Heidemarie Wieczorek-Zeul

tacheles.02: Chat mit
Heidemarie Wieczorek-Zeul am 03. Juli 2002



Moderator:
Herzlich willkommen zum tacheles.02 Chat von tagesschau.de und
politik-digital.de mit Unterstützung von tagesspiegel.de! Heute ist bei
uns die Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD. In der
nächsten Stunde haben Sie Gelegenheit, Ihre Fragen zu entwicklungspolitischen
Fragen zu stellen. Zunächst: Schön, dass Sie hier sind, Frau Ministerin!
Sind Sie bereit?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Jawohl, hier bin ich, hallo.

Moderator: Eine Frage
zu einem ersten Themenkomplex:

Pur: Wie könnte
man die USA in Sachen Strafgerichtshof noch umstimmen? Und welche Druckmittel
hat Europa?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Wir müssen versuchen, mit allen Möglichkeiten die amerikanische Regierung
umzustimmen. Und wichtig ist, dass alle europäischen Länder die gleiche
Position beziehen, denn mit dem internationalen Strafgerichtshof soll ja ein
Signal in alle Länder gesandt werden, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
Völkermord, nie mehr hingenommen werden, und dass wir in einer globalen
Welt globale Rechtstaatlichkeit brauchen.

Desarollo: Glauben
Sie, dass der Bundestag für einen Bosnien-Einsatz auch ohne UN-Mandat stimmen
wird? Was hätte das zur Folge?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Hallo Desarollo. Der Name ist bei Ihnen Programm, hoffentlich.
Ich kann jedenfalls für die Fraktionen der Regierung sagen, dass wir für
die Verlängerung des Einsatzes stimmen werden; aber das Verhalten der US-Regierung
hätte massive Konsequenzen, möglicherweise auch für künftige
UN-Friedensmissionen und das würde die UN schwer beschädigen.

Osaft: Nach Informationen
der Frankfurter Rundschau zählen Sie in einem internen Papier 20 Unstimmigkeiten
mit den USA auf. Ist das nicht ein bisschen übertrieben?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Nein, ich könnte natürlich eine größere Zahl von Konflikten
nennen, aber die Punkte, um die es geht, möchte ich besonders nennen: Ein
zentraler Konflikt ist das Verhalten der Regierung Bush zur drastischen Aufstockung
von Agrarproduktsubventionen entgegen allen Versprechungen an die Adresse der
Entwicklungsländer, derartige Subventionen zurückzufahren. Mit dieser
Art von Protektionismus wird den Entwicklungsländern auf den Weltmärkten
unfaire Konkurrenz gemacht. Damit werden ihre Einkommensmöglichkeiten deutlich
gemindert. Das ist das Gegenteil dessen, was notwendig ist. Ein anderes Konfliktfeld
ist das Verhalten der amerikanischen Regierung gegenüber den internationalen
Organisationen, die weltweit für Familienplanung eintreten. Denen will
die Bush-Administration die Mittel streichen, d.h. aber, weltweit, zumal in
den Entwicklungsländern, dem Kampf gegen AIDS zu schaden und die Geburtenraten
in den Entwicklungsländern zu steigern. Das Gegenteil davon ist notwendig.
Man könnte hier noch deutlich mehr hinzufügen.

halligalli: War ihr
Kritikpapier mit Außenminister Fischer abgesprochen, der sich ja immer
sehr, sehr diplomatisch gegenüber der amerikanischen Politik äußert?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Der Vorteil von Enwicklungsministerinnen ist, dass sie nicht diplomatisch sein
müssen. Im Übrigen: die Punkte, die ich eben genannt habe, werden
von allen EU-Entwicklungsministern geteilt.

Pur: Fühlen
Sie sich nicht manchmal ziemlich hilflos angesichts der mächtigen US-Regierung?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Nein. Ich bin schon immer für die Notwendigkeit der Selbstbehauptung Europas
eingetreten.

Moderator: Noch einmal
eine Nachfrage zum Internationalen Strafgerichtshof:

Wolfgang: Wieso erwähnen
Sie eigentlich nicht, dass Russland und China ebenfalls den Internationalen
Strafgerichtshof nicht anerkennen? Ihre einseitige Position sieht mir so eher
nach Antiamerikanismus aus?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Die Forderung zum Internationalen Strafgerichtshof geht an alle Länder.
Das besondere Problem bezogen auf die USA ist, dass sie ihre Zustimmung zu einer
weiteren Entscheidung zum Einsatz der UN-Friedensmission in Bosnien-Herzegowina
in fast erpresserischer Weise verkoppeln mit der Forderung, amerikanische Soldaten
von Entscheidungen und Urteilen des Internationalen Strafgerichtshofs auszunehmen.
Kein Staat kann sich aber über andere Staaten stellen. Es gilt: Die Stärke
des Rechts muss weltweit bestimmen, und nicht das Recht des Stärkeren.

BastianZ: Denken
Sie, dass der Kompromissvorschlag der amerikanischen Regierung akzeptabel ist
oder würde dieser den internationalen Gerichtshof dauerhaft beschädigen?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
BastianZ, welchen "Kompromissvorschlag" meinen Sie?

BastianZ: Ich meine
den Vorschlag, Mitgliedsstaaten des Weltsicherheitsrats zu ermöglichen,
Verfahren zunächst für 12 Monate zu stoppen um das Verfahren damit
hinauszögern zu können…

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Für mich ist das kein "Kompromissvorschlag", denn wenn ein
Staat sich den Verpflichtungen erst einmal entziehen kann, ist das ja ein völlig
falsches Signal an alle Staaten der Weltgemeinschaft.

sfor: Wäre ein
Bosnien-Einsatz ohne UN-Mandat nicht auch ein falsches Zeichen? Würde die
UN da nicht an Wichtigkeit verlieren?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Deshalb ist es ja so wichtig, UN-Friedensmissionen nicht zu beschädigen.
Und vor allen Dingen darf nichts passieren, was den Menschen in Bosnien-Herzegowina
den Schutz entzieht.

Moderator: Ein kleiner
Themenwechsel: Gesundheitspolitik.

torben76: Glauben
Sie, dass AIDS das größte Problem der Entwicklungsländer ist?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Es ist ein zentrales Problem, denn AIDS droht gerade die Generation der
Menschen, die berufstätig sein können und das Land aufbauen können,
auszulöschen. Zurück blieben ältere Menschen und Waisenkinder.
Weltweit gibt es etwa 12 Million solcher Aidswaisen bereits. Aids ist eine menschliche
und wirtschaftliche Katastrophe für Entwicklungsländer und deshalb
ist die Bekämpfung von Aids ein Schwerpunkt unserer Zusammenarbeit.

ankeline: Wie stehen
Sie dazu, dass Entwicklungsländer Patente für Arzneimittel brechen?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Das Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums sieht vor, dass Entwicklungsländer
im Falle derartiger Gefährdungen wie bei Aids 1. billigere Produkte importieren
können (sog. Parallelimporte), oder auch 2. sogenannte Generika herstellen
oder beziehen können. Das ist im letzten Jahr im November auf der Handelskonferenz
in Doha ausdrücklich bestätigt worden. Ich habe mich von Anfang an
gegen die ursprünglichen Klagen der Pharmaindustrie gewandt, denn, um ein
Beispiel zu geben: In Tansania gibt es pro Kopf der Bevölkerung vielleicht
fünf US$ für das Gesundheitswesen. Es ist klar, dass kein Entwicklungsland
Tausende von Dollar für die Behandlung von Kranken ausgeben kann. Und deshalb
müssen die Produkte sehr kostengünstig zur Verfügung gestellt
werden.

ooo: Die Pharmaindustrie
beutet ja auch durch Genpatente die Ressourcen des Regenwaldes aus…

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Es gibt ein Abkommen, das vorsieht, dass die Nutzung von genetischen Ressourcen
der Entwicklungsländer durch die entsprechenden Firmen dem betreffenden
Land gegenüber finanziell kompensiert wird. So dass das Land von der Nutzung
des Patentes profitiert. Was nicht geht, ist, dass die genetischen Ressourcen
durch Firmen patentiert werden und anschließend die Menschen in dem betroffenen
Entwicklungsland die Produkte teuer bezahlen müssen.

Moderator: Hier gehen
inzwischen Fragen zu sehr unterschiedlichen Fragenkomplexen ein; wir werden
eine kleine Runde mit einer Frage pro Fragenkomplexe machen:

JRicken: Ende letzten
Jahres haben Sie in Berlin die von Ihrem Ministerium bei Prof. Spahn in Auftrag
gegebene Studie zur Tobin Tax und zu Regulierung der Internationalen Finanzmärkte
vorgestellt. Wie sieht es mit Initiativen zur Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen
aus?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Die Studie belegt, dass eine moderne Tobin Tax durchaus realisierbar wäre,
auch in einer Zeitzone, z. B. der europäischen. Wir führen jetzt die
Diskussion sowohl in Entwicklungsländern als auch mit europäischen
Ländern, um bestimmte Fragen weiter zu klären. Zum Beispiel die Frage,
wie ein Abwälzen einer Devisentransaktionssteuer verhindert werden könnte
und eine Reihe weiterer, zum Teil sehr technischer Fragen. Ich halte alle Vorschläge,
die dazu beitragen, gemeinsame globale Güter zu finanzieren, für unterstützenswert.

Elchtest 2002: Müsste
man nicht die Banken viel stärker in die Pflicht nehmen, ärmsten Ländern
Kredite zu erlassen?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Beim Schuldenerlass für die ärmsten Entwicklungsländer geht
es einmal um den Erlass von Schulden der aus Finanzkrediten der Entwicklungszusammenarbeit
resultiert, sowie aus sogenannten Handelsschulden, aber es gibt auch die Verpflichtungen
des privaten Sektors, wenn auch in vergleichsweise geringem Umfang.

halligalli: Der Beitrag
an Entwicklungshilfe der BRD ist im Vergleich zu anderen Staaten zwar hoch,
gemessen am eigenen BSP aber beschämend niedrig. warum fordern sie nicht
gemeinsam mit ihren AmtskollegInnen eine drastische Erhöhung und setzen
sich so an die Spitze einer Bewegung, die auch die Globalisierungskritiker einbinden
würde?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Meine Entwicklungsministerkollegen und ich engagieren uns dafür, die Entwicklungsmittel
drastisch aufzustocken. Angesichts der notwendigen Haushaltskonsolidierungen
war das in den letzten Jahren schwierig. Wir haben aber gleichwohl eine Trendwende
in der Entwicklungsfinanzierung in Gang gesetzt.
Unser SPD-Ziel ist,
bis in der nächsten Legislaturperiode das Zwischenziel von 0,33 % Bruttonationaleinkommen
zu erreichen. Das heißt von jetzt rund 5 Mrd. Euro auf dann rund 7 Mrd.
Euro zu kommen. Und die nächste Stufe ist dann die darauffolgende Legislaturperiode.
Im Übrigen, am Ende der sozialdemokratisch geführten Regierung Helmut
Schmidt 1982 waren wir bei 0,48 %. Am Ende der Regierung Helmut Kohl waren es
0,26 % Bruttosozialprodukt. Neben der Entwicklungsfinanzierung ist aber auch
die Frage der Öffnung von Märkten entscheidend. Die Entwicklungsländer
könnten rund 50 Mrd. US$ Einnahmen erreichen, wenn die Industrieländer
ihre Märkte im Agrarbereich nicht abschotten würden. Zum Vergleich,
die Zahl ist ungefähr so hoch wie die gesamte Summe für offizielle
Entwicklungszusammenarbeit weltweit.

Tintin: was sagen
sie zu ATTAC?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Die Mitglieder von ATTAC, die ich kenne, sind alle keine Globalisierungsgegner,
sondern Globalisierungskritiker. Und das ist gut so. Im übrigen finde ich
es prima, dass es endlich eine Öffentlichkeit für die Fragen gibt,
die heute alle als quasi fachspezifische Themen von wenigen Experten verhandelt
werden.

Annette Sauer: Was
denken Sie über die demokratische Entwicklung in Afghanistan – besonders
die Rechte von Frauen?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Sowohl die Bundesregierung als auch die internationale Gemeinschaft tut alles,
um einen Prozess von Demokratie zu fördern, wobei Rückschläge
immer befürchtet werden müssen. Wir tragen in unserer praktischen
Entwicklungspolitik dazu bei, dass die Mädchen wieder in die Schule gehen
können, dass Frauen wieder Zugang zur Gesundheitsversorgung haben und dass
sie in ihren Rechten bestärkt werden, auch bei der zu erarbeitenden neuen
afghanischen Verfassung.

Moderator: Hier sind
einige Nachfragen zur so genannten Tobin-Steuer, also der Besteuerung von internationalen
Kapitaltransfers, eingegangen. Hier die erste dieser Fragen:

Zion: Könnte
eine Tobin Tax überhaupt gegen deutsche Wirtschaftsinteressen durchgesetzt
werden?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Die moderne Tobin Tax hat zum Ziel, gerade kurzfristige Kapitalspekulationsbewegungen
zu verhindern. Wer langfristig Kapital anlegen will, den würde die Tobin
Tax faktisch nicht betreffen. Es ist aber trotzdem notwendig, sich europäisch
und international in Bezug auf eine Devisentransaktionssteuer abzusprechen.

JRicken: Wird der
Deutsche Bundestag einen Vorratsbeschluss, ähnlich wie in Frankreich fassen,
d.h. die moderne Tobin Tax auf dem EU-Markt einführen zu wollen, sobald
alle anderen EU-Staaten auch dafür sind?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Mit allem Respekt gegenüber den französischen Kolleginnen und Kollegen:
eine solche Entscheidung wäre ja ziemlich folgenlos. An dieser Stelle setzt
ja gerade der Vorschlag von Professor Spahn an. Im übrigen: Prof. Spahn
ist ein hochangesehener Ökonom an der Universität Frankfurt, der gerade
für die hessische Landesregierung unter Roland Koch ein Gutachten zum Finanzplatz
Frankfurt erarbeitet.

Moderator: Unsere
Zeit geht langsam zu Ende. Hier eine letzte Fragen zum Wahlkampf:

kannibal: Warum ist
Entwicklungspolitik kein Wahlkampfthema?

Heidemarie Wieczorek-Zeul:
Entwicklungspolitik ist ein Wahlkampfthema. Für mich als Entwicklungsministerin
und für die SPD insgesamt ist Entwicklungspolitik ein wichtiger Beitrag
zur gerechten Gestaltung der Globalisierung und nicht-militärische Sicherheitspolitik.
Sie steht damit im Zentrum internationaler Beziehungen. Die FDP will z. B. das
Entwicklungsministerium auflösen. Die CDU/CSU betrachtet ausweislich ihres
Wahlprogramms Entwicklungspolitik als Wurmfortsatz. Da fällt die Entscheidung
doch leicht.

Moderator: Liebe
Chatterinnen und Chatter! Unsere tacheles.02-Zeit ist bereits wieder abgelaufen.
Wir bedanken uns im Namen von tagesschau.de und politik-digital.de sowie von
unserem Unterstützer tagesspiegel.de für Ihre Teilnahme und die vielen
Fragen; leider konnten wieder einmal nicht alle beantwortet werden, da es zu
viele waren. Herzlichen Dank besonders an Frau Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
für Ihre Bereitschaft, an diesem Chat teilzunehmen. Wir hoffen, dass es
auch für Sie interessant war!

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