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„We know too well that our #freedom is incomplete without the freedom of Palestinians, #Nelson Mandela #Solidarity #Palestine“. Dieser Retweet kam nicht etwa von einem Bürgeraktivisten, sondern vom iranischen Präsidenten Hassan Rouhani. Obwohl die Kurznachricht für viele Iraner wie blanker Hohn klingen mag,  kann die weibliche Bevölkerung im Iran ein wenig Hoffnung schöpfen. Im Netz lebt sie bereits gewisse Freiheiten aus, die im Analogen nicht möglich wären.
Die gewalttätige Vorgehensweise der Ahmadinejad-Regierung gegenüber Protestlern während der Grünen Bewegung 2009 sitzt noch sehr tief bei vielen Iranern. Nicht vergessen sind Nachrichten auf Twitter und Facebook-Bilder, die die Brutalität des Regimes eindrücklich dokumentiert haben. Nicht vergessen sind auch die vielen Bilder junger Demonstrantinnen, die ohne Furcht in vorderster Reihe gelaufen sind und für mehr Freiheit ihr Leben in den Straßenkämpfen gelassen haben.
Zwar versucht das Regime noch, das Internet nach seinen Vorgaben zu zensieren, aber dass das Internet und vor allem die Zensur löchrig sind, wissen auch die Mullahs. Eine hundertprozentige Kontrolle des Netzes ist nicht möglich – zu wichtig ist auch die eigene politische Online-Kommunikation für das Regime geworden. Somit beschränken sich Online-Aktivitäten der Behörden nicht mehr darauf, zu reagieren und zu verhindern, was nicht mehr zu verhindern ist, sondern erstmalig versucht die iranische Regierung, die digitale Kommunikation aktiv zu gestalten. Mit Präsident Hassan Rouhani scheint diese Entwicklung gewissermaßen ein Gesicht gefunden zu haben. Doch hat tatsächlich eine neue Ära im Iran begonnen?

Eine Achterbahnfahrt

Die kleinen Schritte in Richtung mehr Freiheit zeigen sich vor allem an mehr Freiheiten für Frauen. Frauen haben im Iran ihre Stimmen immer wieder gegen staatliche Repressionen, Korruption und Wahlbetrug erhoben und in großer Zahl protestiert. Bereits während der Konstitutionellen Revolution im Jahre 1906 und während der Islamischen Revolution im Jahre 1979 waren Frauen massiv benachteiligt und haben zum Erfolg der Aufstände entscheidend beigetragen. Ihre Situation in Hinblick auf Gleichberechtigung veränderte sich jedoch im Laufe der Zeit kaum. Nach der Islamischen Revolution wurden ihnen die zuvor bereits erkämpften Freiheiten sogar wieder entzogen.
Jedoch waren seit dem Anfang der 1990er Jahre immer wieder Präsidenten an der Macht, die Reformen gegenüber offen waren, wie Akbar Rafsanjani (1989-1997) und Mohammad Chatami (1997-2005). Somit gab es immer wieder liberale Phasen, in denen Frauen aufatmen konnten. In diesen Phasen wurde ihnen der Zugang zu Bildungseinrichtungen gewährt, kritische Frauenzeitschriften wurden gegründet und menschenfeindliche Gesetze gelockert. Nun scheint es mit dem jetzigen Machtwechsel wieder eine Möglichkeit für die weibliche Bevölkerung zu geben, ihre Stellung in der Gesellschaft weiter auszubauen und dort anzuknüpfen, wo die Entwicklung in Mahmud Ahmadinejads Regierungszeit stehen geblieben war.

Iranische Frauen dominieren im Netz

Im heutigen Iran sind über 63 Prozent der Studierenden weiblichen Geschlechts. Die gut ausgebildeten Frauen sind es, die sich nicht mehr wie Menschen zweiter Klasse in der iranischen Gesellschaft behandeln lassen wollen. Ihnen wird der Zugang zu besser gestellten Arbeitsplätzen versperrt und die Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit schränkt sie weiterhin in ihrer persönlichen Entwicklung ein. Diese Blockaden entmutigen sie jedoch nicht, neue Wege einzuschlagen. Im Alltag wie auch in der anonymen digitalen Welt widersetzen sich Frauen immer wieder Vorschriften und Zensuren. Anders als in der physikalischen Welt ist der Spielraum in sozialen Netzwerken und Foren sehr groß. Ein aktuelles Beispiel sind die Online-Proteste gegen das Zutrittsverbot für Frauen zu den Fußballstadien. So schreibt shireenahmed via Twitter: „She needs to be in the stadium. She should be in the stadium. ‪#Football wants her in the stadium. ‪#IRWomenStadium.“ Auch die Twitter-Nutzerin CordeliaHeb äußert sich auf diesem Wege „Women in Iran are banned from football matches – but there’s a push on social media to change that ‪http://bbc.in/1hrilRE  ‪#IRWomenStadium“. Einen kleinen Erfolg konnten die Proteste bereits verbuchen. Sie haben weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen und setzen die Führungskräfte im Land auf diese Weise unter Druck.

Twittern Richtung Freiheit

Obwohl die Nutzung von beispielsweise Twitter und Facebook im Iran weiterhin offiziell verboten ist, umgeht eine Mehrzahl der iranischen Bevölkerung die staatlich auferlegten Sperrungen über geschlossene Rechnernetze wie VPN-Verbindungen. Die Versprechungen des Präsidenten Rouhani, Internetsperren weitestgehend aufheben zu wollen, haben somit einen starken symbolischen Charakter. Da junge Frauen im Iran das Internet nutzen, um ihre Meinung und Gefühlslage frei auszudrücken, könnte eine Aufhebung der Internetzensur – spekulativ betrachtet – gleichzeitig eine liberale Haltung gegenüber Meinungsäußerungen allgemein im Land nach sich ziehen. Die Richtung scheint zu stimmen, wie Irans Kulturminister Ali Jannati der Islamic Republic News Agency Anfang November erklärte: “Not only Facebook, but also other social networks have to be accessible, and there should be no legal constraints to access them.” Nun ist zu hoffen, dass die jetzige liberale Phase im Iran keine vorübergehende Etappe bleibt, sondern einen langfristigen Weg darstellt.
Foto: Hardy R (CC BY-NC-SA 2.0)