Grundriss JVA TegelInternet hinter Mauern – im Berliner Gefängnis Tegel gründeten Gefangene das Internetprojekt “Planet-Tegel”. Die neu gestaltete Seite will eine spezielle Form der Digitalen Spaltung überwinden.

Für einen Teil der Gefangenen in Deutschlands größtem Gefängnis ist das Internet nur etwas vom Hören sagen. Sie kamen erst 1998 durch das von einigen Gefangenen der Justizvollzugsanstalt
Berlin-Tegel begründete Internetprojektes
„Planet-Tegel“ mit dem Internet in Berührung. Damals war „Planet-Tegel“ weltweit der erste von Gefangenen verantwortete Internetauftritt. Nun findet ein Relaunch der Seite statt. Die Gefangenen wollen mit ihrem Projekt Einblicke in den Gefängnisalltag gewähren. Bilder von Gefängnisgängen und –zellen, teilweise im 360°-Rundumblick und Soundbeispiele unter anderem von sich schließenden Gefängnistüren, stellen das Leben hinter Mauern dar. In den Texten der Gefangenen wird das Leben vom Einkauf bis zum Arztbesuch, von der Arbeit bis zu den Stunden hinter der verschlossenen Zellentür beschrieben.„Wir wollen: Vorurteile abbauen. Die Mauer des Schweigens durchbrechen.“, heißt es in einer Selbstdarstellung der Internetgruppe.

Der Planet erhält einen Trabanten

Während es auf dem „Planeten“ eher darum geht, dem Besucher einen virtuellen Zugang zur Gefängniswelt zu bieten, setzt der im Jahr 2000 zusätzlich entstandene Trabant ganz auf Interaktivität Hier findet der eMail-Kontakt nach draußen statt und in einem Internetmagazin stehen die aktuellen Beiträge der Häftlinge. In einem Diskussionsforum, an dem sich auch die Gefangenen beteiligen, wird kontrovers diskutiert.

Als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte

Um einen 486er PC stand 1998 die Internet-Gruppe versammelt und betrachtete das Ergebnis des Designers
Michael Henning, der das Projekt im Rahmen eines Stipendiums der Akademie Schloss Solitude in Zusammenarbeit mit dem Theaterregisseur Roland Brus (http://www.blutbank-benefiz.de/brus.html) und mit Unterstützung des Kunst- und Theaterprojekts
„aufBruch – Kunst, Gefängnis, Stadt“ zu verwirklichen half.

„Mich interessierte die Situation der Gefangenen, der fast völligen Isolation und Ausgeschlossenheit von der Gesellschaft (…) Die Idee war, das “grenzenlose” und “offene” Internet zu benutzen, um einen “Blick” in diese isolierte Welt zu werfen, es von zu Hause am Computer “erfahrbar” zu machen“, meint Michael Henning.

Damals wie heute haben die Gefangenen keine Möglichkeit, frei im Internet zu surfen und es ist noch nicht all zu lange her, da musste jede Antwort auf eine eMail an die Internetgruppe, erst auf einem Blatt Papier beantwortet werden und dann von einem externen Mitarbeiter (dies war der einzige legale Weg) außerhalb der Gefängnismauern versendet werden. Auch die von den Gefangenen angefertigten Texte für ihre Internetseite müssen diesen komplizierten Weg gehen. Der Grund dafür liegt in den Befürchtungen der Anstaltsleitung, die Projektteilnehmer könnten das Internet bei einem unbeschränkten Zugang für illegale Aktivitäten nutzen. Immerhin, der eMail-Kontakt mit den Gefangenen läuft mittlerweile problemlos. Denn bei der Anstaltsleitung hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine eMail nicht anders behandelt werden muss als ein normaler Brief oder ein Telefonat, deren im Normalfall unkontrollierte Nutzung jedem Gefangenen rechtlich zugesichert ist.

Die Anstaltsleitung hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten als kooperativ herausgestellt und inzwischen können die Texte der Gefangenen mittels eines Speichermediums auf legalen Wege aus der Anstalt herausgebracht werden, wo sie dann von externen Mitarbeitern ins Netz gestellt werden. Allerdings bleibt es das Ziel der Gefangenen, irgendwann einmal direkt und ohne Kontrolle an das Internet angeschlossen zu sein. Dann könnten die Texte direkt von den Gefangenen ins Netz gestellt werden. Auch wäre keine Hilfe mehr von außen notwendig, um die Website zu pflegen. Die Gefangenen könnten eigenverantwortlich agieren und hätten – zumindest einen virtuellen – Auftritt außerhalb der Gefängnismauern. Die Internetgruppe versucht, den direkten Anschluss an das WorldWideWeb der Anstaltsleitung schmackhaft zu machen, indem sie den einer Resozialisierung dienenden Charakter einer solchen Maßnahme betont.

Tegel goes international

Am 11.11.2003 findet nun ein Relaunch der Seite statt. Im Vordergrund
Der virtuelle Knackistehen dabei zum einen eine größere Übersichtlichkeit und zum anderen die komplette Übertragung der Seiten ins Englische. Die Übersetzung gelang, dank des Engagements von Greg Bond, Mitbegründer der Gesellschaft freier Übersetzer
„Tradukas“, die diese umfangreiche Arbeit finanziert hat. Zeitgleich mit der englischen Übersetzung geht der „virtuelle Knacki“ ins Netz, ein Collage aus verschiedenen übereinandergelegten Fotos von Inhaftierten garniert mit statistischen Daten aus der JVA-Tegel.

A
rb
eiten wie in einer „echten“ Redaktion

Bis zu zwölf Gefangene beteiligen sich an dem Projekt. Sechs davon sind für die redaktionelle Tätigkeit zuständig. Beraten werden sie dabei von einem externen Journalisten, der unter anderem die Texte der Gefangenen redigiert. Der Rest der Gruppe kümmert sich um das „Forum“. Hier werden eMails von draußen diskutiert und dann beantwortet. Beraten werden die Gefangenen dabei von einer Juristin und einem „Ehemaligen“, der selber dreizehn Jahre in Tegel inhaftiert war. Einmal im Monat treffen sich alle und besprechen Gegenwart und Zukunft des gesamten Projekts.

Erschienen am 05.11.2003

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