(Interview) Senioren bleibt oft der Zugang zum Internet verwehrt. Ein Hauptgrund: Viele Internetseiten sind nicht barrierefrei. Wie wichtig Internetnutzung trotz körperlicher Gebrechen für Senioren ist und was man dabei beachten muss, erklärt der Alternforscher Michael Doh im Interview.

 

Die Stiftung Digitale Chancen verleiht jedes Jahr den BIENE-Award (Barrierefreies Internet eröffnet neue Einsichten) für die besten barrierefreien Internetseiten. Was will die Preisverleihung bewirken?

Der BIENE-Award bringt aus meiner Sicht vor allem eine gute Publicity. Er zeigt anderen Webgestaltern, dass man hinsichtlich der Barrierefreiheit und Nutzerfreundlichkeit von Internetauftritten noch einiges tun kann. Der Award dient auch als Motivationsschub. Zudem bekommen Senioren und Personen mit Behinderungen mit den Gütesiegeln des BIENE-Awards eine Gewährleistung, dass sie die prämierten Seiten einfacher lesen können.

Neben dem BIENE-Award wurde das Jahr 2006 von der zuständigen Ministerin Ursula von der Leyen als Online-Jahr 50plus ausgerufen. Es scheint ungemein viele Fördertöpfe für solche Projekte zu geben. Aber warum ist dann der größte Teil der Generation 50plus immer noch offline? Haben die Projekte den gewünschten Erfolg?

Es ist prinzipiell eine schöne Sache, wenn man in einem neuen Medium die Potenziale für ältere Menschen entdeckt. Die ganzen Aktionen, die stattfinden, wie eben das Online-Jahr 50plus, sind aber zweischneidig zu sehen. Einerseits ist es toll, dass überhaupt öffentlichkeitswirksame Angebote gemacht werden. Aber wenn man genauer hinschaut, bleibt doch vieles an der Oberfläche. Zum Beispiel gibt es für Senioren oft günstige Internetschnupperkurse, in denen sie in drei Stunden einen kurzen Überblick über die Möglichkeiten des Netzes bekommen. Aber eine Garantie, wie es weitergeht, gibt es kaum. Wenn einer wirklich Interesse hat, fehlen oftmals noch weiterführende Angebote. Das gilt auch für das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projekt "Ganz einfach Internet" (Anmerkung der Redaktion: „Ganz einfach Internet“ veranstaltete das Online-Jahr 50plus). Die Projekte bekommen 40.000 bis 50.000 Besucher im Jahr, die als neue "Silver Surfer" deklariert werden. Aber wie viele von denen wirklich im Internet bleiben, und ob sie ausreichend und nachhaltig Medienkompetenzen erworben haben, bleibt offen.

Was gibt es für altersbedingte Schwächen, die den Zugang ins Internet erschweren?

Man muss immer mitbedenken, dass unter dem Deckmantel 50plus fünf Dekaden an Demographie in einen Topf geworfen werden. Das ist fatal. Kein Jugendforscher würde heute 14 und 40-Jährige in einen Topf schmeißen. Schon in der Zielansprache von 50 bis 65-Jährigen liegt ein grober Fehler. Die 50 bis 64- Jährigen sind, zumindest zum größten Teil, noch im Beruf. Danach beginnt die neue nachberufliche Lebensphase. Zwischen beiden Gruppen muss man einen großen Unterschied machen. Und die Hochbetagten ab 80 haben noch ganz andere Stolpersteine. Für alle Senioren aber sind überfrachtete und nicht barrierefreie Internetseiten das größte Hindernis. Gerade das prangert der Biene-Award hauptsächlich an. Außerdem erschließt sich vielen älteren Offlinern nicht der Nutz- und Mehrwert des Internets. Die meisten denken, dass sie mit ihrem Angebot an Fernsehen, Radio und Zeitungen völlig abgedeckt sind. Dass das Internet vom Potenzial her aber ein Seniorenmedium sein könnte, ist unbestritten. Ältere können im Netz leicht an Gesundheits- und andere relevante Informationen gelangen, ihre Hobbies ausbauen, Ahnenforschung betreiben, oder mit Gleichaltrigen und Enkelkindern kommunizieren. Sie müssen aber die Möglichkeit haben, das Internet in ihrer Geschwindigkeit zu nutzen. Wie bei der Zeitung: Sie können sich zur Not eine Lupe holen und die Texte so lesen, wie sie wollen. Viele Senioren haben aber noch Ängste, mit dem neuen Medium umzugehen. Sie wissen nicht, was passiert, wenn der Computer abstürzt, oder wenn ein Virus sich ausbreitet. Außerdem legen sie Wert auf die Sicherheit ihrer Daten, was das Internet aber nicht immer gewährleistet. Sie sind argwöhnisch – zu Recht – und zum Teil auch ein bisschen reserviert gegenüber Neuem. Datensicherheit und Glaubwürdigkeit von Informationen ist daher von großer Bedeutung für die Gewinnung älterer Onliner. Zudem achten sie sehr wohl auf Qualität und viele können sich einen guten und modernen Computer leisten.

Was läuft hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit von Websites falsch?

Man muss bedenken, dass es im Altersprozess auch Veränderungen der Sinnesmodalitäten gibt. Die Kontrastschärfe und die Aufmerksamkeit können nachlassen. Darauf muss man bei der Gestaltung von Internetseiten Rücksicht nehmen. Das World Wide Web Konsortium (W3C) gibt klare
Richtlinien vor, wie man eine Seite barrierefrei aufbauen kann. Webgestalter sollten kleine Schriften vermeidet und Farben benutzen, die ein älterer oder hochbetagter Mensch mit Sehbeeinträchtigung erkennen kann. Das alles sind webdesigntechnische Fragen. Inhaltlich sind Anglizismen und Computerfachbegriffe ein Problem. Für viele Senioren wirkt dies wie eine fremde Sprache. Die Seiten müssen einfach und übersichtlich gestaltet werden, damit Menschen, die neu im Medium sind, sich nicht überfordert fühlen.

Der Usability-Guru Jakob Nielsen fordert sogar, dass Links im Internet immer blau und unterstrichen dargestellt werden müssen und dass man überhaupt keine Flash-Anwendungen benutzen darf. Ist das Ihrer Meinung nach ein richtiger Ansatz?

Es kommt darauf an, welche Zielgruppe man ansprechen will. Ein öffentliches Organ wie ein Rathaus muss für jede Altersgruppe ansprechbar sein. Solche Einrichtungen müssen sicherstellen, dass auch jeder Internetnutzer mit den Inhalten zurechtkommt. Dort muss Barrierefreiheit an oberster Stelle stehen. Wenn aber jetzt irgendein „hipper“ Unternehmer eine junge Zielgruppe besitzt, kann er natürlich mit Flash und allem möglichen Brimborium arbeiten – wobei modern und barrierefrei kein Gegensatz sein müssen! Er will womöglich gar keinen sehbeeinträchtigten 80jährigen in seinem Shop haben. Dagegen ist aber jede öffentliche Einrichtung mittlerweile verpflichtet, Barrierefreiheit anzubieten.

Das Web 2.0 bietet Unmengen von Interaktions- und Vernetzungsmöglichkeiten – sehen Sie das als Chance für Senioren?

Ältere nutzen das Internet immer noch hauptsächlich, um Informationen abzurufen und eMails zu schicken. Weblogs oder Chatrooms spielen noch eine marginale Rolle. Eine kleine Bildungsgruppe gibt es, die sich vernetzt hat. Jetzt habe ich erfahren, dass die Internetplattform feierabend.de ein großes Seniorenverzeichnis, also eine Art StudiVZ für Ältere, aufgebaut hat, in dem Senioren untereinander Kontakt aufnehmen können. In dem Netzwerk sind schon über 100.000 Personen. Bis das Web 2.0 wirklich bei den Senioren ankommt, dauert es aber noch.

Angebote wie das Videoportal YouTube oder die Fotocommunity Flickr sind zum größten Teil auf englisch und es gibt eine Vielzahl neuer Funktionen wie „Social Tagging“. Verwirrt das Web 2.0?

Der demographische Wandel wird sich schrittweise in der Gesellschaft auf allen gesellschaftlichen Ebenen auswirken. Das darf man nicht außer Acht lassen. Das heißt, in 25 Jahren, wenn der Großteil der Bevölkerung über 50 Jahre alt ist, werden ältere Menschen mit ihrem Denken, ihren Sprachcodes, ihren Bedürfnissen und ihrem Verhalten ganz neue Angebots- und Nachfragestrukturen auch für den Medienkonsum schaffen. Sie werden sich Angebote wie YouTube zu eigen machen und in ihrem Duktus aufbereiten. Ich glaube nicht, dass sich Senioren so verändern müssen, dass sie nur noch mit perfektem Englisch durchs Internet surfen können. Vielmehr glaube ich, dass sich das Medium an die Bedürfnisse von Senioren anpassen wird. Deswegen gibt es ja immer mehr Internetseiten speziell für Senioren, die Schrift und Sprache der Zielgruppe benutzen. Ich hoffe, denke und wünsche mir, dass sich das fortsetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Medium weiterhin durchsetzungsfähig ist, wenn es nur die junge Zielgruppe bedient. Der demographische Wandel ist schließlich wie das Internet ein globales Phänomen. Eventuell entwickelt sich aber auch eine Parallelwelt, in der sich die Jungen in ihrer hippen Sprache und die Älteren in ihrer gediegenen Alltagssprache bewegen. Vielleicht gibt es so etwas jetzt schon.

Was würden Sie einer Person raten, die eine kleine, private Homepage oder ein Blog führt und kein Geld hat, sich an Agenturen zuwenden? Wie kann sie „Barrierefreiheit“ einfach und günstig umsetzen?

Es gibt zahlreiche vorbildliche Internetseiten, auf denen man die Informationen abrufen kann. In Heidelberg gibt es das Projekt „web for all“: Körperlich beeinträchtigte Onliner überprüfen selbst die Internetseiten und vergeben ein Zertifikat für Barrierefreiheit. Das sind auch Ansprechpartner. Von ihnen kann man sich Unterlagen geben lassen, wie man barrierefrei gestaltet. Barrierefreiheit ist ja kein Hexenwerk, eigentlich ist es nur eine Vereinfachung. Es sind ganz primitive Anwendungen. Man hinterlegt zum Beispiel ein Foto im Internet und beschreibt im HTML-Code, was sich dahinter verbirgt. So können Sehbeeinträchtigte oder Blinde mit einem Sprachdecoder erkennen, dass es sich dabei um ein Bild handelt. Auch bei der Stiftung Digitale Chancen gibt es Informationsbroschüren zum barrierefreien Design und beim W3C-Konsortium kann man seine Website sogar kostenlos auf Barrierefreiheit überprüfen lassen.

Können Sie noch ein Best-Practice-Beispiel für eine barrierefreie Website nennen?

Die Internetseite des
BIENE-Awards ist für mich immer das Kriterium für neue Trends in der Benutzerfreundlichkeit. Ich hoffe, dass auch
feierabend.de barrierefrei ist.