Dass Elon Musk Twitter gekauft hat, ist nun schon einige Zeit her und der erste Aufschrei wird langsam leiser. Doch das ändert nichts an den Tatsachen, die Musk auf der Plattform schaffen will oder bereits geschaffen hat: zahlungspflichtige Abonnements, Massenkündigungen, Amnestie für wegen früherer Hetzerei gesperrte Accounts und die scheinbare radikale freie Rede, die er geltend machen möchte. Aber wie hat sich die Plattform seit der Musk-Übernahme entwickelt und was könnte in Zukunft auf uns zukommen? Darüber haben wir mit der Politikerin und Publizistin Marina Weisband gesprochen. Seit 2009 ist sie auf Twitter unterwegs und diskutiert ihre Meinung zu gesellschaftspolitischen Themen mit ihren inzwischen knapp 300.000 Follower*innen.   

Die Twitter-Übernahme ist jetzt schon ein paar Wochen her. Was hat sich seitdem auf der Plattform verändert?  

Es gibt immer wieder kleine Veränderungen. Für den durchschnittlichen Benutzer sieht Twitter noch nicht wirklich anders aus als vorher. Die großen Veränderungen passieren im Hintergrund.  

Welche “großen Veränderungen” meinst du damit? 

Es gibt generell zwei Ebenen der Veränderung: das technische Level und die soziale Ebene, das heißt, inwieweit die Regeln geändert werden und wer dort wie aktiv ist. Beides hängt natürlich zusammen und beides könnte das Twitter, das wir kennen, bedrohen. Was die technischen Veränderungen betrifft, sind es in erster Linie die Massenkündigungen, die ein hochkomplexes, sehr verschachteltes System mit sehr wenig Pflege zurücklassen und vor allem mit sehr wenig Wissen darüber, wie es eigentlich funktioniert. Ein guter Teil der Leute, die Bescheid wussten, ist gegangen. Das muss einem nicht sofort um die Ohren fliegen, aber mit der Zeit werden immer mehr unerwartete Probleme auftreten. Die Frage ist dann, ob Twitter als Unternehmen dann überhaupt noch das Know-How hat, um diese Probleme zu beheben.  

Bisher ist die befürchtete “Apokalypse” ausgeblieben, der Absturz von Twitter. Denkst du, das wird noch kommen, dass es wirklich eine Art Katastrophe gibt, oder wird sich die Plattform halten können? 

Ich denke nicht, dass man es sich so vorstellen muss, dass Twitter von dem einen auf den anderen Tag gar nicht mehr erreichbar ist. Wir werden jetzt vermutlich sehen, dass die Timelines langsamer laden, dass bestimmte Fehler auftreten, dass sich technische Stolperfallen häufen. Beispielsweise hat die Zwei-Faktor-Authentifizierung nicht mehr funktioniert, da der Dienst, der die E-Mails verschickt hat, einfach abgeschaltet wurde. Üblicherweise zerbrechen solche Projekte langsam und halten sich noch eine Weile. Es ist dann eher die Summe der Fehler, die sich häuft, und das Ganze dann irgendwann unbenutzbar macht. Es kann aber natürlich auch sein, dass das abgefangen werden kann und das richtige Personal geblieben ist, um die Plattform insgesamt zu warten und funktionsfähig zu halten. Und dann tritt die zweite Frage in Kraft: Wie verändert sich Twitter sozial?  

Doppelmoral und problematische Redefreiheit 

Du hast fast 300k Follower*innen auf Twitter und die Plattform gehört zu deinem Alltag. Wie hast du reagiert, als du erfahren hast, dass Elon Musk Twitter gekauft hat?  

Ich mache mir sehr große Sorgen darum. Elon Musk ist jemand, der sich selbst auf der einen Seite als Free-Speech-Absolutist bezeichnet. Jedoch meint er damit im Moment vor allem die freie Rede Rechtsradikaler, vor allem wenn man sich seine Pläne zur General-Amnestie ansieht. Das ist ein ganz klares Signal an die amerikanische Rechte. Als er Twitter gekauft hat, ist das Auftauchen von rassistischen Schimpfwörtern um 500% gestiegen. Das ist die erste Reaktion darauf, wenn man auf einmal alles sagen darf: die Leute nutzen das eher selten für Kritik an Großunternehmen. Auf der anderen Seite kann man beobachten, dass Elon Musk sehr schnell dabei ist, Leute zu löschen, die ihn beleidigen. Er ist keineswegs tatsächlich ein Verfechter freier Rede, eher im Gegenteil: es ist deutlich schwieriger geworden, ihn oder Tesla zu kritisieren, weil man doch sehr schnell von der Plattform fliegt. Das war so zu erwarten und passt absolut mit seinem Agieren in der Vergangenheit zusammen. Er hat schon immer bspw. gewerkschaftliche Bewegungen rabiat unterbunden, er hat schon oft versucht Kritik gegen sich selbst zu zensieren. Und er ist eben auch nicht nur der Besitzer von Twitter, sondern auch der Besitzer von Tesla, die ihre Fabriken in repressiven Ländern bauen. Diese Länder haben natürlich einen direkten Anreiz, um zu sagen: du darfst hier unter erleichterten Bedingungen deine Fabrik hinbauen, wenn du uns die Daten von Kritiker*innen und Dissident*innen gibst.  

Ende Novemberwurde bekannt, dass Twitter in China mit Anzeigen für Escortservices gespamt hat, um Meldungen über aktuelle Proteste gegen die strengen Corona-Auflagen zu überlagern. So sollte verhindert werden, dass sich mehr Menschen den Aufständen anschließen. Wird sowas in Zukunft häufiger passieren?  

Absolut. Das habe ich bereits vor zwei Wochen vorhergesagt, dass genau so etwas passieren wird. Elon Musk hat ein ganz klares Geschäftsinteresse. Er musste den Kauf von Twitter mit großen Summen von Banken finanzieren lassen. Es sind nicht seine eigenen Schulden, er wird diese nicht alle selbst bezahlen müssen, das ist das Traurige. Aber wenn er Erfolg haben will, dann muss er Geld verdienen. Und Geld verdient er nicht über Twitter, sondern hauptsächlich über Tesla und Twitter wird an der Stelle der Steigbügelhalter dafür sein. Und das ist das, was mir Sorgen macht. Wenn wir sehen, mit wem Elon Musk auf der Plattform persönlich spricht, wessen Tipps und Ratschläge er annimmt, dann sind da sehr viele amerikanische Rechtsradikale.  

“Ich hatte massive Angriffswellen von Musk-Fans" 

Du hast schon gesagt, dass der Anstieg von Hetze und Hass aktuell ein großes Thema ist, welches dich auch betrifft. Hast du schon selbst in den letzten Wochen mehr Hass erfahren müssen?  

Das ist schwer zu beantworten, weil das mit dem Hass in Wellen kommt. Es ist ja nicht so, als seien das authentische Bewegungen. Du merkst genau, wann eine Kampagne gestartet wird. Ich hatte mehrerer solcher Hasswellen seit 2014, als diese russischen Trollfabriken angefangen haben, mich massiv zuzuspamen. Dann hört das aber auch wieder auf und Twitter ist ein ruhiger Ort. Akut habe ich jedoch keine Probleme mit diesen russischen Bots. Das kann sein, dass das an Twitter liegt, daran, dass Musk angeblich gegen diese Bots vorgeht. Es kann aber auch sein, dass die gerade eine Feuerpause haben. Wenn eben gerade keine Kampagne läuft, dann habe ich auch keine Probleme mit viel Hass. Andererseits hatte ich aber auch schon massive Angriffswellen von Musk-Fans, darunter auch sehr viele Bots. Es ist wirklich schwer zu sagen, ob es mehr oder weniger geworden ist. Es ist definitiv anders geworden. Wie sich Twitter kulturell verändert, ist eine Frage, die sich nicht in Tagen oder Wochen entscheidet. Das ist eine Frage, die sich in Monaten entscheiden wird. Wir können das auch an bestimmten Indikatoren beobachten, bspw. wie mit marginalisierten Menschen auf der Plattform umgegangen wird. Ganz speziell Trans*-Menschen und ethnische Minderheiten: Was für ein Ort wird Twitter für sie? Und wir werden schauen müssen, was Twitter für ein Ort für Protestbewegungen wird. Twitter ist ein sehr wichtiges Werkzeug, nicht nur für marginalisierte Menschen, um sich zu vernetzen, nicht nur für Wissenschaftler*innen, um sich zu vernetzen, sondern eben auch für Regimekritiker*innen. Inwieweit Musk da zum Erfüllungsgehilfen repressiver Staaten wird, wird sich jetzt in den nächsten Monaten zeigen.  

Wie du schon sagtest: Twitter ist eine Plattform, auf der sich viele Journalist*innen und auch Aktivist*innen versammeln und auch organisieren, wie etwa aktuell im Iran. Welche Konsequenzen befürchtest du für diese Bubble durch den Twitter-Kauf?  

Am Ende hinterlassen alle diese Menschen ihre Daten dort, inklusive ihrer Nummern für die Zwei-Faktor-Authentifizierung. Wenn z.B. der Iran auf Musk zugeht und ihm Angebote macht für die Auslieferung dieser Daten, weiß ich nicht, ob ich ihm vertrauen würde. Twitter ist für Vernetzungen ein schwieriger Ort geworden. Hinzu kommen solche Aktionen, die wir aus China kennen, dass man die relevanten Hashtags spamt und dass Twitter dies dementsprechend auch zulässt oder gar befördert. Am Ende steuert eben der Algorithmus welche Nachrichten gepusht und welche unterdrückt werden. Es ist deswegen für mich ausgeschlossen, dass eine chinesische Revolution auf Twitter stattfinden wird.  
Infolgedessen müssen wir auch über Twitter-Blue und den Abo-Service sprechen, den er nun plant. 
Der Plan hinter “Du kannst dir einen blauen Haken kaufen und bezahlst 8 Dollar” klingt erstmal harmlos, aber dieser beinhaltet, dass die Benutzer*innen, die nicht bezahlen, algorithmisch versteckt werden. Im Prinzip wird man sie nicht sehen. Man wird vor allem dann gepusht, wenn man diesen blauen Haken hat. Man weiß aus einer ersten Beobachtung, dass diese blauen Haken hauptsächlich von Rechtslibertären, Krypto-Leuten und Pornoseiten gekauft werden. Das heißt, wenn Musk jetzt einen Algorithmus schafft, der Accounts mit blauen Haken stark bevorzugt, dann verschwinden all die Leute einfach von der Plattform, die nicht bereit sind, Musk ihre Kreditkarteninformationen zu geben. Mich wird das auch betreffen, weil ich absolut nicht bereit bin, einem Unternehmen meine Kreditkartendaten zu geben, die gerade 80% ihres Securitystaffs gefeuert haben, das erscheint mir einfach gefährlich.  

Für mich ist Twitter eine Heimat” 

Trotz der vielen negativen Schlagzeilen der letzten Wochen ist die überwiegende Mehrheit der User*innen auf Twitter geblieben, so wie du. Was hält dich auf der Plattform?  

Noch ist vordergründig ja nichts passiert und ich möchte auf jeden Fall beobachten, wie sich das entwickelt. Für mich ist Twitter eine Heimat, ich liebe diese Plattform sehr. Ich bin jemand, der auf das beste hofft und sich auf das Schlimmste vorbereitet. Ich habe ein Rettungsboot gebaut, ich aktualisiere meine Twitter-Kontakte regelmäßig und lasse ein Skript prüfen, wie viele sich inzwischen davon auf Mastodon angemeldet haben. Ich betreibe parallel meinen Account auf Mastodon, dort versuche ich mein Netzwerk hinzusichern. Aber natürlich bleibe ich auf Twitter und nutze auch die Reichweite, die ich über Twitter habe und werde auch nicht ohne weiteres kampflos eine so wertvolle Plattform den Rechten überlassen. Man muss diesen Zeitpunkt abpassen, an welchem man eine Plattform künstlich relevant hält, die eigentlich schon längst sinnlosen Zwecken dient. Das tut Twitter im Moment noch nicht, aus meiner Sicht. Zumindest in Deutschland funktioniert es so weit noch, solange dieses Twitter-Blue Programm noch pausiert ist. Zudem macht es im Moment auch sehr viel Spaß, dort zu sein, weil man in der ersten Reihe eines absolut katastrophalen Unternehmensmanagement sitzt und beobachten kann, wie so etwas zerstört wird.  

Ist Mastodon die beste Alternative? 

Seit Twitter von Elon Musk gekauft wurde und die Gefahr besteht, dass diese Plattform in Zukunft nicht mehr benutzbar sein wird, haben sich viele User*innen, so wie du auch, einen Backup-Account auf Mastodon erstellt oder sind ganz dorthin umgezogen. Inwiefern ist Mastodon eine Alternative für Twitter?  

Mastodon wurde nicht gebaut, um Twitter zu sein oder es nachzuahmen. Was ich sehr gut finde an Mastodon ist die föderale Struktur. Mastodon kann eben nicht von einem Milliardär gekauft werden. Es gibt auch keine zentrale Verwaltung, auf die China einwirken könnte. Es gibt überhaupt niemanden an der Spitze. Mastodon hat keine Gewinninteressen. Das gesamte Design ist überhaupt nicht darauf angelegt, Anzeigen zu schalten oder möglichst polarisierende Inhalte zu schalten, wie es bei allen gewinnorientierten Plattformen der Fall ist. Mastodon zeigt, dass ein öffentlicher Ort der Debatte nicht gewinnorientiert sein muss, um zu funktionieren und das ist, was ich an Mastodon absolut liebe. In diese Richtung müssen sich soziale Netzwerke unbedingt weiter entwickeln. Allerdings gibt es ganz grundsätzlich Dinge, die an Mastodon anders sind, absichtlich anders, die man gut oder schlecht finden kann. Zum Beispiel gehört dazu, dass man auf Mastodon keine Volltextsuche hat. Das heißt, du kannst keine Posts zu bestimmten Themen suchen, solange sie nicht mit Hashtags versehen sind. Außerdem sind diese einzelnen Instanzen, die Server, sehr abhängig von ihren Administrator*innen und Moderator*innen, die das Ganze in ihrer Freizeit ehrenamtlich machen und dementsprechend auch sehr nach ihren Vorstellungen gestalten. Das kann ein großer Vorteil aber auch ein riesiger Nachteil sein. Außerdem müssten die Nutzer*innen sich für ein optimales Ergebnis relativ gleichmäßig über die Instanzen verteilen. Das ist etwas problematisch zu koordinieren. Wir sehen eben riesige Instanzen wie mastodon.social und das ist nicht im Sinne des Erfinders. Optimalerweise sind alle Mastodon-Instanzen etwa gleich groß, nämlich eher klein. Dann kann eine Moderation gut gewährleistet werden. Und was mich im Moment an Mastodon noch ein bisschen stört: ich sehe noch keinen guten Mechanismus, wie sich internationale Inhalte zu mir durcharbeiten. Ich fühle mich auf Mastodon wie in einer Filterblase, in der ich wenig Inhalte oder Themen mitbekomme, die ich nicht aktiv aufsuche. Das ist ein ganz großes Problem, gerade für Aktivist*innen, für Protestbewegungen usw. Die leben davon, dass solche Dinge international viral gehen. Eventuell hängt das auch damit zusammen, dass Journalist*innen fehlen. Ich bekomme auf Twitter sehr viel mit, dadurch, dass ich Journalist*innen folge. Jetzt hat man schon versucht, einen englischsprachigen Journalistenserver aufzubauen. Kurz darauf wurde dieser aber von vielen großen Mastodon-Instanzen geblockt. Und warum? Sie sagen “es war hier sehr gemütlich, wir wollen eigentlich gar nicht, dass Journalist*innen über alles berichten, was wir hier tun, weil das dann nur wieder reißerische Artikel werden”. Dieses Misstrauen gegen Journalismus gefällt mir nicht. Wenn große Instanzen anfangen, solche Server wegzublocken, dann ist das kein guter Mechanismus.  

Vielleicht hat Musk auch nur einen Prozess beschleunigt, der sowieso passieren musste.” 

Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Wie würdest du dir die Entwicklung von Twitter in nächster Zukunft wünschen? Was würde dir Hoffnung machen?  

Ehrlich gesagt, hoffe ich, dass Musk Twitters überdrüssig wird und einen anderen Acting-CEO einsetzt, der nicht versucht, politisch die Rechte zu bedienen. Soweit ich beobachtet habe, hat Musk zwei Motive: erstens versucht er sich politisch beliebt zu machen, vor allem in den Ländern, in denen er Geschäfte machen muss. Das zweite ist, dass er auf rein persönlicher Ebene cool gefunden werden möchte. Er versucht der Memelord zu sein. Er versucht ganz nah bei seinen Fans zu sein. Und das sind beides keine großartigen Voraussetzungen für jemanden, der einen öffentlichen Raum gestaltet. Ich hoffe, dass er das jemand anderem überlässt. Alternativ sehe ich gerade, dass sich neben Mastodon noch viele weitere Plattformen entstehen. Teilweise kommerziell geschlossene Optionen, wie Post. Teilweise föderative Möglichkeiten, wie Mastodon, oder auch einfach nur offene Protokolle, wie bluesky. Wir sehen gerade eine Explosion von sozialen Netzwerken, die hoffentlich als Ergebnis vielleicht eine Umwelt hat, die nicht in privatem Besitz ist, die nicht dieses Gewinninteresse hat und die nicht unsere Demokratie dadurch kaputt macht, indem sie versucht, Anzeigen zu verkaufen, sondern dafür da ist, ein öffentlicher und sicherer Ort für alle zu sein. Je mehr wir in diese Richtung forschen, desto besser geht es uns als Menschen. Twitter, wie es vorher war, war in Wirklichkeit auch schon problematisch. Vielleicht hat Musk auch nur einen Prozess beschleunigt, der sowieso passieren musste. 

Foto: CC by Bastian Bringenberg on marinaweisband.de