(Artikel) Eigentlich sollten alle Bundesbürger 2007 bereits eine elektronische Gesundheitskarte mit gespeicherten medizinischen Daten benutzen. Aktuell sind Feldversuche in Zittau und Flensburg angelaufen – und die geplanten Einsparungen werden teurer. Kendra Hirnstein zum Stand der Dinge in Sachen eHealth.

Als größtes Informationstechnologie-Projekt der Welt bezeichnet Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gern die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Die Speicherung und Vernetzung der Patientendaten soll Kosten sparen, indem zum Beispiel Doppeluntersuchungen vermieden werden.

Einführung auf 2008 verschoben

Eigentlich sollte die Einführung schon Anfang 2006 gelaufen sein. Doch die Verzögerungen nahmen kein Ende. Die Schuld schieben sich die Beteiligten gegenseitig zu. Ein Sprecher der Fraunhofer-Gesellschaft, betraut mit der Entwicklung der Lösungsarchitektur, sagte in einem Beitrag, die Lobbyisten von Ärzten, Apothekern und Krankenkassen hätten nicht gewusst, was sie wollten. Die IT-Branche macht hingegen die Politik verantwortlich, weil diese von Anfang an die Weichen falsch gestellt habe. Die bundesweite Einführung ist nun auf Anfang 2008 verschoben. Dann sollen alle Bürger in Deutschland eine elektronische Gesundheitskarte haben. Rund 125.000 niedergelassene Ärzte, 2.000 Kliniken, 22.000 Apotheken und 300 Krankenkassen werden damit in das Projekt eingebunden.

Auf der elektronischen Gesundheitskarte sind Geburtsdatum, Name, Anschrift, Foto, Name der Krankenkasse, Status (z.B. Mitglied, Familienversicherter oder Rentner) zu finden. Sämtliche Daten werden auf einem Chip mit Mikroprozessor gespeichert, wodurch die neue Karte etwa 250 mal so viel Speicherkapazität haben soll wie die bisherige Krankenversichertenkarte. Die genaue Speicherkapazität ist noch nicht festgelegt. Momentan laufen Komponententests, die Funktionen und Zusammenspiel von Lesegeräten, Karten und Chips prüfen.

Die elektronische Gesundheitskarte soll den Patienten „von der Wiege bis zur Bahre“ begleiten. Die Bundesregierung verspricht sich hohe Einsparungen, unter anderem wird eine mehrfache Kartenneuausgabe an Versicherte wegen Datenänderungen wie Umzug oder Heirat wegfallen. Durch die kontinuierliche Datenspeicherung soll die Krankengeschichte des Patienten für den Arzt transparenter und damit unnötige Doppeluntersuchungen vermieden werden. Ob die Daten letztendlich auf dem Chip selbst, auf einem zentralen Server oder auf mehreren Servern verteilt gespeichert werden, ist noch nicht entschieden.

Erste Schritte außerhalb des Labors

Am 11.12.2006 fiel der Startschuss zur Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte in der Testregion Flensburg. Nach Angaben des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren in Schleswig-Holstein haben bislang über 7.000 Versicherte ihre Karte bekommen, 25 niedergelassene Ärzte aus der Region und 13 Krankenkassen machen mit. In Kürze sollen noch zwei Krankenhäuser folgen. Das Landesgesundheitsministerium verbreitet Optimismus: „Das Projekt läuft gut,“ sagt Ministeriumssprecher Oliver Breuer, „die ganze Aufregung über die Gesundheitskarte wird nur von außen herangetragen.“ Eine Meldung des Focus, nach der sich die Ausgabe der Gesundheitskarten in beiden Testregionen aufgrund fehlender Versicherten-Passfotos stark verzögere, wurde prompt von Projektleiter Jan Meincke sowie der AOK Schleswig-Holstein dementiert. Auch Bastian Klemke, Projektkoordinator für Flensburg, ist optimistisch: „Es treten zwar ab und zu ein paar Kleinigkeiten auf, aber dafür ist eine Testreihe schließlich da.“ Zum Beispiel sei die Software einiger Kartenlesegeräte in den Arztpraxen zu veraltet, um mit der neuen Gesundheitskarte fehlerfrei zu funktionieren.

In Löbau-Zittau in Sachsen sind die ersten Karten seit dem 22. Dezember 2006 im Umlauf. Laut Testbericht des Projektbüros SaxMediCard vom 5.2.07 sind bisher 6339 Karten ausgegeben worden, in Kürze will man die 10.000er-Marke erreichen. Zehn Krankenkassen, 23 Arztpraxen und ein Krankenhaus nehmen hier bis dato an dem Versuchsprojekt teil. Auch hier scheint es ziemlich planmäßig zu laufen. 103 der Gesundheitskarten seien im Testverlauf nicht lesbar gewesen, bei weiteren sieben habe es Beanstandungen wegen fehlerhafter Daten gegeben.

Den Optimismus der Deutschen hat man im Nachbarland hinter sich: In Österreich gab es bei der Einführung der dortigen E-Card, die mit der elektronischen Gesundheitskarte vergleichbar ist, jede Menge Pannen. Zum Beispiel wurden in Wien 23.000 falsch bedruckte Karten verschickt. Die nächsten Feldversuche in Deutschland zur Prüfung der eRezept-Funktion, bei der auch die verordneten Medikamente auf der Karte gespeichert werden, sollen ab Juni 2007 in Flensburg und Löbau-Zittau starten.

Wie teuer werden die Einsparungen?

Laut Angaben des Gesundheitsministeriums soll die Einführung der Gesundheitskarte bis zu 1,4 Milliarden Euro kosten. Experten wie Lobbyisten halten das für zu niedrig geschätzt: Dem Informatiker Thomas Maus zufolge (
Gesundheitskarte und Gesundheitstelematik – 1984 reloaded?, 2006) sei dies im Verhältnis zu vergleichbaren Modellprojekten erstaunlich günstig. Maus kommt in seiner Kalkulation auf zwei Milliarden Euro Einführungskosten plus 1,4 Milliarden jährliche Betriebskosten. Klaus-Detlev Dietz, Geschäftsführer im Verband der privaten Krankenversicherung (PKV), äußerte in einem Artikel der Financial Times Deutschland die Befürchtung, dass die Einführung der Gesundheitskarte etwa 4 Milliarden Euro betragen werde.

Besonders die niedergelassenen Ärzte werden wohl einiges ausgeben müssen. Nur in rund 80 Prozent der Arztpraxen gibt es laut einer Statistik aus Nordrhein-Westfalen überhaupt einen Computer – für die Anforderungen an Hard- und Software, die eine reibungslose Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte voraussetzt, oft hoffnungslos veraltet. Auch die Einschätzungen der jährlichen Einsparungen weichen stark voneinander ab. Der IT-Branchenverband Bitkom errechnete Mitte 2006 etwa 500 Millionen Euro, an anderer Stelle war von einer Milliarde die Rede. Auf der Website des Gesundheitsministeriums äußert man sich lieber nicht in Zahlen, sondern spricht lediglich von Einsparungen.