Kann man sich im dichten Gedränge einer Großstadt irgendwo freier fühlen als auf einer Schaukel? Einfach
schwungvoll Anlauf nehmen und dem Himmel entgegen gleiten, nur noch dessen Blau – oder das Rot des
Sonnenuntergangs – vor Augen?

Verbindet man dieses Bild dann noch mit einem geschichtsträchtigen Ort,
formt sich eines dieser Symbole, von denen es in Berlin derzeit geradezu zu wimmeln scheint. In diesem Fall ist
der Ort der ehemalige Grenzstreifen zwischen Ost und West. Die Schaukel steht auf einem kleinen Anhang.
Von hier gleitet der Blick sowohl über eine sterile Neubausiedlung im Berliner Bezirk Wedding, über die ersten
Häuser des Bezirks Prenzlauer Berg, über den Fernsehturm am Alexanderplatz und eben auch über den
inzwischen zart grün leuchtenden Streifen Erde, der einst durch eine beziehungsweise die Mauer beherrscht
wurde. Das Ende der real begehbaren Welt für die Bewohner des Ostteils der Stadt. Der Himmel darüber war der
selbe, nur an fröhliches Schaukeln dachte niemand.

Genug der Symbolik: Heute gehört der Park vor- und nachmittags Spaziergängern, auffallend viele davon
unterwegs mit Kinderwagen. Auch wenn der Prenzl.-Berg sichtlich noch ein junger Bezirk ist, ihre
‘Sturm-und-Drang-Phase’ haben manche der Bewohner hinter sich, traute Familienidylle kehrt langsam in das
frühere In-Viertel ein. Gegen Abend nehmen dann – zumindest an warmen und heißen Tagen – vornehmlich
Studenten den Park in Beschlag. Fast schon eine Institution sind die bis zu 20 Trommler, die regelmäßig mit
treibenden Rhythmen für eine trotzdem entspannte Atmosphäre sorgen. Längst ist so der symbolträchtige Ort zu
einem beliebten Kleinod mitten in der Stadt geworden.

Wie es dazu kam? Schon kurz nach dem Fall der Mauer hatte sich der Runde Tisch, ein aus allen politischen
Gruppierungen zusammengesetztes Gremium, dafür eingesetzt, einen Teil des Mauerstreifens als Grünfläche zu
erhalten. Später unterstützte auch der Senat der Stadt dieses Vorhaben. Aber erst vier Jahre nach der
Wiedervereinigung, nach einem Planungswettbewerb und weiterer finanzieller Hilfe einer Firmenstiftung konnte
am ebenfalls symbolvollen 9. November des Jahres 1994 der erste Bauabschnitt eröffnet werden.

Mittelpunkt ist jetzt ein Amphitheater aus mächtigen Steinquadern. Auch die Verlängerung der Schwedter Straße,
die schnurgerade durch den Park führt, vermittelt mit ihrer hubbeligen Pflasterung ein bisschen altrömisches Flair.
Der Verlauf der ‘Via Mauerpark’ entspricht fast dem der ehemaligen Stadtteilgrenze, an die ebenfalls mächtige
Steinblöcke erinnern sollen. Schon etwas verloren wirken dagegen die schmächtigen Birken, kleinen Eichen und
Pappeln, die ganz nach dem Gusto des Landschaftsarchitekten streng geometrisch angepflanzt wurden.
Geliebt werden sie vor allem von den vierbeinigen Besuchern des Parks, bisweilen müssen sie als Eckpfosten für
ein provisorisches Fußballtor herhalten. Denn überwiegend besteht der Park aus Rasen, oder was davon nach
ausgiebiger Nutzung durch Hobbysportler und Freizeitgriller noch übrig ist.

Die einzige Mauer, die den Park heute noch ziert, ist wie zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik auf
der östlichen Seite grau und auf der westlichen bunt. Sie trennt die Anlage von dem dahinter liegenden Friedrich-
Ludwig-Jahn-Sportpark und ist ein ganz offizielles und legales Eldorado für Sprayer: Regelmäßig wird die 100
Meter lange Graffiti-Fläche in frischem Weiß getüncht, nur um Platz zu machen für neue farbige Kunstwerke.

Der 21. Juni, Tag der Fete de la Musique, bot wieder einmal Gelegenheit dazu. An diesem heißen Tag war die
letzte übriggebliebene Mauer jedoch keineswegs die Hauptattraktion: Eine riesige Staubwolke über dem Park
kündete schon von weitem von den mehreren Tausend Besuchern, die hierher gepilgert waren, um die gut 15
Bands auf zwei Bühnen zu erleben. Bis zehn Uhr nachts. Denn manchmal hat auch im Mauerpark die Freiheit
noch ihre frühen Grenzen.