Der emeritierte Architekturprofessor Thorbjoern Mann beschäftigt sich damit, wie man politische Entscheidungen und Diskussionen besser planen oder designen kann. Der Autor stellt einen Beitrag zur Diskussion, der sich mit den oftmals chaotischen Argumentationen im Internet auseinander setzt und bittet um Reaktionen.

Ich möchte in diesem Forum eine Frage zur Diskussion stellen,
die mich seit langem im Rahmen der Theorie des Design und der Planung
interessiert. Auf den ersten Blick scheint das ein für die
Politik im Ganzen zu enger Rahmen. Ich vermute aber, dass meine
Überlegungen dazu weit über diesen Rahmen Bedeutung haben,
vor allem angesichts der Möglichkeiten, die heute das Internet
bietet.

Am Anfang steht die Diskussion

Das Thema ist keineswegs neu. Es geht darum, dass Planungsentscheidungen
– und damit auch politische Entscheidungen – unter Berücksichtigung
der Anliegen, Bedenken und Bedürfnisse der von den Entscheidungen
Betroffenen gefasst werden sollten. Der Idealfall ist natürlich,
dass der Plan für alle Betroffenen besser als der vorherige
Zustand, mindestens aber akzeptabel sein sollte. Letztendlich kann
aber nur das berücksichtigt werden, was in die Diskussion des
Plans eingebracht wird. Meistens geschieht das in Form von Argumenten
nach dem Schema „Für und Wider“. Dementsprechend
sollten Planungs- und politische Fragen auf Grund der „besseren
Argumente“ entschieden werden. Dass dies viele als naiv ansehen,
hat viele Ursachen. Eine davon ist die Schwierigkeit festzustellen,
wer im jeweiligen Fall die Betroffenen sind. Problematisch ist außerdem
die Betroffenen dann anzuregen, ihre Anliegen in den Diskurs einzubringen
und dann so zu „verarbeiten“, dass sie auch angemessen
berücksichtigt werden können.

Hier handelt es sich, etwas oberflächlich betrachtet, um eine
technische Frage. Eigentlich sollte man annehmen, dass die globale
Revolution des Informationsaustauschs, ermöglicht durch das
Internet und die Computertechnik, dazu positiv beigetragen hätten.
Wie hat sich diese Entwicklung auf die Qualität des politischen
Diskurses ausgewirkt?

Die Antwort darauf ist bei weitem nicht so ermutigend wie man erwarten
sollte. Wenn man untersucht, wie Wahlkämpfe geführt und
gewonnen werden, und wie dann politische Entscheidungen fallen,
so sticht besonders die Rolle der unglaublich vereinfachenden 30-Sekunden
Wahlkampfparolen ins Auge. Außerdem ist das Gewicht, das dem
Charakter und dem Charisma der Kandidaten zukommt, bemerkenswert.
Nicht zuletzt wird dies durch deren öffentliche Verunglimpfung,
üble Nachrede oder Beschimpfungen, sogar Rufmord, deutlich.
Auch die Rolle von Meinungsumfragen ist nicht zu unterschätzen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sachliche Argumente
eine eher untergeordnete Rolle spielen. In TV-Spots etwa werden
sie zumeist gar nicht benutzt. Im Falle von Umfragen ist problematisch,
dass diese zwar in größerem Umfang als das früher
möglich war, die Meinung der Bevölkerung ausloten, sie
aber meist auf die Zustimmung oder Ablehnung der anstehenden Frage
im Ganzen gerichtet sind. Es geht demnach nicht um die Argumente,
die jeweils diese Zustimmung oder Ablehnung beeinflussen.

Inhalt und Technik gleichermaßen wichtig

Man könnte meinen, dass die gestiegene Beteiligung der Bevölkerung
am gesellschaftlichen Diskurs mittels Foren, Blogs und E-Mail-Leserbriefen
zu einer argumentativen Bereicherung im Meinungsaustausch geführt
hat. Bei näherer Betrachtung fällt aber an dieser Art
Diskurs deutlich auf, dass er unglaublich chaotisch ist und ständig
die gleichen Argumente gebraucht, deren Begründung durch glaubwürdige
Fakten oft sehr zu wünschen übrig lässt. Viele solcher
Blogs enden ferner schon nach wenigen Austauschrunden in Schimpfworttiraden
und gegenseitigen Beleidigungsorgien. Mit einem demokratiewürdigen
Diskurs hat das nichts mehr zu tun. Das führt letztendlich
dazu, dass viele Politiker stolz darauf verweisen, dass sie sich
weder von Umfragen noch von „Chattern’“ in Blogs
und Foren beeinflussen lassen (Vor allem dann, wenn diese ins Negative
abgleiten…)

All das bedeutet, dass Technik allein nicht ausreicht, um das demokratische
Anliegen des politischen Diskurses umzusetzen. Dazu wäre es
unerlässlich, sich mehr um die inhaltliche Organisation und
Darstellung sämtlicher jetzt verfügbarer Informationen
Gedanken zu machen und dafür bessere Verfahren zu entwickeln.

Zum Beispiel könnte man in der Planung und in der Politik
mehr Verfahren wie rechnergestützte „Expertensysteme“
einsetzen, um mit den oben genannten Problemen fertig zu werden.
Das mag in der Tat – vor allem in der Planung, wo immer noch viele
Entscheidungen von “Sachzwängen” bestimmt werden,
vielfach eine Option sein. Wenn man aber verstehen will, wie solche
Systeme funktionieren und was sie leisten sollten, wird einem bewusst,
dass die Bedingungen unter denen Expertensysteme sinnvoll sind,
in Planung und Politik nur teilweise zutreffen. Das gilt insbesondere
für die wesentlichen Soll-Fragen, nämlich: „Was
sollen wir tun? Wie soll der Plan aussehen? und Wie wollen wir leben?”.
Hier sind fundamentale Fragen im Spiel, die bisher nur unvollständig
durchdacht und gelöst worden sind.
Planung als ein argumentativer Vorgang
Ich arbeitete vor Jahren mit einer Gruppe unter der Leitung von
Prof. H. Rittel (†) daran, bessere Informationssysteme für
Entwurf und Planung zu entwickeln. Rittel schlug dafür das
argumentative Modell der Planung vor. Streitfragen zu Plänen
werden aufgeworfen, zu denen dann die Beteiligten ihr “Für”
oder ‘”Wider” mit Argumenten verteidigen. Prototyp
der Informationssysteme auf dieser Basis war das ‘Streitfragen-orientierte
Informationssystem’ – IBIS (“Issue Based Information
System”) beziehungsweise APIS: “Argumentatives Planungs-Informations-System”.
Vor allem die unausgesprochene Annahme, dass die Argumente schließlich
die Entscheidung bestimmen würden, verdient eine vertiefende
Diskussion.

Ich beschloss, die Frage zu untersuchen, wie denn genau solche
Argumente “bewertet” und schließlich in die Begründung
der Entscheidung umgesetzt werden: Für die gängige Forderung
an den Entscheider, “Für und Wider” eines Plans
gewissenhaft “abzuwägen”, konnte ich keine befriedigende
Erklärung finden. Schon gar nicht dafür, wie es transparenter
und nachvollziehbarer gemacht werden könnte.

Leider entsprechen die meisten Argumente, die wir täglich
in Planung, Design, und Politik benutzen, nicht der Logik. Sowohl
die Analyse als auch die Entwicklung von Bewertungsverfahren solcher
Für- und Wider-Argumente stützen sich kaum auf die Logik.
Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Menschheit mindestens
ebensoviel über Sollfragen diskutiert, wie über die aristotelische
Aufgabe der Erkenntnis der Wahrheit.

Diese Einsicht erklärt, warum zum Beispiel Expertensysteme
in der Planung fragwürdig sind. Sie liefern nur in dem Maß
zuverlässige Resultate, in dem sie zuverlässige (wahre)
Daten als Prämissen in gültige Argumentationsmuster einsetzen
können. Das bedeutet, dass sie für die nicht-gültigen
Argumentationsmuster in Planungsfragen einfach nicht geeignet sind.
Damit will ich nicht sagen, dass Expertensysteme und mathematische
Modelle in der Planung nutzlos sind – im Gegenteil – aber ihre Resultate
als maßgebend für die Entscheidung von Soll-Fragen in
Planung und Politik anzubieten, ist entweder Selbsttäuschung
oder bewusster Betrug. Vielen Leuten gehen diese Behauptungen sicher
zu weit. Ich bin deshalb gerne bereit, dies eingehender zu erläutern.
(Mein Buch „The Fog Island Argument“ bietet dazu nähere
Informationen)


Eine Einladung zur Diskussion

Ich habe einen Ansatz entwickelt, die vielen Argumente „Für
und Wider“ zu einem Planungsvorschlag oder einer Streitfrage
zu bewerten. Eingebettet ist das Ganze in ein Verfahren, das aufzeigt,
wie Planungsentscheidungen auf Grund solcher systematischen und
transparenten Bewertungen von Argumenten getroffen werden könnten.
Der Ansatz ist als Verfahren beschrieben, also als methodologisches
Konzept. Es ist klar, dass eine sinnvolle praktische Anwendung für
größere Projekte oder politische Fragen nur mit Hilfe
des Internets und der Computertechnik möglich sein wird. Dafür
sind technische- und Software-Entwicklungen nötig, wofür
mir die Kenntnisse fehlen. Aus diesem Grund wäre ich für
Hinweise dankbar, wo und wie solche Beiträge zu finden sind,
beziehungsweise wie sie erarbeitet werden können.

Auch diese Frage sollte diskutiert werden: Als ein Hauptproblem
für Partizipation bei der Planung hat sich die Frage der Übersicht
erwiesen. Es ist wichtig den Beteiligten nicht nur die Gesamtheit
eines vorgeschlagenen Plans mit allen Teilen verständlich zu
machen. Ebenso wichtig ist es, in einer Übersicht die Vielzahl
der im Diskurs aufgeworfenen Fragen sowie die entsprechenden Argumente
aufzuzeigen. Dazu ist die Präsentation auf Folien, die aufeinanderfolgen,
wenig geeignet. Eine Simultandarstellung (alle Folien gleichzeitig
auf großen Wänden) kann viel effektiver und schneller
Übersicht und Verständnis erzeugen. Selbst mit großen
modernen PC-Monitoren ist das jedoch nur schwer erreichbar. Es ist
fraglich, ob für eine erfolgreiche Planung nicht doch ein „wirklicher“
Ort notwendig ist – ein Ort, an dem sich Leute treffen, diskutieren,
und sich über den fortschreitenden Diskurs informieren können,
sprich, wo alle Beiträge auf der Wand festgehalten werden und
wo Planung ein wirkliches (nicht nur virtuelles) Ereignis des Lebens
werden kann.

Daran schließt sich die folgende Überlegung an:
Der Planungsprozess ist immer auch Bestandteil des Planungsergebnisses.
Als solcher wirft er die Frage auf, inwieweit er ebenfalls als „zu
planen“ angesehen werden muss. Wenn die Betroffenen wirklich
an der Planung teilnehmen, wird der Prozess ein Teil ihres Lebens.
Sie sind darum berechtigt, mitzugestalten und die Frage zu stellen:
Ist er ein sinnvolles, ihrem Selbstverständnis und Lebensstil
angepasstes Ereignis oder Erlebnis? Und wenn er ebenfalls als zu
gestaltender Bestandteil des neuen Plans zur Diskussion steht, inwieweit
kann er dann als „vorgefertigter“, mit allen für
die breite („globale“) Anwendung notwendigen Konventionen
und Regeln festgelegter Prozess standardisiert werden?

Ich wäre froh, wenn über diese Fragen eine Diskussion
entstehen würde. Viele Aspekte dieser Überlegungen müssen
genauer erläutert und beschrieben werden – vielleicht in einer
Folge weiterer Beiträge. Ich hoffe auf Beiträge von Lesern,
die dazu bessere Kenntnisse haben. Vielleicht ist es sogar möglich,
in diesem Forum gemeinsam die großen Züge eines Plans
zu erarbeiten, wie ein besserer politischer Diskurs mit Hilfe der
Technik und des Internets aussehen könnte?