Klaus Zimmermann

Klaus Zimmermann, Präsident des DIW Berlin, ist am 16. Juli 2003
zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.

 


Moderator
: Herzlich willkommen im tacheles.02-Chat. tacheles.02
ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de. Der Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, ist heute in den Büroräumen
von politik-digital zu Gast im Chat. Der Live-Chat kann über die
geschaltete Webcam mitverfolgt werden. Herr Zimmermann, sind Sie bereit?

Klaus Zimmermann: Selbstverständlich.

Frage: Bundeskanzler Schröder hat heute erklärt,
dass die Finanzierung der dritten Stufe der Steuerreform ab 2005 durch
"darin vorgesehene Maßnahmen" gedeckt sei. Was sind denn
das für Maßnahmen?

Klaus Zimmermann: Ja, zu den Maßnahmen gehören
der Abbau von Subventionen in der Landwirtschaft und beim Bau sowie wahrscheinlich
auch die Kürzung der Unterstützung für die Entfernungsgeldpauschale.

Moderator: Heute hat Herr Eichel die Eckpfeiler seiner
Steuerreform bekannt gegeben. Wie soll diese in Zeiten flauer Wirtschaft
finanziert werden?

Klaus Zimmermann: Es ist vorgesehen, zunächst einmal
Kredite auf zu nehmen und Bundesbesitz zu privatisieren. Das ist gut,
weil deshalb die Konjunktur im nächsten Jahr leichter anspringen
kann. Für die Jahre danach muss man dann aber daran denken, Subventionen
ab zu bauen, etwa in der Landwirtschaft und beim Bau.

Ursula: Nach Eichels Konzept will der Bund im kommenden
Jahr 5 Milliarden Euro zusätzlichen Kredit aufnehmen. Wird die vorgezogene
Steuerreform also deutlich schuldenfinanziert sein?

Klaus Zimmermann: Ja, und damit haben die Menschen netto
mehr Geld in der Tasche und werden stärker konsumieren und in neue
Unternehmungen investieren.

Nicole: Schröder meinte, dass es lediglich darum
ginge, ein Jahr finanziell über die Runden zu kommen. Aber jetzt
mal ehrlich: Nach einem Jahr, also 2005, wird die Wirtschaft doch nicht
über den Berg sein, Herr Zimmermann, oder?!

Klaus Zimmermann: Da haben Sie Recht. Die Regierung muss
weiter ihre Hausaufgaben machen, dazu gehört die Durchführung
konsequenter Strukturreformen, etwa am Arbeitsmarkt. Weitere Maßnahmen
sind die Reform der sozialen Sicherungssysteme und die Haushaltssanierung.

öltanker: Wie viel Wachstum brauchen wir wirklich,
um am Arbeitsmarkt Effekte zu erzielen, die auch die vielen schlecht ausgebildeten
Arbeitslosen mitziehen?

Klaus Zimmermann: Richtig durchgeführt wird dies
die Bereitschaft der Unternehmen zu Investitionen erhöhen. Um am
Arbeitsmarkt wirkliche Effekte zu erzielen, brauchen wir mindestens zwei
Prozent Wachstum. Soviel werden wir demnächst nicht bekommen, das
heißt die Arbeitslosigkeit wird auch in den nächsten Jahren
eher anwachsen.

peterter: Warum brauchen wir zwei Prozent Wachstum?

Klaus Zimmermann: Weil erst mit mehr als zwei Prozent
mehr Menschen eingestellt werden.

kohl: Ist das in anderen Ländern anders? Gibt es
da früher Arbeitsplätze bei weniger Wachstum?

Klaus Zimmermann: In Amerika und in England beispielsweise
brauchen wir viel weniger Wachstum, um mehr Beschäftigung zu erreichen.

Moderator: Hier kommt wieder eine Frage zur Situation
in Deutschland:

Rudi: Aber wenn die Arbeitslosigkeit wächst, haben
die Menschen doch nicht mehr Geld um zu investieren, oder?!

Klaus Zimmermann: Richtig. Wir müssen vermeiden,
dass noch mehr Menschen arbeitslos werden. Gleichzeitig soll durch die
Steuerreform mehr Geld in die Taschen von Konsumenten und Unternehmern
gelangen, damit mehr Nachfrage entsteht.

igmetalla: Bringt denn nur Arbeit mehr Wachstum? Oder
nur anders herum?

Klaus Zimmermann: Beides ist möglich. Wichtig ist
allerdings, dass Wachstum entsteht, damit mit mehr Gütern auch mehr
Menschen in Arbeit kommen. Steigt andererseits die Arbeitsbereitschaft,
dann führt dies auch zu einer Kostensenkung bei den Unternehmen und
die Güterpreise können sich so günstig entwickeln, dass
auch mehr abgesetzt wird.

Mirijam: Aber ist es nicht auch ein psychologisches Problem?
Die Menschen werden doch nur mehr investieren, wenn sie auch tatsächlich
das Gefühl haben, nicht mehr in einer Konjunkturschwäche zu
stecken? Kann man dieses Problem mit der Steuerreform lösen?

Klaus Zimmermann: Wenn die Steuerreform hilft, dass der
Konjunkturaufschwung tatsächlich für die Menschen spürbar
wird, dann wächst das Vertrauen in die Zukunft und es wird mehr investiert.

susip.: Alle reden von Wachstum, aber warum muss die
Wirtschaft eigentlich immer wachsen? Kann sie nicht auf dem heutigen Niveau
bleiben?

Klaus Zimmermann: Nein, sonst würde das Arbeitslosigkeitsproblem
immer größer werden. Nur Wachstum sichert, dass sich neue Märkte
entwickeln und zusätzliche Beschäftigung entsteht.

kohl: Muss das Problem nicht EU-weit angegangen werden?
Was machen etwa Frankreich und Chirac?

Klaus Zimmermann: Auch die Franzosen haben Probleme mit
der Sparpolitik und verfolgen eine ähnliche Politik, die Konjunktur
durch zusätzliche Budgetdefizite anzuregen. Generell gilt, dass ganz
Europa in einer Wachstumsschwäche steckt. Deutschland muss als größte
Nation mit helfen, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen.

Moderator: Nun zu einer europaweit bedeutsamen Frage:

Dieter Schmidt: Hält Eichels Steuerreform dem Stabilitätspakt
stand, oder sprengt sie ihn damit?

Klaus Zimmermann: Die Stabilitätsprobleme werden
zunehmen. Der Pakt kann im nächsten Jahr nicht gehalten werden. Das
Maastrichtkriterium wird deutlich überschritten, es wird mindestens
3,7 Prozent betragen.

Sucher: Die marginale Grenze von 3% an Neuverschuldung
soll nicht gesprengt werden. Was besagt diese Zahl genau? Ist sie nicht
willkürlich gewählt und könnte in flauen Zeiten wie diesen,
die ja ganz Europa auf dem Magen liegen, nach oben korrigiert werden?

Klaus Zimmermann: Bei dieser Grenze geht es um den Anteil
der Neuverschuldung am Bruttoinlandsprodukt. 3 % heißt, dass das
Defizit so groß ist wie 3 % des Bruttoinlandsprodukts. Die Zahl
ist vertraglich vereinbart und kann nicht einfach verändert werden.
Allerdings kann die Grenze überschritten werden, wenn eine Regierung
die Finanzpolitik begründen kann. Im Fall für Deutschland kann
man mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage, mit der Steuerreform selbst
sowie mit den Strukturreformen erfolgreich argumentieren. Dann kann man
die drohenden finanziellen Strafen vermeiden.

Moderator: Ist sie also eine beliebige Zahl, die vertraglich
vereinbart wurde? Könnten es auch 3,5% sein?

Klaus Zimmermann: Es gibt keine wissenschaftliche Begründung
für diese genaue Zahl, es könnte auch 5 % heißen. Allerdings
galt sie bei Vertragsabschluß als politisch tragfähig und finanzpolitisch
wirksam.

libero: Chirac hatte angedeutet, den Stabilitätspakt
nicht einhalten zu wollen? Warum soll sich Eichel daran halten?

Klaus Zimmermann: Eichel hat das Probleme, dass die Deutschen
den Stabilitätspakt erfunden haben. Wir wollten diese Regelungen,
damit wir die Aufgabe der DM leichter verkraften. Jetzt zeigt sich, dass
kritische Länder wie Griechenland stabilitätsbewusster handeln.
Allerdings hat Eichel in Brüssel erreicht, dass ein Reißen
des Kriteriums dann akzeptiert wird, wenn Strukturreformen eingeleitet
werden und der mittelfristige Stabilisierungspfad nicht verlassen wird.

Moderator: Nun zwei Fragen in die gleiche Richtung…

Sucher: Was hat die Überschreitung denn für
Konsequenzen?

Mumpitz: Jedes Land hat doch Probleme, diese Zahl einzuhalten.
Hätte man das nicht vorher absehen können?

Klaus Zimmermann: Nicht jedes Land hat Probleme, nur
die großen Länder neben Deutschland und Frankreich auch Italien.
Das war nicht voraus zu sehen, da damals größeres Wachstum
herrschte, deshalb sollte man den Pakt bald sinnvoll reformieren, um Konjunkturschwankungen
besser Rechnung zu tragen.
Zu Sucher:
Das kann zu Strafzahlungen in Milliardenhöhe führen.

Moderator: Nun ein Schwenk zur Innenpolitik Deutschlands…

Mirijam: Um was für Subventionskürzungen geht
es denn inhaltlich? Was bedeutet das für den Normalbürger?

Klaus Zimmermann: Die derzeit diskutierten Subventionen
sind die Eigenheimzulage, das Entfernungsgeld beim Weg zur Arbeit, die
Steuerbefreiung von Überstunden und Nachtarbeit sowie die Landwirtschaft.
Größenordnungsmäßig geht es um Beträge in Höhe
von 15 – 20 Milliarden Euro, die zunächst zur Diskussion stehen.

Moderator: Wo soll das Geld genau herkommen?

Klaus Zimmermann: Aus den Taschen der Haushalte und Unternehmungen.

Moderator: Nun zur Opposition:

kohl: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel warf Rot-Grün
eine "Flucht in neue Schulden" vor. Aber anders geht es doch
nicht?

Klaus Zimmermann: Es geht nicht anders, wenn man jetzt
im kommenden Jahr die Konjunktur etwas stützen will. Natürlich
könnte man durch eine Kürzung von Subventionen oder auch durch
Haushaltseinsparungen eine Gegenfinanzierung schaffen. Dann müssten
sich Regierung und Opposition allerdings darauf einigen, was gestrichen
werden soll. Das fällt allen Parteien derzeit denkbar schwer. Dazu
kommt, dass diese Einsparungen gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern
und Dienstleistungen reduzieren würden, und es uns somit wirtschaftlich
schlechter ginge. Das kann niemand wollen, also sollte sich rasch eine
Einigung auch im Bundesrat auf Vorziehen der Steuerreform ohne Ausgabenkürzung
finden.

peterter: Die überwiegende Kreditfinanzierung und
die fehlende Entlastung für Kommunen und Länder seien "nicht
hinnehmbar", sagt Stoiber. Abgesehen davon, das er kein eigenes Konzept
hat, hat er inhaltlich recht und was schlagen sie vor?

Klaus Zimmermann: Die fehlende Entlastung für die
Kommunen müssen bei der Gemeindefinanzreform kommen. Es ist ein großes
Problem, dass die kommunalen Investitionen bereits seit Jahren schrumpfen.
Das wird auf Dauer zu einem schwerwiegenden Wachstumshemmnis für
die deutsche Wirtschaft. Die Länder haben dagegen eine konjunkturpolitischen
Auftrag und würden bei einem mittelfristigen Subventionsabbau auch
erhebliche Vorteile haben. Damit löst sich das Problem mittelfristig

jung: Die Opposition sagt: Eine Steuerreform auf Pump
sei gegenüber der jüngeren Generation unverantwortlich. Stimmt
das? Bezahlen wir Jungen die Schulden von morgen?

Klaus Zimmermann: Die Jungen stehen vor großen
Belastungen. Das kann nur vermieden werden, wenn jetzt Strukturreformen
gemacht werden. Diese sind aber nur erträglich und praktikabel, ja
sogar wirksam, wenn die wirtschaftliche Dynamik anspringt. Wer mit dem
Fahrrad voran kommen will, muss zwar die Handbremse lösen, er muss
aber auch in die Pedale treten.

cher: Wenn der Staat jetzt neue Schulden, d.h. Kredite,
aufnimmt, macht er das in Deutschland oder im Ausland? Denn Kredite im
Inland fördern doch letztlich auch die deutsche Volkswirtschaft,
oder?

Klaus Zimmermann: Das geschieht überwiegend im Inland.
Der Staat tritt aber in Konkurrenz zu privaten Investoren, die dann höhere
Zinsen zahlen müssen, um an ihre Kredite zu kommen. Auch sind höhere
Staatsschulden mittelfristig über Steuern zurück zu zahlen.
Die Haushalte haben also nicht dauerhaft mehr Geld in der Tasche.

Moderator: Ein Schwenk zu einer von Eichel angekündigten
Privatisierungsmaßnahme:

Frodo: Wie wird sich der geplante Verkauf der Telekom-
und Post-Aktien auf den Börsenmarkt auswirken? Muss dann nicht wieder
der kleine Mann, in diesem Fall die Kleinaktionäre, dran glauben?

Klaus Zimmermann: Das wird wohl über die Kreditanstalt
für Wiederaufbau langsam in den Markt eingebracht, keinesfalls wird
das Bundeseigentum jetzt billig verschleudert. Somit kann sicher gestellt
werden, dass die Aktien dann in den Markt kommen, wenn auch Nachfrage
besteht. Aber natürlich ist es richtig, dass die Aussichten auf kurzfristige
Wertzuwächse bei diesen Aktien zunächst verbaut.

Moderator: Das heißt, die Kreditanstalt für
Wiederaufbau steuert den Rückfluss der Aktien auf den Markt?

Klaus Zimmermann: Richtig. Diese Bank des Bundes ist
für die Marktpflege verantwortlich. Sie stellt der Regierung kurzfristig
die benötigten Gelder für den Haushalt zur Verfügung.

Lara: Herr Zimmermann, die Börsenkurse sind im Moment
am Boden. Für verkaufte Telekomaktien wird nicht viel zu bekommen
sein. Wo kommt der Rest des Geldes her, das die vorgezogene Steuerreform
gegenfinanzieren soll?

Klaus Zimmermann: Die Aktien werden nicht sofort verkauft.
Die Kreditanstalt bringt sie erst in den Markt, wenn die Situation günstig
ist. Derzeit erhält also die Regierung einen Kredit der Kreditanstalt.

Moderator: Und zurück zu grundsätzlichen Fragen
der User:

jäggi: Nachfrage zum Stabilitätspakt: Sollte
Eichel also die drei Prozent Grenze überschreiten?

Klaus Zimmermann: Er hat keine andere Chance. Sonst würde
er die Wirtschaft weiter abwürgen und mehr Arbeitslosigkeit schaffen.
Allerdings muss er sehr genau begründen, warum er das tut.

Wundertüte: Ist die Neuverschuldung überhaupt
verfassungsmäßig?

Klaus Zimmermann: Der Haushalt liegt über der normalen
Grenze. Die Neuverschuldung ist größer als die Summe der Investitionen.´Das
ist dennoch verfassungsgemäß, wenn Eichel gleichzeitig eine
gesamtwirtschaftliche Notlage erklärt. Das wird er tun und dann ist
es ganz legal.

jäggi: Also hat die Union mit Ihrem Vorwurf der
nicht Verfassungsmäßigkeit unrecht?

Klaus Zimmermann: Nein. Der Haushalt ist ohne diese Erklärung
verfassungswidrig. Mit allerdings nicht, insofern ist das nur ein Spiel
mit der Öffentlichkeit.

Moderator: Vorletzte Frage: Aber ist das "Gleichgewicht"
von Neuverschuldung und Investition vor dem Hintergrund der Steuerreform
durchzuhalten?

Klaus Zimmermann: Die Steuerreform wird kurzfristig zum
Überschießen führen. Springt die Konjunktur aber an, gibt
es weitere Steuereinnahmen und der Haushalt saniert sich.

Moderator: Letzte Frage noch einmal zum Stabilitätspakt:

Spd: Stabilitätspakt: Sie haben noch nicht präzisiert,
warum die 3% in Maastricht vertraglich festgelegt wurden. Hat diese willkürlich
gefundene Grenze eine ökonomische Basis? Ich lebe in Frankreich und
dort werden seit drei Jahren die 3% überschritten. Dazu hat Frankreich
seit 1997 mehr Wirtschaftswachstum erreicht als Deutschland.

Klaus Zimmermann: Es gibt keine wissenschaftliche Basis.
Das war eine politisch gegriffene Größe. Damit sollte eine
restriktive Regelung gefunden werden, die nationalen Regierungen zu disziplinieren.

Moderator: Liebe Politik-Interessierte, eine Stunde ist
vorbei. Vielen Dank für Ihre Fragen, vielen Dank Herr Zimmermann,
dass Sie in die Redaktionsräume von politik-digital gekommen sind.
Den nächsten Chat gibt’s am kommenden Montag, den 21. Juli, dann
stellt sich der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
Hans-Günter Friese von 17.00 bis 18.00 Uhr Ihren Fragen. Wir freuen
uns, wenn Sie wieder dabei sind. Einen schönen Abend wünscht
das tacheles.02-Team.