Was bedeutet es heute, ein Mann zu sein? Antworten auf diese Frage liefert in den sozialen Medien zunehmend eine Gruppe, die „Alpha-Männer“. Ihr Männlichkeitsbild gründet auf körperlicher Stärke, Dominanz, Manipulation und einer angeblich naturgegebenen Überlegenheit gegenüber Frauen.
Rund um diese Ideologie hat sich im Netz eine eigene Community gebildet. Sie verbreitet ihre Inhalte auf Plattformen wie TikTok, Twitch oder Reddit – und fungiert zugleich als Nährboden für rechte Narrative und Radikalisierung. Besonders anfällig für diese Botschaften sind junge Männer und Teenager.
Die Mechanismen sind simpel: In Reaktionsvideos, Livestreams und Foren werden ihnen klare Rollenbilder vermittelt. Die Welt wird in „Gewinner“ und „Verlierer“ aufgeteilt. Wer den dort propagierten Leistungs- und Dominanzanforderungen nicht genügt, wird als „Beta“ abgestempelt – ein Mann also, der angeblich keine Partnerin findet, keinen Sex hat und auf die Ratschläge der „Alphas“ angewiesen ist.
Sei ein Alpha Male!
Andrew Tate. Ein Name, der aus frauenfeindlichen Online-Milieus nicht mehr wegzudenken ist. Der US-Amerikaner mit britischer Mutter prägte in den letzten Jahren mit seinen radikal sexistischen, tief patriarchalen und nur so von Misogynie triefenden Aussagen weltweit die Frauenhasser–Influencer und „Right-Wing“-Szene. Der 38-Jährige ist nicht nur wegen laufender Gerichtsverfahren aufgrund von Menschenhandel, Vergewaltigung und Körperverletzung in den Schlagzeilen. Bekanntheit erlangte er auch durch den Aufbau einer eigenen Gemeinschaft, die er unter dem Namen „Alpha-Male Community“ vermarktet.
Deutschlands Andrew Tate
Doch auch in Deutschland finden Figuren mit ähnlichen Botschaften wie Andrew Tate ein Publikum. Misogyn geprägte Inhalte machen nicht an Landesgrenzen halt. Wer glaubt, dass solche Meinungsmacher hierzulande keine Reichweite erzielen, unterschätzt die Realität. Ein Beispiel ist der TikTok-Account MenschMitWert (@menschmitwert). Schon der Name sowie die Profilbeschreibung „Selbstwert & Mann-Frau-Dynamik“ deuten auf eine klare ideologische Ausrichtung hin.
Mit Aussagen wie: „Wenn du in einer Beziehung gewisse Sachen verzeihst, über gewisse Sachen hinwegschaust oder tolerant bist … wird es dazu führen, dass sie dich, wenn es Beta-Verhaltensweisen sind, sofort zu einem Beta degradiert.“ (MenschMitWert Video) sorgt der unter dem Synonym Spiros bekannte TikToker regelmäßig für virale Reichweite.
Sein Content: Zu rund 90 Prozent handelt es sich um Reaktionsvideos auf Frauen, in denen er diese herabwürdigt, objektifiziert und beleidigt. Erfolglos ist er damit nicht. Mit rund 35.700 Follower*innen hat sich Spiros eine feste Anhängerschaft aufgebaut. In den Kommentarspalten spiegeln sich die Inhalte wider: Sexistische Zuschreibungen wie „Vor allem hassen wir Frauen, die so laut sind“ oder „Sie ist keine Frau, das ist Abschaum und ein gefrustetes Wesen“ finden dort unkommentiert ihren Platz.
Tief verwurzelter Frauenhass und das Patriarchat
Der Influencer MenschMitWert steht symbolisch für die Manosphere – ein Netzwerk rechter, misogyner und radikalisierender Ideologien. Ihr charakterisierendes gemeinsames Feindbild: Weiblichkeit.
Dahinter stecken altbekannte patriarchale Muster und Strukturen, die seit Jahrzehnten gesellschaftlich verankert sind. Männer als „Versorger und Beschützer“, Frauen als untergeordnete Ergänzung – zumindest laut der Alpha Male community. In einer Welt voller politischer Unsicherheit und wirtschaftlicher Krisen, sorgen traditionelle Rollenbilder wie diese für Halt. Und feministischen Bewegungen? – Sie werden zur Projektionsfläche für Frust und Unsicherheit.
Unter Verwendung eigener Begrifflichkeiten, wie Alpha, Beta, Incels, etc. (Begriffsdefinition siehe unten) erschaffen diese Creator online ihre eigene Realität. Dort bestätigen sie sich gegenseitig in ihren problematischen Denkmustern. Aber Vorsicht: Algorithmen spielen dabei eine enorme Rolle, und verstärken diese Dynamiken. Wer einmal in der „Was ist ein richtiger Mann“-Blase landet, bekommt ständig ähnliche Inhalte vorgeschlagen. Die Hauptleidtragenden? Vor allem junge Männer in der Pubertät – auf der Suche nach Orientierung werden sie leichte Ziele für derartige Ideologien.
Diskriminierung ist intersektional
Frau ist nicht gleich Frau und Frauenhass nicht gleich Frauenhass. Diskriminierung ist vielschichtig und kann abhängig von Hautfarbe, Sexualität, Geschlechtsidentität oder sozialem Hintergrund verschieden aussehen. Wer etwa Schwarz, trans und bisexuell ist, erfährt Sexismus nicht isoliert, sondern zusätzlich Rassismus, Transfeindlichkeit und Homophobie.
Die Alpha Male community hat vor allem weiße cis Frauen im Visier, doch auch trans Personen sind massiv von Diskriminierung betroffen – online wie offline. Die Grenzen zwischen Hassrede in Telegram-Chats und Gewalt auf der Straße verschwimmen. Die Folgen? Betroffene haben mit psychischen Problemen, mentaler Belastung und Suizidgedanken zu kämpfen.
Begriffe wie FLINTA (Frauen, Lesben, Inter*, nicht-binäre, trans- und agender Personen — Definition siehe unten) verdeutlichen deshalb, dass patriarchale Gewalt mehrere Gruppen betrifft und Diskriminierung nur intersektional bekämpft werden kann.
Wie Rechte daraus profitieren
Auch politisch rechte Gruppen propagieren traditionelle Geschlechtervorstellungen und tätigen Rollenzuschreibungen, wie “männlich, stark, dominant” und “schwach, emotional, beziehungsorientiert”. Sie knüpfen genauso wie die Andrew Tates im Internet an Ängsten und Unsicherheiten der Menschen an. Versprochen wird Orientierung – geboten ideologisches Brainwashing.
So bauen rechte Netzwerke, wie die AFD, inhaltliche Brücken zur Alpha-Male-Szene und bedient sich offen deren rhetorischer Narrative. Das machte auch der AFD-Politiker Maximilian Krah im Zuge der Europawahl 2024 mit Aussagen, wie: „Feminismus ist Krebs“ und „Es gibt nur zwei Geschlechter“ deutlich.
Hier verschwimmen Influencer Rhetorik und politische Propaganda miteinander. Das Ergebnis: eine gefährliche Allianz, die demokratische Grundwerte in Frage stellt. Denn egal, ob Incels, Alpha Männer oder AFD-Politiker. Hinter all den Floskeln verbirgt sich faschistisches Gedankengut – eine Gefahr für Demokratie und Menschenrechte.
Was tun gegen Alpha-Male-Ideologien?
Der schleichende Abbau demokratischer Strukturen darf nicht ungesehen passieren und sollte dringend gestoppt werden. Drei Ansatzpunkte sind dabei zentral:
- Medienkompetenz stärken: Fake News, gezielte Desinformation und politische Manipulation beherrschen soziale Medien. Dagegen hilft gezielte Aufklärung und Vermittlung von kritischem Denken an Schulen – nicht nur in Form von Workshops, sondern als fester Bestandteil des Unterrichts.
- Jugendliche begleiten: Medienkompetenz allein reicht nicht, denn hinter der „leichten“ Radikalisierung von Teenagern verbergen sich in vielen Fällen mentale Probleme und Unsicherheiten. Mehr psychosoziale Unterstützung an Schulen und Jugendeinrichtungen ist hierfür entscheidend.
- Radikalisierung vorbeugen: Misogynie im Netz ist kein Randthema, sondern Teil breiter gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie darf nicht nur als digitales Problem betrachtet werden, sondern muss als politisches und psychosoziales Phänomen ernst genommen werden.
Nur wenn Ursachen wie soziale Isolation und Perspektivlosigkeit adressiert werden, lässt sich verhindern, dass Alpha-Male-Influencer weiter an Einfluss gewinnen und – rechte Parteien daraus Kapital schlagen.
Begriffsdefinition
Manosphere ist ein Sammelbegriff für verschiedene Männerbewegungen, die sich im Internet gebildet haben. Sie beschäftigen sich mit Themen rund um Männlichkeit, Dating und Geschlechterrollen. Bekannt ist die Manosphere für ihre radikalen und frauenfeindlichen Ideologien.
Alpha’s sind laut der Manosphere Männer, die dominante und als männlich-angesehene Charaktereigenschaften besitzen. Sie werden von Frauen bewundert, sind sexuell aktiv und besitzen große Popularität. In den Kreisen der Manosphere gilt es als erstrebenswert, ein “Alpha”-Mann zu sein.
Beta sind Männer, die sich als nicht selbstbewusst “genug” und sich unterordnend sehen. Sie vertreten die vorgesehenen “Alpha” Eigenschaften nicht und werden als zu nett, zu wenig dominant und nicht ganz so erfolgreich im Dating verstanden. Wer es nach dieser Ideologie also nicht schafft, ein Alpha zu sein, wird zum Beta herabgestuft.
Incel bezeichnet Männer, die unfreiwilligerweise im Zöllibat leben. Ihre Selbstbild beruht auf Frustration und Selbsthass. Daher vertreten sie die Meinung, zu schwach und “schlecht-aussehend” zu sein, um jemals eine romantische oder sexuelle Beziehung eingehen zu können. Dafür verantwortlich gemacht, werden Frauen und Feministinnen.
Intergeschlechtlich sind Menschen, die weibliche, als auch männliche anatomische Geschlechtsmerkmale aufweisen.
Nicht-binär bezeichnet Personen, die sich weder weiblich noch männlich fühlen und sich außerhalb der klassischen Geschlechterordnung verordnen.
Transgender meint, dass die Geschlechtsidentität einer Person nicht mit der übereinstimmt, die ihr bei der Geburt zugewiesen wurde.
Agender ist eine Form der nicht-binären Geschlechtsidentität und bedeutet, dass sich jemand keinem Geschlecht zugehörig fühlt und sich nicht über Geschlecht identifiziert.
Text: CC-BY-SA 3.0