©www.baumannstephan.de, 2012Was folgt auf das Zeitalter der Volkspartei und welche Bedeutung kommt digitaler Beteiligung zu? Das politcamp e.V. hatte zu einer Podiumsdiskussion geladen. Es ging um die Frage, ob digitale Partizipation an politischen Prozessen „Sargnagel“ oder „Motor“ der Volksparteien ist.

 

An das Internet wird Otto Kirchheimer damals nicht gedacht haben. Ebenso wenig an die Frage, ob ein solches Medium eines Tages die hergebrachten Parteien herausfordern würde. Und ganz sicher hat er nicht an eine Partei gedacht, die die vielfach beklagte Politikferne breiter Bevölkerungsschichten einmal aufgreifen und digital kanalisieren könnte. In einem Aufsatz aus dem Jahr 1965 prägte der deutsch-amerikanische Staatsrechtler den Begriff der Volkspartei, ein in erster Linie in den politischen Systemen Westeuropas anzutreffender Parteientypus. Was damals neu war, ist in seiner gesellschaftlichen und politischen Strahlkraft heute, bald 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung von Kirchheimers Analyse, jedoch merklich verblasst.

Piraten in der Überzahl

Auch das politcamp e.V.  beschäftigte sich nun auf seiner gestrigen Podiumsdiskussion mit dieser Entwicklung, freilich aus netzpolitischer Perspektive. Auch wenn die Sache mit dem Sargnagel im Veranstaltungstitel als Frage formuliert war – bereits die Zusammensetzung des Podiums sprach für sich. Moderator Jürgen Ertelt, der gleich nach der Begrüßung bekannte, er selber hätte eigentlich lieber über digitale Beteiligung „als Motor der Volksparteien“ diskutieren wollen, konnte mit CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe und dem netzpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Lars Klingbeil Vertreter eben jener Volksparteien begrüßen.

Zwei bekannte Piratenpolitiker, Spackeria-Aktivistin Julia Schramm und Bundesvorstandsmitglied Bernd Schlömer, komplettierten die Runde. Misslich erschien bei dem Veranstaltungsthema jedoch weniger die Überzahl an Piraten. Fruchtbar für die gesamte Debatte aber wäre eine grobe Begriffsklärung des Terminus „Volkspartei“ gewesen. Neben dem fehlenden Vertreter von Bündnis90/Die Grünen, wäre dann möglicherweise aufgefallen, dass die einzige Partei, die bei objektiver Verwendung von Kirchheimers Maßstäben heute noch annährend als Volkspartei gelten kann, auf dem Podium gänzlich fehlte. Die bayerische CSU hatte keinen Vertreter auf das politcamp-Podium entsandt.

Von Stammtischen und flüssiger Demokratie

Am klassischen Parteileben seien vor allem das Beisammensein, der soziale Kontakt und das Bier beim Stammtisch wichtig, wusste Lars Klingbeil aus der sozialdemokratischen Praxis in der Lüneburger Heide zu berichten. Das Stichwort Stammtisch provozierte jedoch bei Julia Schramm die Entgegnung, dass jene antiquierten Rituale aufgrund von Veränderungen in der Arbeits- und Lebenswelt eben nicht mehr zeitgemäß seien und deshalb zu Recht von den Piraten durch digitale Beteiligungsinstrumente wie Liquid-Feedback ersetzt worden seien. Bundesvorstandsmitglied Schlömer mahnte gar einen vollständigen Wandel der politischen Kultur an. Die Parteien müssten eben lernen, „Vertrauen in den Bürger zu entwickeln“.

Die repräsentative Demokratie habe sich bewährt, so Hermann Gröhe, durch die Parteien seien politische Entscheidungen mit verantwortlichen Personen identifizierbar. Gleichwohl böten ergänzende Beteiligungsformen, wie sie auch die CDU vermehrt nutze, natürlich Chancen. Dass Gröhe, seit den 1970er-Jahren in der Union aktiv und seit 1994 Mitglied im Bundestag, hiermit einem überholten Verständnis von Parteien anhängen mag, verdeutlichte eine Äußerung aus dem Publikum eindrucksvoll. Könne man sich Parteien nicht viel eher als „Positionsfindungs-Serviceprovider“ vorstellen, so die pointierte Frage eines Piraten.

Leben Totgesagte länger?

Auch wenn der Unmut über Teile der aktuellen politischen Praxis am gestrigen Abend mit Händen zu greifen war: Die herausgeforderten Volksparteien oder zumindest einzelne Vertreter haben die Zeichen der Zeit erkannt und bleiben gelassen. Hermann Gröhe jedenfalls bekannte, ganz der Polit-Routinier, dass Volksparteien schon so oft abgeschrieben worden seien und Totgesagte ja bekanntlich länger lebten. Eine alles in allem lohnenswerte Veranstaltung zu einem hochaktuellen Thema. Die Einbindung von Publikumsfragen in die laufende Diskussion ist auf den ersten Blick eine charmante Idee, gibt sie doch dem Publikum die Möglichkeit, spontan Position zu beziehen. Der Nachteil ist eine zerfaserte Debatte und ob der vielen inhaltlichen Brüche eine nachlassende Konzentration beim Publikum.

Möglicherweise kann hier schon bei der kommenden Veranstaltung des „politcamps“ nachgebessert werden. Anlässlich der weltweit größten Computermesse „CeBit“ ist im März eine Veranstaltung in Hannover geplant.

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