Vor knapp zwei Wochen wurden die ersten Informationen über den BND-Skandal durch Recherchen des Spiegel bekannt. Seitdem stehen das Bundeskanzleramt und seine aktuellen und letzten Leiter in der Kritik. Aber auch Bundeskanzlerin Merkel gerät zunehmend unter Druck, die Hintergründe der Affäre schnell und umfassend aufzuklären. Dr. André Hahn (Die Linke) ist Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überprüfung der Tätigkeit der Geheimdienste, er schreibt in einem Gastbeitrag über den Spionageskandal von BND und NSA und die Verantwortung des Kanzleramtes.

Noch kann man die Dimension der jüngstens BND/NSA-Affäre nicht abschließend bewerten, aber nach dem, was bisher in den Medien berichtet wurde und auch ich aus meiner Arbeit weiß, handelt es sich um einen der größten Geheimdienstskandale in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll dem US-Geheimdienst über fast ein Jahrzehnt hinweg beim Ausforschen und Aushorchen von europäischen Unternehmen, Institutionen sowie Politikern und letztlich auch bei Wirtschaftsspionage geholfen haben.

Im BND ist das durchaus aufgefallen, schließlich hat man über Jahre hinweg offenbar mehr als 40.000 illegale Suchbegriffe festgestellt, die seitens der NSA in die Überwachungsmaschinerie eingespeist werden sollten. Diese wurden nach Erkennung gesperrt, wobei unklar ist, ob und wie lange sie vorher schon im System waren. Zudem sind noch nicht einmal alle heiklen Begriffe erfasst worden, wie sich nach den Snowden-Enthüllungen herausstellte, denn bei einer Tiefenprüfung im Jahr 2013 – so laut nicht dementierten Medienberichten – sollen noch einmal 2.000 so genannte Selektoren gefunden worden sein, die womöglich über Jahre hinweg zu Anwendung kamen und über die millionenfach Daten von Organisationen und Personen erfasst wurden, die weder etwas mit Waffenhandel noch mit organisierter Kriminalität und schon gar nicht mit Terrorismus zu tun hatten. Doch allein das waren die Themen für die gemeinsamen Projekte zwischen dem BND und amerikanischen Geheimdiensten.

Wenn die neuesten Informationen stimmen und es schon in den Jahren 2008 bzw. 2010 Berichte des BND über versuchte bzw. auch real erfolgte Wirtschaftsspionage seitens der NSA an die Dienst- und Fachaufsichtsbehörde gegeben hat, dann hätte das Bundeskanzleramt das Parlamentarische Kontrollgremium und auch die Obleute im NSA-Untersuchungsausschuss belogen, denn dort hat Kanzleramtsminister Altmaier am 22. April 2015 erklärt, sein Amt habe erst vor wenigen Tagen von derartigen Bestrebungen erfahren.

Natürlich war Herr Altmaier 2008 noch nicht im Amt – das war der jetzige Bundesinnenminister de Maizière – aber Altmaier trägt neben der Bundeskanzlerin die politische Verantwortung für sein Haus. Deshalb müssen sofort alle Karten auf den Tisch, sowohl gegenüber dem Kontrollgremium als auch gegenüber dem Untersuchungsausschuss, der den Hauptteil der Aufklärung zu leisten hat.

Bundestag muss Ausklärungsarbeit leisten (können)

Das Parlament hat Anspruch auf die ganze Wahrheit, und die Abgeordneten sind fraktionsübergreifend nicht bereit, sich länger mit häppchenweisen Informationen abspeisen zu lassen. Es muss vollständig aufgeklärt werden, wer wann durch wen über die Versuche der (Wirtschafts-)Spionage gegen deutsche und europäische Interessen unterrichtet und was daraufhin dagegen unternommen wurde – oder eben auch nicht. Der NSA-Untersuchungsausschuss muss alle angeforderten Unterlagen vollständig erhalten, insbesondere auch die kompletten Listen mit den so genannten Selektoren, also jenen Suchbegriffen (Namen, Firmen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern usw.), die die NSA interessierten. Erst dann kann man den tatsächlich entstandenen Schaden wirklich erkennen.

Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum der BND Spionage gegen deutsche und europäische Interessen direkt oder indirekt unterstützt, zumindest aber geduldet hat. Allerdings wurde von BND-Leuten im NSA-Untersuchungsausschuss immer wieder betont, dass die Geheimdienst-Kooperation mit den USA angeblich unverzichtbar sei. Möglicherweise hat man deshalb weggeschaut, und der Bundesregierung fehlte offenbar der Mut, den US-Bestrebungen entschieden entgegenzutreten. Es wäre jedoch sowohl die Verantwortung des BND und vor allem des Kanzleramtes gewesen, sofort zu intervenieren und gegebenenfalls die Zusammenarbeit in den rechtlich ohnehin umstrittenen Projekten zu beenden. Das ist aber offenbar nicht geschehen. Diese Unterwürfigkeit gegenüber den US-Amerikanern muss endlich ein Ende haben!

Ob die Bundeskanzlerin selbst von den Vorgängen in Kenntnis gesetzt wurde, ist derzeit noch nicht sicher. Es ist aber kaum vorstellbar, dass ihr Kanzleramtschef von solchen Vorgängen weiß und seine Chefin nicht unterrichtet. Eines ist aber klar: Angesichts der Dimension der Vorwürfe muss es am Ende auch personelle Konsequenzen geben, an der Spitze des BND ebenso wie im Kanzleramt. Momentan ist vor allem der frühere Kanzleramtschef de Maizière in der Kritik, aber auch sein Vorgänger Steinmeier und sein Nachfolger Pofalla sind längst nicht „aus dem Schneider“ und werden im Untersuchungsausschuss vielleicht sogar unter Eid aussagen müssen. Thomas de Maizière wird voraussichtlich schon am 6. Mai dem Parlamentarischen Kontrollgremium Rede und Antwort stehen. Danach wissen wir hoffentlich mehr.

Bilder: marsmet548 (CC BY-NC-SA 2.0)

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