kinder zulegen?

Klaus Wowereit: Erstens ist die Frage nur sehr
persönlich zu beantworten, d.h. jeder muss aufgrund seiner
Lebenssituation die eigene Entscheidung treffen. Der Staat muss
aber Rahmenbedingungen schaffen, dass Familien finanziell gut dastehen,
dass Betreuungsangebote in Kita und Schule dem Bedürfnissen
von Familien entsprechen und natürlich müssen Familien
steuerlich begünstigt werden. Wir brauchen vor allem eine Ganztagsbetreuung
in Schulen.

wise: Herr Wowereit, Sie schreiben "alle
Reformen müssen sozial gerecht … sein". Ich denke, dieser
Aussage würde auch ohne Zögern ein Mitglied einer anderen
Partei zustimmen. Die Frage ist doch, wo man eine Trennlinie ziehen
kann und muss. Wie viel Sozialstaat können wir uns leisten?
Denken Sie an die Renten. Ich bin 27 Jahre alt und glaube nicht,
dass ich eines Tages eine (wenn überhaupt) tragfähige
Rente erhalten werde. Wie könnte man die Rentenfrage also "sozial
gerecht" anpacken?

Klaus Wowereit: Eine reiche Industrienation wie
die Bundesrepublik Deutschland muss Vorsorge treffen, damit Menschen
im Alter nicht in Armut leben müssen und auch für den
Fall der Pflege menschenwürdige Bedingungen finanziert bekommen.
Deshalb müssen heute die Systeme dem demographischen Wandel
angepasst werden. Das bedeutet, dass Veränderungen notwendig
sind. Wer heute nicht 5 % spart, wird zukünftig nicht mehr
95 % bezahlen können.

S. Haber: Was halten Sie von einer Grundrente?

Klaus Wowereit: Das Rentensystem muss sich nach
den bisherigen Beiträgen richten. Falls die erworbenen Ansprüche
nicht ausreichen, muss die Sozialkasse die Ergänzungen vornehmen.

genosse: Herr Wowereit, in meinem Ortsverein (NRW)
war man sehr verärgert darüber, dass Schröder und
Müntefering noch am Wahlabend Neuwahlen angekündigt haben
– wovon vorher niemand etwas wusste. Die Motivation, jetzt noch
mal Wahlkampf zu machen, ist dementsprechend vielerorts im Keller.
Glauben Sie nicht, Schröder hätte vorher wenigstens im
Parteivorstand über Neuwahlen abstimmen lassen sollen?

Klaus Wowereit: Es ist heute ganz schwierig, hinter
verschlossenen Türen Gremien bei solchen Entscheidungen zu
beteiligen. Ich glaube, dass in solch einer Situation die Partei
dem Vorsitzenden und dem Kanzler so viel Vertrauen einräumen
müssen, dass solch eine Frage auch ohne vorherige Beschlussfassung
durch die Gremien als Weg der Öffentlichkeit präsentiert
wird.

Capitano: Was sagen Sie zum Thema Föderalismus?
Soll alles so bleiben wie es ist? Was würden Sie ändern?

Klaus Wowereit: Berlin tritt dafür ein, föderale
Strukturen zu verändern, d.h. klare Verantwortlichkeiten zu
schaffen. Wo die Kommune bessere Arbeit leisten kann, soll sie es
tun. Wo es das Land tun kann, das Land und natürlich der Bund
in seinen Kompetenzfeldern. Wir brauchen eine klarere Trennung der
Zuständigkeiten, sonst ist die Neigung zur Blockade sehr groß.
Dies kann sich die Republik nicht leisten. Ich selber bin für
ein Zusammengehen von Berlin und Brandenburg, und auch andere Regionen
sollten sich überlegen, ob der Zuschnitt der Bundesländer
noch zeitgemäß ist.

miesseler: Herr Wowereit, die SPD muss langfristig
auch im Bundesrat wieder Mehrheiten bekommen. Wie sehen sie die
langfristige Entwicklung?

Klaus Wowereit: Es ist klar, dass wir unsere Stärke
in der Kommunal- und Landespolitik wieder gewinnen müssen.
Dementsprechend werden wir alles daran setzen, Länder wieder
zurückzugewinnen.

Ödipus: Befürchten Sie, dass die SPD
im Osten langfristig nur noch dritte Kraft sein wird? Was kann dagegen
unternommen werden?

Klaus Wowereit: Die SPD ist eine Partei, die für
ganz Deutschland da ist. Wir setzen nicht nur auf eine West- oder
eine Ostkarte. Dies tun andere Partein bewusst. Wir müssen
Lösungen für ganz Deutschland finden. Aber natürlich
die besonderen Notwendigkeiten der Förderung in Ostdeutschland
garantieren.

Moderator: Ein paar Fragen zu Berlin:

herbasveezer: In Berlin sind die Schulen dramatisch
unterbesetzt. Wie stellen sie sich die Einstellung neuer Lehrer
oder die bessere Betreuung der Schüler vor?

Klaus Wowereit: Wir haben in diesem Schuljahr
über 500 neue Lehrer eingestellt und die Betreuung ist damit
sicher gestellt. Natürlich kann man mehr für Bildung fordern,
aber es muss auch finanziert werden. Wir haben zum neuen Schuljahr
viele auch kostenwirksame Reformen umgesetzt und werden deshalb
eine verbesserte Situation in der berliner Schule in den nächsten
Jahren beobachten können.

groschen: Werden Studiengebühren in Berlin
kommen, wenn die PDS nicht mehr an der Macht ist?

Klaus Wowereit: Die SPD schließt sowohl
auf Bundes- wie auch auf Landesebene Studiengebühren für
das Erststudium aus. Aber man muss auch die Entwicklung in den anderen
Bundesländern beobachten.

Pythagoras: Herr Bürgermeister, was hindert
Sie, das Problem Bankgesellschaft offensiv anzugehen?

Klaus Wowereit: Wir sind das Problem offensiv
angegangen, die Bank ist auf einem guten Konsolidierungskurs. Wir
haben versucht, die verantwortlichen Manager sowohl zivilrechtlich
wie auch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

Pythagoras: Der sozial ungerechteste Vorgang in
Deutschland ist der Milliardenbetrug der Bankgesellschaft Berlin.
Was haben Sie getan um das Geld wieder zurück zu holen?

Klaus Wowereit: Zur Zeit laufen die Strafprozesse.
Wir haben mit einer Verstärkung der Staatsanwaltschaft von
Anfang an versucht, die Verantwortlichen zu stellen. Juristisch
sind die Verfahren nicht einfach zu führen, und wir haben leider
auch schon einige Zivilprozesse verloren.

Moderator: Kommen wir zur internationalen Politik:

acs: Frau Merkel sagt auch mit der CDU hätte
es keine Soldaten im Irak gegeben, glauben sie das?

Klaus Wowereit: Das glaube ich nicht. Sie hat
in Washington deutlich gemacht, dass sie bedingungslos hinter Herrn
Bushs Irakpolitik steht, und dies zeigt, dass die Entscheidung von
Gerhard Schröder keine Soldaten in den Irak zu entsenden, richtig
war.

ProContra: Was sagen Sie zu der Thematisierung
der Türkei-Frage der Union?

annonymus: Wie stehen Sie zu einem möglichen
Beitritt der Türkei zur EU? Insbesondere vor dem Hintergrund
der Bevölkerungsstruktur Berlins?

Klaus Wowereit: Ich bin für einen Beitritt
der Türkei, wenn die Aufnahmebedingungen erfüllt sind.
Ich hoffe, dass keine Partei versucht, durch das Wecken von Ressentiments
im Wahlkampf Stimmung gegen unsere türkischen Mitbürgerinnen
und Mitbürger zu machen.

Authentio: Welche mittel- u. langfristigen nationalen
Konsequenzen sehen Sie durch den Globalisierungs-Trend?

Klaus Wowereit: Globalisierung ist einerseits
eine Chance, andererseits aber auch ein Risiko für nationale
und lokale Interessen. Deshalb müssen gesamtstaatliche Organisationen
wie die EU oder auch Weltorganisationen Mechanismen finden, um weltweite
Fehlentwicklungen zu korrigieren. Insbesondere den ärmsten
Ländern der Welt muss internationaler Schutz auch im ökonomischen
Bereich geboten werden.

Moderator: Noch mal zur Türkei:

JungerLiberaler: Wie gehen Sie mit dem Unionsargument
um, die Türkei habe eine völlig andere historische und
kulturelle Entwicklung?

elvy: Empfinden sie es nicht so, dass die EU einfach
zu groß wird durch den Türkei-Beitritt? Und dass die
EU Bewohner übergangen werden? Die meisten sind doch gegen
ein EU-Beitritt der Türkei.

Klaus Wowereit: Ich glaube, dass es ökonomisch
sinnvoll ist, aber auch für die Stabilität in Europa und
in angrenzenden Regionen sehr wichtig ist, die Türkei bei ihrem
Reformprozess weiterhin zu unterstützen. Wer sich die moderne
Türkei von heute anschaut, der wird feststellen, dass vieles
getan worden ist, aber natürlich vieles noch vor der Türkei
liegt.

ProContra: Wann ist die EU vollständig? Im
Sinne von: wie vielen Ländern.

Klaus Wowereit: Diese Frage müssen die Staaten
der EU beantworten. Es ist klar, dass die Beitrittsverhandlungen,
die jetzt laufen, von vielen skeptisch gesehen werden. Wichtig ist,
dass die Aufnahmekriterien erfüllt werden.

Roter Horst: Was entgegnen Sie dem Vorwurf, Gerhard
Schröder versuche beim Thema Iran eine Friedenskarte auszuspielen,
obwohl eine militärische Option von keinem der Beteiligten
(auch nicht von den USA) je ins Spiel gebracht wurde?

Chef-Moderator: Will die SPD mit Kriegsangst die
Wahlen gewinnen??

Klaus Wowereit: Es ist richtig, dass auch im Wahlkampf
Friedensfragen thematisiert werden. Wir wissen, dass die CDU eine
gänzlich andere Außenpolitik machen möchte. Es ist
richtig und notwendig, dass der Bundeskanzler auch zum jetzigen
Zeitpunkt die klare Position der Bundesregierung auch gegenüber
unseren Bündnispartnern deutlich macht.

Marcus (SPD): Hallo. Wissen Sie, dass die Sozialdemokratie
auf dem Demokratischen Sozialismus basiert (das steht u.a. in unserem
Grundsatzprogramm)? Aber warum macht die SPD derzeit eine völlig
entgegengerichtete Politik?

Klaus Wowereit: Reformpolitik im Rahmen der Agenda
2010 ist notwendig, um soziale Sicherung auf zukünftige Generationen
sicherzustellen und deshalb gibt es keine Alternative zu Reformen
in sozialer Verantwortung.

ruhrpott: Sie wollen die besonderen Interessen
Ostdeutschlands vertreten. Was ist denn dort besonders? Fahren Sie
mal nach Gelsenkirchen, da gibt`s mehr Probleme als in manchen Städten
in den neuen Bundesländern.

Klaus Wowereit: Es ist richtig, dass Regionen
in der gesamten Republik, die strukturschwach sind, Hilfe von ihrem
Land oder von der Bundesebene bekommen müssen. Aber unbestreitbar
ist, dass die wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland im Vergleich
zu den alten Ländern deutlich schlechter ist. Deshalb braucht
man dies nicht in Ost und West kategorisieren, sondern auch sagen,
es muss dort geholfen werden, wo die Hilfe am notwendigsten ist.

snudel: Guten Tag – glauben Sie ernsthaft, dass
sich nach den Neuwahlen etwas signifikant an der Lage Deutschlands
ändern wird – obgleich welche Partei regieren wird?

Klaus Wowereit: Es muss sich vieles ändern,
vieles ist erreicht worden, aber Deutschland muss sich weiterhin
modernisieren. Sonst werden wir im internationalen Wettbewerb nicht
mithalten können.

BK: Mal ehrlich: Wie viel Jahre geben Sie Deutschland
noch, bevor uns die sozialen Lasten zusammenbrechen lassen? Immerhin
können wir nicht endlos Schulden machen wie die USA.

Klaus Wowereit: Wenn wir nichts tun, wird sich
relativ deutlich zeigen, dass der Staat nicht mehr das leisten kann,
was notwendig ist. Heute ist noch die Chance da, durch Veränderungen
die Vorsorge zu treffen. Aber man muss es konsequent tun.

Agamemna: Glauben sie, dass es mit der Union an
der Spitze Deutschland eine solch starke transatlantische Annäherung
gibt, dass das zu Lasten der deutschen (französischen) EU-Politik
geht?

Klaus Wowereit: Ich glaube, dass Deutschland gut
beraten ist, das gute Verhältnis zu unseren direkten Nachbarn
weiter zu pflegen. Dazu gehört natürlich Frankreich, aber
auch Polen.

groschen: Was sagen Sie dazu, dass die Umweltpolitik
im Wahlkampf der SPD so vernachlässigt wird? Sind der Atomausstieg
oder die Verbraucherschutzpolitik nur Themen, die wir den Grünen
zu verdanken haben ?

Klaus Wowereit: Nein, die SPD hat in ihrer Regierungsverantwortung
klare Antworten zum Atomausstieg geben. Es ist aber immer schwierig,
alle politischen Themen in die öffentliche Diskussion einzubringen.
Gerade im Umwelt- oder Verbraucherschutz gibt es deutliche Unterschiede
zur CDU/CSU, und die müssen im Wahlkampf heraus gestellt werden.

Moderator: Die Zeit ist fast um. Eine letzte Frage:

Pille90: Schließen sie auch wie unser Bundeskanzler
Gerhardt Schröder ein Linksbündnis auf jeden Fall aus
?

Klaus Wowereit: Dies schließe ich für
die nächste Legislaturperiode auf jeden Fall aus.

Moderator: Und danach?

Klaus Wowereit: Ich will die Wählerinnen
und Wähler, die heute den Linkspopulisten folgen, wieder zurückgewinnen.
Dies ist die Aufgabe für die nächsten Jahre.

Moderator: Unsere Zeit ist bereits um. Vielen
Dank an alle User für das große Interesse. Etliche Fragen
sind leider unbeantwortet geblieben. Vielen Dank, Herr Wowereit,
dass Sie sich Zeit für den Chat genommen haben. Das Transkript
dieses Chats finden Sie in Kürze auf den Seiten der Veranstalter.
Den nächsten Chat gibt es am Dienstag, den 6. September. Von
13.00 bis 14.00 Uhr wird Grünen-Chef Reinhard Bütikofer
auf Ihre Fragen antworten.

Klaus Wowereit: Vielen Dank für die vielen
interessanten Fragen und hoffe auf weiterhin so viel Interesse an
der Politik.