Zweiter Teil der Buchbesprechung “Connected Republic – Regieren und Verwalten in der Wissensgesellschaft”
Im vierten Kapitel beginnt der Text, etwas durchzuhängen. Nicht weil es nicht richtig wäre, was da geschrieben würde – das gesamte Heft enthält wohl keine fünf Sätze, mit denen man sich nicht einverstanden erklären wollte. Vieles ist aber allzu evident oder war schon zu häufig Gegenstand analytischer oder empirischer Betrachtungen. Da wird konstatiert, dass in dem großen Projekt des gesellschaftlichen Umbaus zur „Connected Republic“ der Reform staatlicher Verwaltung eine zentrale Rolle zukomme, dass sich dies aber nicht ausschließlich auf das Angebot elektronischer Dienstleistungen beschränken dürfe. Dass auch die Verwaltung eine gewichtige Rolle für die demokratische Kultur spiele und „E-Democracy“ somit ein Aspekt sei, der mit E-Government natürlicherweise zusammengehöre.
Der Verdacht lässt einen nicht los, man habe das alles schon einmal irgendwo gelesen, vielleicht auch selbst schon das ein oder andere Mal geschrieben. Harsche Kritik ist insofern unangebracht, denn so verkehrt kann das alles dann ja nicht sein. Vielleicht einfach zu spät, wenn man bedenkt, dass Stephen Coleman (der weltweit erste Inhaber eines Lehrstuhls für E-Democracy, gesponsert übrigens von Cisco Systems), auf dessen Texten das Kapitel beruht, solche und ähnliche Überlegungen bereits vor vielen Jahren formuliert hatte, und dass das „Balanced E-Government“-Konzept der Bertelsmann Stiftung, mit dem die Verknüpfung von E-Administration und E-Democracy im deutschen Sprachraum etabliert wurde, nun auch schon ein paar Jahre alt ist. Da wird etablierter E-Government- / E-Governance-Kanon repetiert, was die Zielgruppe der Publikation zu langweilen droht.
Letztlich bricht der Text hier in zwei eher lose verbundene Hälften auseinander. Der „Connected Republic“-Gedanke ist gedacht und erst einmal zu Ende formuliert, es beginnt die Sektion „E-Government“ / „E-Democracy“-Hälfte (Kapitel 4, vor allem 5 des Textes). Hier fehlt es dann am originellen Kerngedanken, der den Anfang des Textes noch auszeichnete. Es geht nun nicht mehr um Zukunftsprojektionen, sondern mehr um Handwerk. Das Thema lautet: „E-Government – wie geht das?“ Die Antwort darauf kommt dann eher aus der Ecke der stärker Elektronik-fixierten „E-People“, weniger aus der Praxis der Verwaltungsrealität, denn für letztere bleiben die nun folgenden Implementierungsvorschläge vermutlich zu sehr im Allgemeinen.
Meist sehr interessant sind in diesem Zusammenhang die Beispiele aus der Praxis, mit der die Thesen illustriert werden. Diese Beispiele sind zwar nicht immer zwingend, gleich gar nicht repräsentativ (der angloamerikanische Bias ist erdrückend), aber doch immer so ausgewählt, dass man etwas daraus lernen kann – manchmal auch das Gegenteil dessen, weshalb sie genannt wurden: Der „My Lost Wallet“-Service in Ontario etwa ist zwar ein nettes Beispiel für einen nützlichen Online-Dienst – best practice in Bürgerorientierung ist er deshalb noch lange nicht, da die notwendigen Kommunikationswege zwischen allen aus Bürgersicht relevanten Akteuren beleibe nicht hergestellt sind (an einer Stelle wird dann auch etwas verschämt klargestellt, dass man gar nicht best practice, sondern eben nur ein paar Beispiele präsentieren möchte).
Woran es dem Text in diesem Abschnitt mangelt, ist die noch stärkere Konkretisierung: Wenn man sich schon an E-Government-Anwendungsbeispiele und
–handlungsempfehlungen wagt, dann wäre dem Leser mit der Benennung von Ross und Reiter, also geeigneter Anwendungen und Software für bestimmte Ausprägungen der geforderten „Bürgerorientierung“ mehr gedient. Tabellen und Checklisten wie die zum perfekten Online-Konsultations-Design sind gut gemeint, jedoch: Wir haben alle schon zu viel über E-Democracy und Online-Partizipation gelesen und geschrieben, um uns über Handlungsaufforderungen wie „Wählen Sie die passende Software“ noch wirklich zu freuen.
Die Handlungsempfehlungen zur Implementierung sind richtig und wichtig, sie sind nun allerdings nicht sehr „Connected Republic“-spezifisch. Man sollte sich nichts vormachen, Verwaltungsreform erfordert immer die gleichen Dinge: Führen, Planen, Priorisieren. Spätestens hier wird noch einmal bestätigt, dass sich die „Connected Republic“ als Kernidee nicht durch alle logischen Schritte des Textes durchhalten lässt. Es geht nun um Nüchterneres, um vernünftige E-Government-Implementierung. Das ist wichtig, es ist aber erst einmal etwas ganz anderes als die Schaffung einer vernetzten virtuellen Republik.
An wenigen Stellen wirken die Ausführungen etwas skurril bis schlampig: Da steht dann plötzlich eine Abbildung völlig sinnfrei ohne Erläuterung oder Text-Referenz herum; einige Chart-Beschriftungen rutschen in wüsten Berater-Jargon ab und versprechen „Quick Wins“ und „low-hanging fruits“. Manches wird der Übertragung aus dem englischen geschuldet sein, ebenso wie die (immerhin selten) zu findenden Nachlässigkeiten mit der deutschen Sprache (Der „Sinn machen“-Virus grassiert auch hier).
Zuweilen darf sich der Leser wundern, ob die Autoren wirklich das meinten, wonach der Text klingt: Fordern sie ernsthaft, dass die „Handlungsmöglichkeiten des Staates“ zur Steuerung der „Connected Republic“ wieder ausgeweitet werden, indem die Deregulierung der TK-Märkte teilweise zurückgenommen wird? Dies solle irgendwie dem Aufbau der Infrastruktur dienlich sein (wie genau, bleibt geheim). Überhaupt wird „dem Staat“ recht viel zugetraut, bedenkt man, dass die ganze Forderung nach einer „Connected Republic“ unter anderem die These eines zunehmenden Verlustes staatlicher Steuerungskapazität zur Grundlage hat. Dennoch klingt es manchmal, als müsse man sich als Staat nur eben rasch entscheiden, eine Networked Virtual Organization zu werden und die Gesellschaft zu einer Networked Virtual Society umzubauen, so wie man einen neuen Feiertag oder eine Autobahnmaut beschließt.
Am meisten wird derjenige mit dem Heft anfangen können, der sich aus den drei Päckchen, die ihm serviert werden, dasjenige auswählt, das er gerade am besten verwenden kann: Erstens das analytische Konstrukt der „Connected Republic“, das auf jeden Fall eine Vision ist, über die nachzudenken und die weiterzuentwickeln sich lohnt. Zweitens wird eine Reihe hübscher E-Government-Anwendungsbeispiele knapp präsentiert. Drittens erfährt man noch einmal, wie „E-Government“-Projekte strategisch und taktisch anzugehen sind. Der Cisco-„Standpunkt“ hätte an Stringenz gewonnen, wenn sich die Autoren auf den ersten Teil beschränkt hätten. Nun hat man ein etwas dickeres Heft, dem man nicht viel mehr vorwerfen kann, als dass es zuviel Gesagtes noch einmal sagt und damit die interessante Kernbotschaft leider etwas verwässert.
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Dr. Thomas Hart ist Projektleiter bei der Bertelsmann Stiftung