Auf der Popkomm in Köln wird deutlich: das Internet gilt nicht mehr als Hauptfeind der Musikindustrie. Vielmehr versuchen die Vertriebe jetzt, die Potenziale des Netzes gewinnbringend für sich zu nutzen und setzen auf eigene Musiktauschbörsen und neue Abgabemodelle.

Die Umsatzeinbrüche der Musikindustrie durch MP3s und Musiktauschbörsen im Internet beherrschen seit Jahren die jährliche Musikmesse
Popkomm in Köln. Doch während auf dem die Messe begleitenden Kongress vor einigen Jahren noch die Anhebung von CD Preisen auf bis zu 50 Mark und das vehemente Vorgehen gegen Tauschbörsen als Lösungsmöglichkeiten diskutiert wurden, kann bei der diesjährigen Popkomm, die von 15. bis 17. August in Köln stattfand, ein langsames Umdenken beobachtet werden. Dies macht sich besonders an zwei Punkten fest: an der Erkenntnis, dass die Krise der Musikindustrie wenigstens zum Teil hausgemacht ist und dass die juristische Verfolgung von illegalem Kopieren von Musik langfristig nicht zu einer Umsatzsteigerung der Musikindustrie führen wird.

Legale Musik aus dem Internet

Mit der Gründung von kostenpflichtigen Downloadbörsen versucht die Musikindustrie die Eigeninitiative zu ergreifen und illegalen Tauschbörsen legale Alternativen entgegenzusetzen. Während bei
popfile.de jeder Song pauschal 0,99 € kostet, bietet das Vertriebssystem
OD2 zwei unterschiedliche Preiskategorien an. Durch eine neu entwickelte Technologie können die Dateien entweder nur auf dem Computer angehört werden, oder, entsprechend teurer, auch einmalig auf CD gebrannt werden. Laut dem Leiter von OD2, Charles Grinsdale, wird das Angebot von den Nutzern sehr positiv angenommen. Er vermutet, dass mit der weiteren Verbreitung von Breitband-Downloadmöglichkeiten wie DSL die Nachfrage nach solchen hochwertigen Angeboten noch weiter steigt. Nicht nur weil dann der Download einer Datei sehr viel schneller geht, sondern auch weil mit dem weiteren Ausbau der Breitbandnetze die klassische Flatrate ohne Zeit- und ohne Downloadbegrenzungen aus Gründen der Rentabilität abgeschafft werden wird. Zukünftig hätte der Nutzer also nur ein begrenztes Downloadkontingent pro Monat zur Verfügung, das er eher für qualitativ hochwertige Dateien als für möglicherweise defekte Mp3s aus Musiktauschbörsen einsetzen wird.

Steffen Müller von X-cell Records dagegen findet die Diskussion um bezahlte Downloads als von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Da die Dateien nun mal kostenlos zur Verfügung stehen, kann kein Preis niedrig genug sein, um die Nutzer zu überzeugen, ihn keinem Preis vorzuziehen. Die Preisfrage ist nicht der Ausweg aus dem Dilemma der Musikindustrie, “das Rad kann nunmal nicht zurückgedreht werden”. Müller sieht die einzige Möglichkeit, den kriselnden Markt zu halten, in einer Steigerung der Qualität. Darin stimmt ihm Wolfgang Orthmayr, der Direktor von
WOM Deutschland, zu. “Die CD muss preis-wert werden.” Die Tonträgerhersteller und die Verlage müssen über neue Kaufanreize für Kunden nachdenken, sei es durch neuartige Formen, Verpackungen oder deluxe-Features, die den hohen Preis einer bespielten CD im Vergleich zu einem Rohling rechtfertigen.

Neue Abgabenmodelle

Ein anderer Trend wird durch die Erkenntnis ausgelöst, dass es quasi unmöglich ist, das illegale Tauschen im Internet zu unterbinden. Jede Schließung einer illegalen Tauschbörse lässt zehn weitere aus dem Boden schießen und jahrelang entwickelte Technologien, die CDs kopiersicher machen sollen, werden innerhalb kürzester Zeit von Hackern geknackt. Viele Branchenexperten sind inzwischen der Meinung, dass es gar nicht das Herunterladen der Musik ist, dass die Umsatzverluste der Musikindustrie bedingt, sondern das Brennen auf Datenträger. Diese These wird von einer aktuellen Studie von
Forrester unterstützt, die einen Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Filesharing-Angeboten und den Umsatzeinbrüchen der Musikindustrie nicht bestätigt.

Als Konsequenz werden nun GEMA-Abgaben auf CD-Brenner und Rohlinge als Möglichkeit angesehen, die illegale Verbreitung von Musik zu verhindern. Ungeklärt ist dabei allerdings, wie die Einnahmen durch Brenner oder CD-Rohlinge von der GEMA an die Künstler und Labels verteilt werden, da es ja keine gesicherten Daten darüber gibt, welche Künstler und welche Songs heruntergeladen und gebrannt werden. Bis jetzt konnten sich die verschiedenen Vertriebe trotz zahlreicher Diskussionsrunden noch nicht auf einen Standard zur Erfassung von heruntergeladenen Dateien einigen. Eine Implementierung dieses Standards in MP3-Dateien könnte übermitteln, welcher Song wie oft heruntergeladen wird und damit die gerechte Aufteilung der Tantiemen gewährleisten.

Bewusstsein für Urheberrechtsverletzungen

Ein dritter Punkt, der in allen Diskussionsrunden thematisiert wurde, ist die Frage nach Wert und Wertschätzung von Musik. Die Teilnehmer der verschiedenen Diskussionsrunden waren sich größtenteils einig, dass das Bewusstsein für den Wert für Musik gesteigert werden muss. Aber gerade die Entwicklung hin zu Musik als Wegwerfprodukt ist größtenteils von der Musikindustrie hausgemacht. Gerade die Überschwemmung des Marktes mit immer mehr Produkten und die zunehmende Konzentration auf Musik, die ohne den langfristigen Aufbau von Künstlern auf den Markt kommt, weicht eine intensive Bindung der Fans an ihre Idole immer mehr auf. Durch die zunehmende Austauschbarkeit von Bands und deren Musik könne sich beim User kein wirkliches Gefühl für Urheberrecht entwickeln, da er sich einem Massenprodukt gegenübersieht, das jedenfalls seinem Gefühl nach, nicht viel wert ist. Diesem Missverhältnis begegnet die Musikindustrie von zwei verschiedenen Seiten. Die einen fordern eine Anhebung der Preise für CDs, um durch höhere Preise einen höheren Wert von Musik zu symbolisieren. Die anderen setzen eher auf eine aufklärerische Variante und hoffen durch Kampagnen, das Unrechtsbewusstsein für Urheberrechtsverletzungen gerade auch bei industriellen Nutzern von Musik für Werbung oder Filme zu erhöhen.

Erschienen am 29.08.2002