Cornelia Pieper

Chat mit Frau Cornelia
Pieper, Generalsekretärin der FDP


Moderator:
Heute ist die Generalsekretärin der Liberalen, Cornelia
Pieper, für die kommenden 60 Minuten unser Chat-Gast.
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unterstützt von tagesspiegel.de.
Frau Pieper, in der Affäre um dienstlich erworbene Bonusmeilen hat ein
weiterer prominenter Politiker seinen Rücktritt erklärt. Der Berliner
Wirtschaftssenator Gregor Gysi, früher PDS-Fraktionschef im Bundestag,
hat sein Amt und sein Abgeordnetenmandat niedergelegt. Er habe sich von seinen
Wählerinnen und Wählern entfernt und "fürchte sich vor seinen
eigenen Persönlichkeitsveränderungen", erklärte Gysi in
einer fast schon an einen Schauprozess erinnernden Selbstbeschuldigung in seiner
Erklärung. Rücktritt wegen ein paar Bonusmeilen oder steckt da mehr
dahinter?

Cornelia Pieper:
Ich glaube, dass die Bonusmeilen nur ein Vorwand sind.
Wahrscheinlich ist er der Herausforderung des Amtes nicht gewachsen. Es war
vorherzusehen, dass er den Problemen der Stadt Berlin als Wirtschaftssenator
nicht gewachsen ist. Ich fände es richtig, wenn es endlich eine klare Trennung
von Privat- und Dienstbonusmeilen gäbe. Hier fehlt eine klare Regelung
der Lufthansa bzw. des Bundestages. Ich glaube, dass auch Cem Özdemir andere
Gründe zum Rücktritt hatte.

Mediator: Nachfrage,
wie ist es mit Özdemir? Ist auch der den Herausforderungen des innenpolitischen
Sprechers nicht gewachsen? Na dann hoffen wir mal für Sie, dass nicht einer
aus der FDP betroffen ist!

Cornelia Pieper:
Auch wenn er andere politische Ansichten hat, hat Özdemir gut seine Aufgabe
als innenpolitischer Sprecher wahrgenommen.

Kanzler: Wie hält
es denn die FDP mit den Bonusmeilen? Gibt es hier auch schlafende Hunde?

Cornelia Pieper:
Ich kann leider nicht für alle persönlich sprechen, aber ich meine,
dass es klare Regelungen braucht. Außerdem finde ich es beschämend,
wenn wir bei vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland über Bonusmeilen
reden müssen.

Kanzler: Ich finde
es ja schon etwas dünn, einfach Unfähigkeit auf der anderen Seite
anzunehmen. Das klingt sehr danach, als ob man die Affäre für den
eigenen Wahlkampf nutzen wollte!

Cornelia Pieper:
Da sehe ich jetzt keinen Zusammenhang. Ich meine nur, dass je länger die
Diskussion über Bonusmeilen ungeregelt weiterläuft, die Politikverdrossenheit
wächst. Und das nützt doch wohl keiner Partei!

Moderator: Zu einem
andern Thema: Sie haben in einem Sechs-Punkte-Programm für die "Herzenssache
Aufbau Ost" unter anderem den Ausbau von Verkehrswegen und mehr Geld für
Wissenschaft, Bildung und den Mittelstand gefordert. Kann das dem Osten wirklich
genug Jobs bringen, um die Massenarbeitslosigkeit sichtbar zu verringern?

Cornelia Pieper:
Eindeutig ja! Den Menschen im Osten sind schon zu viele Versprechungen gemacht
worden. Wir müssen in die Infrastruktur investieren, damit der Anreiz für
Investoren besteht, in die neuen Länder zu gehen. Namenhafte Wirtschaftsinstitute
haben in den neuen Bundesländern dazu noch ein großes Defizit festgestellt.
Wir brauchen Arbeitsplätze in Forschung und Entwicklung, weil diese von
Dauer sind. Die nächste Bundesregierung mit Beteiligung der FDP wird die
Forschungsförderung für die neuen Länder zum Hauptthema machen.
Außerdem sollten wir nur politische Rahmenbedingungen schaffen, die zur
Wirtschaftskraft Ost beitragen und nicht zur Abwanderung gen West. Wenn die
jungen leistungsfähigen Leute gehen, blutet der Osten aus und verliert
sein wichtigstes Pfund für den Standort. Also, weg mit der Mobilitätsprämie
Ost, sie ist eine Abwanderungsprämie!

Onkel Hotte: Mit
Forschung schafft man aber nicht die Masse von Arbeitsplätzen, die gebraucht
wird – wie kann man diese Basis schaffen?

vielflieger: Wenn
sich im Osten keine Industrie ansiedelt, dann bleibt auch die Forschung nicht
hier!

Cornelia Pieper:
Ein Beispiel: In Mitteldeutschland ist um Halle/Leipzig nicht nur ein Chemiezentrum
(Elf Aquitaine) entstanden, sondern auch ein Zentrum der Biotechnologie. Das
lockt Forschungsunternehmen an, hat zehntausende Arbeitsplätze geschaffen.
Aber Sie haben Recht: ohne Industiekerne kann weder der Mittelstand, noch das
Dienstleistungsgewerbe wachsen. Die jetzige Bundesregierung hat sehr wenig für
den Mittelstand getan, der immerhin zwei Drittel der Arbeitsplätze und
80 Prozent aller Ausbildungsplätze schafft. Wir brauchen eine Gleichbehandlung
mit den Kapitalgesellschaften im Steuersystem, aber vor allem ein einfaches
Steuerrecht, mit einem Drei-Stufen-Tarif von 15, 25 und 35 Prozent. Ein Niedrigsteuergebiet
Deutschland ist die beste Voraussetzung für Arbeitsplätze.

vielflieger: Und
welche Branchen, denken Sie, würden sich im Osten noch ansiedeln können
bzw. wollen?

Cornelia Pieper:
Biotechnologie und Gentechnik sind Wachstumsbranchen, gerade bei den Forschungskapazitäten
im Osten. Wir brauchen insgesamt mehr Unternehmen in den neuen Ländern,
denn die Selbständigenquote liegt nur bei 7 Prozent, im Westen bei 12 Prozent.
Ohne Unternehmen keine Arbeitsplätze, also wie wäre es mit einer Existenzgründeroffensive
– eine Eigenkapitalausstattung, auf die man nicht Monate/Jahre von den Banken
warten muss, die Deutsche Ausgleichsbank des Bundes als Mittelstandsbank profilieren.

vielflieger: Nach
Ihren Vorstellungen wird die Wissenschaft im Osten vom Staat bezahlt und im
Westen nutzt die Industrie die Ergebnisse!

Cornelia Pieper:
An Vielflieger: das habe ich nicht gemeint. Gerade die großen Chemiekonzerne
investieren selbst einen Großteil ihrer Gewinne in die Forschung, aber
es gibt notwendige Anschubfinanzierungen in innovative Branchen. Lassen Sie
uns bei den veralteten Industriesubventionen abbauen, z. B. der Steinkohle und
in Bildung und Forschung investieren. Das sind Zukunftsinvestitionen für
mehr Arbeitsplätze!

Moderator: Zu einem
anderen Thema:

tarzan: Die FDP strebt
wieder Regierungsverantwortung an. Welche Konstellationen sind für Ihre
Partei denkbar?

Cornelia Pieper:
Jede Konstellation für eine Bundesregierung, die auf Steuersenkungen und
bessere Bildungschancen setzt.

ronaldo: Können
Sie sich nach der Bundestagswahl eine rot-gelbe Koalition vorstellen?

Cornelia Pieper:
Ob rot-gelb, oder schwarz-gelb, beides ist besser als rot-grün.

Gelbes Wunder: Glauben
Sie, Sie würden in einer Koalition mit Herrn Stoiber glücklich?

Cornelia Pieper:
Es geht nicht um Gefühle, sondern um die Zukunft des Landes. Vor allem
um mehr Arbeitsplätze.

tarzan: Vor nicht
allzu langer Zeit haben Sie die CDU/CSU als "diffus und handlungsunfähig"
kritisiert. In den vergangenen Wochen äußert sich Ihre Partei der
Union gegenüber deutlich freundlicher. Hat sich dort so schnell so viel
geändert?

Cornelia Pieper:
Die FDP hat in Sachsen-Anhalt einen Politikwechsel mit der Union herbeigeführt.
Wenn die Richtung der nächsten Bundesregierung für mehr Investitionen
und Arbeitsplätze stimmt, dann geht es auch mit Herrn Stoiber. Wir machen
unsere Regierungsbeteiligung von den programmatischen Inhalten für die
nächsten vier Jahre für dieses Land abhängig. Außerdem
haben wir einen eigenen Kanzlerkandidaten.

ronaldo: Kann Herr
Stoiber überhaupt eine zukunftsgewandte Politik machen?

Cornelia Pieper:
Mit Laptop und Lederhose reicht es für ganz Deutschland nicht aus. Wir
brauchen mehr Reformen in der Bundespolitik, um im europäischen und internationalen
Wettbewerb aufzuholen. Auch wenn Bayern gut bei der Pisa-Studie abgeschnitten
hat, was die Bildungspolitik anbelangt, ist das international immer noch Mittelmaß.
Wollen wir an der Spitze sein, kann Bayern nicht der Maßstab sein für
die zukünftige Bundespolitik.

Tante Jole: Mit neun
Prozent hat man vielleicht einen Kandidaten, aber wenig Chancen!

Cornelia Pieper:
In Sachsen-Anhalt hatte die FDP bis 1949 einen liberalen Ministerpräsidenten.
Anfang der 50er Jahre noch einen in Baden-Württemberg. Wir sind eine eigenständige
Partei, mit einem guten Programm und wir nehmen uns wie die Union und die SPD
gleichberechtigt heraus, unseren Spitzenmann zum Kanzlerkandidaten zu benennen.
Wettbewerb belebt das Geschäft. Wir sehen das sportlich.

Gelbes Wunder: Sie
sind ja – wenn ich Sie richtig einschätze – eher überlegt. Das gefällt
mir sehr. Andere in Ihrer Partei (und auch in anderen Parteien) schießen
aber auf alles, was sich bewegt oder auch nicht bewegt. Glauben Sie nicht, dass
so Aktionen wie der Einklageversuch von Guido Westerwelle in die Fernsehdebatte
der Demokratie schadet, weil alles nur noch Spektakel ist?

Cornelia Pieper:
Nein. Es ist zum Vorteil der Demokratie. Wo steht denn geschrieben, dass die
öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, die von den Gebührenzahlern
finanziert werden, eine Vorentscheidung über die Bundestagswahlen mit einer
kleinen Kanzlerkandidatenrunde Stoiber-Schröder treffen dürfen? Das
ist Chancenungleichheit in einem demokratischen Parteiensystem.

Moderator: Kleine
Bemerkung: Dann hätten wir wohl eine KanzlerkandidatInnen-Runde, wo wir
viele Stühle brauchten. Würde das der FDP wirklich nützen?

Cornelia Pieper:
Es wäre ein Beitrag zu einer allumfassenden Information über die Kanzlerkandidaten
der Parteien. Es gibt eben nicht nur zwei, sondern drei. Und eines ist sicher:
zwei von den dreien werden nicht Kanzler.

Tante Jole: Erfolge
von gestern sind aber nicht der Erfolg am 22. September. Wie wollen sie denn
nun noch auf 18 Prozent kommen?

Cornelia Pieper:
Mit einem klaren Programm für mehr Netto, mehr Bildung, mehr Arbeit, einer
pfiffigen Werbekampagne und vor allem mit Wahlveranstaltungen, bei denen wir
direkt auf den Bürger zugehen und nicht warten, bis er zu uns kommt. Im
übrigen, eine Woche vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt lagen wir bei
8 Prozent in den Umfragen. Am Wahltag waren es 13,3 Prozent. Bei Allensbach
liegen wir in den Umfragen bei 13,1 Prozent für die Bundestagswahl heute.
Warum soll am 22. September nicht auch im Bund möglich werden, was in Sachsen-Anhalt
längst Realität ist?

Mr_X: Wenn ich Sie
richtig verstanden habe, will die FDP die Ökosteuer ja abschaffen. Dadurch
würden die Energiepreise kurzfristig deutlich sinken. Was halten Sie für
einen angemessenen Benzinpreis an der Tankstelle und wie wollen Sie die Steuerausfälle
gegenfinanzieren? Die CDU ist ja inzwischen zurückgerudert und will die
Ökosteuer nicht mehr abschaffen, sondern nur nicht mehr fortführen.

Cornelia Pieper: Die
Ökosteuer ist weder umweltfreundlich noch sozial. Sie belastet den kleinen
Bürger, aber vor allem Arbeitsplätze. Deswegen gehört sie abgeschafft.
Der Bund hat allein 55 Mrd. Euro Subventionen im Haushalt. Allein eine Reduzierung
an dieser Stelle würde uns eine Gegenfinanzierung leicht machen. Doch machen
wir uns nichts vor. Die Politik muss endlich ihre Hausaufgaben machen. Um die
Löcher in der Rentenkasse zu stopfen ist es falsch, eine Steuer zu beschließen.
Wir brauchen eine echte Rentenreform, die auf mehr private Vorsorge im Interesse
der jungen Generation heute setzt.

Moderator: Es bleibt
der Preis für den Liter Benzin?

Cornelia Pieper:
Jedenfalls ist die Vorstellung der Grünen, der Liter Benzin soll in Deutschland
durch Steuererhöhung 2,50 Euro kosten, absurd. 70 Prozent des Benzinpreises
sind Steuern.

bar code: Welche
Subventionen wollen Sie streichen?

Cornelia Pieper:
Die FDP will bis zum Jahr 2005 die Steinkohlesubvention halbieren. Wir importieren
heute schon die Steinkohle billiger. Sie gehört auch nicht zu den umweltfreundlichen
Energieträgern. Lassen Sie uns die Milliarden, die wir dadurch einsparen,
lieber in eine bessere Infrastruktur und Bildungspolitik stecken.

persil: Fehlt der
FDP als Partei der Besserverdienenden nicht einfach die klassische Klientel
in den neuen Ländern? Sind die Leute, die die FDP gewählt haben, nicht
dieselben, die bei der Wahl davor der DVU die Stimme gegeben haben?

Cornelia Pieper:
Bei dieser Formulierung bekomme ich Zahnschmerzen. Liberalismus hat seit der
Aufklärung mit Toleranz, Aufgeschlossenheit und Bürgerangagement zu
tun. Aber nichts mit einer Klientelpolitik, die auf einzelne Berufs- und Einkommensgruppen
abzielt.
Da sind in der Vergangenheit in der FDP Fehler gemacht worden. Die neue Generation
hat daraus gelernt. Wir sind eine Partei für das ganze Volk. Bei der letzten
Landtagswahl in Sachsen-Anhalt haben uns 10,6 Prozent der Arbeiter und mehr
als 10 Prozent der Arbeitslosen gewählt. Und noch besser: Wir waren zweitstärkste
Partei bei den Erst- und Jungwählern bis 35 Jahren.

VVVH: Wir erfahren
(nicht nur hier) viel von Ihren Forderungen. Glauben Sie, dass es einfach werden
wird, sie durchzusetzen, falls Sie die Wahl am 22. September gewinnen sollten?

Cornelia Pieper:
Nein, es wird nicht einfach. Aber für uns ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit,
die Forderung nach Steuersenkung und Bildungsreform in einer Koalitionsvereinbarung
verankert zu wissen. Das sind unsere Bedingungen an den Koalitionspartner, um
mitzuregieren.

persil: Was sagen
Sie zum Möllemann-Eklat?

Cornelia Pieper:
Welchen Eklat?

persil: Die Nichtaussprache
mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland!

Frieda: Ist Glaubwürdigkeit
in einer Partei, die jemanden wie Möllemann nicht vor die Tür setzt,
überhaupt möglich?

Cornelia Pieper:
zu Frida: Auch in der FDP werden stellvertretende Parteivorsitzende demokratisch
gewählt.
zu persil: Wir haben mehrmals mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland
gesprochen und sind auch in Zukunft gesprächsbereit. Das Thema ist der
Frieden im Nahen Osten. D.h. mit Gewalt schafft man weder auf palästinensischer
noch israelischer Seite ein Fundament, auf dem man eine friedliche Gesellschaft
aufbauen kann. Auch den Palästinensern muss ein eigenständiger Staat
zugestanden werden.

guidowesterwelle:
Wäre es Ihnen lieber, es gäbe Möllemann nicht?

Cornelia Pieper:
Jürgen W. Möllemann ist der Ideengeber für das Projekt 18 der
FDP. Er war DER beste Bildungsminister, den Deutschland je hatte und im Vergleich
zu Herrn Müller auch der bessere Wirtschaftsminister. Also, es kommt immer
darauf an, was man aus dem Gesagten auch in die politische Tat umsetzt. Rot-grün
hat in den letzten Jahren viel geredet und wenig gehandelt im Interesse der
Arbeitslosen dieses Landes.

Moderator: Da die
FDP nun einen Kanzlerkandidaten hat, darf man ja mal träumen – daher zum
Abschluss:

michael: Was würden
Sie als erstes tun, wenn Sie Bundeskanzlerin wären?

Cornelia Pieper:
Ich würde als erstes dafür sorgen, dass mehr für Kinder und junge
Menschen getan wird. Eine bessere Ausbildung schafft ihnen auch bessere Zukunftschancen.
Deshalb würde ich für Bildung mehr Geld ausgeben, indem ich an anderer
Stelle spare.

Moderator: Liebe
Chat-Gäste, sehr geehrte Frau Pieper. Unsere Chatzeit ist leider vorbei
. Vielen Dank für Ihre Fragen. Vielen Dank, Frau Pieper!

Cornelia Pieper:
Bedanke mich für das offene Gespräch! Auf bald!

Moderator: Wir würden
uns freuen, Sie bei unserem nächsten Chat wieder begrüßen zu
dürfen. Die Ankündigungen für die nächsten Chats finden
Sie auf den Webseiten der Veranstalter tagesschau.de
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Wir wünschen allen Beteiligten noch einen schönen Abend!