Andy Müller-Maguhn wird als Kandidat für den Posten des ICANN-Direktors hoch gehandelt.
Seit 1990 ist er Sprecher des Chaos Computer Clubs,
der sich vor allem als Forum der Hacker-Szene sieht und die Förderung der
Informationsfreiheit anstrebt.
Im Interview mit politik-digital definiert er
das Ziel von ICANN und spricht über seine Wahlkampfinhalte.

politik-digital: Sie haben den Sprung in die Reihe der
ICANN-Kandidaten mit über 2800
Stimmen geschafft und damit fast alle anderen Bewerber abgehängt. Haben
Sie eine Erklärung für das große Wählervertrauen?

Müller-Maguhn: Als Aktivist und Sprecher des CCC bin ich im Themenkreis Internet und
Gesellschaft ja schon eine Runde unterwegs. So gesehen könnte man behaupten,
daß ich nicht erst seit der ICANN-Wahl "Wahlkampf" betreibe, sondern
mich eben schon 10 Jahre auch als Sprecher gegenüber der Presse und
auf zahlreichen Podiumdiskussionen für freien Informationsfluss und
die Würdigung des Netzes als öffentlichen Raum kümmere.
Ein bisschen überrascht war ich allerdings selbst.

politik-digital: Woran liegt es eigentlich, dass vor
allem die Deutschen die
Kandidatenliste dominierten? Warum ist das Thema ICANN im Ausland so
wenig bekannt?

Müller-Maguhn: Offenbar hat die von Spiegel und Heise ja doch relativ
intensiv betriebene
Berichterstattung über Icann, die bevorstehende Wahl und die Möglichkeit,
sich als Wähler registrieren zu lassen doch ziemliche Wirkung gehabt.
Es macht ein bisschen den Eindruck, als seien die Internet Nutzer
in Deutschland, die sich auch um die gesellschaftlichen Folgen der
Technologie Gedanken machen doch relativ zahlreich im Gegensatz
zu anderen europäischen Ländern.
Offenbar haben in vielen anderen Ländern die Medien die Relevanz
des Themas noch nicht erkannt.

politik-digital: Wie wird ihr Wahlkampf jetzt ablaufen?
Digital oder auch analog?
Haben Sie "Wahlkampfhelfer"?

Müller-Maguhn: Der "Wahlkampf" hat ja zum Glück mit dem, was man normalerweise
mit dem Begriff "Wahlkampf" assoziert nicht viel zu tun. Also keine
Luftballons und auch keine Plakate mit blöden Sprüchen. Ich habe auch
keine Wahlkampfhelfer.
Was momentan passiert ist, daß sich eine Kommunikationsbasis zwischen
den verschiedenen Nutzern in den europäischen Ländern aufbaut, damit
so etwas wie eine europäische Vertretung überhaupt möglich ist. Das
nimmt viel Zeit in Anspruch, viele E-Mails, teils direkt, teils über
Mailinglisten und noch mehr Presseanfragen aus allen möglichen
europäischen Ländern. Nach derzeitigem Stand werde ich wohl
im September auch noch ein bisschen in Europa herumreisen und
mich ein paar Diskussionen stellen.

politik-digital: Wie wollen Sie es schaffen bei den
europäischen @large-Membern bekannt
zu werden?

Müller-Maguhn: Also, derzeit habe ich nicht den Eindruck, daß es mein Problem ist, bei
den europäischen @large-Member bekannt zu werden, die Schwierigkeit
besteht eher darin, eine Kommunikationsbasis für inhaltliche Auseinan-
dersetzung aufzubauen.

politik-digital: Können Sie ihr Wahlprogramm
in Stichpunkten umreissen?

Müller-Maguhn: Mehr Transparenz, mehr Beteiligungsoptionen, Dezentralisierung.
Ich habe nichts gegen eine Erweiterung des Netzes um kommerzielle
Bestandteile, aber etwas gegen eine Vereinnahmung des öffentlichen
Raumes durch kommerzielle Interessen.

politik-digital: Was interessiert Sie an ICANN? Reizt
Sie die top-level-domain Vergabe
oder glauben Sie, dass ICANN auch an politischem Einfluss gewinnen kann?
Wäre es vorstellbar, dass ICANN irgendwann zwischen Ländern vermittelt,
wenn es z.B. um Seiten mit volksverhetzenden Inhalten geht?

Müller-Maguhn: Es ist mir an einigen Stellen ein persönliches Anliegen,
daß die Architektur
des Netzes nicht in die Hände von Industrieunternehmen und Regierungen
fällt, die kein Verständniss für den globalen Kulturraum Internet haben.
Die Entscheidungen, die bei ICANN gefällt werden, haben weitreichende
Entscheidungen – auch auf das Internet als Medium und somit auf die
Gesellschaft. Derzeit gibt es eine Reihe von schwellenden Konflikten,
die nach meiner Einschätzung eine klare Interessensvertretung der
Netzbewohner im ICANN braucht.
Die Gefährdung des free flow of information geht dabei derzeit eher
von Industrieinteressen aus. Derzeit.

politik-digital: E-Demokratie und Online-Wahlen
sind ein beliebtes Thema. In wie weit
können die ICANN-Wahlen hier als Versuchmodell gesehen werden? Oder
können wir eher aus den Fehlern für die Zukunft lernen?

Müller-Maguhn: Die ICANN Wahl hat ziemlich wenig mit einer Wahl in einer repräsentativen
Demokratie gemeinsam. Hier gibt es viele Besonderheiten zu beachten.
Online-Wahlen halte ich auch nicht durchgehend für sinnvoll, weil
Demokratie zunächst einmal heißen muß, gesellschaftliche Transparenz
aufzubauen und die Informationen verfügbar zu machen, auf deren Basis
man sinnvolle Entscheidungen im großen wie im kleinen fällen kann.


politik-digital: Wird ICANN mit den neuen Direktoren weniger USA-lastig und
regierunsnah? Wird ICANN demokratischer?

Müller-Maguhn: Zumindest ist die diesjährige @large-Wahl – bei allen Einschränkungen –
wohl ein Schritt in die richtige Richtung um tatsächlich zu Nutzer-
legitimierten Entscheidungen und einem dezentralen Ansatz weg
von reiner US-Regierungsdominanz zu kommen. Diesbezüglich
bleibt aber noch viel zu tun.

politik-digital: Wie kommerziell darf das Internet sein?
Wie reguliert muss es sein?

Müller-Maguhn: Das Internet ist ein globaler Kulturraum, der
viele unterschiedliche Auffasungen
über viele Fragestellungen verbindet. Das soll auch so bleiben.
Kommerzielle Anwendungen finden unter anderen Regelungen statt
als nicht kommerzieller Gedankenaustausch. Insofern sollten die
einzelnden Anwendungsbereiche unter Ihren eigenen Regelungen
stattfinden. Die Übertragung kommerzieller Regeglungen auf
nichtkommerzielle Räume sehe ich als ein Verbrechen an der Sache.

politik-digital: Zum Schluss noch die leidige
Finanzierungsfrage: Sollten Sie
Direktor werden, wie werden Sie diese Tätigkeit finanzieren und organisieren?

Müller-Maguhn: Ich finanziere meine eigene Arbeit grundsätzlich unabhängig, da
verweise ich jetzt mal aus Zeitgründen auf meine offiziellen
Bewerbungserklärungen zu dieser Frage. Organisation
selbstverständlich zum größtenteil über das Netz. Das mache
ich nun seit 10 Jahren.
Transparenz wird natürlich ein Thema, das ebenso wie begleitende
(Rechts-)beratungen, Zusammenkünfte von Vertreten europäischer
Nutzervereinigungen etc. finanziert werden muß. Diese Fragen
werde ich aber ggf. nicht selbst sondern in Absprache mit anderen
klären.
Ich sehe mich ja auch als Kandidat für diesen Direktoriumsposten,
als Vertreter eines Netzwerks von Menschen.