Der Netz-Journalist Matt Drudge hat die Lewinsky-Affäre erst ins
Rollen gebracht. Ein Portrait des digitalen enfant terrible.

"Information will frei sein." – Der von John Perry Barlow
geprägte Satz ist für Matt Drudge offenbar Gesetz. Wie niemand
sonst steht der Nachrichten-Newcomer und Herausgeber des berühmt
-berüchtigten Drudge Report
für den Ausbruch und die Zuspitzung eines Konfliktes zwischen
Offline- und Online-Welt,in dem es um nichts Geringeres zu gehen
scheint als um die Zukunft des Journalismus.+

Matt Drudge?

Matt Drudge?

In Deutschland erst durch die Erstveröffentlichung der Clinton-Lewinsky-Affäre
ins Blickfeld geraten, hat Matt Drudge seit 1996 für einigen Aufruhr in der alten und neuen amerikanischen
Medienszene gesorgt.

Dem bleichen, stets leicht zerknittert wirkenden gefährlichsten Journalisten Amerikas waren bereits einige
"scoops" geglückt: So konnte er 1996 als erster die Wahl von Jack Kemp zum "running mate"
des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Bob Dole vermelden, berichtete im Januar 1997
über die Gagenforderungen von US-Comedystar Jerry Seinfeld und schlug im August die großen
TV-Networks im Rennen um die Erstveröffentlichung des Todes von Lady Di – um ein paar Minuten.

Allerdings hat sich Drudge auch kapitale Fehlschläge geleistet, die maßgeblich zu seinem
Ruf eines ebenso schlampigen wie skrupellosen Boulevardjournalisten und Gerüchtekochs
beitrugen. Sein Hinweis auf eine Tätowierung Bill Clintons gehört ebenso ins Reich der
Spekulation wie die Meldung vom Super-Merger der verfeindeten Firmen Netscape und Microsoft.
Die gefährlichste Online-Ente war jedoch die Anschuldigung, der Clinton-Berater Sidney
Blumenthal schlage seine Frau. Daraus resultierte eine Verleumdungsklage in Höhe von
30 Millionen Dollar – doch der eilfertige "Internet-Reporter" erhält dabei Rückendeckung
vom konservativen Center for the Study of Popular Culture,
das auch das "Matt Drudge Information Center" unterhält. Die Klage aus
dem Weissen Haus bereitet Drudge denn auch wenig Grund zur Sorge –
schließlich kennt er die Spielregeln der Informationsgesellschaft nur
zu gut: Der Fall Blumenthal ist für ihn eine ständig sprudelnde Quelle
der Aufmerksamkeit.
Überhaupt zelebriert Matt Drudge eine neuartige "Lebensform in der
Informationswelt":

Sein kleines Appartment in Los Angeles ist angefüllt mit mehreren Computern, Fernsehern
und Telefonleitungen – der Umgang mit den exorbitanten Datenmengen, die auf
unterschiedlichen Kanälen in seine Schaltzentrale strömen, hat bei vielen einen
bleibenden Eindruck hinterlassen. Das "geekatorium" versorgt den "Infoholiker"
mit dem Rohstoff für seine Arbeit – Drudge setzt sich freiwillig einer Informationsflut
aus, die andere umgehend in die Flucht schlagen würde und auch bei Journalistenkollegen Ehrfurcht auslöst .
Die gleichzeitig laufenden Fernseher zeigen CNN, MSNBC oder andere Nachrichtenkanäle,
dazwischen quäken Talk-Radio und Polizeifunk – Drudge klickt sich in diesem Infogewitter
durch die Web-Sites amerikanischer Tageszeitungen oder wirft einen Blick auf seinen
elektronischen Hochleistungs-Briefkasten, der täglich mit vierstelligen Eingangszahlen
zu kämpfen hat.

Dieses "Leben in der Information" kennzeichnet den Arbeitsstil von Matt Drudge und
verleiht ihm die Aura eines prototypischen Internet-Reporters. Der Online-Kollege
Steve Silberman sieht in
Drudge gar die Verkörperung des Internet: "Drudge was the Internet – a walking homunculus
of alt.fan-dom, conspiracy sniffing, and "unofficial" celeb-dish Web sites. Matt Drudge
was the future, an embodiment of a frantic, redundantly networked world in which everyone
knows everything at once – even things that aren’t true."
Drudge versendet die Resultate seiner Informationssucht per e-mail, plaziert sie auf seiner
vielgelesenen Web-Site und bietet sie zusätzlich über den Online-Dienst AOL an. Dabei nutzt
Drudge, häufig als "Ein-Mann-Medien-Imperium" bezeichnet, die medialen Eigenheiten
des Internet: Er nimmt die Tatsache ernst, daß jeder Netzteilnehmer zugleich Sender
und Empfänger sein kann – und baut sich so ein virtuelles Korrespondentennetz auf.

Nur auf diese Weise kann der als "Einzelkämpfer" apostrophierte Drudge in den
Informationsfluten bestehen – als Spitze eines Eisbergs aus Neugier, Gerüchten,
Indiskretionen, Lügen und Wahrheiten. So kassiert er die Lorbeeren für die Erfolge
gemeinschaftlicher Enthüllungen, muß aber auch bei Fehlern den Kopf hinhalten.
Das Beispiel Drudge scheint in den USA bereits Schule zu machen. Neben zahlreichen –
zuweilen bösen – Parodien,
gibt es auch ganz ernsthafte Nachahmer. Doch Camille Paglia, die in ihrer Online-Kolumne den "kühnen, unternehmerischen,
informationsorientierten Aussenseiter" Drudge gar als erfrischendes "rolemodel" für
langweilige amerikanische Einheitsstudenten sieht, dürfte gar nicht gefallen, was
Luke Ford veranstaltet. Der 32jährige Kalifornier stilisiert sich als
"Matt Drudge der amerikanischen Sex-Industrie" und führt den noch jungen Online-Journalismus
in die nächsten Untiefen

Damit wäre die Frage nach der Übertragbarkeit des Modells Drudge aufgeworfen: Der Erfolg seiner
Rolle als "Informationsschleuder" ist aufgrund einer festen Einbindung in elementare Strukturen
des Internet mit der – inhaltlichen wie technischen – Leistungsfähigkeit der medialen Umgebung
verbunden. Matt Drudge konnte sich in den USA vor allem deshalb schnell innerhalb der
Medienwelt positionieren und etablieren, weil er sich ähnlich wie ein Virus in einer immer
besser funktionierenden Wirtsumgebung eingenistet hat. Und bislang scheint nur die
amerikanische Online-Szene ausreichend groß und gefestigt, um einen "Infoholiker"
wie Matt Drudge durchfüttern zu können.