Krisen halten sich schon länger nicht mehr an nationale Grenzen, schon gar nicht die Krise des anonymen und freien Internets in Zeiten von Geheimdiensten 2.0, Facebook und Co. Dennoch meinen die Telekom, die Union und andere, die Lösung an den Ländergrenzen zu entdecken. Die Antworten auf diese deutsche Rückbesinnung haben sich bei Twitter unter dem Hashtag #schlandnet versammelt. Den Grundtenor fassen Jürgen Geuter und Michael Seemann mit „#schlandnet verecke!“ zusammen. Zudem findet sich in der Presseschau ein Beitrag des prominenten Netzkritikers Evgeny Morozov, aber auch eine scharfe und leidenschaftliche Kritik an Morozov und seinem Buch. Konstruktiv: Die letzte Kritik, dieses Mal an den Oligopolen der Social-Media-Anbieter, zeigt in einem ehrgeizigen Manifest zur Vergesellschaftung der sozialen Medien auch Alternativen auf.

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Im Zweifel die Nation

In Zeiten globaler Krisen hat der Nationalstaat wieder Konjunktur. Besonders vor dem Hintergrund der Entstehung des Internets und globaler digitaler Vernetzung schien der Nationalstaat leise und bedeutungslos in den Geschichtsbüchern zu versinken. Gegen Überwachung und für den Schutz der Bürger führen die Telekom und die Union ihn nun wieder ins Feld. Ole Reißmanns Artikel auf Spiegel Online lässt die wichtigsten Vertreter aus Politik und Telekom zu Wort kommen. Dass es der Telekom nicht nur um Datenschutz und Privatsphäre geht, legen Kai Biermann und Marin Majica auf Zeit Online ausführlich dar: National Routing böte keine zusätzliche Sicherheit, dafür mehr Marktmacht für den Telekommunikationsgiganten, höhere Kosten und eine Gefahr für die Netzneutralität.

#schlandnet verrecke

Im Netz ließ die Reaktion auf den Vorstoß der Telekom nicht lange auf sich warten: Mit dem Hashtag #schlandnet verbreitete sich eine Welle des Hohns und der Kritik. So sieht der Blogger Jürgen „tante“ Geuter keinen Nutzen in der Idee, außer für die Telekom und die deutschen Sicherheits-Behörden, und fürchtet willkommene Anknüpfungspunkte für Rechtspopulismus. Auf Carta entwirft er eine dystopische Entwicklung des nationalen Internets 2013 hin zu einem geschlossenen, überwachten und kostenpflichtigen „Vertrauensnetz“ im Jahr 2016. Geuters Forderung „#schlandet verrecke“ greift auch Michael Seemann auf. Auf seinem Blog nimmt er das Narrativ in den Blick, das hinter der Idee des National Routing steckt. Ein national begründetes „Die gegen Wir“, also Deutsche gegen die NSA, verschleiere nicht nur die tatsächlichen Konfliktlinien, schließlich liege der Feind in Form des BND „mit im Bett“. Sondern es stärke auch noch zusätzlich die bestehenden Machtverhältnisse.

„Diktatur der Alternativlosigkeit“

Für Evgeny Morozov ist das diskursive Teflon das Problem. Damit meint er die Unantastbarkeit und die Dominanz der Silicon-Valley Industrie in Debatten über Internet, Technik und deren Verhältnis zur Gesellschaft. So würden die Internetkonzerne das Vokabular der Debatte stellen und die Informationstechnologie als über alle Kritik erhabene Fortschrittsbringer propagieren. Mit Anleihe bei Roberto Unger bezeichnet Morozov dies als „Diktatur der Alternativlosigkeit“, die scheinbare Offenheit mit einer Verschärfung von Kontrolle verbindet, Privatsphäre zu einem exklusiven weil kostenpflichtigen Gut transformiert und Arbeit auf das gesamte Leben ausweitet. Schuld daran seien allerdings weder Silicon-Valley noch die Technologie, sondern das bestehende politische und wirtschaftliche Regime. Zu einem näheren Blick auf dieses kommt er trotz seines ausführlichen Beitrags auf faz.de leider nicht mehr.

Zwischen Hass und Future-Shock-Starre

Evgeny Morozov hat auch ein Buch geschrieben, „Smarte Neue Welt“ heißt es, und wird von Sascha Kösch auf de-bug.de in einer Rezension mit viel Leidenschaft auseinandergenommen. So seien die in dem Buch vorgestellten Thesen des „Internet-Erklärbärs“ weder neu, noch würden sie tiefer gehend auf den Gegenstand angewandt. Morozov wiederhole vielmehr anhand von zahllosen Beispielen die immer gleiche These, dass das Internet nicht essentialistisch zu betrachten sei. Das Internet sei, so Morozov, konstruiert und nicht per se frei, transparent und offen. Jedoch würde dieses essentialistische Argument von Silicon Valley verwendet, um eigene Interessen durchzusetzen. Kösch findet Morozovs Buch perspektivlos, da es die Leser entweder mit Hass auf Silicon Valley oder in einer „Future-Shock-Starre“ zurückließe. Auch Martin Weigert bescheinigt dem Netzkritiker Morozov auf netzwertig.com Eindimensionalität, sieht ihn aber als notwendiges Gegengewicht zu überzeugten Technofanatikern.

Die Vergesellschaftung der sozialen Medien

Eine große Sparte der Silicon Valley-Industrie sind die sozialen Medien. Facebook und Twitter sind private Konzerne mit Profitinteressen, die den Rahmen für einen Großteil der Kommunikation im Internet bilden. Dabei können sie sich auf das natürliche Monopol ihrer Infrastruktur verlassen und außerhalb jeden Wettbewerbs und ohne Alternativen agieren. Dies nimmt Benjamin Kunkel zum Anlass, auf n+1 die Vergesellschaftung der sozialen Medien zu fordern. In fünf Argumenten erklärt er warum: Erstens würden soziale Medien auf natürlichen Monopolen basieren. Zudem würden Profitinteressen deren Qualität einschränken. Soziale Medien seien drittens ein öffentliches Gut für demokratische Prozesse und könnten, viertens, nur als solches Innovation und Unternehmertum hervorbringen. Schlussendlich seien die Produzenten in diesen Konzernen die Nutzerinnen und Nutzer, also die Gesellschaft an sich, und sollten daher nicht im ökonomischen Rahmen agieren. „Tweeps and Facebook friends, unite“!
 
 
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