60 Jahre hat es gedauert, bis sich Spanien an die republikanischen Opfer des Bürgerkriegs (1936-39) erinnern wollte und erinnern durfte. Heute sind es vor allem gut vernetzte Angehörigen-Verbände, die via Internet das öffentliche Bewusstsein prägen und politische Forderungen stellen.

 

Screenshot fosacomun

Screenshot fosacomun

 

Jesús
Fernández Álvarez wurde im Morgengrauen des 25. Juni
1938 in Oviedo/Asturien hingerichtet. Der 33-Jährige war
Mitglied der Kommunistischen Partei und kämpfte im Bataillon
"Máximo Gorki" gegen die franquistischen Truppen.
Insgesamt 30 Gefangene wurden an diesem Tag erschossen und in einem
Massengrab verscharrt. Jesús Fernández Álvarez
ist einer von ca. 30.000 desaparecidos (Verschwundenen):
Opfer des Bürgerkriegs auf der republikanischen Seite, deren
Verbleib nicht endgültig geklärt ist. 60 Jahre nach seinem
Tod hat er einen Grabstein erhalten – er ist 200 Pixel hoch und 155
Pixel breit.

Das Ende des Beschweigens

Der
Grabstein besteht aus einem Foto, einer Rose sowie einer
Kurzbiografie. Abgebildet ist er auf der Internetseite fosacomun. Die Betreiberin der Seite, die Asociación
de Familiares y Amigos de la Fosa Común de Oviedo,
ist
eine von zahlreichen Angehörigen-Initiativen, die sich seit 1996
in Spanien konstituiert haben. Ihr Ziel ist es, den unbekannten
Opfern des Bürgerkrieges ein Gesicht zu geben und diese in Würde
zu beerdigen. Zudem wollen sie den Verbleib von Vermissten klären,
die während des Bürgerkriegs und der Folgezeit starben.

Ein
erstaunlicher Schritt in einem Land, das nach dem Ende der
Franco-Diktatur 1975 durch eine konsequente Geschichtsvergessenheit
aufgefallen ist. Der Übergang zur Demokratie gilt noch heute
als Musterbeispiel eines friedlichen Systemwechsels. Doch wurde
dieser durch das anhaltende Beschweigens der republikanischen Opfer
erkauft.

Ein
Bruch mit dieser Tradition fand erst zur Jahrtausendwende statt:: Die
sozialistische Opposition erhöhte den Druck auf die konservative
Regierung; gleichzeitig traten erste zivilgesellschaftliche Gruppen
in Erscheinung. Zentrale Figur dieser Bewegung war der
Lokaljournalist Emilio Silva, der nach den Überresten seines
Großvaters recherchierte und diese Arbeit in einer
Regionalzeitung dokumentierte. Die Berichterstattung fand ein
gewaltiges Echo: Aus dem ganzen Land meldeten sich Menschen, die
ebenfalls nach Angehörigen suchten; Archäologen und
Forensiker boten ihre Unterstützung an. Mit der bald gegründeten
Vereinigung zur Rückgewinnung der historischen Erinnerung rückte das Thema der Verschwundenen mit Macht ins öffentliche
Bewusstsein.

Vernetztes Erinnern

Diese
Erinnerungsarbeit findet vor allem im Internet statt. Vereine,
Initiativen, Institutionen, politische Gruppierungen und
Einzelpersonen tragen auf miteinander vernetzten Internetseiten
Informationen zusammen, die das ideologisch verzerrte Geschichtsbild
der Franco-Jahre revidieren.

So
werden unter http://museomemoriarepublicana.blogspot.com/ Fotos,
Briefe, Filmausschnitte und Hintergrundberichte kunstvoll zu einer
Collage montiert: Diese soll, an die Opfer erinnern, die in den
franquistischen Gefängnissen der Hauptstadt Madrid verschwanden.

 

Screenshot Museum Memoria Republicana
Screenshot Museo Memoria Republicana

 

Andere
Seiten beispielsweise erinnern ästhetisch und technisch
hochprofessionell an die Bombardierung Barcelonas durch Francos
Truppen (idep.es/juliansite/bombardeo/)
oder dienen als virtueller Stammtisch für Mitglieder der
Internationalen Brigaden
(brigadasinternacionales.org/index.html).

Das
vielleicht persönlichste und gleichzeitig grafisch
eindrucksvollste Beispiel digitaler Erinnerungsarbeit einer einzelnen
Person ist die Seite fusilados.org, auf der „Héctor"
seinem Großvater Ismael ein Denkmal setzt. Ismael wurde
am 3. November 1939 nahe Burriana/Valencia erschossen.
Die Todesstrafe wurde verhängt, weil er Mitgliedschaft in einer
Gewerkschaft und ein „Feind des Katholizismus" gewesen sei.
Héctor dokumentiert auf der Website seine Spurensuche, zeigt
Fotos von den Orte des Geschehens, legt über die heutigen Ansichten
Schablonen, die etwa ein Massengrab markieren. Das heutige Haus der
Kultur wird von der historischen Aufnahme des Militärgefängnisses
überblendet, der unscheinbare Straßenabschnitt als
Hinrichtungsstätte identifiziert – bekannte und banale Orte
der Stadt erzählen plötzlich eine Geschichte.

Politische Forderungen

Die
Arbeit an einem kollektiven Gedächtnis im Internet ist dabei
mit ganz konkreten politischen Forderungen verknüpft. So geht es
u.a. um Entschädigungszahlungen, juristische Rehabilitation der
Opfer, staatliche Unterstützung für weitere Exhumierungen
oder die Tilgung von Straßenbenennungen aus der Franco-Ära.
Hier steht noch eine umfassende rechtliche Regelung aus, auf die die
zahlreichen Initiativen im Vorfeld mit teils erheblichen Druck
Einfluss nehmen wollen.

Übrigens:
Inzwischen erinnern in Oviedo ein Monument und eine großflächige
Gedenktafel an Jesús Fernández Álvarez und die
anderen republikanische Opfer des Bürgerkriegs – ganz real.

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