Gabriel Rodriguez  (CC BY-SA 3.0)
Frankreich hat es, die Vereinigten Staaten haben es, braucht Deutschland es auch? Was könnten wir uns für die Bundestagswahl davon erhoffen? Und worüber reden wir hier überhaupt? Digitale Wahrheitsfindung ist der neue Trend, der unabhängig voneinander in Frankreich und in den USA entwickelt wurde und vielleicht auch im Hinblick auf die diesjährigen Bundestagswahlen Interessenten finden könnte.
Was wäre die Welt ohne Lügen? Für einige Menschen, wie dem französischen Schauspieler Jean Gabin „die Hölle auf Erden“. Keine Notlügen, kein Schönreden von Situationen – die Wahrheit kann manchmal sehr unbequem sein. Aber wie sieht es in der Politik aus? Wollen wir von unseren gewählten Vertretern angelogen werden? In den Augen der Entwickler zweier neuer Softwarelösungen stellt sich diese Frage nicht. Mit ihren Programmen versuchen sie zu analysieren, ob und inwieweit Politiker tatsächlich die Wahrheit wiedergeben.
Auf der Suche nach der Wahrheit
Politiker haben es heutzutage nicht leicht. Stellen Sie sich kurz einmal vor, nicht nur Ihre Doktorarbeit würde auf Fehler untersucht, sondern auch jede Aussage und jedes Versprechen, das Sie abgegeben haben. Und das nicht von einzelnen Personen oder Gruppen, sondern von einem Computerprogramm, das wirklich nur Fakten kennt. Sei es das französische véritomètre oder der Prototyp der amerikanischen Truth-Teller-App: Bei beiden steht der Faktencheck zur Wahrheitsfindung im Fokus. Glaubwürdigkeitsrecherche im digitalen Zeitalter, wenn man es so nennen will. Eine gewisse Angst der Volksvertreter dürfte schon alleine bei der Vorstellung daran vorprogrammiert sein.
Frankreichs Wahrheitsbarometer – Amerikas Wahrheitserzähler
Das Internetportal véritomètre ist Faktenchecking 2.0. Vom im Dezember leider eingestellten, offenen Think Tank owni.fr entworfen, hat der véritomètre die französischen Präsidentschaftswahlen begleitet. Dabei wurden Aussagen der Kandidaten in verschiedenen Debatten mit Statistiken auf den Wahrheitsgehalt überprüft und in drei Kategorien eingeteilt: “wahr”, “falsch” und “unpräzise”. Das Ergebnis war ein Glaubwürdigkeitswert für jeden einzelnen Politiker. Laut Karin Kutter, die bei den Trendbloggern über vériomètre berichtete, war das Ziel der Initiatioren: “Der mündige Bürger muss nicht mehr passiv dem Polittheater zusehen.”

Faktencheck steht auch bei der amerikanischen Truth-Teller-App auf der Agenda. Initiiert von der Washington Post, soll sie in Zukunft sogar in Echtzeit politische Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können – und das automatisch und für jeden. Der Prototyp wurde dieses Jahr bei Barack Obamas ersten Rede zur Lage der Nation am 12. Februar getestet und konnte in Ansätzen schon überzeugen.
Wie funktioniert die Truth-Teller-App? Die „speech-to-text“ Technologie ermöglicht es der News-App getroffene Äußerungen herauszufiltern und diese dann anhand einer Datenbank, die bisher noch von den Entwicklern gefüttert wird, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Wie lange der Entwicklungsprozess noch dauert, bis die App auch ohne gespeiste Datenbank funktioniert, steht noch nicht fest. Laut den Machern der App soll sie aber auch für Mobiltelefone bzw. Smartphones zugänglich gemacht werden. So soll eine Person künftig die Rede eines Politikers aufnehmen können und mit der App den Wahrheitsgehalt „checken“.
Deutschland ahoi?!
Die deutschen Parteidampfer nehmen Kurs auf die Bundestagswahl. Kapitäne und Matrosen sind bereits an Bord, allerdings herrscht an Deck noch erhebliches Chaos. In der nächsten Zeit wird sich herausstellen, ob die Parteien bereit sind die (richtigen) Segel zu setzen oder ob man eher einen Mastbruch zu erwarten hat. Und die Bürger? Die haben die Wahl und bestimmen, aus welcher Richtung der Wind weht. Eines steht aber bereits heute fest: Die Besatzungen werden um jede Stimme kämpfen und deswegen unzählige Aussagen und vollmundige Versprechungen unters Volk bringen. Aber wem soll man wirklich glauben? Welchen Politikerreden ist zu trauen? An dieser Stelle könnte tatsächlich eine Wahrheitsfindungssoftware ins Spiel kommen, die nichts anderes macht, als reine Fakten zu checken. Das bedeutet, man müsste nicht Redakteuren und ihren Einschätzungen vertrauen, sondern könnte sich auf den digitalen Faktencheck verlassen, der nüchterne Analyse verspricht. Natürlich wird das für die Meinungsbildung nicht ausreichen, aber es könnte zumindest als zusätzliche Informationsressource dienen. Ob das in Form einer „Live-App“ wie bei Truth-Teller oder einem Wahrheitsbarometer wie bei véritomètre geschieht, scheint erst mal nebensächlich. Wichtig ist das Signal, dass Versprechungen und Aussagen von Politikern, die dazu dienen, beim Bürger besser anzukommen, künftig entlarvt werden können. Damit am Ende nicht der Kabarettist Oliver Hassencamp mit seinem Spruch recht behält: „Aus Lügen, die wir glauben, werden Wahrheiten, mit denen wir leben.“
Bild: Gabriel Rodriguez (cc by-sa 3.0)
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