lisainglasses (CC BY-NC-SA 2.0)Die digitale Spaltung, der “Riss durch die Gesellschaft” – die vermeintliche Lücke zwischen der sogenannten Netzelite und dem durchschnittlichen Surfer, den “Nerds” und den “Anderen”, ist seit Jahren ein Dauerbrenner in der Selbstbespiegelung der Netzszene. Eine Studie hat sich nun wissenschaftlich damit befasst und gefragt, wie sich durchschnittliche deutsche Internetnutzer im Vergleich zu den besonders Aktiven im Netz verhalten. Ähneln sich die Einstellungen von Webaktiven und “Durchschnittsnutzern” oder unterscheiden sie sich fundamental voneinander? Wie bewerten beide Gruppen die Internetkompetenz von Parteien und wie netzpolitische Themen? Die Antwort: Es kommt darauf an.
Netzgemeinde, Netz- oder Twitterelite, digitale Boheme – es gibt viele Versuche, die digitale Szene unter einen Begriff zu fassen. Und für diese Szene – wenn man sie denn so nennen will – hagelte es in letzter Zeit eine Menge Kritik. Die Bloggerin Frau Dingens schrieb kürzlich von “elitären Netzhipstern”, denen “eigentlich nur noch die Nerd-Pride-Goldkette um den Hals fehlt” und fragte sich, für wen die „Netzgemeinde“ da eigentlich spricht. Diese Frage stellte sich auch das Berliner Institut für Stategieentwicklung (IFSE). Im Rahmen der Studie “Digitale Mentalität II” hat das Institut evaluiert, wie sich die sogenannten “Webaktiven” im Vergleich zum “durchschnittlichen Internetnutzer der Bundesrepublik” im Netz und darüber hinaus verhalten. Dazu wurde eine repräsentative Stichprobe deutscher Internetnutzer mit eine Stichprobe von Webaktiven verglichen.
Unter Webaktiven versteht das Institut dabei diejenigen Personen, die nach eigener Einschätzung besonders aktiv im Netz sind und gleichzeitig den netzpolitischen Diskurs prägen. Seit Ende Oktober sind einige Ergebnisse der Studie öffentlich: Unterscheiden sich die Einstellungen der beiden Gruppen zu Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung und Sicherheit im Internet fundamental? Und wie wird die netzpolitische Expertise der deutschen Politiker eingeschätzt?
Die Internetkompetenz der Parteien wird von Webaktiven wie Internetnutzern gleichermaßen als gering eingeschätzt. Sowohl die Webaktiven wie die Internetnutzer schätzen lediglich die Internetkompetenz der Piratenpartei als sehr gut ein. Den etablierten Parteien wird in dieser Hinsicht nur wenig zugetraut. Einzig die Grünen können bei den Internetnutzern ein wenig punkten – immerhin die Hälfte aller befragten Internetnutzer nimmt sie als (eher) kompetente Partei in punkto Webnutzung wahr. SPD, CDU/CSU, FPD und Linke dagegen werden von beiden Gruppen für wenig kompetent in Sachen Internet gehalten. Insbesondere bei den Webaktiven fällt das Urteil verheerend aus. So schreiben beispielsweise nur fünf Prozent der Webaktiven der CDU eine (eher) hohe Internetkompetenz zu.

Zu viel oder zu wenig Staat?

Schlechte Noten für die Parteien also sowohl von den Netzaktiven als auch von den Internetnutzern. Sehr unterschiedlich hingegen bewerten die beiden jedoch konkrete Politikfelder und einzelne netzpolitisch relevante Aspekte. Besonders deutlich werden diese Differenzen bei den Themen Privatsphäre und Datenschutz: So sprechen sich 75 Prozent der Webaktiven ausdrücklich gegen die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Verbrechen aus. Die Hälfte aller befragten Internetnutzer dagegen befürwortet die Vorratsdatenspeicherung ebenso wie Online-Durchsuchungen durch den Staat als Instrument der Verbrechensbekämpfung. Letztere werden von den Webaktiven mit einer Mehrheit von 69 Prozent abgelehnt.
Generell sehen Webaktive staatliche Eingriffe sehr skeptisch. Lediglich 32 Prozent der Aktiven verlangen mehr gesetzliche Anstrengungen zum Schutz der User vor kriminellen Handlungen im Internet. Ganz im Gegensatz zu den Internetnutzern, von denen sich 87 Prozent ein stärkeres Eingreifen des Staates wünschen. Ein Grund dafür ist sicher, dass immerhin 63 Prozent derselben fürchten, im Internet Opfer von Betrug oder Missbrauch ihrer Daten zu werden. Diese Sorge teilen hingegen nur 35 Prozent der Webaktiven.
Diese Ergebnisse ebenso wie die stark ausgeprägte Forderung nach Transparenz bei Webaktiven lassen vermuten, dass sie nicht nur über mehr Erfahrung, sondern auch über ein größeres technisches Wissen verfügen als die Internetnutzer, und dementsprechend ein stärkeres Vertrauen gegenüber Online-Diensten und -Sicherheit entwickelt haben.
Webaktive verbringen deutlich mehr Zeit mit Medienkonsum – im Schnitt beschäftigen sie sich täglich fast drei Stunden mit dem privaten Computer (173 Minuten), im Vergleich zu 96 Minuten bei Internetnutzern. Auffällig hieran ist, dass Webaktive mehrere Medienaktivitäten bzw. -funktionen über das Endgerät PC abwickeln, beispielsweise Radio hören, TV schauen oder online Nachrichten lesen. Diese Aktivitäten finden teilweise gleichzeitig statt (z.B. online Musik hören, E-Mails lesen und Zeit in sozialen Netzwerken verbringen). Hinsichtlich der Aktivitäten im Internet sehen wir, dass Webaktive und Internetnutzer am häufigsten E-Mail und Facebook nutzen. Darüber hinaus erstellen Webaktive viel eigenen Content, zum Beispiel in Form von Forumsbeiträgen (41 Prozent), eigenen Websites (26 Prozent) und Twitter (23 Prozent). Durch diese Eigenproduktion von digitalem Content entsteht u.a. die These, dass Webaktive Meinungsführer bei netzpolitischen Themen sind, Diskurse im Netz verfolgen, kommentieren und mitgestalten – und ihre Meinung deshalb von hoher politischer Relevanz ist. Aber sie stellen auch eine wirtschaftliche Größe dar: Generell geben Webaktive mehr für Medieninhalte (digital wie analog) aus (77 Euro monatlich) als durchschnittliche Internetnutzer (61 Euro monatlich).
Die Studie hat die Ergebnisse einer Umfrage unter Webaktiven mit einer repräsentativen Umfrage unter allen deutschen Internetnutzern zwischen 14 und 69 Jahren verglichen. Und was zeichnet die beiden Gruppen aus? Webaktive sind im Schnitt überdurchschnittlich jung (20-39 Jahre), gebildet, urban – und männlich. Lediglich 16,9 Prozent der Webaktiven sind Frauen. Bei den Internetnutzern dagegen machen Frauen nahezu die Hälfte aus. Weitere Hintergrundinformationen zur Studie finden sich auf der Homepage des IFSE. Dort werden außerdem weitere Aspekte der Studie präsentiert. Zusätzlich zu den hier vorgestellten Ergebnissen hat das IFSE unter anderem die Einstellungen der beiden Gruppen zu illegal kopierten Inhalten, zu Urheberrechtsverletzungen und zur Finanzierung digitaler Inhalte erfasst.
 
Bild: lisainglasses (CC BY-NC-SA 2.0)