Am 23. Juli 2007 war Ulrich Pick, ARD-Korrespondent in Istanbul, im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Er sprach über die künftige Außenpolitik der Türkei
unter dem wiedergewählten Premier Erdogan und darüber, dass eine demokratische Türkei die Brücke zwischen Orient und Okzident sein könne.

Moderator:
Herzlich Willkommen im tagesschau-Chat! Einen Tag nach der Parlamentswahl in der Türkei ist unser Chat-Gast heute ARD-Korrespondent Ulrich Pick. Er chattet aus Istanbul, einen schönen guten Tag dorthin und herzlichen Dank, dass Sie heute zwischen der aktuellen Berichterstattung Zeit für den tagesschau-Chat eingeplant haben. Die erste Frage:

Martin36: Merhaba nach Istanbul! Herr Pick, man
liest bei uns immer von der „islamisch ausgerichteten“
AKP von Recep Erdogan. Was soll man sich darunter vorstellen? Wo
liegen die Unterschiede zu den Parteien atatürkscher Prägung?

Ulrich Pick
Ulrich Pick
ARD-Korrespondent in Istanbul

Ulrich Pick: Unter islamisch ausgerichtet versteht
man – quasi in Parallele zur christlichen Ausrichtung der C-Parteien
in Deutschland – einen politischen Impuls aus der Religion. Wobei
die AKP keine Sharia einführen möchte, sondern eher religiös-soziale
Aspekte in den Vordergrund stellt. Zudem will sie das enge Korsett
der atatürkschen Vorgaben ausweichen. Das heißt konkret:
die Religion, die Atatürk quasi aus dem Alltag gestrichen hatte,
ein wenig aufwerten. Zudem ist es wichtig zu wissen, dass es gerade
die islamisch-konservative AKP es ist, die die Rechte der nicht-christlichen
Minderheiten stärken will.

döner: Ich denke, dass der Sieg der AKP im
Wesentlichen auf dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung nach
Stabilität, Kontinuität und Fortschritt resultiert. Die
Konkurrenten sind sich einfach zu uneinig; sie sind in alten Kadern
verflochten und stehen mit Filz und Korruption in Verbindung. Die
AKP ist gegebenenfalls intellektuell unterbelichtet, aber jedenfalls
pragmatisch und absolut am Ball.

Moderator: Teilen Sie diese Einschätzung?

Ulrich Pick: In der Tat, die AKP scheint die einzige
Partei zu sein, die wirklich gut aufgestellt ist, was für eine
gut laufende Demokratie eigentlich bedauerlich ist. Und so muss
man sagen, dass die Türkei eigentlich darunter leidet, dass
sie keine Opposition hat. Was Filz und Korruption betrifft, so findet
man sie in allen Parteien – also auch in der AKP – dort aber am
wenigsten.

cumali uyan: Wir als Ausländer in Deutschland
betrachten diesen Wahlsieg, auch wenn die AKP religiös-konservativ
angesehen sein mag, als Sieg des Volkes gegenüber des ultra-nationalistisch
geprägten Militärs. Sehen Sie das auch so?

Ulrich Pick: Ich teile ihre Meinung, weil ich
den Eindruck habe, dass zahlreiche Menschen, die eigentlich keine
AKP-Stammwähler sind (also religiös orientiert) sich kräftig
geärgert haben über die Putschandrohung der Militärs
gegenüber der Kandidatur von Außenminister Gül als
Staatspräsident. So gesehen war die Wahl meines Erachtens eine
Gegen-Intervention des Volkes mit Blick auf die „Mitternachtserklärung“
der Militärs am 27. April.

Guenther: Mich würde interessieren, wie Sie
heute, einen Tag nach der Wahl, die Stimmung im Lande charakterisieren
würden. Denken Sie die Lage hat sich nun mit dem eindeutigen
Votum entspannt, oder sehen sie durchaus noch Gefahr im Sinne einer
Einmischung des Militärs?

Ulrich Pick: Ich denke, dass gerade die kemalistischen
Kräfte (CHP, Militärs … also das alte Establishment)
erst noch am Verdauen sind. Wir müssen aber abwarten, wie die
jetzt anstehende Wahl zum neuen Staatspräsidenten (also die
Wiederholung) ausgehen wird. Wenn Erdogan und seine Bewegung klug
sind, wird man einen Kompromisskandidaten aufstellen. Damit kann
man diese Klippe umschiffen, hält das Militär ruhig und
hat dann freie Fahrt für den Rest der eigenen politischen Agenda.

Moderator: Zweimal nachgefragt:

rullermunk2: Was meinen Sie, wie die Generäle
bzw. das Militär reagieren, wenn Gül erneut als Präsidentschaftskandidat
ins Rennen geschickt wird?

Beni: Ist eine erneute Kandidatur Außenminister
Güls zu erwarten?

Ulrich Pick: Ich denke, dass Gül nicht wieder
antreten wird. Zwar hat Erdogan letzte Woche gesagt, dass er weiterhin
DER Kandidat der AKP sein wird. Aber wie gesagt, er wäre klug
beraten, einen Kompromisskandidaten zu finden, zumal die AKP ihn
nicht alleine wählen kann. Die AKP hat 342 Sitze im Parlament.
Der neue Kandidat braucht 367. Somit braucht Erdogan Unterstützung

Leon-Ist: Was hat das Militär eigentlich
gegen einen Staatspräsidenten Gül?

Ulrich Pick: Das ist mit guten Argumenten schwer
zu erklären. Es ist als Erstes seine Vergangenheit. Gül
war auch mal Islamist wie Erdogan. Und zum Zweiten trägt seine
Gattin den "Türban ", also das eng gebundene Kopftuch.
Und das ist ein (im Wortspiel!!!) rotes Tuch für die Generäle,
weil sie darin den religiösen Verrat an der atatürkischen
Kulturrevolution wittern. Allerdings liegen sie damit nicht auf
der Welle des Volkes. Gül ist zurzeit der beliebteste Politiker
im Land.

Martin36: Woher kommt eigentlich die starke Stellung
des Militärs in der Türkei?

Ulrich Pick: Beim Aufbau der Republik Türkei
wurde das Militär von Atatürk als die stabilisierende
Macht schlechthin installiert. Immerhin war Atatürk selbst
ein Berufssoldat. Aber wir sollten nicht vergessen, dass das Militär
viermal geputscht hat (1960, 71, 80, 97). Und die Türkei einen
großen Schritt in Richtung Demokratie gemacht hat.

der kleine prinz: Sehen Sie die Gefahr eines Militärputsches?

Ulrich Pick: Nein! Sollte jetzt das Militär
– wie auch immer – einen Putschversuch vornehmen, wäre dies
ein Putsch gegen das eigene Volk, das gestern sehr souverän
abstimmt hat. Und somit der Anfang vom Ende seines Einflusses.

Martin36: War es in der türkischen Vergangenheit
wirklich so, dass die Religion, der Islam, aus dem öffentliche
Leben (zumindest dem „staatlich geordneten“) herausgehalten
wurde? Wenn ja: Wird sich daran mittelfristig etwas ändern?

Ulrich Pick: Immer wieder wird das Modell der
Türkei laizistisch genannt, dem ist aber nicht so. Ein richtiger
Laizismus ist eine Trennung von Religion und Staat wie in Frankreich.
In der Türkei war die Religion stets dem Staat untergeordnet.
Das erkennen sie daran, dass 95 Prozent aller islamischen Vorbeter
staatliche Beamte sind. Unter Atatürk – und das betrifft nochmals
ihre Frage – wurden zahlreiche Moscheen geschlossen, die religiösen
Schulen (Medresen) auch und offiziell die Sufi-Bruderschaften verboten.
Diese Sicht von Religion wirkt bei vielen Kemalisten noch nach bis
heute, allerdings nicht bei der Mehrheit, wie das Wahlergebnis zeigt.

Moderator: Zu den unabhängigen Kandidaten,
die ins Parlament gewählt wurden:

Guenther27: Welchen Einfluss, Herr Pick, können
Ihrer Meinung nach die der DTP angehörenden kurdischen Unabhängigen
im neuen Parlament ausüben?

gezer: Was ist mit dem kurdischen Abgeordneten,
werden sie wieder verhaftet, wie es in der Vergangenheit geschehen
ist?

Ulrich Pick: Hier müssen wir wirklich abwarten.
Sollten sich die Kurden nicht provokativ zeigen (leider liegt die
Schmerzgrenze hier oft sehr niedrig) könnten sie eine Bereicherung
sein. Der bei den ersten Hochrechnungen angenommene Fall, sie könnten
Zünglein an der Waage spielen, wenn es um die Zwei-Drittel-Mehrheit
geht, ist nicht eingetreten.

torres: Welche Partei wurde denn von der jüngeren
Generation, also den Erstwählern, am stärksten gewählt?

Ulrich Pick: Darüber gibt es noch keine genauen
Analysen.

neco: Vor den Wahlen wurden in den türkischen
Medien immer wieder unzufriedene Menschen gezeigt. Die Cumhuriyet-Versammlungen,
das Wiedererstarken der Nationalisten, die hohe Arbeitslosigkeit
vor allem bei der jungen Bevölkerung; das alles waren Anzeichen
für eine Schwächung der AKP. Ist aus diesem Hintergrund
die Wahl als paradox zu bezeichnen, oder wurde der Puls der Bevölkerung
falsch dargestellt?

Ulrich Pick: Wenn sie die Massendemos in Ankara,
Istanbul und anderswo meinen, muss man schon genau hingucken. Diese
Demos waren beeindruckend groß, aber die Gruppen waren sehr,
sehr unterschiedlich. Man konnte Gewerkschafter finden, engagierte
Frauenverbände, aber auch EU-Gegner und Anti-USA-Demonstranten.
So gesehen waren sich diese Mengen nur einig in dem, was sie NICHT
wollten, nämlich die AKP – nicht aber in dem, was sie wollten.
Mit anderen Worten: Hier war begründeter Protest, aber kein
klarer, positiv geformter politischer Wille zu sehen, der das Land
vorwärts bringt.

mischa: Inwieweit hat sich die AKP personell und
inhaltlich verändert? Kann man sagen, dass es mehr moderate
Kräfte dort gibt?

Ulrich Pick: Das ist selbst für einen Korrespondenten
sehr schwierig zu sagen. Klar ist, dass Erdogan den so genannten
„Milli-Görüs-Flügel“ der Islamisten gestutzt
hat. Das hat die Partei in Richtung Mitte gebracht. Auch sind Gül
und Erdogan durchaus als relativ liberal zu bezeichnen. Aber es
gibt leider auch immer wieder Meldungen von der so genannten Basis,
die doch sehr streng religiös klingen. Wahrscheinlich wird
sich die Partei weiter wandeln. Hoffentlich hin zu mehr Liberalität.

Martin36: Auf die Frage von mischa: Kann man sagen,
dass sich Erdogans politische Ausrichtung geändert hat oder
ist sie nur Fassade?

Ulrich Pick: Wir wissen alle, das Erdogan ein
strenger Islamist war. Wir haben auch entsprechende Reden bei uns
im ARD-Archiv. Aber wenn Erdogan wirklich einen Gottesstaat gewollt
hätte, dann hätte er schon die Möglichkeit gehabt,
an einigen Stellen strengere Regeln einzuführen. Meine Meinung
ist: Ich nehme Erdogan seinen bekundeten Wandel ab (wir hatten in
Deutschland auch einen Außenminister, der früher Polizisten
verprügelt hat). Allerdings bin ich sehr sensibel bei der Beobachtung.
Allerdings halte ich das Experiment eines demokratischen politischen
Islams für hochinteressant.

Moderator: Zwei Fragen zu den Minderheiten:

Beni: Betreff der Stärkung der nicht-christlichen
Minderheiten: Tatsache ist aber doch, dass sowohl die Minderheitenrechte
von muslimischen Minoritäten als auch der nicht-muslimischen
Minoritäten faktisch weiter diskriminiert werden, trotz der
Reformen im Zuge des nationalen Programms zur Anpassung an den Acquis
(der gemeinsame Rechtsrahmen der Europäische Union, Anm. der
Redaktion), oder nicht?

horst95: Wie sieht es eigentlich mit der Positionierung
der AKP zu den Attentaten an Dink und an den weiteren Christen aus?
Waren das AKP-nahe Attentäter oder kamen sie wie auch häufig
behauptet aus dem Lager der MHP?

Ulrich Pick: Es stimmt, dass die Erdogan-Regierung
bislang nicht eingelöst hat, dass sie die Rechte der Christen
und Alleviten verbessern wollte. Somit ist es jetzt höchste
Zeit dafür. Zum Mord an Hrant Dink hat sich leider keine Partei
solidarisch geäußert. Was die Morde an Christen in Malatya
betrifft, gab es nur einen Politiker, der sich bei der deutschen
Botschaft entschuldigt hat: der Minderheitenbeauftragte (so etwas
gibt es!) der AKP.

tzalk: Die Wahl wurde oft (auch bei tagesschau.de)
islamisch-konservativ gegen säkular-laizistisch genannt. Könnte
man zutreffender pro-europäisch und nationalistisch oder wirtschaftliberal
und staatsdirigistisch sagen?

Ulrich Pick: Das kann man so sagen. Sie markieren
damit die klaren Trennungslinien. Allerdings fahren wir in Europa
ja so wahnsinnig auf das Stichwort „Islam“ ab.

Moderator: Von den vielen Fragen zur EU mal drei:

tatatata: Was für einen Einfluss hat der
Wahlausgang auf die Orientierung der Türkei in Richtung Europa?

Caius: Welchen Einfluss auf die Verbindung zu
EU hat Erdogans Sieg?

JuliNie: Wird sich der aktuelle Wahlausgang auf
das Verhältnis Türkei-EU einen Einfluss haben? Wird das
Verhältnis nicht verkompliziert?

Ulrich Pick: Das ist ein weites Feld. Meines Erachtens
dürfte die Fahrt der Türkei in Richtung Brüssel jetzt
wieder an Fahrt gewinnen. Der Wahlsieg dürfte hierbei Erdogan
mehr Spielraum geben. Das ist hochinteressant bei der Zypernfrage,
denn hier wäre Erdogan in der Vergangenheit gerne weiter gegangen
als das Militär. Er hat aber aus „patriotischer Solidarität“
den harten Vorstellungen der Militärs die Stange gehalten.
Das könnte sich jetzt ändern, denn sein Spielraum ist
ja durch seinen Sieg gewachsen. Was aber auch noch wichtig ist:
Die Türken (die ja nicht europafeindlicher sind als vor 3 Jahren)
wollten von der EU, dass sie die Republik am Bosporus nicht mit
zweierlei Maß misst. Darunter leidet man hier sehr.

Moderator: Nachfrage zu Erdogan und Zypern:

SWISS: Auch im Hinblick auf die Zypern-Problematik?
Das Volk hat die AKP-Politik mit dieser Wahlentscheidung gestärkt,
das heißt, keine Zugeständnisse, bevor nicht die EU die
Isolation des Nordens der Insel aufhebt!

Ulrich Pick: Das ist die offizielle Version. Wie
gesagt: Erdogan dürfte sich mit dem Wahlsieg flexibler zeigen.
Aber auch die EU hat ihre Versprechen an Nordzypern noch nicht eingelöst.

bahabln: Zur Zypernfrage: Hat Erdogan, wie Sie
schreiben aus „patriotischer Solidarität“ sich
zurückgehalten, oder doch eher, weil auch er über die
nicht eingehaltenen Zusagen der EU verärgert war; wie zum Beispiel
kein alleiniger EU-Beitritt von Südzypern, wenn dem Annan-Plan
nicht zugestimmt wird (Südzypern stimmte dem Plan nicht zu),
oder die schrittweise Aufhebung der Isolierung von Nordzypern?

Ulrich Pick: Ich denke, das war eine Mischung
aus unterschiedlichen Gründen. So wie Sie schreiben. Generell
aber gilt: Erdogan und Talat (Nordzypern) sind zu mehr bereit als
die Kemalisten. Und die haben jetzt noch mehr an Einfluss verloren.

astore1: Wie groß ist in Ihren Augen die
Chance, dass die jetzt im Parlament vertretenen Kurden mit ihrer
Fraktion die Politik für den Südosten der Türkei
beeinflussen können?

Ulrich Pick: Das ist zur Stunde noch nicht auszumachen.
Sie sind in einer interessanten Position, dürften aber mit
Argusaugen begutachtet werden. Also abwarten!

Rotor: Was bedeutet es, dass die Kurden im Parlament
jetzt eine eigene Fraktion bilden können?

Ulrich Pick: Auch das ist noch nicht konkret zu
sagen. Aber emotional dürfte dies wohltuend für zahlreiche
Kurden sein. Sie haben sich zu oft ausgegrenzt gefühlt – bislang.

Moderator: Zwei Kommentare von:

melex: Stellen Sie sich einmal vor, die Türken
würden in Deutschland eine Fraktion bilden können. Ich
denke, dass bedeutet es!

bahabln: Man sollte betonen, dass auch früher
schon immer Kurden als Abgeordnete im Parlament waren. Es wird der
Eindruck erweckt, dass dies ein Phänomen neuerer Zeit wäre!

Moderator: Und eine Frage von:

SWISS: zu astore1: Gerade im Hinblick, dass die
DTP als politischer Ableger der PKK betrachtet wird und sich bis
dato nicht von der PKK distanziert hat? Schürt das nicht neue
Konflikte?

Ulrich Pick: Es stimmt, dass ethnische Kurden
stets im Parlament waren, zumindest seitdem man öffentlich
von Kurden reden darf (1991). Aber dezidiert prokurdische Abgeordnete
gibt es als Parteienformation seit Anfang der 90er nicht mehr. Leider
stimmt es, dass die DTP ein zwielichtiges Verhalten zeigt. Einerseits
betont sie lange nötige Minderheitenrechte, andererseits fehlt
die klare Distanzierung zur PKK.

athena: Das Aufeinandertreffen der Ultranationalen
und der Kurden dürfte im Parlament Gegenstand einer hitzigen
Debatte werden. Wird sich Erdogan als Vermittler der beiden sehen?

Ulrich Pick: Keine Ahnung. Ich bin mal gespannt.

mischa: Noch mal zur Kurdenfrage: Wird sich das
Militär mit einem Einmarsch in den Nordirak durchsetzten? Was
für Folgen hätte das für die Region?

Ulrich Pick: Die AKP-Mehrheitsfraktion hat ihre
Zustimmung für dieses riskante Unterfangen in den letzten Wochen
versagt. Und so dürfte und sollte es hoffentlich auch in Zukunft
sein.

Martin36: In fast allen Meldungen der deutschen
Medien (nicht nur in „populistischen“, auch z.B. bei
ARD und ZDF) meint man immer einen skeptischen, kritischen Unterton
gegenüber der AKP und Erdogan heraus zu hören? Woher kommt
diese „Angst“? Können Sie als Insider sich die
erklären?

Ulrich Pick: Leider haben wir zu wenig Ahnung
vom Islam. Daraus hat sich eine große und zum Teil unbegründete
Islam-Skepsis entwickelt, teilweise sogar eine Islamophobie. Das
finde ich sehr bedauerlich. Gerade die Erdogan-Regierung könnte
zeigen (wenn sie ihren Worten treu bleibt), dass die Türkei
eine Brücke zwischen Orient und Okzident sein kann. Nicht mit
Angst, aus der Skepsis und Ablehnung wächst.

klaus schmidt: Ist überhaupt eine Integration
einer islamisch ausgerichteten Türkei in ein christliches Europa
denkbar, oder hat sich die Türkei mit der Wahl selbst diesen
Eintritt auf absehbare Zeit unmöglich gemacht?

Ulrich Pick: Dafür sollte die EU endlich
einmal sich selbst beantworten, was sie eigentlich ist. Eine Wirtschaftsgemeinschaft,
ein rein geografisches Gebilde, ein Christenclub – das alles ist
offen. Wenn sie meine Meinung wissen wollen: Ich halte es angesichts
der prekären Weltlage und der Spannungen mit islamistischen
Strömungen für Europa und die Integration von Muslimen
für wichtig, dass – wenn das Experiment Erdogan klappt – die
Türkei in die EU sollte. Das zeigte, dass nicht die Religion
das Verbindende ist, sondern gemeinsame Menschenrechte und Demokratieverständnis.
Allerdings hat die Türkei auf ihrem Weg in die (wie auch immer
geartete EU) noch einen steinigen Weg vor sich. Erdogan wird, wenn
er es ernst meint, keine Langeweile bekommen.

Moderator: Das war´s, unser tagesschau-Chat
ist vorbei. Herzlichen Dank nach Istanbul an Herrn Pick, dass Sie
sich Zeit genommen haben! Herzlichen Dank an alle User für
Ihr Interesse! Das Protokoll gibt es wie gewohnt in Kürze auf
den Seiten der Veranstalter www.tagesschau.de und www.politik-digital.de
zu finden. Das tagesschau.de-team wünscht allen noch einen
schönen Tag!