Strom ist gelb, die Liebe rot und die IT ist grün. Zumindest
drängt sich diese Assoziation nach einem Marathon von
Beschlüssen, Kongressen und Tagungen der Bündniss90/Grünen
zum Thema Informationstechnologie auf.
Fast vergisst man in diesen Tagen in Berlin, dass man nicht Mitglied bei den
Bündnis 90/Grünen ist, so viel Zeit verbringt
man in ihren Reihen. Mit einer wahren Flut von Kongressen und Veranstaltungen rüsten die
Grünen sich programmatisch für die Informationsgesellschaft und suchen nach einem Profil
jenseits von Atomkraft und Umweltschutz. Themen wie Lebenslanges Lernen, Open Source, Digitale
Spaltung und Verbraucherschutz sollen der "Green IT" Farbe bringen und das Image von der
Technologie-feindlichen Sonnenblumen-Partei aufpolieren.
Lektion 1: "Das Internet ist nicht immer toll"
Den Anfang machte der
2. ordentliche Länderrat zu dem die Grünen eine illustre Schar Experten geladen hatte,
auf dass diese sie aufklärten, über Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft. Die
Referenten nahmen diese Aufgabe ernst und versuchten sich in IuK-Allgemeinbildung.
ICANN-Direktor Andy Müller-Maguhn erklärte
den Anwesenden, dass das Internet nicht per se toll und demokratisch sei, sondern dass man
es so gestalten müsse. Das war Lektion eins. Lektion zwei bestand darin, dass
Philipp Stradtmann
von Pixelpark versuchte, die Grünen auf inhaltliche Schwerpunkte
hinzuweisen: Nicht Kinderhortplätze in IT-Firmen seien das Problem,
sondern die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Arbeit in der
Branche.
Nachdem diese Grundlagen geklärt waren, konnte im Beschluss des Länderrates
festgehalten werden, dass die Grünen in Zukunft das Thema Informationsgesellschaft
auf ihre Weise besetzen wollen. Eben "Freie Software" ohne Patente, Virtualisierung der
Hochschule, generationsübergreifendes Internet und viel Transparenz. Auch andere Parteien wandeln
auf diesen Pfaden weswegen es eines inhaltlichen Nachschlags bedurfte.
Lektion 2: Hardware-Diskussionen sind oberflächlich
Den gab es dann prompt drei Tage später auf der Fachkonferenz "Der Grüne Weg in die Informationsgesellschaft", zu der wieder zahlreiche Experten geladen waren. Grietje Bettin,
medienpolitische Sprecherin und treibende Kraft auf der Suche nach
einer programmatischen Nische im Spektrum der IT-Themen, sieht den
Austausch mit Experten und Machern auch langfristig als Möglichkeit das
Thema auf die Grüne Agenda zu nehmen. Hippness und Trendgespür will die
junge Grüne damit nicht beweisen, sondern Zukunftsfähigkeit. Der
gesellschaftliche Wandel durch die Informationstechnologie soll – und
das ist ein grünes Thema – chancengleich und basisnah verlaufen.
Entsprechend wünschte sich Grietje Bettin in ihrer Eröffnungsrede
preiswerte Flatrates und Medienkompetenz für alle.
Die "vielfältige und bunte Gesellschaft", die sich Bettin nicht nur im
Realen, sondern auch " in den virtuellen Weiten des Internet" vorstellt, war
trotz der zweifellos hochqualifizierten Auslese nicht für alle Podien geladen.
Die meisten Teilnehmer hatten eher Sorge, ihrem Nachredner ein Argument wegzuschnappen,
als ihn inhaltlich zu kontrastieren. Zumindest bei dem Thema "Bildungspolitik
im Zeitalter der Virtualisierung" kam echte Diskussionsstimmung auf und die
grünen Teilnehmer konnten wieder etwas lernen: Während
Matthias Berninger, bildungspolitischer Sprecher, noch Laptops für
Studenten forderte, nannte
Prof. Dr. Klaus Haefner von der Uni
Bremen diesen Ansatz "oberflächlich". Die Hardware sei nicht das Problem,
der Umgang mit den Systemen, Programmen und Netzen müsse Schülern
und Studenten vermittelt werden. Worauf das Fachpublikum im Saal zu murren begann,
dass selbst das sei, als trüge man Software nach Seattle.
Und kaum hatte man sich versehen, galoppierte das Thema IT und Bildung davon
und stattdessen gab es die gewohnte Mischung aus Beamtenschelte und Lehrplandiskussion.
Lektion 3: online-shop till you drop
Als es in der nächsten Runde um den Verbraucherschutz ging, kristallisierte sich dann doch eine themennahe Haltung heraus. Volker Beck,
rechtspolitischer Sprecher, will das Rabattgesetz fallen sehen. Die
Grünen beim Powershopping? Warum nicht. Zumindest soll sich Deutschland
nicht mehr der Lächerlichkeit preisgeben, wie unlängst nach zwei
Gerichtsurteilen in Hamburg und Köln geschehen. Den Betreibern von
letsbuyit.com und Primus Online ist ihr Geschäft untersagt worden, denn
es verstoße "gegen die guten Sitten". Die Formulierung des Gesetzes
stammt aus dem Jahre 1933 und Beck will nun aufholen, damit Anbieter
wie letsbuyit ihre Geschäfte nicht vom Ausland aus tätigen. Der
Powershopper hatte auch gleich eine Referentin auf das Podium entsandt
und so herrschte bald Einigkeit, dass Rabattgesetz und die Verordnung
zum unlauteren Wettbewerb in die Mottenkiste gehören.
Ein
bisschen entstand der Eindruck, als hätte sich die IT-Fraktion der
Grünen vornehmlich Teilnehmer eingeladen, die ihre inhaltlichen
Schwerpunkte und Sichtweisen stützen. Nicht Konfrontation sondern
inhaltliche Ausgestaltung und Festigung der beschlossenen Ausrichtungen
ist wohl der Weg, der die Identifikation möglichst vieler
Parteimitglieder mit dem Thema zum Ziel hat. Und das wurde auch bei der
Diskussion um Freie Software erreicht, bei der Oliver Zendel,
Vorsitzender des Linuxtages, Daniel Riek Vorstandsvorsitzender einer Firma für Freie Software und Hartmut Pilch vom Förderverein für freie informationelle Infrastruktur sich weitgehend einig waren. Götz von Stumpfeldt, aus dem Büro von Margareta Wolf
(Fraktionsvorstand), der für die Grünen auf dem Podium saß, hatte
leichtes Spiel, denn die Experten erzählten, was alle Anwesenden hören
wollten: Freie Software ohne Patente ist gut, bedeutet sie doch für die
Grünen "Transparenz" und "Kooperation" und darin, so Stumpfeldt,
bewegen sie sich auf ureigenem Terrain.
Lektion 4: Transparenz + Kooperation= Open Source
Das
Prinzip der Open Source oder Freien Software ist, dass der Quellcode
der Programme offen liegt und so jeder, der einen Fehler entdeckt oder
das Programm seinen Bedürfnissen anpassen will, daran weiter "basteln"
kann. Die Weitergabe des Produktes, auch die kommerzielle ist erlaubt.
Auf diesem Weg erhöht sich neben der angesprochenen Transparenz auch
das Innovationspotential. Patente auf Software bremsen den gesamten
Prozess ab. Jeder, der an Softwareprogrammen arbeitet, müsste sich erst
durch die Berge von Patenten wühlen, um festzustellen, ob es sich für
ihn lohnt weiter zu machen. Und eine eigene Patentabteilung, so die
Vertreter auf dem Podium, können sich die meisten Entwickler nicht
leisten. Von den Software-Riesen wird jedoch die Patentierbarkeit
gefordert, mit der sich leichter Monopole am Markt etablieren lassen.
So
bleibt nur eine schwache Hoffnung, dass die vom Europäischen Patentamt
für diesen Herbst geplante Ausweitung des Patentschutzes nicht
passieren wird. Und auch die stärkere Einbindung von Open Source in die
Regierungs-Rechner bleibt ein vages Vorhaben, das man frühestens nach
der nächsten Wahl angehen könne, so Stumpfeldt.
Dennoch bleibt das Thema zentral auf der grünen Agenda und läutet auch die Zielgrade
des grünen IT-Marathons ein. Die grünen-nahe
Böll-Stiftung lädt im Rahmen des "Netzwerks Neue Medien"
am 20. und 21. Oktober zu einer Tagung mit dem Titel "Wem gehört das
Wissen" auf der die Frage nach der Patentierbarkeit von Software ein
zentrales Thema sein wird. Und hier wird es dann auch endlich etwas
kontrovers werden. Hatte man bei den bisherigen Veranstaltungen der
Grünen zum Thema eher das Gefühl, die Vordenker wollen eher die eigene
Partei als die Öffentlichkeit von dem Thema überzeugen, hat die
Böll-Stiftung mit Gästen wie den IBM-Patentvertreter Fritz Teufel,
Klaus-J. Melius, Richter und Patentbefürworter und Vertretern der
"Freien" Szene Spannungspotential auf dem Podium eingeplant.
Die Befestigung eines "grünen Wegs" in der Informationsgesellschaft ist, auch wenn andere Parteien
bereits ihre Pfade getrampelt haben, ein wichtiges
Vorhaben, für das Thema und für die Partei sowieso. Es gibt hier in der Tat Aspekte, die gut
zum Image der Partei passen würden.
Die Ausarbeitung einer Position muss jedoch mit großer Sorgfalt und inhaltlicher
Differenzierung betrieben werden, denn das Gestaltungsfeld läßt weniger Konfliktpotential zu, als
es die Atomkraft einst bot. Und natürlich sind die Grünen nicht die einzigen,
die das Thema entdeckt haben. Ob "Partei der dotcoms" oder "Partei der Laptops",
niemand ist gegen das Internet …