Hans Eichel

tacheles.02: Chat mit Hans Eichel am 25. Juni 2002


Moderator:
Herzlich
willkommen im tacheles.02-chat. Nach Gesundheitsministerin Ulla Schmidt
ist heute der Herr des Geldes im Kabinett Schröder gekommen –
Bundesfinanzminister Hans Eichel. Herzlich willkommen, Herr Eichel.
Leider hat Herr Eichel nur bis 21.00 Uhr Zeit, beginnen wir also. Sind Sie bereit Herr Eichel?

Hans Eichel: JA!

Moderator:
Herr Eichel, die deutsche Nationalelf steht nach dem 1:0-Sieg gegen
Südkorea im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft. Mal steuer- und
finanzpolitisch gesehen: Bringt das dem Finanzminister was?

Hans Eichel: Es bringt jedenfalls gute Laune. Und wie sie wissen, ist das ein Wirtschaftsfaktor.

Moderator: Und wie groß ist der Wirtschaftsfaktor?

Hans Eichel: Je mehr Leute gute Laune haben um so größer.

Moderator:
Zur Politik, seit 1974 macht der Bund jedes Jahr neue Schulden. Für den
Bund sind bislang rund 700 Milliarden Euro Schulden aufgelaufen. Nimmt
man die Länder und Gemeinden dazu, beträgt der Schuldenberg rund 1200
Milliarden Euro. Selbst wenn es der Bundesregierung gelingt, bis 2006
die Nettokreditaufnahme des Bundes auf Null zu senken, kommen wir
jemals wieder von diesem Schuldenberg herunter?

Hans Eichel: Natürlich
kommen wir runter wenn wir wollen. Wenn wir jedes Jahr eine solide
Finanzpolitik betreiben, so wie wir es 1999 begonnen haben, dann
schaffen wir es.

ce: Wird es durch die Alterung der Gesellschaft nicht immer schwieriger, den Haushalt zu begrenzen?

Hans Eichel: Die
Alterung der Gesellschaft bedeutet etwa ab 2020 erhebliche zusätzliche
Belastungen des Haushalts. Bis zur Mitte des Jahrhunderts etwa 4-8% des
Bruttoinlandsprodukts. Deshalb müssen wir jetzt mit der Schuldenpolitik
möglichst schnell Schluss machen und mit dem Abbau der Staatsschulden
beginnen.

christina: Wird nach der Bundestagswahl die Mehrwertsteuer erhöht?

Hans Eichel: Nein.

jan: Wäre nach der Bundestagswahl nicht eine Große Koalition die beste Lösung, um die großen Reformvorhaben umzusetzen?

Hans Eichel:
Die Unterschiede zwischen den großen Parteien sind beträchtlich. Die
CDU/CSU verspricht Steuersenkungen und Zusatzausgaben, die bei 35 Mrd.
Euro beginnen und auf 70 Mrd. Euro anwachsen. Das hat mit solider
Finanzpolitik nichts zu tun. Außerdem ist es für die Demokratie gut,
wenn einer starken Regierung auch eine starke Opposition gegenübersteht.

Moderator: Eine Nachfrage zur Mehrwertsteuer, wie ich annehme:

mic: Warum können Sie sich da so sicher sein, anhand der neuerlichen Wahlversprechen?

Hans Eichel: Meine
Aussage "keine Mehrwertsteuererhöhung" gilt für meine Partei. Bei FDP
und CDU würde ich da nicht finanzierbare Wahlversprechen keine Garantie
abgeben.

ingo har: Wieso sind die finanzpolitischen Vorstellungen der Union unseriös?

Hans Eichel: Weil
Steuersenkungen versprochen werden, die nur über zusätzlichen Schulden
finanziert werden können, und das heißt zusätzliche Belastungen und das
heißt Steuererhöhungen in der Zukunft, denn die Zinsen müssen bezahlt
werden. Außerdem sind diese zusätzlichen Schulden ein schwerer Verstoß
gegen unsere Pflichten im Rahmen des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakts, und damit auch ein schwerer Schaden für die gemeinsame
Währung, den Euro. Herr Stoiber hat ja auch bereits erklärt, dass er
einen nahezu ausgeglichenen Haushalt 2004, wie ihn alle Länder in der
EU haben müssen, nicht anstrebt, sondern erst 2006. Das ist schädlich
für die gemeinsame Entwicklung in Europa.

bdi: War ihr Etatentwurf nur ein Sparhaushalt ohne Gestaltung?

Hans Eichel: Nein,
denn er enthält die nächste Stufe der Steuersenkungen. Ab 1. Januar
steigt erneut der Grundfreibetrag, sinkt der Eingangssteuersatz von
19,9 auf 17 Prozent, und der Spitzensteuersatz von 48,5 auf 47 Prozent.
Das sind die bisher günstigsten Steuersätze in Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg. Zweitens beginnen wir mit dem Programm zum Ausbau
von 10.000 Schulen zu Ganztagsschulen. Drittens steigen die
Verkehrsinvestitionen auf 12 Mrd. Euro, und damit auf den höchsten
Stand den sie in Deutschland jemals hatten. Das als Beispiel für
Gestaltung im Haushalt.

chess: Was tun sie gegen die Verschwendung von Steuergeldern? Ich vermisse mehr Transparenz des Staates gegenüber den Bürgern!

Hans Eichel: Zunächst
haben wir durch unsere konsequente Sparpolitik die Möglichkeiten für
die Verschwendung von Steuergeldern drastisch eingeschränkt. Dann
gibt’s den Bundesrechnungshof und seine Prüfungsberichte, die ja auch
veröffentlicht werden und alle Ministerien zwingen, sich vor dem
Bundestag und der Öffentlichkeit zu verantworten. Aufgedeckte Fehler
werden abgestellt. Und schließlich ist der Vorzug der Demokratie, dass
der Staat einer intensiven öffentlichen Kontrolle, durch die Bürger und
durch die Medien, unterliegt. Deswegen sind ganz gewiss demokratische
Staaten, was den Umgang mit Steuergeldern betrifft, wesentlich
sorgfältiger als Diktaturen.

torben76: Müssen innerhalb der EU Steuerschlupflöcher wie Luxemburg nicht schleunigst geschlossen werden?

Hans Eichel:
Ja, daran arbeiten wir. Ich hoffe, die europäischen Finanzminister
werden sich in diesem Herbst endgültig über die Besteuerung aller
Kapitalerträge in Europa einigen und damit die Steueroasen schließen.
Wir kämpfen seit langem dafür.

marta: Wodurch ist die Stärke des Euro zur Zeit bedingt, wird er in Zukunft noch weiter steigen?

oskar: Wie bewerten Sie den Höhenflug des €?

Hans Eichel: Von
einem Höhenflug des Euro würde ich nicht sprechen. Er hat ja bisher
noch nicht die Parität zum Dollar erreicht, und liegt deutlich unter
seinem Anfangswert vom Frühjahr 1999. Der Euro wird jetzt höher
bewertet, weil es mehr Vertrauen zu Europa als zu Amerika gibt. Die
Wirtschafts- und Finanzdaten sind solider als in den USA. Das hohe
Leistungsbilanzdefizit dort und neuerdings wieder ein hohes
Haushaltsdefizit schüren Misstrauen in die Tragfähigkeit der
amerikanischen Wirtschaft. Daran erkennt man, wie wichtig eine solide
Finanzpolitik ist. Der höhere Außenwert des Euro mindert die Preise bei
allen Importgütern, z.B. bei Öl, vermindert damit die Preissteigerung
und gibt der Europäischen Zentralbank die Chance, die Zinsen niedrig zu
halten. Das ist besser als ein niedriger Außenwert des Euro, höhere
Inflationsraten und höhere Zinsen im Binnenmarkt.

Moderator: Halten Sie eine Parität des Euro zum Dollar für wünschenswert?

Hans Eichel: Ich
äußere mich nicht zu Devisenrelationen, aber zweifelsfrei hat Europa
gute wirtschaftliche Fundamentaldaten und damit eine reale Grundlage
für einen starken Euro.

Michael k: Glauben, Sie dass Großbritannien bald der Eurozone beitreten wird?

Hans Eichel: Ich weiß es nicht genau, aber ich hoffe sehr, dass es bis 2004, bis zur Osterweiterung der EU, geschieht.

breuer: Die Osterweiterung der Europäischen Union macht uns Deutsche arm, oder?

Hans Eichel:
Die Osterweiterung der EU hat uns zunächst wesentlich, im Vorfeld
bereits, stärkere Handelspartner beschert. Die Wachstumsraten in
Osteuropa sind höher als in vielen andern Staaten der Erde. Und unser
Export nach Osteuropa ist höher als in die USA. Also haben wir
erhebliche Vorteile durch die Osterweiterung der EU. Andererseits, die
Finanzierung der Mittel, die wir den neuen Ländern geben, die
wesentlich weniger Wirtschaftskraft als die 15 haben, die jetzt der
Wirtschaftsunion angehören, muss von allen 15 Mitgliedern gemäß ihrer
Leistungsfähigkeit aufgebracht werden. Deswegen brauchen wir
Einsparungen im Haushalt der jetzigen EU, insbesondere in der
Agrarpolitik und der Strukturpolitik, um den Beitrittsländern in der
Zukunft die selben Chancen geben zu können, wie es in der Vergangenheit
Spanien, Portugal, Irland, und Griechenland bekommen haben.

euro: Die Osterweiterung kann mit der jetzigen Unionsstruktur doch gar nicht funktionieren, oder?

Hans Eichel: Das ist richtig. Deswegen gibt es den Konvent, der eine europäische Verfassung ausarbeiten soll.

panther: Wir bezahlen die Osterweiterung und die Unternehmen zahlen keine Steuern, oder?

Hans Eichel:
Wir kämpfen ja gerade darum, dass die Osterweiterung nicht so teuer
wird wie sich das manche Besitzstandswahrer in der EU vorstellen. Die
Unternehmen zahlen sehr wohl Steuern, aber zu einem gerechten
Steuersystem kommen wir in Europa nur, wenn wir zu einem weitgehend
gemeinsamen Steuersystem gelangen, das auch eine einheitliche
Unternehmensbesteuerung kennt, und in dem allenfalls national
variierende Steuersätze gelten.

ingo har: Verliert Deutschland in Zukunft nicht überhaupt immer mehr steuerpolitische Souveränität an die EU?

Hans Eichel:
Ja. Das muss auch so sein, denn ein gemeinsamer Markt und eine
gemeinsame Währung funktionieren auf Dauer nicht mit 12, 15 oder 25
unterschiedlichen Steuersystemen. Das war übrigens bei der deutschen
Einigung im 19. Jahrhundert nicht anders.

annette: Wäre es nicht ein besseres Signal gewesen, wenn Deutschland den "blauen Brief" aus Brüssel bekommen hätte?

Hans Eichel: Nein,
denn wir hatten keinerlei Meinungsverschiedenheiten über die Bewertung
der deutschen Haushaltspolitik und die konsequente Fortsetzung des
Konsolidierungskurses. Deswegen bedurfte es keines streitigen
Verfahrens zwischen der europäischen Kommission, dem Rat der
Wirtschafts- und Finanzminister und Deutschland. Der Rat der
Wirtschafts- und Finanzminister hat das in seiner ganz großen Mehrheit
von Anfang an genauso gesehen.

kahn: Was tun Sie für die finanzschwachen Kommunen?

Hans Eichel: Wir
haben eine Gemeindefinanzreformkommission ins Lebens gerufen, die bis
zum Sommer nächsten Jahres Vorschläge für ein besseres
Gemeindefinanzsystem machen soll. Unser Ziel ist, dass das System ab
2004 gilt.

rose: Wie fanden sie das Buch von Oskar Lafontaine und seine Kritik an der Regierung?

Hans Eichel: Ich habe es nicht gelesen.

godzilla: Wieso ist die Inflationsrate so niedrig, wenn doch so viele Artikel nachweislich teurer geworden sind?

Hans Eichel:
Weil die Artikel die teurer geworden sind, denen man übrigens als
Verbraucher weitgehend ausweichen kann, für unsere gesamte
Lebenshaltung keine so große Rolle spielen. Z.B. sind die Mieten
vollkommen konstant geblieben bei der Umstellung auf das Euro-Bargeld,
und das ist bei den meisten Familien ein Anteil zwischen 20 und 30
Prozent am Monatsbudget. Außerdem ist der Ölpreis wieder billiger
geworden, und der steigende Eurowert sorgt zusätzlich für billigere
Importe. So haben wir insgesamt jetzt ein Inflationsrate von unter
einem Prozent, die niedrigste in der Europäischen Union.

boris: Wer ein nur geringes Einkommen hat, kann dem nicht ausweichen!

Hans Eichel: Doch,
weil die Waren ja unterschiedlich von Geschäft zu Geschäft verteuert
worden sind oder auch nicht. Eine Reihe von Geschäften werben ja
ausdrücklich mit ihren niedrigen Preisen. Das muss man als Verbraucher
natürlich nutzen.

Peter Schmeichel:
Euro = Teuro-Debatte: Zur Zeit kursiert eine Kettenmail mit Aufruf zum
Kaufboykott an einem bestimmten Tag. was halten sie davon?

Hans Eichel:
Überhaupt nichts. Weil man dann die große Mehrzahl der Händler, der
Gaststätten, der Dienstleistungsbetriebe, die sich bei der Umstellung
vernünftig verhalten haben, mitbestrafen würde und wir uns insgesamt
nur selber schädigen – weil wir unseren Wirtschaftsaufschwung schwächer
machen, als er ohne ein solche Verhalten wäre. Also, die schwarzen
Schafe meiden, die überteuerten Produkte meiden, aber die vielen
billigen Angebote, z.B. auch die großen Rabatte bei Neukäufen von
Autos, die günstigen Kalkulation beim Neubau von Häusern, nutzen.

rodi: Wen unterstützen die Wirtschaftverbände ihrer Meinung nach? Stoiber oder Schröder?

Hans Eichel: Ganz überwiegend Stoiber.

rodi: Was halten sie vom Fernsehduell? Medienwahlkampf und Amerikanisierung?

Hans Eichel:
Von Amerikanisierung wenig, aber eine Vermittlung der Politik geht nur
über Medien, und die Bürgerinnen und Bürger können sich angesichts von
Fernsehstreitgesprächen eine eigene Meinung bilden.

harry: Herr Eichel, wird das Thema Zuwanderung den Wahlkampf dominieren?

Hans Eichel: Es kann sein, dass die CDU/CSU versucht, das zu einem Hauptthema zu machen. Ich glaube nicht, dass sie damit Erfolg hat.

pet: Was machen Sie wenn die Konjunktur nicht anspringt wie erwartet?

Hans Eichel:
Wir tun ja eine Menge, um zu helfen, dass das Wirtschaftswachstum
besser wird. Deswegen haben wir in 2003 bereits die nächste Stufe der
Steuersenkung. Deswegen erhöhen wir systematisch die Investitionen. Wir
werden keine zusätzlichen neue Schulden machen.

Moderator: Noch einmal zum Thema Zuwanderung:

starcat: Ist die Zuwanderung nicht auch eine zentrale Wirtschaftsfrage? Wie sollen die Renten ohne sie finanziert werden?

Hans Eichel: Ein
alternde Gesellschaft hat in der Tat größere Probleme, die Renten zu
finanzieren. Deswegen haben wir die Rentenreform machen müssen, um ein
neues Gleichgewicht in der Belastung der Generationen zu finden.
Zuwanderung, und das ist mit dem neuen Gesetz gemeint, die uns hilft,
die Wirtschaftskraft zu stärken, ist ein Beitrag zur Lösung. Allerdings
brauchen wir bei der gegenwärtig hohen Arbeitslosigkeit nur sehr
begrenzt Zuwanderung von Fachkräften, die wir gegenwärtig bei uns nicht
haben. Wir sollten uns im übrigen zuvor alle Mühe geben, die
Arbeitslosen in Deutschland so zu qualifizieren, dass sie wie die
Wirtschaft sagt, 1,2 bis 1,4 Mio. offenen Stellen, ausfüllen können.

Moderator: Liebe Chat-Gäste, Finanzminister Hans Eichel hat leider nur 45 Minuten Zeit, daher zum Abschluss:

kwaak: Herr Eichel, bekommen Sie nicht manchmal Angst, wenn Sie Ihre eigene Prominenz bemerken?

Hans Eichel:
Nein, es führt vielmehr dazu, dass mich viele Menschen jeden Tag direkt
ansprechen, und das finde ich gut so. So erfährt man viel
unmittelbarer, was die Menschen denken. Das ist halt Element einer
lebendigen Demokratie.

Moderator: Vielen Dank Herr Eichel, einen schönen Abend wünschen wir noch!

Hans Eichel: Ich bedanke mich für die lebendige Kommunikation. Mir hat’s Spaß gemacht.

Moderator: Wir
danken für das Interesse und laden Sie herzlich ein zum Chat mit einem
weiteren Kabinetts-Mitglied. Am kommenden Mittwoch, 3.Juli, kommt
Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zum
tacheles.02-chat – wie immer um 20.15 Uhr.

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